L 9 R 1879/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 639/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1879/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 19. März 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1968 geborene Klägerin ist gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte und war zuletzt bis August 2008 als Sekretärin beschäftigt. Seither ist sie arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos. Im Rahmen eines Antrags auf Rehabilitationsleistungen wurde die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten durch Dr. W. nervenärztlich begutachtet. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 19.11.2009 eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, eine larviert depressive Erschöpfungssymptomatik sowie eine Thyreoiditis. Die geklagten körperlichen Beschwerden seien psychogen überlagert im Sinne einer Somatisierungsstörung bzw. von Angstäquivalenten. Die psychodynamischen Zusammenhänge würden von der Klägerin jedoch wenig wahrgenommen. In ihrem Beruf als Sekretärin könne sie sechs Stunden und mehr weiterhin tätig sein. Ein psychosomatisches Heilverfahren mit anschließender kontinuierlicher psychotherapeutisch-psychiatrischer Behandlung erscheine mittelfristig erfolgversprechend. Im anschließenden Rehabilitationsverfahren vom 29.04. bis 10.06.2010 in der Rehabilitationseinrichtung Saulgau Am schönen Moos wurden eine leichte Depression, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine arterielle Hypertonie, eine Hypothyreose bei Zustand nach Thyreoiditis sowie paroxysmaler Lagerungsschwindel diagnostiziert. Die Klägerin wurde als arbeitsfähig entlassen. Es bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen sowohl im letzten Beruf als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Am 03.06.2011 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung, auf Grund ihrer Schilddrüsenerkrankung mit chronischem Schwindel, Sehstörungen, Gleichgewichtsstörungen, chronischer Müdigkeit und anderen Beschwerden könne sie nicht einmal mehr einer Tätigkeit in Teilzeit nachgehen.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch den Internisten Dr. K., der in seinem Gutachten vom 13.9.2011 folgende Diagnosen stellte: Autoimmunthyreoiditis, substituierte Hyperthyreose, Verdacht auf Faktor-5-Leiden, Zustand nach Venenthrombose linkes Auge 2004 mit deutlich eingeschränktem Visus links, diverse Lebensmittel- und Pollenallergien, Hypertonie, kombinierte Hyperlipidämie, chronifiziertes somatoformes Syndrom. Die euthyreot-eingestellte Hashimoto-Thyreoiditis bedinge keine Einschränkungen im Alltagsleben. Die von der Klägerin geklagten multiplen Beschwerden seien durch die Autoimmunthyreoiditis nicht erklärt. Hier lägen vielmehr eine chronifizierte somatoforme Störung und phobische Störungen vor. Zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit sei deshalb ein erneutes nervenärztliches Gutachten erforderlich. Da die somatoformen Symptome sehr ausgeprägt seien und jetzt auch schon über vier Jahre chronifiziert erschienen, könne hieraus durchaus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit resultieren.

Dem Hinweis des Gutachters Dr. K. folgend, holte die Beklagte im Anschluss bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. ein Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet ein. Dieser kam in seinem Gutachten vom 20.09.2011 zu dem Ergebnis, die Klägerin leide unter einer undifferenzierten Somatisierungsstörung, einer somatoformen autonomen Funktionsstörung sonstiger Organsysteme sowie unter Thyreoiditis. Die Klägerin habe während der Untersuchung ein außerordentlich betontes Beschwerdebild mit völliger Fixierung auf die Schilddrüse gezeigt. Die nervenärztlichen Erkrankungen rechtfertigten in keiner Weise eine zeitliche Leistungsminderung im Erwerbsleben, erst Recht nicht im bisher ausschließlich ausgeübten Bürobereich, aber auch nicht auf dem gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt. Auszuschließen seien lediglich körperliche Schwerarbeiten und wohl auch Tätigkeiten mit besonders hohen Anforderungen an die psychische Belastbarkeit. Ansonsten bestünden keine weiteren Einschränkungen.

Mit Bescheid vom 13.10.2011 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen nicht erfülle.

Im Rahmen des hiergegen gerichteten Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte noch einen ärztlichen Befundbericht bei dem behandelnden Allgemeinarzt Dr. E. ein, der im Wesentlichen die von der Klägerin geschilderten Beschwerden wiederholte. Weiterhin befragte die Beklagte noch den behandelnden Internisten Dr. B., der in seiner Stellungnahme vom 24.10.2012 unter Auflistung der auch von der Klägerin geschilderten Beschwerden als Funktionseinschränkungen körperlich schwere und mittelschwere Arbeiten annahm. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.2.2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin daraufhin zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 15.03.2013 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben mit der Begründung, die Beschwerden der Thyreoiditis hätten bereits im November 2007 begonnen und seien zunächst nicht erkannt worden. Durch die lange Zeitspanne der nicht erkannten und nicht behandelten Erkrankung sei es zu einer irreversiblen Schädigung ihrer Schilddrüse gekommen, dessentwegen sie im April 2004 einen Venenverschluss im Auge erlitten habe, der einen bleibenden Sehkraftverlust von 70 % zur Folge habe. Auch leide sie unter diversen Allergien. Sie habe keine psychische Erkrankung, sondern mehrere körperliche Erkrankungen.

Das Gericht hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Der Internist Dr. B., der die Klägerin im September und Oktober 2012 behandelt hatte, hat in seiner Stellungnahme aus November 2013 ein nur noch unter dreistündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angenommen. Das für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit maßgebliche Leiden liege auf dem Gebiet der Psychiatrie.

Der behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin Dr. E. hat in seiner Stellungnahme vom 07.11.2013 ein Leistungsvermögen zwischen drei und sechs Stunden angegeben und den Beschwerdeschwerpunkt auf dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie gesehen.

Im Anschluss hieran hat das Gericht Privatdozent Dr. B. mit der Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens betraut, der darin am 19.02.2014 eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, eine Autoimmunthyreoiditis, Hashimoto, eine arterielle Hypertonie sowie eine Zentralvenenthrombose am linken Auge 2004, Restvisus 0,3 bei Faktor V - Leidenmutation, Thrombophilie diagnostiziert hat. Auf Grund der arteriellen Hypertonie mit augenärztlich festgestelltem Fundus Hypertonikus sollten schwere körperliche Arbeiten vermieden werden. Auch seien Tätigkeiten, die ein hohes Maß an psychischer Belastbarkeit vorsetzten, nicht leidensgerecht. Im Übrigen sei die Klägerin aber noch in der Lage, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt acht Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet seien derzeit keine Behandlungen erforderlich. Die Einholung weiterer Gutachten sei nicht erforderlich.

Mit Urteil vom 19.03.2014 hat das SG daraufhin die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin könne noch Tätigkeiten sechs Stunden und mehr verrichten, wie sich dem Gesamtergebnis der Ermittlungen und der Beweisaufnahme, insbesondere dem Gerichtsgutachten von Dr. B., entnehmen lasse. Soweit der behandelnde Arzt Dr. B. eine sechsstündige Leistungsfähigkeit in Zweifel ziehe, überzeuge dies das Gericht nicht, da die im Vordergrund stehende psychische Erkrankung nicht schwerwiegend sei. Die internistische Erkrankung der Hashimoto-Thyreoiditis bedinge keine Einschränkungen des Alltagslebens, wie die Ärzte im Wesentlichen einhellig bestätigten. Unter Medikamentengabe sei die Klägerin euthyreot.

Hiergegen hat die Klägerin am 28.4.2014 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt mit der Begründung, sie leide nicht an einer psychosomatischen Erkrankung, sondern an diversen organischen Erkrankungen, teils mit chronischem Verlauf sowie irreversiblen körperlichen Schädigungen. Die massiven Leistungsminderungen summierten sich derart, dass sie nicht mehr in der Lage sei, unter den Bedingungen des hiesigen Arbeitsmarktes bestehen zu können.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 19. März 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen.

Im Rahmen eines Erörterungstermins am 23.07.2015 ist der Sachverhalt mit den Beteiligten ausführlich erörtert worden. Das Gericht hat mitgeteilt, dass eine Entscheidung durch ablehnenden Beschluss im Sinne des § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht kommt. Hiermit haben sich die Beteiligten einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der Akten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet, da die Beklagte zutreffend einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung verneint und das SG die Klage hiergegen zu Recht abgewiesen hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Beteiligten sind im Rahmen des Erörterungstermins auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen worden. Sie haben sich hiermit einverstanden erklärt.

Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil, schließt sich diesen nach eigener Überprüfung vollumfänglich an und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend ist noch Folgendes darzulegen: Unstreitig leidet die Klägerin unter einer Hashimoto-Thyreoiditis, doch ist diese Erkrankung durch die erfolgende Medikamentengabe kompensiert, d.h. es besteht eine euthyreote Stoffwechsellage. Wie Dr. K. in seinem im Wege des Urkundsbeweises zu verwertenden Gutachten vom 13.09.2011 dargelegt hat, bedingt eine euthyreot eingestellte Hashimoto-Thyreoiditis keine Einschränkungen im Alltagsleben, so dass die von der Klägerin dennoch geschilderten vielfältigen Beschwerden nicht auf die Thyreoiditis zurückzuführen sein können. Dr. K. sah deshalb die Ursache für die geklagten Leistungseinschränkungen weitgehend auf psychosomatischem Gebiet. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Stellungnahme des behandelnden Internisten Dr. B.: Dieser hat als sachverständiger Zeuge gegenüber dem SG zwar angegeben, es bestünde nur noch ein unter dreistündiges Leistungsvermögen, gleichzeitig jedoch den Schwerpunkt der Erkrankungen im Bereich der Psychiatrie verankert. Dementsprechend hat er als erste Diagnose auch eine Somatisierungsstörung genannt und die Hashimoto-Thyreoiditis als kompensiert beschrieben. Der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. E. hat zwar ebenfalls nur ein Leistungsvermögen zwischen drei und sechs Stunden angenommen, doch auch er hat als Schwerpunkt der Erkrankungen die Fachgebiete Neurologie/Psychiatrie angesehen (Bericht vom 07.11.2013). Aus der Thyreoiditis folgt deshalb nach Überzeugung des Gerichts keine wesentliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit.

Jedoch auch die Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet sind nicht so gravierend, als dass hieraus eine quantitative Leistungsminderung folgte: Eine Beurteilung dieser psychischen/psychosomatischen Einschränkungen erfolgte erstmals durch den von der Beklagten im Rahmen der Prüfung einer Rehabilitationsleistung mit der Erstellung eines Gutachtens betrauten Dr. W., der in seinem Gutachten vom 19.11.2009 zwar von einer akuten und nachhaltigen Gefährdung der Leistungsfähigkeit ausging, jedoch ein vollschichtiges Leistungsvermögen trotz bestehender undifferenzierter Somatisierungsstörung und larviert depressiver Erschöpfungssymptomatik bejahte. Im Juli 2010 wurde die Klägerin aus einem Rehabilitationsverfahren (Rehabilitationseinrichtung Saulgau, Abteilung Psychosomatik/Psychotherapie) als vollschichtig leistungsfähig sowohl in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf als Sekretärin als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen. Der von der Beklagten mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens betraute Dr. H. kam in seinem Gutachten vom 20.09.2011, das vorliegend ebenfalls im Wege des Urkundsbeweises zu verwerten ist, zu dem Ergebnis, eine zeitliche Leistungsminderung folge aus der undifferenzierten Somatisierungsstörung nicht. Neurologisch habe sich ein völlig unauffälliger Befund ergeben, psychisch sei sie keinesfalls tiefergehend depressiv herabgestimmt und es gebe auch keinen Nachweis einer Psychose oder eines hirnorganischen Psychosyndroms. Dieses Ergebnis ist zuletzt bestätigt worden durch die Einschätzung des vom SG mit der Erstellung eines neurologisch/psychiatrischen Gutachtens betrauten Dr. B., der sowohl neurologisch als auch psychisch einen Normalbefund erhoben hat. Diagnostisch bestehe am ehesten eine leichte Form eines somatoformen Syndroms, ohne dass aber die Klägerin im Alltag wesentlich beeinträchtigt zu sein scheine. Wie sich aus der Schilderung des Tagesablaufs im Gutachten ergibt, ist die Klägerin in der Lage, den Haushalt (Waschen, Kochen etc.) alleine zu bewältigen, mit dem Roller einzukaufen und damit auch schwerere Gegenstände und Getränke ganz gut befördern zu können. Als Sozialkontakt hat die Klägerin einen Kumpel erwähnt. Diese Beschreibung deckt sich im Wesentlichen mit der des Dr. H. in seinem im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten, wonach die Klägerin ihren Haushalt selbst versorge, einkaufe, koche und wasche sowie guten Kontakt zu Freundinnen habe.

Im Ergebnis sind somit die körperlichen Einschränkungen auf internistischem bzw. nervenärztlichem Fachgebiet nicht so gravierend, als dass hieraus quantitative Leistungseinschränkungen folgten. Wie das SG zutreffend dargelegt hat, bedingen die vorliegenden qualitativen Leistungsminderungen auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und beinhalten auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung, so dass eine bestimmte Verweisungstätigkeit nicht zu bezeichnen ist.

Da die Klägerin nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist, scheidet ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit aus (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch).

Die Berufung war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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