L 9 AS 694/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 1707/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 694/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auf seine Anträge vom 17.01.2014 und vom 23.01.2014 ...

Der 1964 geborene Kläger stand im Leistungsbezug des Beklagten. Mit Bescheid vom 15.07.2013 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 20.08.2013, 23.08.2013 und 18.09.2013 wurden ihm Leistungen für die Zeit vom 01.09.2013 bis 31.01.2014 bewilligt. Mit Bescheid vom 08.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2013 wurden die Leistungen ab 01.11.2013 entzogen.

Am 17.01.2014 reichte der Kläger bei dem Beklagten einen auf den 15.01.2014 datierten Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen ein. Mit bei dem Beklagten am 23.01.2014 eingegangenen Schreiben vom 21.01.2014 zog der Kläger den Antrag vom 15.01.2014 "rückwirkend" zurück. Dieser sei "unanwendbar und antragsgemäß unverzüglich zurückzusenden". Mit am 23.01.2014 eingegangenem Schreiben vom 22.01.2014 beantragte der Kläger die Fortzahlung der Leistungen ab dem 01.02.2014.

Mit Schreiben vom 24.01.2014 forderte der Beklagte den Kläger auf, für die Weiterbewilligung erforderliche Unterlagen (Hauptantrag, Anlage EK, Anlage VM, Anlage KdU, Stellungnahme, wie der Kläger seit Oktober 2013 seinen Lebensunterhalt bestritten habe, Kontoauszüge der letzten beiden Monate, Personalausweis, Nachweis Krankenversicherung) einzureichen. Mit Schreiben vom 07.02.2014 forderte der Beklagte den Kläger mit Fristsetzung zum 20.02.2014 erneut auf, die angeforderten Unterlagen einzureichen. Zugleich wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass bei fruchtlosem Ablauf beabsichtigt sei, den Antrag wegen fehlender Mitwirkung abzulehnen.

Mit Bescheid vom 21.02.2014 versagte der Beklagte auf den Antrag des Klägers vom 17.01.2014 Leistungen ab dem 01.02.2014 wegen Nichtfeststellbarkeit der Leistungsbedürftigkeit; der Kläger habe die zur Feststellung der Hilfebedürftigkeit erforderlichen Unterlagen nicht vorgelegt bzw. die erforderlichen Angaben nicht gemacht habe. Die Voraussetzungen für die Versagung der Leistungen wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) seien daher gegeben. Gründe, die einer Versagung entgegenstünden, seien ebenso wenig ersichtlich wie Gründe, die einer Vorlage der angeforderten Unterlagen entgegenstünden.

Mit Schreiben vom 28.02.2014 reichte der Kläger einen auf den 05.02.2014 datierten Weiterbewilligungsantrag ein und führte aus, in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen seien keine Änderungen eingetreten. Der Antrag vom 28.02.2014 wurde mit Bescheid vom 16.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2015 wegen fehlender Mitwirkung nach §§ 60, 66 SGB I abgelehnt. Die hiergegen am 16.02.2015 beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage (S 16 AS 448/15) wurde mit Gerichtsbescheid vom 17.07.2015 abgewiesen.

Ebenfalls am 28.02.2014 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.02.2015 ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2014 zurückgewiesen wurde. Die Vorlage der Unterlagen sei erforderlich gewesen, weil Zweifel an der Hilfebedürftigkeit bestünden, da der Kläger schon seit geraumer Zeit keine Nachweise über seine Einkommens- und Vermögenssituation mehr vorgelegt bzw. überhaupt Kontakt zum Beklagten gepflegt hätte. Der Kläger sei seiner Mitwirkungspflicht trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht nachgekommen; eine Ermessensentscheidung liege vor. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Interessen des Klägers sein angemessen berücksichtigt worden. Anhaltspunkte, die ein Überwiegen der Interessen des Klägers an der Zahlung des Arbeitslosengeldes II gegenüber den Interessen der Allgemeinheit rechtfertigten, lägen nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger am 05.06.2014 Klage beim SG erhoben und lediglich ausgeführt, "[g]egen beschwerten Widerspruchsbescheid v. 6.5.14 ergeht Klage".

Nach entsprechendem Hinweis hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2015 abgewiesen. Die zulässige Anfechtungsklage, die sich nach Auslegung gegen den Bescheid vom 21.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2014 richte, sei nicht begründet. Der Beklagte habe die Leistungen zu Recht gemäß § 66 Abs. 1 SGB I versagt, da der Kläger seiner Mitwirkungsobliegenheit - u. a. der Vorlage der geforderten Kontoauszüge für die letzten zwei Monate - nicht nachgekommen sei. Bei den Kontoauszügen handle es sich um Beweisurkunden im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I. Die in den Kontoauszügen enthaltenen Daten gäben Aufschluss über die Höhe der Ein- und Ausgänge, das Buchungsdatum, die Empfangenden und Absendenden der Buchung sowie im Regelfall auch über den Grund des Ein- und Ausgangs der Zahlung (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 10/08 R, Juris). Die geforderte Vorlage der Kontoauszüge sei auch nicht durch § 65 SGB I ausgeschlossen gewesen. Auf die Folge der Versagung von Arbeitslosengeld II bei Nichtvorlage von Unterlagen sei der Kläger durch den Beklagten mit Schreiben vom 07.02.2014 hingewiesen worden; für die Vorlage der Dokumente, die nach diesem Erinnerungsschreiben bis 20.02.2014 zu erfolgen gehabt hätte, sei dem Kläger eine angemessene Frist gesetzt worden.

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 23.01.2015 zugestellt worden. Mit beim SG am 20.02.2015 eingegangenen Schreiben hat der Kläger "alle statthaften Rechtsbehelfe" erhoben, "soweit das Sozialgericht Mannheim hier eine Entscheidung v. 20.1.15 oder anderen Datums zu Az. S 3 AS 1707/14 bekannt gegeben" habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Januar 2015 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Mai 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die Grundlagen der Entscheidung dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die allein zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 21.02.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2014 nicht begründet ist, da der Beklagte zu Recht die Leistungen nach § 66 SGB I versagt hat, nachdem der Kläger trotz entsprechender Hinweise des Beklagten seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahrens an und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab.

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass ausweislich des Wortlauts des Bescheids vom 21.02.2014 allein über den bei dem Beklagten am 17.01.2014 eingegangenen Antrag vom 15.01.2014 entschieden worden ist. Diesen Antrag hat der Kläger zwar mit bei dem Beklagten am 23.01.2014 eingegangenen Schreiben vom 21.01.2014 ausdrücklich zurückgenommen, zugleich aber mit Schreiben vom 22.01.2014 (Eingang bei dem Beklagten am 23.01.2014) wiederum Leistungen beantragt. Die beiden Anträge sind als Einheit zu sehen; mit Bescheid vom 21.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2014 wurde damit zugleich der Antrag vom 23.01.2014 abgelehnt. Nicht durch die Ablehnung umfasst ist der erst nach Erlass des Versagungsbescheides bei dem Beklagten eingegangene Antrag vom 28.02.2014.

Das SG hat auch zutreffend ausgeführt, dass der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist. Zwar hat er am 19.02.2014 einen Kontoauszug der S. H. 18049686 (Kontoauszug 1, Blatt 1) vom 08.02.2014 vorgelegt, aus dem sich ein Kontostand am 31.12.2013 von 1,26 EUR (Haben) und am 08.02.2014 von 1,24 EUR (Soll) ergibt, die durch den Beklagten darüber hinaus geforderten Unterlagen (Hauptantrag, Anlage EK, Anlage VM, Anlage KDU, Kopie Personalausweis, Nachweis Krankenversicherung) sowie insbesondere eine Stellungnahme, wie der Kläger seit Oktober 2013 seinen Lebensunterhalt bestritten hat, fehlen aber auch weiterhin. Diese für die Leistungsgewährung erforderlichen Angaben konnte und durfte der Beklagte zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit verlangen.

Dass vorliegend die Mitwirkungspflicht nach § 65 Abs. 1 SGB I ausgeschlossen oder die verlangte Mitwirkung dem Kläger aus sonstigen Gründen nicht zumutbar wäre, ist nicht erkennbar und wurde von diesem auch nicht vorgetragen. Andere Erkenntnismöglichkeiten, um an die vom Kläger vorsätzlich zurückgehaltenen Informationen über allein in dessen Sphäre liegende Tatsachen zu gelangen, sind nicht ersichtlich.

Schließlich ist die angefochtene Entscheidung auch im Hinblick auf das gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I grundsätzlich eröffnete Ermessen nicht zu beanstanden. Ein Ermessensfehler in Form eines Ermessens- bzw. Abwägungsdefizits liegt nicht vor. Nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides und insbesondere des Widerspruchsbescheids war sich der Beklagte seines Ermessenspielraums erkennbar bewusst. Diese Ermessensbetätigung ist gerichtlich auf Ermessensfehler hin zu kontrollieren. Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob die Beklagte für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in diese Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde - in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens - grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung im Ergebnis stützen möchte (BSG, Urteil vom 30.10.2013, B 12 R 14/11 R, Juris; Steinwedel in Kassler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Oktober 2011, § 45 SGB X Rdnr. 54; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 Rdnr. 90, jeweils unter Hinweis auf die Rspr. des BSG). Der Beklagte hat sowohl im Bescheid vom 21.02.2014 als auch im Widerspruchsbescheid vom 06.05.2014 zu erkennen gegeben, dass er sich seines Ermessens bewusst war. Er hat sich insoweit relativ kurz gefasst und im Wesentlichen dargelegt, ein Überwiegen der Interessen des Klägers an der Zahlung der Leistungen gegenüber den Interessen der Allgemeinheit liege vor. Diese Ermessenserwägungen sind noch ausreichend. Da infolge der fehlenden Mitwirkung des Klägers die Voraussetzungen für die Bewilligung der Leistungen, insbesondere die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen werden konnten, ist die Ermessensentscheidung des Beklagten, die Leistungen vollständig zu versagen, nicht zu beanstanden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.12.2014, L 2 AS 267/13, Juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen des Klägers in beiden Instanzen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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