Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 812/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Feststellung eines bilokulären Urothelkarzinoms als Folge einer Berufskrankheit der Nr. 1301 der Berufskrankheitenverordnung.
Die BKV enthält keine Grenzwerte für aromatische Amine, bei deren Einhaltung Krebserkrankungen nicht zu befürchten sind bzw. bei deren Unterschreitung die Kausalität im Einzelfall auszuschließen ist. Insofern besteht in der medizinischen Wissenschaft auch kein Konsens. Denn es gibt bislang keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Exposition aromatischer Amine gegenüber der Entstehung von Urothelcarcinomen.
Die BKV enthält keine Grenzwerte für aromatische Amine, bei deren Einhaltung Krebserkrankungen nicht zu befürchten sind bzw. bei deren Unterschreitung die Kausalität im Einzelfall auszuschließen ist. Insofern besteht in der medizinischen Wissenschaft auch kein Konsens. Denn es gibt bislang keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Exposition aromatischer Amine gegenüber der Entstehung von Urothelcarcinomen.
Der Bescheid vom 11. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2007 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Feststellung von "operiertes bilokuläres Urothelcarcinom der Harnblase und Funktionseinschränkung der linken Niere" als Folge einer Berufskrankheit nach der Nr. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung ab Oktober 2005 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vom Hundert zu gewähren. Die Beklagte erstattet dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob eine Blasenkrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine - festzustellen ist und der Kläger deswegen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Der 1942 geborene Kläger war von August 1976 bis Juli 2006 bei der Firma xxx zunächst als Instandhalter, seit 1986 als Betriebsleiter und Sicherheitsfachkraft beschäftigt. Seit dem 01.08.2006 bezieht er von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Der Urologe Prof. Dr. xxx diagnostizierte bei dem Kläger im April 1992 u. a. ein bilokuläres Urothelcarcinom der Harnblase, Stadium mpTa G 1, N0, M0 (vgl. Entlassungsbericht der Urologischen Klinik des Klinikums xxx vom 20.05.1992). Bis April 2000 musste sich der Kläger insgesamt neun transurethralen Resektionen bzw. Nachresektionen unterziehen. Zuletzt beurteilte Prof. Dr. xxx das histologische Stadium des Urothelcarcinoms mit mpTis, pT 1 G 3 (vgl. Entlassungsbericht der Urologischen Klinik des Klinikums xxx vom 23.08.2005).
Im Oktober 2005 erstattete der Allgemeinmediziner Dr. xxx der Beklagten eine Ärztliche Anzeige über den Verdacht einer BK. Der Kläger sei bei seiner Tätigkeit in den xxx Expositionen gegenüber Tri, Toluol, diversen Gummichemikalien einschließlich Beschleunigern, Alterungsmitteln und Weichmachern ausgesetzt gewesen. Es sei davon auszugehen, diese Betriebsstoffe hätten zumindest während der Anfangszeit der Tätigkeit des Klägers Spuren aromatischer Amine enthalten.
Zu den beruflichen Expositionen des Klägers leitete die Beklagte weitere Ermittlungen ein (Befragung des Klägers am 16.11.2005 im Beschäftigungsbetrieb mit Ergänzung vom 14.12.2005). Außerdem zog die Beklagte ihre Betriebsakte, das Vorerkrankungsverzeichnis der xxx Krankenkasse München und die Behandlungsunterlagen der Urologischen Klinik des Klinikums xxx von April 1992 bis April 2006 bei; weiter holte sie Auskünfte der behandelnden Ärzte des Klägers (Urologe Dr. xxx, Allgemeinmedizinerin Dr. xxx) ein. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten führte in seiner Stellungnahme vom 20.01.2006 aus, die vom Kläger vorgelegten Listen der betrieblichen Einsatzstoffe enthielten keine Hinweise auf die Verwendung von Stoffen, die als Auslöser einer BK nach der Nr. 1301 gelten könnten. Aus der Betriebsakte ergäben sich allerdings Hinweise auf die Verarbeitung von Phenyl-Beta-Naphthylamin (PBN). Dieser Stoff sei früher regelmäßig mit Beta-Naphthylamin verunreinigt gewesen. Dieser Stoff sei geeignet, eine BK der Nr. 1301 hervorzurufen. Zwar habe der Beschäftigungsbetrieb des Klägers den Umgang mit diesen Stoffen nicht gemeldet; nach seinem - des TAD - Eindruck gebe und habe es in dem Betrieb jedoch niemanden gegeben, der in der Lage gewesen sei, zu beurteilen, ob aromatische Amine dort vorgekommen seien oder nicht. Es sei davon auszugehen, der Beschäftigungsbetrieb habe die für Gummibetriebe üblichen Rohstoffe verwendet, mithin zwischen 1976 (Beginn der Beschäftigung des Klägers) und 1993 (Einstellung der Produktion von PBN) auch Betriebsstoffe, die Beta-Naphthylamin enthielten. Unter Berücksichtigung der Tätigkeitsfelder des Klägers sei von einer aufgenommenen Gesamtdosis von Beta-Naphthylamin von 0,250 mg auszugehen. Hierzu führte Prof. Dr. xxx in seiner arbeitsmedizinischen Stellungnahme nach Aktenlage aus, das Krankheitsbild einer BK nach der Nr. 1301 sei beim Kläger histologisch gesichert, mithin die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen dieser BK formal gegeben. Dies gelte auch für die Aufnahme von PBN. Ein Kontakt zu weiteren aromatischen Aminen der Gruppe K 1 oder K 2 der krebserzeugenden Arbeitsstoffe sei dagegen nicht erwiesen. Nach einem von der Beklagten initiierten Sachverständigengutachten könne die Anerkennung einer BK nach der Nr. 1301 grundsätzlich in Betracht kommen, wenn die arbeitsbedingte Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine annähernd in dem Umfang erfolgt sei, die bei einem Raucher zu einer Verdoppelung des Blasenkrebsrisikos führe. Dies sei bei einem Gesamtwert von 6,0 mg Beta-Naphthylamin der Fall. Da die kumulative Gesamtdosis des Klägers mit 0,25 mg diesen Wert deutlich unterschreite, sei eine ausreichende berufsbedingte Einwirkung humankanzerogener aromatischer Amine nicht gegeben. Allerdings handele es sich bei den in unterschiedlichen Industriesparten einwirkenden aromatischen Aminen um komplexe Gemische, die kausalgenetisch derzeit nicht zu bewerten seien. Diesem Ergebnis stimmte Dr. xxx in ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme zu. Gestützt auf das Ermittlungsergebnis lehnte die Beklagte die Anerkennung der Harnblasenerkrankung des Klägers als BK nach der Nr. 1301 der Anlage zur BK und die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab (Bescheid vom 11.08.2006).
Der dagegen unter Vorlage einer Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. xxx erhobene Widerspruch blieb erfolglos: Zwar enthalte das Ärztliche Merkblatt zur BK Nr. 1301 keine konkrete Aussage, ab welchem Ausmaß eine Exposition gegenüber aromatischen Aminen geeignet sei, eine solche BK zu verursachen. Dies bedeute jedoch nicht, jede noch so geringe Exposition sei insoweit ausreichend. Vielmehr sei nach derzeitigem aktuellem medizinischem Erkenntnisstand eine Exposition mit einer kumulativen Dosis von etwa 6 mg erforderlich. Diesen Wert erreiche die berufsbedingte Exposition des Klägers bei weitem nicht. Zur Anerkennung der streitigen BK müsse das Ausmaß der Exposition erwiesen sein. Bloße Vermutungen über eine höhere Exposition als von ihr angenommen, seien nicht geeignet. Soweit sie in der Vergangenheit bei anderen Versicherten bei ähnlichen Konstellationen eine entsprechende BK anerkannt habe, reiche dies zur Begründung eines ursächlichen Zusammenhangs im Fall des Klägers nicht aus. Soweit Dr. xxx auf eine kontroverse medizinische Diskussion hinsichtlich der Verursachungsdosis hinweise, führe auch dies nicht zu der zwangsläufigen Annahme, die Verursachung einer Blasenerkrankung sei nicht mit einer Exposition in bestimmter Höhe verbunden. Der Kläger sei während seiner Tätigkeit bei den xxx insgesamt keiner ausreichenden Exposition im Sinne der BK Nr. 1301 der Anlage zur BKV ausgesetzt gewesen (Widerspruchsbescheid vom 17.01.2007).
Deswegen erhob der Kläger am 15.02.2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er sei während seiner Tätigkeit bei den xxx einer höheren Gesamtdosis der Einwirkung von Beta-Naphthylamin als 0,250 mg ausgesetzt gewesen. Ungeachtet dessen komme es auf einen Mindestgrenzwert insoweit nicht an (Hinweis auf Hess. LSG vom 03.11.2004 - L 3 U 1613/979 -). Im Übrigen habe Prof. Dr. xxx seine tatsächlich verrichtete Arbeitstätigkeit verkannt. Insbesondere habe er auch seine zwischen 1977 und 1986 ausgeübte Tätigkeit als Sicherheitsfachkraft nicht berücksichtigt. Er habe während dieser Zeitspanne Wartungs- und Bedienungsarbeiten an einer Mischerei durchgeführt. Diese habe nicht den technischen Anforderungen entsprochen. Insoweit habe die Beklagte bei Betriebsbegehungen unter Androhung der Betriebsstilllegung Auflagen erteilt. Die zur Produktion benötigten Rohmaterialien hätten sich in offenen Säcken befunden. Als Sicherheitskraft habe er in direkter Verbindung mit den Gefahrstoffen gestanden. Er sei auch für deren Entsorgung zuständig gewesen. Auch in der Mischerei sei er ständig Gefahrstoffen ausgesetzt gewesen. Er habe über 30 Jahre hinweg Reparatur- und Wartungsarbeiten der Maschinen durchgeführt und hierbei Kontakt mit Gummihilfsstoffen gehabt. Bis 1986 seien bei der Verarbeitung im Beschäftigungsbetrieb schädliche Materialien aus in offenem Zustand befindlichen Fässern bezogen worden. Erst ab 1986 seien die zu verarbeitenden Materialien aus einem Tanklastzug in die Behälter gepumpt worden. Andere Ursachen seiner Erkrankung als seine betriebliche Tätigkeit seien nicht vorhanden. Dies habe auch der gerichtliche Sachverständige überzeugend bestätigt. Er sei während der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit und davor auch nicht arbeitsunfähig krank gewesen. In einem vergleichbaren Fall habe die Beklagte eine BK nach der Nr. 1301 anerkannt und entschädigt. Zur Stützung seines Klagebegehrens legt der Kläger das Schreiben der xxx Krankenkasse K. über seine Arbeitsunfähigkeitszeiten zwischen 1976 und 1991 vor.
Er beantragt,
den Bescheid vom 11. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2007 aufzuheben, "Urothelcarcinom der Harnblase und Nierenfunktionseinschränkung links" als Berufskrankheit nach der Nr. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm deswegen Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere Verletztenrente, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend. Allein eine nur geringfügige Exposition gegenüber aromatischen Aminen sei nicht zwangsläufig ursächlich für das Entstehen einer Harnblasenkrebserkrankung. Dies gelte auch beim Fehlen konkurrierender augenscheinlicher Ursachen. Das Gutachten des Sachverständigen PD Dr. xxx zum Ausmaß der Erkrankung des Klägers sei durchaus sachgerecht und fachkompetent. Allerdings entspreche dieses im Hinblick auf die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs nicht dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand. So habe auch der Sachverständige darauf hingewiesen, der Kläger sei keinen ausgeprägten Belastungen mit aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen. Um so weniger sei deshalb die Auffassung des Sachverständigen über die Ursächlichkeit der Harnblasenkrebserkrankung nachvollziehbar.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Urologen PD Dr. xxx. Dieser hat als Gesundheitsstörungen eine gutartige Prostatahyperplasie, eine Spermatocele testis links, eine Einschränkung der linksseitigen Nierenfunktion sowie eine Verplumpung des Nierenbeckenkelchsystems links diagnostiziert. Die Funktionseinschränkung der linken Niere sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge der beruflichen Tätigkeit des Klägers. Die Zeitspanne zwischen der Aufnahme der beruflichen Tätigkeit 1976 und dem erstmaligen Auftreten des Urothelcarcinoms 1992 sei ein ausreichend langer Zeitraum zur Exposition gegenüber aromatischen Aminen. Der Kläger sei kontinuierlich aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen, wenn auch keine ausgeprägte Belastung nachgewiesen sei. Allerdings lägen bislang keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Dosis-Wirkung-Beziehung bei der Exposition aromatischer Amine gegenüber der Entstehung von Urothelcarcinomen vor. Andere kanzerogene Risiken wie beispielsweise ein regelmäßiger Zigarettenkonsum seien im Fall des Klägers auszuschließen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für das Urothelcarcinom der Harnblase schätze er nach nunmehr abgelaufener zweijähriger Heilungsbewährung mit 50 vom Hundert. Nach weiterer dreijähriger Heilungsbewährung und Rezidivfreiheit sei gegebenenfalls eine neuerliche Bewertung der MdE erforderlich. Die MdE der als Operationsfolge im Rahmen der Urothelcarcinomerkrankung aufgetretenen bzw. bestehenden Nierenfunktionseinschränkung schätze er mit 25 vom Hundert. Insgesamt sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers gegenwärtig um 75 vom Hundert gemindert.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung von "operiertes bilokuläres Urothelcarcinom der Harnblase und Funktionseinschränkung der linken Niere" als BK nach der Nr. 1301 der Anlage zur BKV und auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 60 vom Hundert ab Oktober 2005.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind Krankheiten die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründeten Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann BKen sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können. Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den sogenannten Listenkrankheiten vor. Nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV sind "Schleimhautveränderungen, Krebs- oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine" als BK festzustellen.
Für die Anerkennung der vorgenannten müssen folgende Tatbestandsmerkmale erfüllt sein: Bei dem Versicherten muss eine durch aromatische Amine verursachte Schleimhautveränderung, eine Krebserkrankung oder andere Neubildung der Harnwege vorliegen. Außerdem muss der Versicherte den entsprechenden Einwirkungen aromatischer Amine infolge seiner versicherten Tätigkeit ausgesetzt gewesen sein. Dabei ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen im Sinne des Vollbeweises, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Demgegenüber reicht für den ursächlichen Zusammenhang, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit aus (vgl. BSG SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 und SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N. sowie BSG SozR 4-5671 § 6 Nr. 1).
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten sowie bei Anwendung dieser Maßstäbe hat die Beklagte zu Unrecht das operierte bilokuläre Urothelcarcinom der Harnblase des Klägers und eine eingeschränkte Nierenfunktion links als Folge einer BK nach der Nr. 1301 der Anlage zur BKV und die Gewährung von Verletztenrente versagt.
Aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens steht auch zur Überzeugung der Kammer im Anschluss an den Bericht des TAD der Beklagten vom 20.01.2006 fest, dass der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit als Instandhalter sowie Betriebsleiter und Sicherheitsfachkraft bei der Firma Xxx in der Zeit von August 1976, dem Beginn seiner dortigen Beschäftigung, bis zum Jahr 1993, dem Zeitpunkt der Einstellung der Produktion von PBN, und damit über eine Zeitspanne von etwa 17 Jahren, Einwirkungen von Beta-Naphthylamin ausgesetzt war. Dieser Stoff ist nach den zutreffenden Darlegungen des TAD geeignet, eine BK nach der Nr. 1301 zu verursachen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Seite 1149 und Abschnitt I des vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Merkblatts zur BK 1301 (Arbeitsschutz 1963, 129)). Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten und wird bestätigt durch das aktenkundige exemplarische Sachverständigengutachten des Prof. Dr. xxx "Blasenkrebs durch aromatische Amine der Beschäftigten in der Gummiindustrie". Danach gehört zu den krebsgefährdenden aromatischen Aminen als sogenannter K 1-Stoff u. a. Beta-Naphthylamin. Beta-Naphthylamin ist nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine der wichtigsten chemischen Verbindungen, die insbesondere Krebs und andere Neubildungen der Harnwege hervorrufen können.
Fest steht darüber hinaus aufgrund der Behandlungsunterlagen der Urologischen Klinik des Klinikums xxx sowie der wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen des Sachverständigen PD Dr. xxx, dass der Kläger seit April 1992 an einem bilokulären Urothelcarcinom der Harnblase leidet. Wegen dieser Gesundheitsstörung erfolgte erstmals im April 1992 eine transurethrale Resektion mit wiederholten Nachresektionen bis einschließlich April 2005. Das Stadium dieser Krebserkrankung haben die Ärzte der Urologischen Klinik des xxx zuletzt seit April 2005 mit p Tis, pT 1, G 3 bezeichnet. Außerdem ist im Rahmen der diversen Operationen wegen des Urothelcarcinoms bei dem Kläger eine Nierenfunktionseinschränkung links eingetreten, wie PD Dr. xxx auch insoweit überzeugend dargelegt hat. Dies hat auch die Beklagte nicht in Abrede gestellt.
Die vorgenannten Gesundheitsstörungen sind zur Überzeugung des erkennenden Gerichts - entgegen der Auffassung der Beklagten - auf die Einwirkungen aromatischer Amine zurückzuführen, denen der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit zwischen 1976 und 1993 ausgesetzt war, wie PD Dr. xxx auch insoweit zutreffend ausgeführt hat. Bei aromatischen Aminen der Kategorie 1, zu denen auch Beta-Naphthylamin gehört (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 1149), wird die Kausalitätsbeurteilung im Allgemeinen als unproblematisch angesehen (vgl. Hess. LSG vom 03.11.2004 - L 3 U 1613/97 - m. w. N., veröffentlicht in juris, sowie Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Aufl. § 9 SGB VII, Anh. IV 1301, Seite 232-19, Anm. 9). Denn bei den sog. K 1-Stoffen handelt es sich um solche, bei denen nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen feststeht, dass sie beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 1148). Grenzwerte für aromatische Amine, bei deren Einhaltung Erkrankungen nicht zu befürchten sind, bzw. bei deren Unterschreitung die Kausalität im Einzelfall auszuschließen sind, sind in der BKV nicht genannt. Insofern besteht in der medizinischen Wissenschaft auch kein Konsens. Zutreffend weist der Sachverständige PD Dr. xxx in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es bislang auch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Exposition aromatischer Amine gegenüber der Entstehung von Urothelcarcinomen gibt. Auch Prof. Dr. xxx führt insoweit in seinem exemplarischen Gutachten im Erfahrungssatz 5 ausdrücklich aus, dass wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Frage und den Umfang eines erhöhten Blasenkrebsrisikos durch berufliche Einwirkung aromatischer Amine im Niedrig-Dosis-Bereich nicht bestehen. Die Datenlage erlaubt deshalb weder die Angabe einer "sicheren Dosis" noch die Ermittlung einer Dosis, bei der sich das Normalrisiko verdoppelt. Eine Verdoppelung des Erkrankungsrisikos der exponierten Personengruppe im Vergleich zur nichtbelasteten Bevölkerung wird auch vom Gesetz in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII nicht verlangt, sondern lediglich eine Gefährdung "in erheblich höherem Grade" als die übrige Bevölkerung. Auch nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 1148 können für krebserzeugende Arbeitsstoffe nach derzeitigem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand keine medizinischen Grenzwerte angegeben werden, bei deren Einhaltung Erkrankungen nicht zu befürchten sind. Deshalb ist ein exakter Beweis für eine berufsbedingte Krebserkrankung meist nicht zu erbringen. Vielmehr ist insoweit eine Indizienkette aufzubauen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Seite 1160). Solche Indizien liegen vorliegend aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens in ausreichender Anzahl vor: Die Harnblasenkrebserkrankung wie auch die als Folge der transurethralen Harnblasenresektionen und der Harnblaseninstillationen aufgetretenen Funktionseinschränkung der linken Niere ist aufgrund der Behandlungsunterlagen der Urologischen Klinik des Klinikums xxx und des Gutachtens des PD Dr. xxx medizinisch gesichert. Der angeschuldigte Gefahrenstoff - hier: Beta-Naphthylamin - ist kanzerogen. Der Kläger war in der Zeit von 1976 bis 1993, mithin rund 17 Jahre, berufsbedingten Einwirkungen dieses Gefahrstoffes ausgesetzt, wenn auch nach den Berechnungen des TAD der Beklagten lediglich in geringem Umfang mit einer Gesamtbelastungsdosis von 0,250mg. Die Erstdiagnose der Krebserkrankung des Klägers erfolgte nach dem Entlassungsbericht der Urologischen Klinik des Klinikums xxx sowie der BK-Anzeige des Dr. xxx im April 1992. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger 50 Jahre alt. Das Auftreten des Blasencarcinoms liegt damit deutlich vor dem Erstmanifestationszeitpunkt für Blasenkrebserkrankungen in der unbelasteten männlichen Normalbevölkerung im Alter von etwa 69 Jahren (vgl. S. 20 des exemplarischen Gutachtens des Prof. Dr. xxx). Organlokalisation der Erkrankung und arbeitsmedizinische Erfahrungen im Zusammenhang mit Expositionen gegen bestimmte Gefahrstoffe stimmen überein. Wesentliche außerberufliche Ko-Faktoren als Ursache oder überragende Mitursache der Blasenkrebserkrankung, wie insbesondere Nikotinkonsum oder Alkoholgenuss, liegen beim Kläger nach dessen glaubhaften und von der Beklagten auch nicht bestrittenen Angaben nicht vor. Mit ihrer Forderung nach einer kumulativen Gesamtbelastungsdosis von wenigstens 6 mg Beta-Naphthylamin geht die Beklagte auch deutlich über den Erfahrungssatz 8 im exemplarischen Gutachten des Prof. Dr. xxx hinaus; denn dort heißt es lediglich: "Die Anerkennung als Berufskrankheit kommt grundsätzlich in Betracht, wenn die arbeitsbedingte Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine näherungsweise in dem Umfang erfolgte, die bei einem Raucher zur Verdoppelung des Blasenkrebsrisikos führt". Der Vergleich mit dem Rauchen bei der quantitativen Einordnung der aufgenommenen Menge krebserzeugender aromatischer Amine ist aber nach Erfahrungssatz 7 des exemplarischen Gutachtens keineswegs zwingend, sondern bietet sich danach allein "in Ermangelung besserer Vergleichsmöglichkeiten" an. Hinzukommt, dass Zigarettenrauch neben aromatischen Aminen eine Vielzahl weiterer krebserzeugend wirkender Gefahrstoffe erhält, die mit großer Wahrscheinlichkeit an der Entstehung eines erhöhten Harnblasenkrebsrisikos von Rauchern beteiligte sind; außerdem entfällt bei Rauchern der unmittelbare Hautkontakt mit Beta-Naphthylamin (vgl. zum Ganzen Hess. LSG a. a. O.). Vor diesem Hintergrund kann - entgegen der Auffassung der Beklagten - keine Rede davon sein, dass mit einem Dosiswert von 6 mg die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Nr. 1301 der Anlage zur BKV in Bezug auf Krebserkrankungen der Harnwege konkretisiert wurden.
Dem Dosiswert von 6,0 mg kommt auch nicht eine vergleichbare Bedeutung zu wie einer "kumulativen Gesamtbelastungsdosis" von mehr als 40 ppm-Jahren für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Benzol-induzierten akuten myeloischen Leukämie, einer chronisch lymphathischen Leukämie oder eines myelodysplastischen Syndroms als BK im Sinne der Nr. 1303 der Anlage zur BKV. Zwar enthält auch die Nr. 1303 der Anlage zur BKV keine Mindestbelastungsdosis, die erfüllt sein muss, um eine Erkrankung durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol als BK festzustellen und lässt sich auch insoweit ein medizinisch-wissenschaftlich abgesicherter definierter Grenzwert mit signifikant erhöhtem Erkrankungsrisiko nicht ableiten. Allerdings ergeben sich für eine kumulative Belastungsdosis von 40 ppm-Jahren und weniger derzeit keine gesicherten Anhaltspunkte auf ein erhöhtes Erkrankungsrisiko im Sinne der BK Nr. 1303 (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S 1021 f). Deshalb fehlt es vorliegend an der Vergleichbarkeit eines Dosis-Wirkungswertes für Benzol-induzierte Erkrankungen im Sinne der BK Nr. 1303 und solchen durch Einwirkungen aromatischer Amine im Sinne der BK Nr. 1301 der Anlage zur BKV. Die von der Beklagten herangezogenen Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2006 (L 17 U 254/04) und vom 15.10.2003 (L 17 U 85/00) und des LSG Schleswig-Holstein vom 20.07.2000 (L 5 U 106/99 und L 5 U 114/99), die ausschließlich die BK Nr. 1303 betreffen, stehen deshalb der Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Gesamtbelastungsdosis der Einwirkung aromatischer Amine von 0,250 mg und der Harnblasenkrebserkrankung des Klägers nicht entgegen. Insoweit besteht für das Gericht auch keine Veranlassung, dem Vorbringen des Klägers nachzugehen, die vom TAD ermittelte Gesamtbelastungsdosis sei zu gering. Zutreffend weist die Beklagte zwar daraufhin, dass es für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs zwischen berufsbedingten Einwirkungen und einer Gesundheitsstörung nicht ausreicht, dass der Versicherte im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit überhaupt gegenüber aromatischen Aminen exponiert war, denn es gibt keinen Beweis des ersten Anscheins dafür, dass beim Nachweis einer berufsbedingten Belastung mit aromatischen Aminen und dem Vorliegen einer Blasenkrebserkrankung der ursächliche Zusammenhang nach § 9 Abs. 3 SGB VII vermutet wird, denn solche Erkrankungen können auch durch Inhalationsrauchen, kanzerogene Naturstoffe, Strahlenbelastungen oder selbst durch ein nichtversichertes Trauma entstehen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1159). Deshalb kann allein aus dem Vorliegen eines Krankheitsbildes nicht auf die haftungsausfüllende Kausalität geschlossen werden. Vorliegend ist indes zu berücksichtigen, dass Beta-Naphthylamin zu den Gefahrstoffen der Kategorie 1 gehört. Bei diesen handelt es sich um Stoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Außerdem können für krebserzeugende Arbeitsstoffe keine Grenzwerte (MAK-Werte) angegriffen werden, bei deren Einhaltungen Erkrankungen nicht zu befürchten sind (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1148). Überdies sind nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen PD Dr. xxx außerberufliche Ko-Faktoren als Ursache oder überragende Mitursache der Blasenkrebserkrankung des Klägers nicht vorhanden.
Damit sind das operierte bilokuläre Urothelcarcinom der Harnblase und die als Folge der zahlreichen transurethralen Resektionen und Harnblaseninstillationen entstandene Funktionseinschränkung der linken Niere als Folge einer BK nach der Nr. 1301 der Anlage zur BKV festzustellen.
Wegen dieser Gesundheitsstörungen hat der Kläger ab dem 01.10.2005 Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE um 60 vom Hundert. Wie der Sachverständige PD Dr. xxx auch insoweit überzeugend dargelegt hat, ist die MdE bezüglich des Urothelcarcinoms der Harnblase mit Blick auf die seit April 2005 abgelaufene Heilungsbewährung mit 50 vom Hundert zu bewerten. Die als Operationsfolge im Rahmen der Urothelcarcinomerkrankung aufgetretene Nierenfunktionseinschränkung links rechtfertigt mit PD Dr. xxx eine Teil-MdE von 25 vom Hundert. Diese Teil-MdE-Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen entspricht den unfallmedizinischen Erfahrungswerten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1046 und 1206); diese Bewertung hat auch die Beklagte im Schriftsatz vom 09.11.2007 nicht angegriffen. Die Gesamt-MdE bewertet das erkennende Gericht, abweichend von der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen, mit 60 vom Hundert. Insoweit ist maßgebend das Gesamtbild aller Funktionseinschränkungen im Sinne einer integrierenden Gesamtschau und -wertung. Dabei dürfen einzelne Teil-MdE-Werte nicht zusammengerechnet werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 158), wie dies PD Dr. xxx zu Unrecht getan hat.
Aus eben diesen Gründen war dem Klagebegehren stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob eine Blasenkrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine - festzustellen ist und der Kläger deswegen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Der 1942 geborene Kläger war von August 1976 bis Juli 2006 bei der Firma xxx zunächst als Instandhalter, seit 1986 als Betriebsleiter und Sicherheitsfachkraft beschäftigt. Seit dem 01.08.2006 bezieht er von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Der Urologe Prof. Dr. xxx diagnostizierte bei dem Kläger im April 1992 u. a. ein bilokuläres Urothelcarcinom der Harnblase, Stadium mpTa G 1, N0, M0 (vgl. Entlassungsbericht der Urologischen Klinik des Klinikums xxx vom 20.05.1992). Bis April 2000 musste sich der Kläger insgesamt neun transurethralen Resektionen bzw. Nachresektionen unterziehen. Zuletzt beurteilte Prof. Dr. xxx das histologische Stadium des Urothelcarcinoms mit mpTis, pT 1 G 3 (vgl. Entlassungsbericht der Urologischen Klinik des Klinikums xxx vom 23.08.2005).
Im Oktober 2005 erstattete der Allgemeinmediziner Dr. xxx der Beklagten eine Ärztliche Anzeige über den Verdacht einer BK. Der Kläger sei bei seiner Tätigkeit in den xxx Expositionen gegenüber Tri, Toluol, diversen Gummichemikalien einschließlich Beschleunigern, Alterungsmitteln und Weichmachern ausgesetzt gewesen. Es sei davon auszugehen, diese Betriebsstoffe hätten zumindest während der Anfangszeit der Tätigkeit des Klägers Spuren aromatischer Amine enthalten.
Zu den beruflichen Expositionen des Klägers leitete die Beklagte weitere Ermittlungen ein (Befragung des Klägers am 16.11.2005 im Beschäftigungsbetrieb mit Ergänzung vom 14.12.2005). Außerdem zog die Beklagte ihre Betriebsakte, das Vorerkrankungsverzeichnis der xxx Krankenkasse München und die Behandlungsunterlagen der Urologischen Klinik des Klinikums xxx von April 1992 bis April 2006 bei; weiter holte sie Auskünfte der behandelnden Ärzte des Klägers (Urologe Dr. xxx, Allgemeinmedizinerin Dr. xxx) ein. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten führte in seiner Stellungnahme vom 20.01.2006 aus, die vom Kläger vorgelegten Listen der betrieblichen Einsatzstoffe enthielten keine Hinweise auf die Verwendung von Stoffen, die als Auslöser einer BK nach der Nr. 1301 gelten könnten. Aus der Betriebsakte ergäben sich allerdings Hinweise auf die Verarbeitung von Phenyl-Beta-Naphthylamin (PBN). Dieser Stoff sei früher regelmäßig mit Beta-Naphthylamin verunreinigt gewesen. Dieser Stoff sei geeignet, eine BK der Nr. 1301 hervorzurufen. Zwar habe der Beschäftigungsbetrieb des Klägers den Umgang mit diesen Stoffen nicht gemeldet; nach seinem - des TAD - Eindruck gebe und habe es in dem Betrieb jedoch niemanden gegeben, der in der Lage gewesen sei, zu beurteilen, ob aromatische Amine dort vorgekommen seien oder nicht. Es sei davon auszugehen, der Beschäftigungsbetrieb habe die für Gummibetriebe üblichen Rohstoffe verwendet, mithin zwischen 1976 (Beginn der Beschäftigung des Klägers) und 1993 (Einstellung der Produktion von PBN) auch Betriebsstoffe, die Beta-Naphthylamin enthielten. Unter Berücksichtigung der Tätigkeitsfelder des Klägers sei von einer aufgenommenen Gesamtdosis von Beta-Naphthylamin von 0,250 mg auszugehen. Hierzu führte Prof. Dr. xxx in seiner arbeitsmedizinischen Stellungnahme nach Aktenlage aus, das Krankheitsbild einer BK nach der Nr. 1301 sei beim Kläger histologisch gesichert, mithin die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen dieser BK formal gegeben. Dies gelte auch für die Aufnahme von PBN. Ein Kontakt zu weiteren aromatischen Aminen der Gruppe K 1 oder K 2 der krebserzeugenden Arbeitsstoffe sei dagegen nicht erwiesen. Nach einem von der Beklagten initiierten Sachverständigengutachten könne die Anerkennung einer BK nach der Nr. 1301 grundsätzlich in Betracht kommen, wenn die arbeitsbedingte Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine annähernd in dem Umfang erfolgt sei, die bei einem Raucher zu einer Verdoppelung des Blasenkrebsrisikos führe. Dies sei bei einem Gesamtwert von 6,0 mg Beta-Naphthylamin der Fall. Da die kumulative Gesamtdosis des Klägers mit 0,25 mg diesen Wert deutlich unterschreite, sei eine ausreichende berufsbedingte Einwirkung humankanzerogener aromatischer Amine nicht gegeben. Allerdings handele es sich bei den in unterschiedlichen Industriesparten einwirkenden aromatischen Aminen um komplexe Gemische, die kausalgenetisch derzeit nicht zu bewerten seien. Diesem Ergebnis stimmte Dr. xxx in ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme zu. Gestützt auf das Ermittlungsergebnis lehnte die Beklagte die Anerkennung der Harnblasenerkrankung des Klägers als BK nach der Nr. 1301 der Anlage zur BK und die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab (Bescheid vom 11.08.2006).
Der dagegen unter Vorlage einer Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. xxx erhobene Widerspruch blieb erfolglos: Zwar enthalte das Ärztliche Merkblatt zur BK Nr. 1301 keine konkrete Aussage, ab welchem Ausmaß eine Exposition gegenüber aromatischen Aminen geeignet sei, eine solche BK zu verursachen. Dies bedeute jedoch nicht, jede noch so geringe Exposition sei insoweit ausreichend. Vielmehr sei nach derzeitigem aktuellem medizinischem Erkenntnisstand eine Exposition mit einer kumulativen Dosis von etwa 6 mg erforderlich. Diesen Wert erreiche die berufsbedingte Exposition des Klägers bei weitem nicht. Zur Anerkennung der streitigen BK müsse das Ausmaß der Exposition erwiesen sein. Bloße Vermutungen über eine höhere Exposition als von ihr angenommen, seien nicht geeignet. Soweit sie in der Vergangenheit bei anderen Versicherten bei ähnlichen Konstellationen eine entsprechende BK anerkannt habe, reiche dies zur Begründung eines ursächlichen Zusammenhangs im Fall des Klägers nicht aus. Soweit Dr. xxx auf eine kontroverse medizinische Diskussion hinsichtlich der Verursachungsdosis hinweise, führe auch dies nicht zu der zwangsläufigen Annahme, die Verursachung einer Blasenerkrankung sei nicht mit einer Exposition in bestimmter Höhe verbunden. Der Kläger sei während seiner Tätigkeit bei den xxx insgesamt keiner ausreichenden Exposition im Sinne der BK Nr. 1301 der Anlage zur BKV ausgesetzt gewesen (Widerspruchsbescheid vom 17.01.2007).
Deswegen erhob der Kläger am 15.02.2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er sei während seiner Tätigkeit bei den xxx einer höheren Gesamtdosis der Einwirkung von Beta-Naphthylamin als 0,250 mg ausgesetzt gewesen. Ungeachtet dessen komme es auf einen Mindestgrenzwert insoweit nicht an (Hinweis auf Hess. LSG vom 03.11.2004 - L 3 U 1613/979 -). Im Übrigen habe Prof. Dr. xxx seine tatsächlich verrichtete Arbeitstätigkeit verkannt. Insbesondere habe er auch seine zwischen 1977 und 1986 ausgeübte Tätigkeit als Sicherheitsfachkraft nicht berücksichtigt. Er habe während dieser Zeitspanne Wartungs- und Bedienungsarbeiten an einer Mischerei durchgeführt. Diese habe nicht den technischen Anforderungen entsprochen. Insoweit habe die Beklagte bei Betriebsbegehungen unter Androhung der Betriebsstilllegung Auflagen erteilt. Die zur Produktion benötigten Rohmaterialien hätten sich in offenen Säcken befunden. Als Sicherheitskraft habe er in direkter Verbindung mit den Gefahrstoffen gestanden. Er sei auch für deren Entsorgung zuständig gewesen. Auch in der Mischerei sei er ständig Gefahrstoffen ausgesetzt gewesen. Er habe über 30 Jahre hinweg Reparatur- und Wartungsarbeiten der Maschinen durchgeführt und hierbei Kontakt mit Gummihilfsstoffen gehabt. Bis 1986 seien bei der Verarbeitung im Beschäftigungsbetrieb schädliche Materialien aus in offenem Zustand befindlichen Fässern bezogen worden. Erst ab 1986 seien die zu verarbeitenden Materialien aus einem Tanklastzug in die Behälter gepumpt worden. Andere Ursachen seiner Erkrankung als seine betriebliche Tätigkeit seien nicht vorhanden. Dies habe auch der gerichtliche Sachverständige überzeugend bestätigt. Er sei während der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit und davor auch nicht arbeitsunfähig krank gewesen. In einem vergleichbaren Fall habe die Beklagte eine BK nach der Nr. 1301 anerkannt und entschädigt. Zur Stützung seines Klagebegehrens legt der Kläger das Schreiben der xxx Krankenkasse K. über seine Arbeitsunfähigkeitszeiten zwischen 1976 und 1991 vor.
Er beantragt,
den Bescheid vom 11. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2007 aufzuheben, "Urothelcarcinom der Harnblase und Nierenfunktionseinschränkung links" als Berufskrankheit nach der Nr. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm deswegen Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere Verletztenrente, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend. Allein eine nur geringfügige Exposition gegenüber aromatischen Aminen sei nicht zwangsläufig ursächlich für das Entstehen einer Harnblasenkrebserkrankung. Dies gelte auch beim Fehlen konkurrierender augenscheinlicher Ursachen. Das Gutachten des Sachverständigen PD Dr. xxx zum Ausmaß der Erkrankung des Klägers sei durchaus sachgerecht und fachkompetent. Allerdings entspreche dieses im Hinblick auf die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs nicht dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand. So habe auch der Sachverständige darauf hingewiesen, der Kläger sei keinen ausgeprägten Belastungen mit aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen. Um so weniger sei deshalb die Auffassung des Sachverständigen über die Ursächlichkeit der Harnblasenkrebserkrankung nachvollziehbar.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Urologen PD Dr. xxx. Dieser hat als Gesundheitsstörungen eine gutartige Prostatahyperplasie, eine Spermatocele testis links, eine Einschränkung der linksseitigen Nierenfunktion sowie eine Verplumpung des Nierenbeckenkelchsystems links diagnostiziert. Die Funktionseinschränkung der linken Niere sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge der beruflichen Tätigkeit des Klägers. Die Zeitspanne zwischen der Aufnahme der beruflichen Tätigkeit 1976 und dem erstmaligen Auftreten des Urothelcarcinoms 1992 sei ein ausreichend langer Zeitraum zur Exposition gegenüber aromatischen Aminen. Der Kläger sei kontinuierlich aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen, wenn auch keine ausgeprägte Belastung nachgewiesen sei. Allerdings lägen bislang keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Dosis-Wirkung-Beziehung bei der Exposition aromatischer Amine gegenüber der Entstehung von Urothelcarcinomen vor. Andere kanzerogene Risiken wie beispielsweise ein regelmäßiger Zigarettenkonsum seien im Fall des Klägers auszuschließen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für das Urothelcarcinom der Harnblase schätze er nach nunmehr abgelaufener zweijähriger Heilungsbewährung mit 50 vom Hundert. Nach weiterer dreijähriger Heilungsbewährung und Rezidivfreiheit sei gegebenenfalls eine neuerliche Bewertung der MdE erforderlich. Die MdE der als Operationsfolge im Rahmen der Urothelcarcinomerkrankung aufgetretenen bzw. bestehenden Nierenfunktionseinschränkung schätze er mit 25 vom Hundert. Insgesamt sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers gegenwärtig um 75 vom Hundert gemindert.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung von "operiertes bilokuläres Urothelcarcinom der Harnblase und Funktionseinschränkung der linken Niere" als BK nach der Nr. 1301 der Anlage zur BKV und auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 60 vom Hundert ab Oktober 2005.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind Krankheiten die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründeten Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann BKen sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können. Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den sogenannten Listenkrankheiten vor. Nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV sind "Schleimhautveränderungen, Krebs- oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine" als BK festzustellen.
Für die Anerkennung der vorgenannten müssen folgende Tatbestandsmerkmale erfüllt sein: Bei dem Versicherten muss eine durch aromatische Amine verursachte Schleimhautveränderung, eine Krebserkrankung oder andere Neubildung der Harnwege vorliegen. Außerdem muss der Versicherte den entsprechenden Einwirkungen aromatischer Amine infolge seiner versicherten Tätigkeit ausgesetzt gewesen sein. Dabei ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen im Sinne des Vollbeweises, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Demgegenüber reicht für den ursächlichen Zusammenhang, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit aus (vgl. BSG SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 und SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N. sowie BSG SozR 4-5671 § 6 Nr. 1).
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten sowie bei Anwendung dieser Maßstäbe hat die Beklagte zu Unrecht das operierte bilokuläre Urothelcarcinom der Harnblase des Klägers und eine eingeschränkte Nierenfunktion links als Folge einer BK nach der Nr. 1301 der Anlage zur BKV und die Gewährung von Verletztenrente versagt.
Aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens steht auch zur Überzeugung der Kammer im Anschluss an den Bericht des TAD der Beklagten vom 20.01.2006 fest, dass der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit als Instandhalter sowie Betriebsleiter und Sicherheitsfachkraft bei der Firma Xxx in der Zeit von August 1976, dem Beginn seiner dortigen Beschäftigung, bis zum Jahr 1993, dem Zeitpunkt der Einstellung der Produktion von PBN, und damit über eine Zeitspanne von etwa 17 Jahren, Einwirkungen von Beta-Naphthylamin ausgesetzt war. Dieser Stoff ist nach den zutreffenden Darlegungen des TAD geeignet, eine BK nach der Nr. 1301 zu verursachen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Seite 1149 und Abschnitt I des vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Merkblatts zur BK 1301 (Arbeitsschutz 1963, 129)). Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten und wird bestätigt durch das aktenkundige exemplarische Sachverständigengutachten des Prof. Dr. xxx "Blasenkrebs durch aromatische Amine der Beschäftigten in der Gummiindustrie". Danach gehört zu den krebsgefährdenden aromatischen Aminen als sogenannter K 1-Stoff u. a. Beta-Naphthylamin. Beta-Naphthylamin ist nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine der wichtigsten chemischen Verbindungen, die insbesondere Krebs und andere Neubildungen der Harnwege hervorrufen können.
Fest steht darüber hinaus aufgrund der Behandlungsunterlagen der Urologischen Klinik des Klinikums xxx sowie der wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen des Sachverständigen PD Dr. xxx, dass der Kläger seit April 1992 an einem bilokulären Urothelcarcinom der Harnblase leidet. Wegen dieser Gesundheitsstörung erfolgte erstmals im April 1992 eine transurethrale Resektion mit wiederholten Nachresektionen bis einschließlich April 2005. Das Stadium dieser Krebserkrankung haben die Ärzte der Urologischen Klinik des xxx zuletzt seit April 2005 mit p Tis, pT 1, G 3 bezeichnet. Außerdem ist im Rahmen der diversen Operationen wegen des Urothelcarcinoms bei dem Kläger eine Nierenfunktionseinschränkung links eingetreten, wie PD Dr. xxx auch insoweit überzeugend dargelegt hat. Dies hat auch die Beklagte nicht in Abrede gestellt.
Die vorgenannten Gesundheitsstörungen sind zur Überzeugung des erkennenden Gerichts - entgegen der Auffassung der Beklagten - auf die Einwirkungen aromatischer Amine zurückzuführen, denen der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit zwischen 1976 und 1993 ausgesetzt war, wie PD Dr. xxx auch insoweit zutreffend ausgeführt hat. Bei aromatischen Aminen der Kategorie 1, zu denen auch Beta-Naphthylamin gehört (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 1149), wird die Kausalitätsbeurteilung im Allgemeinen als unproblematisch angesehen (vgl. Hess. LSG vom 03.11.2004 - L 3 U 1613/97 - m. w. N., veröffentlicht in juris, sowie Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Aufl. § 9 SGB VII, Anh. IV 1301, Seite 232-19, Anm. 9). Denn bei den sog. K 1-Stoffen handelt es sich um solche, bei denen nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen feststeht, dass sie beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 1148). Grenzwerte für aromatische Amine, bei deren Einhaltung Erkrankungen nicht zu befürchten sind, bzw. bei deren Unterschreitung die Kausalität im Einzelfall auszuschließen sind, sind in der BKV nicht genannt. Insofern besteht in der medizinischen Wissenschaft auch kein Konsens. Zutreffend weist der Sachverständige PD Dr. xxx in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es bislang auch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Exposition aromatischer Amine gegenüber der Entstehung von Urothelcarcinomen gibt. Auch Prof. Dr. xxx führt insoweit in seinem exemplarischen Gutachten im Erfahrungssatz 5 ausdrücklich aus, dass wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Frage und den Umfang eines erhöhten Blasenkrebsrisikos durch berufliche Einwirkung aromatischer Amine im Niedrig-Dosis-Bereich nicht bestehen. Die Datenlage erlaubt deshalb weder die Angabe einer "sicheren Dosis" noch die Ermittlung einer Dosis, bei der sich das Normalrisiko verdoppelt. Eine Verdoppelung des Erkrankungsrisikos der exponierten Personengruppe im Vergleich zur nichtbelasteten Bevölkerung wird auch vom Gesetz in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII nicht verlangt, sondern lediglich eine Gefährdung "in erheblich höherem Grade" als die übrige Bevölkerung. Auch nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 1148 können für krebserzeugende Arbeitsstoffe nach derzeitigem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand keine medizinischen Grenzwerte angegeben werden, bei deren Einhaltung Erkrankungen nicht zu befürchten sind. Deshalb ist ein exakter Beweis für eine berufsbedingte Krebserkrankung meist nicht zu erbringen. Vielmehr ist insoweit eine Indizienkette aufzubauen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Seite 1160). Solche Indizien liegen vorliegend aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens in ausreichender Anzahl vor: Die Harnblasenkrebserkrankung wie auch die als Folge der transurethralen Harnblasenresektionen und der Harnblaseninstillationen aufgetretenen Funktionseinschränkung der linken Niere ist aufgrund der Behandlungsunterlagen der Urologischen Klinik des Klinikums xxx und des Gutachtens des PD Dr. xxx medizinisch gesichert. Der angeschuldigte Gefahrenstoff - hier: Beta-Naphthylamin - ist kanzerogen. Der Kläger war in der Zeit von 1976 bis 1993, mithin rund 17 Jahre, berufsbedingten Einwirkungen dieses Gefahrstoffes ausgesetzt, wenn auch nach den Berechnungen des TAD der Beklagten lediglich in geringem Umfang mit einer Gesamtbelastungsdosis von 0,250mg. Die Erstdiagnose der Krebserkrankung des Klägers erfolgte nach dem Entlassungsbericht der Urologischen Klinik des Klinikums xxx sowie der BK-Anzeige des Dr. xxx im April 1992. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger 50 Jahre alt. Das Auftreten des Blasencarcinoms liegt damit deutlich vor dem Erstmanifestationszeitpunkt für Blasenkrebserkrankungen in der unbelasteten männlichen Normalbevölkerung im Alter von etwa 69 Jahren (vgl. S. 20 des exemplarischen Gutachtens des Prof. Dr. xxx). Organlokalisation der Erkrankung und arbeitsmedizinische Erfahrungen im Zusammenhang mit Expositionen gegen bestimmte Gefahrstoffe stimmen überein. Wesentliche außerberufliche Ko-Faktoren als Ursache oder überragende Mitursache der Blasenkrebserkrankung, wie insbesondere Nikotinkonsum oder Alkoholgenuss, liegen beim Kläger nach dessen glaubhaften und von der Beklagten auch nicht bestrittenen Angaben nicht vor. Mit ihrer Forderung nach einer kumulativen Gesamtbelastungsdosis von wenigstens 6 mg Beta-Naphthylamin geht die Beklagte auch deutlich über den Erfahrungssatz 8 im exemplarischen Gutachten des Prof. Dr. xxx hinaus; denn dort heißt es lediglich: "Die Anerkennung als Berufskrankheit kommt grundsätzlich in Betracht, wenn die arbeitsbedingte Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine näherungsweise in dem Umfang erfolgte, die bei einem Raucher zur Verdoppelung des Blasenkrebsrisikos führt". Der Vergleich mit dem Rauchen bei der quantitativen Einordnung der aufgenommenen Menge krebserzeugender aromatischer Amine ist aber nach Erfahrungssatz 7 des exemplarischen Gutachtens keineswegs zwingend, sondern bietet sich danach allein "in Ermangelung besserer Vergleichsmöglichkeiten" an. Hinzukommt, dass Zigarettenrauch neben aromatischen Aminen eine Vielzahl weiterer krebserzeugend wirkender Gefahrstoffe erhält, die mit großer Wahrscheinlichkeit an der Entstehung eines erhöhten Harnblasenkrebsrisikos von Rauchern beteiligte sind; außerdem entfällt bei Rauchern der unmittelbare Hautkontakt mit Beta-Naphthylamin (vgl. zum Ganzen Hess. LSG a. a. O.). Vor diesem Hintergrund kann - entgegen der Auffassung der Beklagten - keine Rede davon sein, dass mit einem Dosiswert von 6 mg die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Nr. 1301 der Anlage zur BKV in Bezug auf Krebserkrankungen der Harnwege konkretisiert wurden.
Dem Dosiswert von 6,0 mg kommt auch nicht eine vergleichbare Bedeutung zu wie einer "kumulativen Gesamtbelastungsdosis" von mehr als 40 ppm-Jahren für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Benzol-induzierten akuten myeloischen Leukämie, einer chronisch lymphathischen Leukämie oder eines myelodysplastischen Syndroms als BK im Sinne der Nr. 1303 der Anlage zur BKV. Zwar enthält auch die Nr. 1303 der Anlage zur BKV keine Mindestbelastungsdosis, die erfüllt sein muss, um eine Erkrankung durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol als BK festzustellen und lässt sich auch insoweit ein medizinisch-wissenschaftlich abgesicherter definierter Grenzwert mit signifikant erhöhtem Erkrankungsrisiko nicht ableiten. Allerdings ergeben sich für eine kumulative Belastungsdosis von 40 ppm-Jahren und weniger derzeit keine gesicherten Anhaltspunkte auf ein erhöhtes Erkrankungsrisiko im Sinne der BK Nr. 1303 (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S 1021 f). Deshalb fehlt es vorliegend an der Vergleichbarkeit eines Dosis-Wirkungswertes für Benzol-induzierte Erkrankungen im Sinne der BK Nr. 1303 und solchen durch Einwirkungen aromatischer Amine im Sinne der BK Nr. 1301 der Anlage zur BKV. Die von der Beklagten herangezogenen Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2006 (L 17 U 254/04) und vom 15.10.2003 (L 17 U 85/00) und des LSG Schleswig-Holstein vom 20.07.2000 (L 5 U 106/99 und L 5 U 114/99), die ausschließlich die BK Nr. 1303 betreffen, stehen deshalb der Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Gesamtbelastungsdosis der Einwirkung aromatischer Amine von 0,250 mg und der Harnblasenkrebserkrankung des Klägers nicht entgegen. Insoweit besteht für das Gericht auch keine Veranlassung, dem Vorbringen des Klägers nachzugehen, die vom TAD ermittelte Gesamtbelastungsdosis sei zu gering. Zutreffend weist die Beklagte zwar daraufhin, dass es für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs zwischen berufsbedingten Einwirkungen und einer Gesundheitsstörung nicht ausreicht, dass der Versicherte im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit überhaupt gegenüber aromatischen Aminen exponiert war, denn es gibt keinen Beweis des ersten Anscheins dafür, dass beim Nachweis einer berufsbedingten Belastung mit aromatischen Aminen und dem Vorliegen einer Blasenkrebserkrankung der ursächliche Zusammenhang nach § 9 Abs. 3 SGB VII vermutet wird, denn solche Erkrankungen können auch durch Inhalationsrauchen, kanzerogene Naturstoffe, Strahlenbelastungen oder selbst durch ein nichtversichertes Trauma entstehen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1159). Deshalb kann allein aus dem Vorliegen eines Krankheitsbildes nicht auf die haftungsausfüllende Kausalität geschlossen werden. Vorliegend ist indes zu berücksichtigen, dass Beta-Naphthylamin zu den Gefahrstoffen der Kategorie 1 gehört. Bei diesen handelt es sich um Stoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Außerdem können für krebserzeugende Arbeitsstoffe keine Grenzwerte (MAK-Werte) angegriffen werden, bei deren Einhaltungen Erkrankungen nicht zu befürchten sind (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1148). Überdies sind nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen PD Dr. xxx außerberufliche Ko-Faktoren als Ursache oder überragende Mitursache der Blasenkrebserkrankung des Klägers nicht vorhanden.
Damit sind das operierte bilokuläre Urothelcarcinom der Harnblase und die als Folge der zahlreichen transurethralen Resektionen und Harnblaseninstillationen entstandene Funktionseinschränkung der linken Niere als Folge einer BK nach der Nr. 1301 der Anlage zur BKV festzustellen.
Wegen dieser Gesundheitsstörungen hat der Kläger ab dem 01.10.2005 Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE um 60 vom Hundert. Wie der Sachverständige PD Dr. xxx auch insoweit überzeugend dargelegt hat, ist die MdE bezüglich des Urothelcarcinoms der Harnblase mit Blick auf die seit April 2005 abgelaufene Heilungsbewährung mit 50 vom Hundert zu bewerten. Die als Operationsfolge im Rahmen der Urothelcarcinomerkrankung aufgetretene Nierenfunktionseinschränkung links rechtfertigt mit PD Dr. xxx eine Teil-MdE von 25 vom Hundert. Diese Teil-MdE-Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen entspricht den unfallmedizinischen Erfahrungswerten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1046 und 1206); diese Bewertung hat auch die Beklagte im Schriftsatz vom 09.11.2007 nicht angegriffen. Die Gesamt-MdE bewertet das erkennende Gericht, abweichend von der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen, mit 60 vom Hundert. Insoweit ist maßgebend das Gesamtbild aller Funktionseinschränkungen im Sinne einer integrierenden Gesamtschau und -wertung. Dabei dürfen einzelne Teil-MdE-Werte nicht zusammengerechnet werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 158), wie dies PD Dr. xxx zu Unrecht getan hat.
Aus eben diesen Gründen war dem Klagebegehren stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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