L 3 AS 698/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 438/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 698/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

3. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt K., F., bewilligt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller (im Folgenden: Ast.) begehrt, den Antragsgegner (im Folgenden: Ag.) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm darlehensweise weiter Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren.

Der am 27.09.1956 geborene Ast. bezog seit dem 04.01.2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. In allen Anträgen, zuerst in dem ursprünglichen Antrag vom 04.01.2005 (Zusatzblatt 3), zuletzt in dem Fortzahlungsantrag vom 30.11.2011, gab er ein Altersvorsorgevermögen in der Schweiz nicht als Vermögenswert an.

In einem Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht, das die Staatsanwaltschaft A.-B. gegen den Ast. führt (25 Js 5382/10), wurde ermittelt, dass der Antragsteller bei der "Stiftung Auffangeinrichtung BVG" (im Folgenden: BVG), einer (privatrechtlichen) Schweizer Anstalt, ein Altersversorgungsguthaben unterhält, das auf einer obligatorischen Altersvorsorge des Ast. während einer Berufstätigkeit in der Schweiz beruht. In einem Kontoauszug an den Ast. vom 17.05.2011 wurde der Wert dieses Vermögens auf CHF 111.805,78 (etwa EUR 92.600,00, Stand Januar 2011) beziffert. Ebenfalls unter dem 17.05.2011 teilte die BVG der Staatsanwaltschaft mit, dass der Ast. über das Altersvorsorgevermögen unter bestimmten, einzeln genannten Bedingungen verfügen könne. Spätestens im September 2011 wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Ast. um den Vorwurf des Betrugs zu Lasten des Ag. erweitert.

Spätestens Anfang November 2011 erfuhr der Ag. von dem ermittelnden Hauptzollamt C. von dem Verfahren gegen den Ast. und dem Altersvorsorgevermögen in der Schweiz. Mit Bescheid vom 30.12.2011 hob er die Leistungsbewilligung an den Ast. für die Zeit vom 01.07.2011 bis zum 31.12.2011 auf, stellte die Leistungen mit Ablauf des 30.11.2011 ein und forderte für die Zeit vom 01.07.2011 bis zum 30.11.2011 Leistungen in Höhe von EUR 3.987,98 zurück.

Nachdem der Ast. darauf hingewiesen hatte, eine Auszahlung des Freizügigkeitsguthabens aus der Schweiz nehme wenigstens vier Wochen in Anspruch, gewährte ihm der Ag. mit Bescheid vom 02.01.2012 ein Darlehen in Höhe von EUR 1.394,76 für die Monate Dezember 2011 und Januar 2012. Er führte hierzu aus, das Guthaben auf dem Freizügigkeitskonto stelle eine anwartschaftliche Leistung dar, bei der es sich um verwertbares Vermögen handele, das die Freigrenze übersteige. Der Ast. habe unverzüglich die Auszahlung zu beantragen. Der Ag. gehe davon aus, dass die Auszahlung an den Antragsteller bis Februar 2012 möglich sei.

Eine weitere darlehensweise Gewährung von Leistungen über Januar 2012 hinaus lehnte der Ag. mit Bescheid vom 31.01.2012 ab. Er führte hierzu aus, der Ast. habe bei einer persönlichen Vorsprache am 30.01.2012 erklärt, dass er nicht gewillt sei, die Auszahlung aus der Schweiz zu veranlassen, da dadurch erhebliche Nachteile für ihn entstehen würden; er müsse erklären, nicht mehr in der Schweiz erwerbstätig zu werden. Eine darlehensweise Gewährung setze aber voraus, dass tatsächlich Schritte zur Verwertung unternommen würden. Dabei sei unerheblich, dass der Antragsteller den Nachteil haben würde, nicht wieder in der Schweiz arbeiten zu dürfen, obwohl er das wolle, denn es sei ihm im Hinblick auf den langwierigen Bezug von steuerfinanzierten Leistungen zumutbar, seine Stellensuche auf Deutschland zu beschränken.

Am 30.01.2012 hat sich der Antragsteller an das Sozialgericht Freiburg (SG) gewandt und um Eilrechtsschutz nachgesucht sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Er hat vorgetragen, er sei bedürftig. Den geforderten Auszahlungsantrags wegen des Freizügigkeitskontos habe er gestellt, nach Auskunft der BVG dauere das Auszahlungsverfahrens aber mindestens vier Wochen. Hierzu hat der Ast. die Kopie eines formlosen Schreibens vom 03.02.2012 vorgelegt, das aus dem bloßen Satz besteht, dass er hiermit die Auszahlung seines Freizügigkeitskontos beantrage. Weiterhin hat der Ast. selbst die für einen Auszahlungsantrag vorgesehenen Formulare der BVG vorgelegt, die er aber nicht benutzt hatte. Der Ast. hat ferner geltend gemacht, es existiere ein deutsches Scheidungsurteil, aus dem seine ehemalige Ehefrau einen Anspruch auf einen Teil der Auszahlungssumme habe. Ihre Ansprüche gegenüber der BVG könnten jedoch nur in der Schweiz geklärt werden. Hier seien gegebenenfalls noch weitere Ermittlungen notwendig. Letztlich hat der Ast. vorgebracht, die geforderte Abgabe einer Erklärung, die Schweiz definitiv verlassen zu haben und künftig nicht in der Schweiz arbeiten zu wollen, sei ihm nicht zumutbar. Der Hinweis des Ag. auf eine Beschränkung auf den deutschen Arbeitsmarkt sei unverhältnismäßig und nicht mit europarechtlichen Grundsätzen vereinbar sei.

Der Ag. ist dem Antrag entgegengetreten. Er hat vorgetragen, der Ast. bemühe sich nicht ernsthaft um eine Verwertung des Freizügigkeitskontos. Auch stehe eine abgegebene Erklärung, zukünftig nicht mehr in der Schweiz zu arbeiten, einer Verwertung nicht entgegen. Der Ast. beziehe seit über sieben Jahren Leistungen nach dem SGB II und habe in dieser langen Zeit kein Einstellungsangebot aus der Schweiz vorgelegt. Es sei ihm zumutbar, die zahlreichen Erwerbsmöglichkeiten in Deutschland zu nutzen und die Auszahlung des Guthabens zu beantragen.

Mit Beschluss vom 17.02.2012 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung und den PKH-Antrag des Ast. abgelehnt.

Zu dem Eilantrag hat das SG ausgeführt, es fehle an dem notwendigen Anordnungsanspruch: Das Guthaben auf dem Schweizer Freizügigkeitskonto in Höhe von rund EUR 92.600,00 stelle zu berücksichtigendes Vermögen dar, dessen Verwertung dem Antragsteller möglich und zumutbar sei. Das Freizügigkeitskonto gründe nach Art. 27 des Schweizer Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) i.V.m. dem Schweizer Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (FZG) auf einem "Vorsorgeverhältnis", das einer Anwartschaft nach deutschem Recht entspreche. Zugleich normiere Art. 2 FZG einen Anspruch auf eine Austrittsleistung, wenn Versicherte die Vorsorgeeinrichtung verließen. Versicherte können nach Art. 5 FZG dabei die Barauszahlung der Austrittsleistung verlangen, wobei bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssten. Zum einen setze Art. 5 Satz 1 Buchstabe a FZG voraus, dass der Versicherte die Schweiz endgültig verlasse und zum anderen bestimme Art. 5 Satz 2 FZG, dass die Barauszahlung an verheiratete Anspruchsberechtigte nur mit schriftlicher Zustimmung des Ehegatten zulässig sei und im Fall der Weigerung das Gericht angerufen werden könne.

Vor diesem Hintergrund sei eine Verwertung des Freizügigkeitskontos auch keine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II. Die Erklärung, die Schweiz endgültig verlassen zu haben, sei ihm zumutbar. Der Ast. beziehe bereits seit über sieben Jahren steuerfinanzierte Transferleistungen aus der deutschen Solidargemeinschaft. Ihm sei es in dieser Zeit nicht gelungen, wieder eine Arbeit zu finden. Er müsse sich daher darauf verweisen lassen, seine zukünftigen Bemühungen auf die Suche nach einer der zahlreichen Arbeitsstellen außerhalb der Schweiz zu richten. Auch die weiteren Voraussetzungen einer Auszahlung könne der Ast. erfüllen. Er sei bereits geschieden, so dass das Erfordernis der Zustimmung des Ehegatten zur Auszahlung nach dem Schweizer Recht nicht zur Anwendung komme. Soweit die ehemalige Ehefrau des Ast. aufgrund des deutschen Scheidungsurteils Ansprüche geltend machen könne, sei zum einen abzuwarten, ob solche Ansprüche tatsächlich gestellt würden, denn das vom Ast. vorgelegte Scheidungsurteil vom 18.11.2003 verweise die geschiedene Ehefrau gerade auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich, der nach § 1587f Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Fassung vor dem 01.09.2009 i.V.m. § 2 des früheren Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) bzw. nunmehr § 223 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) i.V.m. §§ 20 ff. Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) nur auf Antrag durchgeführt werde. Zum anderen sei davon keinesfalls der Anspruch im Ganzen betroffen, sondern nur zu einem Teil, so dass der Rest in jedem Fall verwertbar bleibe. Darüber hinaus habe die BVG bereits erklärt, dass eine Auszahlung jedenfalls nur vom Ast. als Kontoinhaber beantragt werden könne und ein deutsches Scheidungsurteil nach Schweizer Recht darauf keinen Einfluss habe, sondern ein entsprechendes Klageverfahren der geschiedenen Ehefrau in der Schweiz geführt werden müsse. Ein entsprechendes Verfahren vor einem Schweizer Gericht sei aber auch nach dem Vortrag des Ast. nicht anhängig.

Das Vermögen in der Schweiz sei schließlich auch sofort verwertbar, sodass dem Ast. auch keine Ansprüche auf Gewährung eines Darlehens zuständen. Der Ast. bemühe sich nicht ausreichend um die Verwertung. Zwar habe er eine Erklärung gegenüber der BVG vorgelegt, wonach er die Auszahlung seines Freizügigkeitskontos beantrage. Er habe jedoch nicht die dafür vorgesehenen Vordrucke benutzt und weigere sich insbesondere weiterhin ausdrücklich, die darin geforderten Erklärungen wie insbesondere die zum Verlassen der Schweiz abzugeben. Eine darlehensweise Leistungsgewährung komme im Regelfall aber erst in Betracht, wenn der Vermögensinhaber erste Schritte zur Verwertung seines Vermögens unternommen habe. Sei eine Vermögensverwertung nicht beabsichtigt, bestehe für die Anwendung der Überbrückungsregelung hingegen kein Raum.

Zu dem PKH-Antrag hat das SG ausgeführt, dem Eilantrag des Ast. hätten von Anfang an hinreichende Erfolgsaussichten gefehlt.

Gegen diesen Beschluss, der seinem Verfahrensbevollmächtigten am 17.02.2012 per Telefax und am 20.02.2012 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, hat der Ast. am 17.02.2012 Beschwerde zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er behauptet, die BVG habe ihm telefonisch, wenngleich noch nicht schriftlich, mitgeteilt, die Bearbeitung des bereits gestellten Antrags auf Auszahlung des Freizügigkeitsguthabens dauere mindestens vier Monate, da die übliche Bearbeitungsdauer wegen der Ansprüche der geschiedenen Ehefrau nicht eingehalten werden könne. Die Ehefrau sei auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich verwiesen worden, daher erhalte sie bei Auszahlung des Schweizer Freizügigkeitsguthabens einen Teil der Summe. Das für die Aufteilung des Guthabens nötige Klageverfahren in der Schweiz müsse vor der Auszahlung durchgeführt werden. Der Ast. meint, nach Schweizer Recht benötige er für eine Auszahlung seines Freizügigkeitsguthabens die Unterschrift seiner geschiedenen Ehefrau. Ferner bestreitet er, bei der Vorsprache bei dem Ag. am 30.01.2012 gesagt zu haben, er sei nicht gewillt, das Schweizer Freizügigkeitskonto aufzulösen. Er habe vielmehr nur darauf hingewiesen, dass dieses Konto seine Altersvorsorge sei und dass er für den Zeitraum, in dem er in der Schweiz gearbeitet habe, keine deutsche Rente erhalten werde. Ferner hält der Ast. daran fest, es sei ihm unzumutbar, gegenüber der BVG erklären zu müssen, nicht wieder in der Schweiz arbeiten.

Der Antragsteller beantragt,

1. den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Februar 2012 aufzuheben und a) den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab dem 01.02.2012 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe vorläufig zu gewähren und den Krankenversicherungsschutz des Antragstellers sicherzustellen, b) für das Antragsverfahren vor dem Sozialgericht Freiburg Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen, 2. für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angegriffenen Beschluss.

Der Berichterstatter des Senats hat den Sachverhalt mit dem Ast. persönlich und dem Ag. erörtert. Auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 12.03.2012 wird verwiesen.

Der Berichterstatter des Senats hat ferner am 09.03.2012 mit dem für den Kläger zuständigen Mitarbeiter der BVG, Herrn. J., telefoniert und Auskünfte zur Handhabung des Schweizer Rechts und zum Stand und zur erwarteten Dauer des Auszahlungsverfahrens des Ast. eingeholt. Wegen der Ergebnisse wird ebenfalls auf das Protokoll des Erörterungstermins verwiesen.

Der Ast. hat ferner einen Schriftwechsel zwischen seiner geschiedenen Ehefrau und der BVG wegen des Versorgungsausgleichs, das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - A.-B. vom 18.11.2003 (6 F 124/00) und eine Ausfertigung eines gerichtlichen Vergleichs vor dem genannten Amtsgericht vom 16.01.2007 (6 F 123/05) vorgelegt.

Letztlich hat die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund auf Nachfrage des Senats unter dem 23.03.2012 mitgeteilt, der Ast. sei zu keiner Zeit von der (deutschen) Rentenversicherungspflicht befreit worden.

II.

1. Die Beschwerde des Ast. gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes durch das SG ist zulässig, aber nicht begründet.

a) Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Allgemeinen und die Feststellung eines Anordnungsanspruchs im Eilverfahren hat das SG in dem angegriffenen Beschluss zutreffend dargestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird darauf verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Ergänzend ist anzuführen, dass der Senat in diesem Verfahren nicht nur nach einer summarischen, sondern einer vollständen Prüfung der Sach- und Rechtslage entscheidet, wie es das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in dem Beschluss vom 12.05.2005 (1 BvR 569/05, Juris) für notwendig erklärt hat.

b) Auch der Senat ist der Ansicht, dass dem Ast. für den streitigen Zeitraum ab dem 01.02.2012 kein Anspruch auf Leistungen des Ag. zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff. SGB II zusteht.

aa) Zunächst besteht kein Anspruch auf eine zuschussweise Gewährung. Der Ast. ist nicht bedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II, weil er gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 2 SGB II seinen Lebensunterhalt aus seinem zu berücksichtigenden Vermögen decken kann.

(1) Das Freizügigkeitsguthaben in der Schweiz ist verwertbares Vermögen im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB II.

Der Ast. kann es sich jederzeit auszahlen lassen. Nach Art. 5 Satz 1 lit. a Halbsatz 1 FZG kann der Versicherte eine Barauszahlung der Austrittsleistung verlangen, wenn er die Schweiz endgültig verlässt. Ein solches endgültiges Verlassen ist bei dem Kläger anzunehmen, nachdem dieser seit mindestens sieben Jahren nicht mehr in der Schweiz gewohnt oder gearbeitet hat, sondern seitdem in Deutschland Leistungen nach dem SGB II bezieht.

Zwar bleibt nach Art. 5 Satz 1 lit. a Halbsatz 2 FZG die Regelung des Art. Satz 1 lit. a 25f FZG unberührt, wonach eine Barauszahlung ausscheidet, wenn der Versicherte nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union (EU) für die Risiken Alter, Tod und Individualität weiterhin obligatorisch versichert ist (lit. b und c dieser Vorschrift, die Norwegen, Island und Liechtenstein betreffen, sind ersichtlich nicht einschlägig). Der Ast. ist jedoch in Deutschland zurzeit nicht gegen die genannten Risiken pflichtversichert, nachdem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II seit dem 01.01.2011 nicht mehr rentenversicherungspflichtig, sondern nur noch krankenversicherungspflichtig sind. Hinzu kommt, dass Art. 25f Satz 1 FZG im Ganzen nach Satz 2 dieser Norm erst fünf Jahre nach In-Kraft-Treten des "Freizügigkeitsabkommens" in Kraft getreten ist. Hiermit ist das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21.06.1999 gemeint, das für die Schweiz zum 01.06.2002 in Kraft getreten ist. Wie auch der zuständige Mitarbeiter der BVG, Herr J., telefonisch bestätigt hat, können nach Schweizer Recht die Ausschlussgründe des Art. 25f Satz 1 FZG daher solchen Versicherten nicht entgegengehalten werden, die die Schweiz bereits vor dem 01.06.2007 verlassen hatten. Dazu gehört der Ast.

Für eine Barauszahlung nach Schweizer Recht ist entgegen den Behauptungen des Ast. im Eilverfahren auch nicht die Unterschrift seiner geschiedenen Ehefrau notwendig. Eine solche Zustimmung ist nach Art. 5 Satz 2 FZG nur bei "verheirateten" oder "verpartnerten" Versicherten notwendig. Der Ast. ist aktuell nicht verheiratet oder verpartnert.

Die Ansprüche der geschiedenen Ehefrau des Ast. aus dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich stehen einer Auszahlung des Freizügigkeitsguthabens nicht entgegen. Der Ehefrau stehen allein Ansprüche gegen den Ast. zu. Auch der familiengerichtliche Vergleich vom 16.01.2007, in dem sich der Ast. gegenüber seine Ehefrau verpflichtet hat, für sie ein Schweizer Freizügigkeitskonto einzurichten und dorthin CHF 23.772,00 zu überweisen, ändert an dieser Rechtslage nichts. Die BVG ist an diesen Vergleich nicht gebunden, nachdem sie an den familiengerichtlichen Verfahren des Ast. in Deutschland nicht beteiligt war. Wie die BVG der Ehefrau des Ast. in dem Schreiben vom 20.03.2007 mitgeteilt hat, folgt sie allein Urteilen Schweizer Gerichte. Ob die Ehefrau mit Aussicht auf Erfolg ein solches Verfahren vor Schweizer Gerichten betreiben könnte, mit dem der BVG die Auszahlung des Freizügigkeitsguthabens an den Ast. untersagt werden könnte, ist hier unerheblich. Ein solches Verfahren ist nicht anhängig, wie die BVG telefonisch gegenüber dem Senat bestätigt hat.

(2) Das Guthaben auf dem Freizügigkeitskonto übersteigt die Vermögensfreibeträge des Ast.

Die Freibeträge nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 SGB II sind hier nicht einschlägig. Sie betreffen geschützte Altersvorsorgevermögen nach deutschem Recht, das nach dem Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen (AltZertG) bei der Zertifizierungsstelle der DRV Bund zertifiziert ist. Hierzu gehört eine, wenn auch obligatorische, Altersvorsorge nach Schweizer Recht nicht.

Auch nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist das Freizügigkeitskonto nicht von einer Verwertbarkeit ausgenommen. Diese Norm betrifft nach ihrem Sinn und Zweck nur private Vorsorgeverträge nach deutschem Recht, für die ein - spezieller - Verwertungsausschluss nach § 168 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) vereinbart worden ist. Aber auch wenn man § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II nach dem weitergehenden Wortlaut der Norm auf ausländische Altersvorsorgeverträge erstrecken wollte, so müsste für diese eine unwiderrufliche Unverwertbarkeit vor dem Eintritt des Versicherten in den Ruhestand bestehen. Dies ist bei dem Freizügigkeitskonto bei der BVG nicht der Fall, da es der Ast., wie ausgeführt, auch jetzt schon auflösen kann.

Die Freibeträge des zurzeit 55-jährigen Ast. nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 SGB II betragen zusammen EUR 9.000,00. Das Guthaben auf dem Freizügigkeitskonto beträgt etwa EUR 92.000,00.

(3) Das Vermögen des Ast. ist nicht nach § 12 Abs. 3 SGB II von der Verwertung ausgenommen.

Es ist zunächst nicht nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II geschützt. Nach dieser Vorschrift kann auch sonstiges Altersvorsorgevermögen Schonvermögen sein, allerdings nur, wenn die leistungsberechtigte Person von der Versicherungspflicht zur (deutschen) Rentenversicherung befreit ist. Dies ist bei dem Ast. nicht der Fall, wie die DRV Bund schriftlich bestätigt hat. Auch der generelle Ausschluss von Leistungsberechtigten nach dem SGB II von der Rentenversicherungspflicht seit dem 01.01.2011 ist keine "Befreiung" im technischen Sinne des § 6 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Der Senat hat noch erwogen, ob § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II auf den Ast. analog angewandt werden muss. Auch der Ast. hat - wie ein von der Rentenversicherungspflicht Befreiter - Teile seiner Altersabsicherung außerhalb des Rentenversicherungssystems erworben, im konkreten Falle im Ausland. Müsste er dieses Vermögen jetzt verwerten, verlöre er seine Altersabsicherung und wäre dann im Alter eventuell weiterhin auf steuerfinanzierte Leistungen angewiesen, konkret auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII). Insofern ist die Interessenlage vergleichbar. Es fehlt jedoch an der unbewussten Regelungslücke, die für eine Analogie notwendig wäre. Der Gesetzgeber hat mit § 12 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 sowie § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II ein detailliertes Regelungssystem für die Verschonung von Altersvorsorgevermögen geschaffen. Es ist nicht ersichtlich, dass er ausländisches Altersvorsorgevermögen anderen, weitergehenden Regeln hätte unterwerfen wollen. Hinzu kommt zumindest seit 2011 die gesetzliche Wertung, dass Leistungsbezieher nach dem SGB II nicht mehr rentenversicherungspflichtig sind. Der Gesetzgeber nimmt seitdem bewusst in Kauf, dass Leistungsberechtigte keine Rentenanwartschaften aufbauen und im Alter auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen sind. Bei dem Ast. konkret ist auch zu berücksichtigen, dass er nach seinen Angaben in dem Erörterungstermin am 12.03.2012 auch bei der DRV Bund eine restliche (nach Versorgungsausgleich) Anwartschaft unterhält, die nach der letzten Rentenmitteilung zurzeit einen Rentenanspruch von monatlich EUR 400,00 bedingt, sodass sein Lebens¬unterhalt im Alter zumindest teilweise gesichert erscheint.

Auch eine besondere Härte nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II bei der Auszahlung des Freizügigkeitskontos sieht der Senat nicht. Zwar verlangt die BVG tatsächlich von dem Versicherten die Erklärung, nicht wieder in die Schweiz zurückkehren zu wollen und dort auch nicht mehr erwerbstätig zu werden. Diese Erklärung abzugeben ist jedoch nicht unzumutbar. Der Ast. hat zwar vorgetragen, er wolle sich seine Chancen offen halten, wieder in der Schweiz zu arbeiten. In dem Erörterungstermin am 12.03.2012 hat er ergänzend ausgeführt, die Arbeitsmarktlage für Techniker bzw. Informatiker wie ihn sei in der Schweiz besser als zumindest im deutschen Grenzgebiet. Er hat jedoch auch eingeräumt, auf seine Bewerbungen in der Schweiz bislang nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein. Nachdem der Ast. bereits seit mindestens sieben Jahren keine Anschlussbeschäftigung in der Schweiz gefunden hat, muss die bei § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II nötige Abwägung zu seinen Lasten ausgehen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass einem Leistungsberechtigen nach § 10 Abs. 1 SGB II jede Arbeit zumutbar ist. Der Ast. kann sich daher nicht darauf berufen, in einem bestimmten Berufsfeld, das möglicherweise seiner Ausbildung entspricht, seien die Berufsaussichten in der Schweiz besser (§ 10 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGB II). Außerdem müsste für einen Vergleich der Berufsaussichten das gesamte Bundesgebiet herangezogen werden (§ 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB II).

Der Senat sieht auch keinen Verstoß gegen europarechtliche Rechte des Ast., wenn ihm jetzt - mittelbar über das SGB II - die genannte Erklärung abverlangt wird. Die europäischen Grundfreiheiten verlangen von den Mitgliedsstaaten - und ggfs. über bilaterale Abkommen wie das Freizügigkeitsabkommen auch von der Schweiz -, dass sie Angehörige anderer Staaten nicht schlechter stellen als eigene Staatsangehörige. Vor diesem Hintergrund kann es nicht europarechtswidrig sein, wenn Deutschland von Inländern - mittelbar - eine Erklärung verlangt, nicht wieder in einem bestimmten anderen Staat arbeiten zu wollen.

bb) Auch ein Darlehensanspruch nach § 24 Abs. 5 Satz 1 SGB II steht dem Ast. ab Februar 2012 nicht zu. Ihm ist auch die sofortige Verwertung des Freizügigkeitskontos in der Schweiz möglich. Das Antragsverfahren vor der BVG dauert - ab Eingang des vollständig ausgefüllten Auszahlungsantrags, des Scheidungsurteils und der genannten Erklärung - etwa vier Wochen. Diesen Zeitrahmen hat der Ast. während des Eilverfahrens vor dem SG angegeben, nachdem er eine entsprechende Auskunft der BVG erhalten hatte. Sein in der Beschwerdeinstanz neu eingebrachter Vortrag, das Verfahren werde vier Monate dauern, hat sich nicht bestätigt. Die BVG hat gegenüber dem Senat bestätigt, dass mit vier Wochen zu rechnen sei. Vor diesem Hintergrund hat es ausgereicht, dass der Ag. dem Ast. für Dezember 2011 und Januar 2012, also für insgesamt fast neun Wochen, bereits darlehensweise Leistungen gewährt hat.

2. Ebenso zu Recht hat das SG den PKH-Antrag des Ast. für die erste Instanz zurückgewiesen. Aus der Sicht des SG waren hinreichende Erfolgsaussichten nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) zu verneinen. Bereits nach den Angaben des Ast. im Verfahren erster Instanz, vor allem wegen der dort vorgetragenen vierwöchigen Dauer eines Auszahlungsverfahrens, die bereits bei Stellung des Eilantrags verstrichen waren, waren Erfolgsaussichten zu verneinen.

3. Dagegen kann dem Ast. für das Beschwerdeverfahren PKH bewilligt und sein Verfahrensbevollmächtigter beigeordnet werden.

Der Ast. ist, nachdem er keine Leistungen des Ag. mehr erhält und über sein Altersvorsorgevermögen in der Schweiz mangels ausreichender Antragstellung noch nicht verfügt, bedürftig.

In der Beschwerdeinstanz waren hinreichende Erfolgsaussichten nicht von Anfang an zu verneinen. Insbesondere hatte der Ast. hier eine längere Dauer von vier Monaten für das Auszahlungsverfahren vorgetragen. Dieser neue Vortrag musste überprüft werden. Auch wenn er sich letztlich als nicht zutreffend herausgestellt hat, so waren doch Ermittlungen notwendig.

Mutwilligkeit ist nicht erkennbar.

4. Die Entscheidung über die Kostenerstattung zwischen den Beteiligten beruht auf § 193 SGG.

5. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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