L 1 KR 238/12

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KR 255/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 238/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
zu den Voraussetzungen einer Kostenerstattung für eine Mammareduktionsplastik
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 23. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten in Höhe von 4.467,98 EUR für eine am 13. November 2008 durchgeführte Mammareduktionsplastik.

Die am 1947 geborene Klägerin stellte bei der Beklagten am 12. September 2008 einen Antrag auf Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik. Sie leide seit längerer Zeit an stark zunehmenden Rücken- und Schulterschmerzen. Die sie behandelnden Ärzte (Fachärztin für Frauenheilkunde G , Facharzt für Orthopädie S , Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. P ) hätten bestätigt, dass deren Ursache im Gewicht ihrer Brüste liege. Durch eine operative Verkleinerung der Brüste sei ein dauerhafter Rückgang ihrer Rückenbeschwerden zu erwarten.

Ihrem Antrag fügte sie ein Schreiben von Dr. S vom 8. September 2008 bei. Darin heißt es:

"Die (Klägerin) leidet unter chronisch-rezidivierenden zervikothorakale Beschwerden. Sie befindet sich u.a. deswegen in regelmäßiger orthopädischer Behandlung. Bei zusätzlicher Makromastie bds. ist nun eine beidseitige operative Brustverkleinerung vorgesehen. Aus fachorthopädischen Sicht ist dieser Schritt sicherlich sinnvoll, um dauerhaft eine Reduzierung der Wirbelsäulenbeschwerden zu erzielen. Mit der Patientin wurde ausführlich hierüber gesprochen, gleichzeitig wurde erläutert, dass eine völlige Beschwerdenfreiheit nicht zu erwarten ist, da bei dem Beschwerdebild auch weitere Faktoren wie degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und muskuläre Dysbalancen beteiligt sind."

Ebenfalls fügte sie ihrem Antrag ein ärztliches Attest von Diplom-Medizinerin G vom 8. September 2008 bei. Dieses lautet:

"Hiermit wird (der Klägerin) eine bestehende MAMMAHYPERPLASIE beidseits mit Größendifferenz (rechts größer links) bestätigt. Der Tastbefund vom 1. Februar 2008 sowie der Mammographiebefund von 7/08 waren unauffällig. Eine Vorstellung der Patientin im Klinikum R bezüglich einer gewünschten operativen Korrektur ist bereits erfolgt. (siehe Befund vom 20.06.2008)"

Unter dem 22. September 2008 vermerkte die Bearbeiterin der Beklagten P , die Klägerin habe für den 12. November 2008 bereits einen Operationstermin vereinbart.

In dem von der Beklagten beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) angeforderten und von der Gutachterin M , Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Ärztliche Gutachterin, nach einer Untersuchung der Klägerin am 8. Oktober 2008 angefertigten Gutachten vom 16. Oktober 2008 wurden als Diagnosen Gigantomastie und Ptose beidseitig sowie Adipositas (BMI von 39,1 kg/m2, 104 kg bei einer Körpergröße von 163 cm) zu Grunde gelegt. Dabei ging die Gutachterin davon aus, die bei der Klägerin vorliegende Gigantomastie sei als regelwidriger Körperzustand mit Krankheitswert einzustufen. Die Klägerin habe angegeben, an rezidivierenden Rückenschmerzen - insbesondere im Schulter-/Nackenbereich - zu leiden. Darüber hinaus sei sie durch ihre große Brust sehr stark psychisch beeinträchtigt. Sie könne ihren Anblick im Spiegel nicht ertragen und traue sich nicht ins Freibad oder Fitness-Studio, weil sie keine öffentliche Dusche benutzen wolle. Sie fühle sich ständig angestarrt. Durch die beantragte Operation erhoffe sie sich eine Stärkung ihres Selbstwertgefühls und eine wieder aktive Teilnahme am täglichen Leben. Wegen ihrer Schamgefühle betätige sie sich in ihrer Freizeit sportlich nur wenig. Darüber hinaus traue sie sich nicht abzunehmen, weil sie Angst vor einer noch stärkeren Erschlaffung der Brust habe. Das Gewichtsverhalten sei seit der Pubertät relativ konstant. Die Gutachterin führte aus, bei der Klägerin bestünden beidseitig etwa fingertiefe Schnürfurchen. Die Schulter-/Nackenmuskulatur sei deutlich verspannt. Es bestehe eine uneingeschränkte Beweglichkeit im Bereich der gesamten Wirbelsäule. Es sei ein sehr deutlicher Leidensdruck bei der Klägerin spürbar und eine depressive Stimmungslage erkennbar. Die Gutachterin empfahl zunächst eine Gewichtsreduktion, um das Operations- und Narkoserisiko zu senken. Nach erfolgter Gewichtsreduktion könne eine Wiedervorstellung zur erneuten Begutachtung erfolgen. Aufgrund der deutlichen psychischen Beeinträchtigung werde eine ambulante psychologische Mitbetreuung dringend empfohlen.

Mit Bescheid vom 22. Oktober 2008 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten von Diplom-Medizinerin M zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab.

Hiergegen legte die Klägerin bei der Beklagten am 10. November 2008 Widerspruch ein. Ihr Gewicht beruhe nicht auf falscher Ernährung, sondern sei auf die ärztlich verordnete Einnahme kortisonhaltiger Medikamente zurückzuführen.

In der Zeit vom 12. November 2008 bis 17. November 2008 unterzog sich die Klägerin im D Krankenhaus C -R einer stationären Behandlung. Die Durchführung der Mammareduktionsplastik erfolgte am 13. November 2008. Der Klägerin wurden für den stationären Aufenthalt Kosten in Höhe von insgesamt 4.467,98 EUR in Rechnung gestellt.

Unter dem 17. November 2008 hielt die Gutachterin M auch nach Vorlage des Widerspruchsschreibens der Klägerin an ihrer bisherigen Einschätzung fest.

Diplom-Medizinerin L , Fachärztin für Chirurgie, Ärztliche Gutachterin, hielt am 4. Dezember 2011 weitere Ermittlungen für erforderlich. In diesem Zusammenhang teilte Dr. P durch Schreiben vom 7. Januar 2009 mit, die chronisch obstruktive Bronchitis der Klägerin werde seit 1999 mit einem inhalativen Kortisonpräparat behandelt.

Daraufhin ließ die Beklagte ein Gutachten nach Aktenlage vom 20. Februar 2009 durch Diplom-Medizinerin L erstellen. Diese führte aus, inhalative Kortisonpräparate wirkten nicht systemisch und hätten deshalb keinen Einfluss auf den Appetit und die damit verbundene Gewichtszunahme. Im Vergleich zum Untersuchungsbefund im Erstgutachten ergäben sich keine neuen medizinischen Gesichtspunkte. Nach wie vor solle zunächst die Gewichtsreduktion angestrebt werden, wobei auch mit einer Verringerung des Brustgewichts zu rechnen sei. Neben diesem günstigen lokalen Effekt werde auch ein positiver Einfluss auf den Gesamtorganismus erreicht und der Stütz- und Bewegungsapparat deutlich entlastet. Bei der beschriebenen depressiven Stimmungslage sei dringend die ambulante psychologische und psychiatrische Mitbehandlung zu empfehlen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten von Diplom-Medizinerin L zurück. Die Gigantomastie könne nicht losgelöst von der Adipositas II. Grades betrachtet werden. Die Größe, das Gewicht und das Aussehen der Brust hätten keinen eigenen Krankheitswert. Die Schmerzen am Bewegungsapparat müssten unmittelbar durch orthopädische Maßnahmen, kontinuierliche Heilmitteltherapie sowie das Erlernen und tägliche Absolvieren eines Hausübungsprogramms zur Muskelkräftigung behandelt werden. Im Weiteren stelle eine längerfristig angelegte konservative Behandlung durch Ernährungsumstellung und Bewegungstherapie mit begleitender psychologischer Behandlung die unmittelbare Methode zur Behandlung der bestehenden Adipositas dar. Zur Behandlung des psychischen Leidensdrucks werde eine fachärztliche Mitbehandlung empfohlen. Demgegenüber stelle eine Mammareduktionsplastik eine Behandlung dar, die nur mittelbar der Behebung der orthopädischen und psychischen Beschwerden dienen würde, da sie für sich genommen dort ansetze, wo eine Behandlung nicht erforderlich sei. Eine mittelbare Behandlung sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aber nur unter strengen Voraussetzungen möglich. Sie bedürfe der speziellen Rechtfertigung. So sei eine besonders umfassende Abwägung zwischen voraussichtlichem medizinischem Nutzen und möglichem Schaden erforderlich. Es gebe bislang indes keine einzige wissenschaftliche Studie, die einen Zusammenhang zwischen der Größe der Brüste und dem Auftreten von Wirbelsäulenbeschwerden belege. In diesem Zusammenhang sei es deshalb nicht vertretbar, operativ in ein gesundes Organ einzugreifen. Auch der behandelnde Orthopäde habe in seinem Attest vom 8. September 2008 mitgeteilt, nach Durchführung einer Mammareduktionsplastik könne nicht mit Beschwerdefreiheit gerechnet werden. Danach könne derzeit ein alleiniger ursächlicher Zusammenhang zwischen Brustgröße und Wirbelsäulenbeschwerden nicht festgestellt werden, so dass gegenwärtig auch nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Beschwerden bei Fortbestehen der Adipositas durch eine Mammareduktionsplastik zu beseitigen seien. Zur Linderung der Beschwerden kämen daher zunächst vorrangig die empfohlenen Behandlungsmaßnahmen in Betracht. Die vom MDK empfohlene erneute Begutachtung solle die Frage klären, inwieweit nach erfolgter Gewichtsreduktion noch eine Gigantomastie vorliege, deren mögliche Auswirkungen durch konservative Behandlungen nicht mehr zu beeinflussen seien und für die demzufolge eine Mammareduktionsplastik als Ultima-Ratio-Behandlung in Betracht zu ziehen sei.

Dagegen hat die Klägerin am 15. Mai 2009 die auf Kostenerstattung gerichtete Klage beim Sozialgericht (SG) Chemnitz erhoben.

Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhalts in medizinischer Hinsicht ärztliche Befundberichte und weitere medizinische Unterlagen beigezogen.

Diplom-Medizinerin G hat unter dem 21. Juni 2012 mitgeteilt, sie habe die Klägerin anlässlich der Vorstellung am 1. Februar 2008, bei der sie Beschwerden wegen der beidseitigen Mammahyperplasie geklagt habe, an Chefarzt Dr. L (D Krankenhaus C -R ) überwiesen. Am 23. Mai 2008 habe sie eine erneute Überweisung an Chefarzt Dr. L vorgenommen, da der Vorstellungstermin im zweiten Quartal gelegen habe. Am 5. November 2008 habe sie der Klägerin einen privaten Einweisungsschein für das Klinikum R ausgestellt.

In einem Arztbrief vom 20. Juni 2008 hat Dr. L bestätigt, die Klägerin habe sich wegen einer Makromastie und Ptosis mit statischen Beschwerden am 19. Juni 2008 in der Ambulanz der Frauenklinik des D Krankenhauses C -R vorgestellt. Seiner Auffassung nach habe der Befund Krankheitswert. Durch eine Mammareduktionsplastik könnten die geklagten Beschwerden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gebessert werden. Im Falle einer Operation betrage das geschätzte Resektionsgewicht je Seite etwa 1.200 g. Die Klägerin müsse zunächst die Kostenübernahme ihrer Krankenkasse beantragen. Im Rahmen des klinischen Befundes hat er bei der Palpation einen sehr derben, etwas unebenen Drüsenkörper mit Verdacht auf fibröse Mastopathie beidseits beschrieben. Es bestünden weder eine Druckdolenz noch regionäre Lymphknotenschwellungen.

Durch Schreiben vom 13. August 2012 hat Dr. L mitgeteilt, die Klägerin habe sich erstmals am 19. Juni 2008 in der Ambulanz der Frauenklinik des D Krankenhauses C -R vorgestellt. Am 5. November 2008 habe sie sich dann mit einer Einweisung ihrer behandelnden Frauenärztin - Diplom-Medizinerin G - vom 5. November 2008 zur operativen Korrektur vorgestellt. Die stationäre Aufnahme als Privatpatientin sei am 12. November 2008 erfolgt. Weiter hat Dr. L ausgeführt, die Makro- und Anisomastie verursache im Wesentlichen statische Beschwerden. Die Klägerin habe über Schmerzen im Rücken und in den Schultern berichtet, die bis in die Arme ausstrahlten und bei den Verrichtungen des täglichen Lebens erheblich behinderten. Wegen der Rücken- und Schulterbeschwerden sei sie in orthopädischer Behandlung gewesen. Der bei der klinischen Untersuchung gefundene Rundrücken und die Schnürfurchen des Büstenhalters seien eindeutig auf die Makromastie zurückzuführen und hätten kaum andere Ursachen. Durch die Veränderung des Körperschwerpunkts verändere sich auch die Belastung der Wirbelsäule. Dies habe im konkreten Fall zum Rundrücken mit entsprechenden Verspannungen geführt. Andere Ursachen seien wenig wahrscheinlich. Eine konventionelle Maßnahme - auch eine Gewichtsreduktion - hätte an der Statik der Hals- und Brustwirbelsäule wenig geändert. Konventionelle Maßnahmen - wie ein angepasster Büstenhalter mit breiten Schulterriemen, Physiotherapie und medikamentöse Therapie - seien symptomatisch, besserten auf Dauer nicht und änderten an der Ursache der Beschwerden nichts.

Der Facharzt für Orthopädie S hat in seinem Befundbericht vom 26. August 2012 über den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2008 mitgeteilt, die Klägerin habe ihn lediglich am 4. April 2008 konsultiert und dabei über Schmerzen in beiden Ellenbogen geklagt. Er habe eine beidseitige Epicondylitis humeri radialis diagnostiziert. Es habe sich um eine einmalige ambulante Behandlung gehandelt. Bezüglich der durch die Größe der Brust hervorgerufenen Beschwerden habe keine Untersuchung stattgefunden.

Dr. P hat in ihrem Befundbericht vom 15. Juli 2012 über den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2008 angegeben, sie habe bei der Klägerin im Jahre 2008 folgende Diagnosen gestellt: Epicondylitis humeri radialis bds. (Januar 2008), akute Bronchitis bei bekannter chronischer obstruktiver Bronchitis (Januar/Februar 2008), Zeckenbiss (Mai 2008), akute Bronchitis (September 2008). Die Klägerin habe in der fraglichen Zeit ein kortisonhaltiges Inhalat erhalten. Bei Beschwerdefreiheit habe sie auf die Einnahme des Sprays verzichtet. Im September 2008 habe die Klägerin sie über die geplante Brust-Operation informiert. Im Dezember 2008 habe die Klägerin sie dann in Kenntnis über die durchgeführte Operation gesetzt. Die Klägerin habe ihr von Rückenschmerzen – besonders im Brustwirbelsäulen-Bereich – erzählt. Aufgrund der Brustgröße sei es durch den Büstenhalter zu schmerzhaften und tiefen Einschnürungen im Schultergürtelbereich gekommen. Aufgrund der Belastung durch die Brustgröße sei es zu einer statischen Fehlbelastung (Zug nach vorn) und zu einer damit verbunden Fehlhaltung im Schultergürtel und im Brustwirbelsäulen-Bereich gekommen. Folge davon sei eine muskuläre Dysbalance.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte habe die Durchführung der Mammareduktionsplastik zu Unrecht abgelehnt. Bei ihr - der Klägerin - habe eine Entstellung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vorgelegen. Dadurch sei sie psychisch beeinträchtigt gewesen. Wegen orthopädischer Probleme in Form von chronisch-rezidivierenden zervikothorakalen Beschwerden habe sie sich vor Durchführung der Operation in regelmäßiger Behandlung bei dem Facharzt für Orthopädie S befunden. Insoweit werde Bezug genommen auf dessen Schreiben vom 8. September 2008. Auch Dr. P und Diplom-Medizinerin G hätten ihr die Durchführung einer Mammareduktionsplastik empfohlen. Im Nachhinein habe sich gezeigt, dass die Operation sowohl ihre physischen als auch ihre psychischen Beschwerden beseitigt habe. Die krankheitswertige Gigantomastie allein, die nicht im Zusammenhang mit der Adipositas gestanden habe, habe eine medizinische Indikation für die begehrte Operation dargestellt; insoweit werde auf die beiden zu den Akten gereichten Lichtbilder vor Durchführung der Mammareduktionsplastik hingewiesen. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass in den Jahren 2002 und 2004 die ordnungsgemäße Durchführung von Mammographien aufgrund der Brustgröße nicht möglich gewesen sei. So habe Dr. K in ihrem Bericht vom 10. Februar 2004 von massiv verdichteten Mammastrukturen gesprochen. Eine gezielte Beurteilung sei ihr nicht möglich gewesen ("Bds. BI-RADS 0"). Die ergänzende Sonographie zeige rechtsseitig mehrere Zysten im oberen äußeren Quadranten.

Die Beklagte hat vorgetragen, das auf die Kostenerstattung der Mammareduktionsplastik gerichtete Begehren der Klägerin sei nicht begründet. Die auf dem Kostenvoranschlag und den Privatliquidationen als plastisch-ästhetische Brustverkleinerung und Wunschbehandlung ausgewiesene Leistung sei weder unaufschiebbar gewesen noch sei sie zu Unrecht abgelehnt worden. Ein medizinisches Notfallgeschehen habe nicht vorgelegen. Bei Vorliegen einer adipositasbedingten Gigantomastie mit einem BMI von 39,1 k/gm2 stelle nicht die chirurgische Intervention die vorrangig geeignete Behandlungsmethode dar, sondern die längerfristig angelegte, ärztlich geleitete Adipositastherapie mit Ernährungsumstellung, Bewegungstherapie sowie psychologischer Begleitung. Dies habe auch das BSG in seiner Rechtsprechung bestätigt, wonach die chirurgische Operation erst als Ultima-ratio-Behandlung nach ausgeschöpfter konservativer Therapie in Betracht komme. Nach derzeitigem Kenntnisstand sei bei der Klägerin bisher keine konservative Adipositastherapie erfolgt. Die bei der Klägerin im Vordergrund stehende psychische Beeinträchtigung mit Selbstwertproblematik stelle nach der Rechtsprechung des BSG keinen Operationsgrund dar (Hinweis auf BSG, Urteil vom 19. Februar 2003 (B 1 KR 1/02 R – juris Rn. 12). Danach habe eine Behandlung mit den Mitteln des jeweiligen Fachgebiets und nicht durch einen chirurgischen Eingriff zu erfolgen. Im Übrigen habe die Klägerin eine zunächst durchzuführende konservative Adipositasbehandlung noch nicht einmal begonnen gehabt, so dass auch von einem Ausschöpfen der konservativen Therapie keine Rede sein könne.

Mit Gerichtsbescheid vom 23. Oktober 2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gegen die Beklagte. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin bereits vor Erlass des Ablehnungsbescheids vom 22. Oktober 2008 auf die begehrte Operation festgelegt gewesen sei. Hierfür spreche ein Aktenvermerk vom 22. September 2008, wonach bereits zu diesem Zeitpunkt ein Operationstermin am 12. November 2008 vereinbart gewesen sei. Unabhängig davon habe die Klägerin keinen Anspruch auf Kostenerstattung, weil die Beklagte die Mammareduktionsplastik nicht zu Unrecht abgelehnt habe. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit in diesem Sinne sei ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedürfe oder den Betroffenen arbeitsunfähig mache. Krankheitswert komme dabei nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich sei vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leide, die entstellend wirke. Die Klägerin sei dadurch, dass ihre Brüste eine besondere Größe aufgewiesen hätten, nicht in einer Körperfunktion beeinträchtigt gewesen. Ausweislich der vorliegenden Gutachten des MDK sei die Brust der Klägerin selbst organisch gesund gewesen. Makromastie beziehungsweise Gigantomastie selbst sei keine behandlungsbedürftige Krankheit (Hinweis unter anderem auf Sächsisches Landessozialgericht [LSG], Urteil vom 30. November 2011 – L 1 KR 149/09 – amtlicher Umdruck S. 10 m.w.N.). Die Brustgröße der Klägerin habe auch nicht zu Funktionseinschränkungen im orthopädischen Bereich geführt, welche die Durchführung einer Mammareduktionsplastik gerechtfertigt hätten. Es begegne bereits erheblichen Zweifeln, ob eine Kausalität zwischen Rückenbeschwerden und Größe der weiblichen Brust bestehe und ob Brustverkleinerungsoperationen überhaupt geeignet seien, zu einer Besserung der Wirbelsäulenbeschwerden beizutragen, weil es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße gebe. Darüber hinaus werde in den Gutachten des MDK in für das Gericht überzeugender Weise ausgeführt, dass die Beschwerden der Klägerin im orthopädischen Bereich durch konservative Methoden behandelt werden könnten. Solange aber konservative Behandlungsmöglichkeiten bestünden, komme die Durchführung einer Mammareduktionsplastik nicht in Betracht (Hinweis auf Sächsisches LSG, Urteil vom 30. November 2011 – L 1 KR 149/09 – amtlicher Umdruck S. 10 f.). Solle - wie hier - in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert werden, bedürfe die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen seien. An einer solchen speziellen Rechtfertigung habe es zum Zeitpunkt der Durchführung der Mammareduktionsplastik gefehlt. Die Adipositas sei nicht kortisonbedingt. Das Gewichtsverhalten der Klägerin sei seit der Pubertät und somit seit Ende der Sechzigerjahre relativ konstant. Die Kortisonbehandlung habe aber erst Anfang der Neunzigerjahre begonnen. Ungeachtet dessen, ob das Übergewicht durch Medikamente oder durch familiäre Disposition oder durch genetische Ursachen hervorgerufen werde, könne nach den Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft mit einer entsprechenden Adipositastherapie mit Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie eine Reduzierung des Gewichts erreicht werden. Eine solche Therapie sei von der Klägerin bis zur Operation nicht durchgeführt worden. Damit seien aus Sicht des Gerichts die konservativen Behandlungsalternativen für die Klägerin noch nicht ausgeschöpft gewesen. Hautbeschwerden seien von der Gutachterin nicht festgestellt worden. Bei der Klägerin habe vor Durchführung der Mammareduktionsplastik auch keine Entstellung vorgelegen. Hierfür genüge nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr müsse es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die nahe liegende Reaktionen der Mitmenschen, wie Neugier oder Betroffenheit, erzeuge und damit zugleich erwarten lasse, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich ziehe, zum Objekt besonderer Beachtung anderer werde und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen drohe, so dass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet sei. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, müsse eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein. Diese Voraussetzungen ließen sich den beiden vorgelegten Lichtbildern nicht entnehmen. Die vorgetragenen psychischen Belastungen seien vorliegend unbeachtlich (Hinweis auf BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R – juris Rn. 18, und Sächsisches LSG, Urteil vom 30. November 2011 – L 1 KR 149/09 – amtlicher Umdruck S. 13).

Gegen den ihr am 9. November 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10. Dezember 2012 (einem Montag) Berufung eingelegt.

Sie trägt vor, es treffe nicht zu, dass ihre Brust gesund sei. In seinem Schreiben vom 20. Juni 2008 habe Dr. L bestätigt, dass ein sehr derber, etwas unebener Drüsenkörper mit Verdacht auf fibröse Mastopathie beidseits vorliege. Bei Mastopathie handele es sich eindeutig um eine Erkrankung, bei der die Brust verschiedene Formen von Veränderungen zeige, die sich in Schwellungen, Knoten, Zysten und schmerzhaften Beschwerden äußerten. In ihrem Bericht vom 10. Februar 2004 habe Dr. K "massiv verdichtete Mammastrukturen" beschrieben. Im Rahmen der ergänzenden Sonographie hätten sich rechtsseitig mehrere Zysten im oberen äußeren Quadranten gezeigt. In 10 bis 15% der Fälle könnten Zysten zu bösartigen Gewächsen führen. Insofern stelle eine Mammareduktionsplastik eine Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V dar. Die Gutachterin des MDK M habe die Gigantomastie ausdrücklich als regelwidrigen Körperzustand mit Krankheitswert eingeschätzt. Die Bezugnahme des SG auf die MDK-Gutachten überzeuge deshalb nicht. Darüber hinaus habe die Klägerin vor Beginn ihrer Kortisonbehandlung im Jahre 1993 nur 70 kg gewogen. Zum Zeitpunkt der Begutachtung durch die Gutachterin M habe ihr Gewicht 104 kg betragen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Adipositas auch genetisch bedingt sei. Dies sei durch Dr. F , der die Klägerin nach dem 31. Dezember 2008 behandelt habe, bestätigt worden. Weiterhin habe auch eine Entstellung bestanden. Schließlich stelle es eine Ungleichbehandlung dar, wenn nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf das Urteil vom 11. September 2012 – B 1 KR 9/12 R) im Fall einer Mann-zu-Frau-Transsexualität ein Anspruch auf Versorgung mit einer beidseitigen Mammaaugmentationsplastik bejaht werde, in Fällen wie dem vorliegenden dem psychischen Leidensdruck aber keine Rechnung getragen werde. Es müsse schließlich berücksichtigt werden, dass das ursprüngliche Brustgewicht deutlich höher gewesen sei als bisher angenommen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerin bestätigt, Dr. L im Juni 2008 konsultiert zu haben. Bereits im September 2008 habe sie den Operationstermin am 12. November 2008 mit ihm telefonisch vereinbart. Denn Dr. L habe ihr mitgeteilt, anschließend zu einem Kongress zu fahren.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 23. Oktober 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für die durchgeführte Mammareduktionsplastik in Höhe von mindestens 4.467,98 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 23. Oktober 2012 ist zu Recht ergangen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die durchgeführte Mammareduktionsplastik. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind im Ergebnis rechtmäßig.

1. Die Voraussetzungen für die begehrte Kostenerstattung liegen nicht vor.

Als Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die stationär durchgeführte Operation kommt allein § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Danach sind, sofern die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (zweite Fallgruppe) und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch.

a) Ein Anspruch der Klägerin gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 SGB V besteht nicht. Unaufschiebbar ist eine Leistung nur dann, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand (siehe nur Helbig in jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 13 Rn. 50). Unvermögen in diesem Sinne liegt nur vor bei einer Störung oder einem Versagen des Naturalleistungssystems, also nur dann, wenn die Dienst- oder Sachleistungspflicht mit den im SGB V vorgesehenen persönlichen und sächlichen Mitteln in der gesetzlich vorgeschriebenen Qualität und Art und Weise nicht erfüllt werden kann und der Versicherte deswegen gezwungen ist, seinen Bedarf selbst zu decken (BSG, Urteil vom 16. Dezember 1993 – 4 RK 5/92 – juris Rn. 57, und Helbig in jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 13 Rn. 52).

In Anbetracht des zeitlichen Ablaufs lag die Voraussetzung der Unaufschiebbarkeit nicht vor. Die Klägerin hatte ausweislich des in der Verwaltungsakte der Beklagten befindlichen Aktenvermerks vom 22. September 2008 zu diesem Zeitpunkt erst einen Operationstermin für den 12. November 2008 mit dem D -Krankenhaus C -R vereinbart. Es fehlte daher an der gebotenen Dringlichkeit der Durchführung der Mammareduktionsplastik aus medizinischen Gründen.

b) Ein Anspruch der Klägerin lässt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V herleiten.

aa) Danach besteht ein Kostenerstattungsanspruch, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Dies ist dann der Fall, wenn die Krankenkasse eine vom Versicherten beantragte und ihm rechtlich zustehende Leistung objektiv rechtswidrig verweigert hat, wenn die einschlägigen materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen also erfüllt gewesen sind (siehe nur Helbig in jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 13 Rn. 54, 56). Das Bestehen eines entsprechenden Naturalleistungsanspruchs des Versicherten gegen seine Krankenkasse setzt voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu denjenigen Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R - juris Rn. 12). Die rechtswidrige Ablehnung der Krankenkasse muss für die Selbstbeschaffung der Leistung und die daraus resultierende Kostenlast ursächlich sein, so dass eine Kostenerstattung für die Zeit vor der Leistungsablehnung regelmäßig ausgeschlossen ist (siehe nur Helbig in jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 13 Rn. 57 f. m.w.N.). An dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen Ablehnung und eingeschlagenen Beschaffungsweg fehlt es insbesondere bei endgültiger Vorfestlegung durch verbindliche Anmeldung (Wagner in Krauskopf, SGB V, Stand Juni 2008, § 13 Rn. 312). Eine ausreichende Prüfung durch die Krankenkasse wird vereitelt, wenn im Zeitpunkt des Kostenerstattungsbegehrens schon eine privatärztliche Untersuchung stattgefunden hat und der Operationstermin bereits feststeht (Helbig in jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 13 Rn. 58). Die getroffene Entscheidung der Krankenkasse muss überhaupt noch geeignet gewesen sein, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen. Daran fehlt es, wenn mit dem eigenmächtigen Beginn der Behandlung die weiteren Schritte "quasi bereits endgültig vorgezeichnet und festgelegt" waren (Ulmer in Eichenhofer/Wenner, SGB V Rn. 33).

Die Klägerin war - nach ihren Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung - im Hinblick auf die beabsichtigte Durchführung der Mammareduktionsplastik mit geplanter stationärer Aufnahme am 12. November 2008 bereits im September 2008 - also vor Erlass des Bescheides vom 22. Oktober 2008, jedenfalls aber vor Erlass des ablehnenden Widerspruchsbescheides vom 16. April 2009 - fest entschlossen. Die Ablehnung der Kostenübernahme für die begehrte medizinische Maßnahme war für die Selbstbeschaffung der Leistung durch die Klägerin daher nicht ursächlich.

bb) Selbst unter Außerachtlassung dieses Gesichtspunkts ist die Berufung unbegründet. Die Klägerin konnte nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Krankenbehandlung nur dann verlangen, wenn sie notwendig war, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (ständige Rechtsprechung des BSG, siehe nur BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 – juris Rn. 10 m.w.N.).

Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (ebenfalls ständige Rechtsprechung des BSG, s. nur BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 – juris Rn. 11 m.w.N., und BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 3/03 R – juris Rn. 13 m.w.N.).

Beide Voraussetzungen waren im Fall der Klägerin im Zeitpunkt der Durchführung der Mammareduktionsplastik nicht gegeben.

(1) Eine Krankheit durch Beeinträchtigung von Körperfunktionen lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Eine Makromastie allein stellt – unabhängig vom Brustgewicht – keine behandlungsbedürftige Krankheit dar (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Januar 2011 – L 1 KR 197/08 – juris Rn. 28, 14; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. März 2010 – L 5 KR 118/08 – juris Rn. 26; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2010 – L 11 KR 4761/09 – juris Rn. 27, und Hessisches LSG, Urteil vom 21. August 2008 – L 1 KR 7/07 – juris Rn. 19; Sächsisches LSG, Urteil vom 30. November 2011 – L 1 KR 149/09 – amtlicher Umdruck S. 13; Thüringer LSG, Urteil vom 29. Oktober 2013 – L 6 KR 158/11 – juris Rn. 23, und LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. September 2013 – L 1 KR 625/11 – juris Rn. 19 f.).

Zwar hat Diplom-Medizinerin M in ihrem für den MDK erstellten Gutachten vom 16. Oktober 2008 die bei der Klägerin bestehende Gigantomastie als regelwidrigen Körperzustand mit Krankheitswert eingestuft. Eine für den Senat nachvollziehbare Begründung hierfür hat sie allerdings nicht gegeben. Vielmehr hat sie sogar eine uneingeschränkte Beweglichkeit im Bereich der gesamten Wirbelsäule festgestellt, also gerade keine Beeinträchtigungen von Körperfunktionen beschrieben. Die von ihr ebenfalls beschriebene deutliche Verspannung im Bereich der Schulter- und Nackenmuskulatur konnte ebenso auf der Adipositas beruhen. Deshalb ist mit dem SG davon auszugehen, dass insoweit noch konservative Behandlungsmöglichkeiten (z.B. Gewichtsreduktion und Muskelaufbautraining zur Verminderung der von Dr. S in seinem Schreiben vom 8. September 2008 beschriebenen Dysbalancen) bestanden hätten, deren Ausschöpfung Voraussetzung für die Durchführung der Mammareduktionsplastik gewesen wäre (so auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. März 2010 – L 5 KR 118/08 – juris Rn. 29, und LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Februar 2009 – L 10 KR 25/06 – juris Rn. 28, 30). Dies gilt unabhängig davon, worauf die Adipositas zu diesem Zeitpunkt beruhte. Der Einholung eines weiteren Befundberichts bei Dr. F , dessen Behandlung die Klägerin erst nach dem 31. Dezember 2008 in Anspruch nahm, hat es deshalb nicht bedurft. Dies gilt umso mehr, als bereits Diplom-Medizinerin L in ihrem für den MDK erstellten Gutachten vom 20. Februar 2009 nachvollziehbar darauf hingewiesen hat, inhalative Kortisonpräparate - wie sie die Klägerin anwende - hätten keinen Einfluss auf die Gewichtszunahme, da sie nicht systemisch wirkten. Dr. P hat in ihrem Befundbericht vom 15. Juli 2012 bestätigt, die Klägerin im Jahre 2008 mit einem kortisonhaltigen Inhalat behandelt zu haben. Im Übrigen hat Dr. P sich darauf beschränkt, in ihrem Befundbericht - übrigens ebenso wie Dr. S - die Angaben der Klägerin zu ihren Beschwerden durch ihre Brustgröße wiederzugeben. Eine eigene Befundung hat diesen Mitteilungen ganz offensichtlich nicht zu Grunde gelegen. Mit dem Befund von Diplom-Medizinerin M (uneingeschränkte Beweglichkeit der gesamten Wirbelsäule) deckt sich auch die Tatsache, dass Dr. S die Klägerin im Jahr 2008 ausweislich seines Befundberichts vom 26. August 2012 ausschließlich wegen Schmerzen in beiden Ellenbogen behandelt hat. Auch in seinem Schreiben vom 8. September 2008 hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch durch eine beidseitige Brustverkleinerung keine völlige Beschwerdefreiheit zu erreichen sei, weil auch andere Faktoren wie degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und muskuläre Dysbalancen beteiligt seien.

Soweit die Klägerin geltend macht, in den Jahren 2002 und 2004 hätten aufgrund ihrer Brustgröße keine ordnungsgemäßen Mammographien durchgeführt werden können, so dass die Mammareduktionsplastik schon aus diesem Grunde hätte erfolgen müssen, ist darauf hinzuweisen, dass Diplom-Medizinerin G in ihrem ärztlichen Attest vom 8. September 2008 bestätigt hat, sowohl der Tastbefund vom 1. Februar 2008 als auch der Mammographiebefund vom Juli 2008 seien unauffällig gewesen. Die Ergebnisse der Mammographien aus den Jahren 2002 und 2004 waren deshalb zum Zeitpunkt der Vornahme der Mammareduktionsplastik am 13. November 2008 überholt.

Auch die Ausführungen von Dr. L , auf die die Klägerin zur Begründung einer behandlungsbedürftigen Krankheit hinweist, vermögen den operativen Eingriff am 13. November 2008 nicht zu rechtfertigen.

Dr. L hat in seinem Arztbrief vom 20. Juni 2008 eine Makromastie und Ptosis mit statischen Beschwerden beschrieben. Seiner Meinung nach habe der Befund Krankheitswert. Eine Begründung hierfür hat er für den konkreten Fall der Klägerin aber nicht abgegeben. Vielmehr hat er in seinem Schreiben vom 13. August 2012 nur ganz allgemein formuliert, die Makromastie verursache im Wesentlichen statische Beschwerden. Die Klägerin habe über Schmerzen im Rücken und in den Schultern berichtet und angegeben, wegen der Rücken- und Schulterbeschwerden in orthopädischer Behandlung gewesen zu sein. Letzteres traf aber ausweislich des Befundberichts von Dr. S vom 26. August 2012 überhaupt nicht zu.

Soweit Dr. L in seinem Arztbrief vom 20. Juni 2008 im Rahmen des klinischen Befundes bei der Palpation einen sehr derben, etwas unebenen Drüsenkörper mit Verdacht auf fibröse Mastopathie beidseits beschrieben hat, lässt sich daraus ebenso wenig eine Rechtfertigung für die Durchführung einer Mammareduktionsplastik herleiten. Zum einen vermag eine Verdachtsdiagnose allein einen operativen Eingriff nicht zu rechtfertigen. Zum anderen hat Diplom-Medizinerin G – wie schon erwähnt – einen unauffälligen Mammographiebefund vom Juli 2008 mitgeteilt, also nach Erstellung des Schreibens von Dr. L am 20. Juni 2008.

(2) Eine Krankheit durch Entstellung bestand ebenfalls nicht.

Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Besonderheit (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R – juris Rn. 13 f.). Allein das subjektive Empfinden eines Versicherten kann die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustands nicht bestimmen (siehe hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 28. September 2010 – B 1 KR 5/10 R – juris Rn. 14). Deshalb ist bei der Frage, ob eine Entstellung vorliegt, auf objektive Kriterien abzustellen. Maßgeblich ist, ob der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit ist, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet. Eine solche Erheblichkeit kann erst dann angenommen, wenn sie nahe liegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit auslöst und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht (BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 5/10 R – juris Rn. 13). Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein (ebd. Rn. 14, auch zum Nachstehenden). Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt. Maßgeblich ist daher der bekleidete Körperzustand (vgl. insoweit Fahlbusch in jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 27 Rn. 41 m.w.N.). Die Feststellung, dass im Einzelfall ein Versicherter wegen einer körperlichen Abweichung an einer Entstellung leidet, ist in erster Linie Tatfrage.

Nach Auffassung des Senats hat bei der Klägerin auch vor Durchführung der Mammareduktionsplastik objektiv keine Entstellung vorgelegen. Die Klägerin hat insoweit nur Lichtbilder in unbekleidetem Zustand vorgelegt. Jedenfalls in bekleidetem Zustand unterschied sich die Klägerin aber nicht in beachtlichem Maße von anderen adipösen weiblichen Versicherten. Dies gilt umso mehr, wenn bei der Beurteilung die außerordentliche Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust berücksichtigt wird (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 3/03 R – juris Rn. 14, und BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R – juris Rn. 14).

2. Soweit die Klägerin im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) durch die unterschiedliche Behandlung von transsexuellen Versicherten einerseits und sonstigen Versicherten andererseits rügt, sieht der Senat keine Veranlassung, von der Rechtsprechung des BSG abzuweichen, weil für diese Ungleichbehandlung eine sachliche Rechtfertigung besteht. Nach der Rechtsprechung des BSG gilt der Grundsatz, dass der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst (BSG, Urteil vom 11. September 2012 – B 1 KR 9/12 R – juris Rn. 9). Als einzige Ausnahme von diesem Grundsatz ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass im Falle des Transsexualismus zur notwendigen Krankenbehandlung auch operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Änderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören, sofern diese Eingriffe medizinisch notwendig sind. Die vom BSG statuierte Ausnahme für transsexuelle Versicherte ist keiner Erweiterung zugänglich. Sie trägt vielmehr dem spezifischen Krankheitsbild transsexueller Versicherter Rechnung. Dieses Krankheitsbild kann aufgrund seiner Besonderheiten keinen entsprechenden Anspruch anderer Versicherter auslösen. Andernfalls würde der vom BSG in ständiger Rechtsprechung aufgestellte oben genannte Grundsatz ausgehöhlt. Dies widerspräche dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Krankenversicherung, der insoweit auch eine Schutzfunktion für ihre Versicherten und deren Gesundheit zukommt (siehe hierzu insbesondere BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R – juris Rn. 18). Mit jedem operativen Eingriff sind indes nicht unerhebliche Risiken verbunden. Darin liegt der sachliche Grund für die Rechtfertigung der insoweit bestehenden Ungleichbehandlung von transsexuellen Versicherten auf der einen Seite und sonstigen Versicherten auf der anderen Seite.

3. Im Übrigen kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen werden (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Klotzbücher Schanzenbach Dr. Wietek
Rechtskraft
Aus
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