L 12 AS 3067/15 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 1652/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3067/15 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 10.07.2015 aufgehoben, soweit der Antragsgegner zur Gewährung von Leistungen für die Zeit bis zum 05.08.2015 verpflichtet worden ist, und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auch insoweit abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Durch Bescheid vom 21.05.2015 bewilligte der Antragsgegner der 1982 geborenen Antragstellerin und ihren mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden minderjährigen Kindern A., D. und C. B. für die Zeit vom 01.06.2015 bis 30.11.2015 vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich zusammen 88,53 EUR. Dabei wurde der Vater der Kinder C. F. als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft angesehen und sein Einkommen aus dem Bezug von Arbeitslosengeld berücksichtigt. Dies ist der wesentliche Streitpunkt zwischen den Beteiligten.

Der Widerspruch der Antragstellerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2015 zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 01.06.2015, beim Gericht eingegangen am 08.06.2015, hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie lebe nicht mit C. F. zusammen; von 88,00 EUR könnten sie und ihre Kinder nicht leben.

Durch Beschluss vom 10.07.2015 hat das SG den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab dem 01.06.2015 bis zur Bestandskraft des Widerspruchsbescheids, längstens bis zum 30.11.2015, Leistungen in Höhe von 70 % des Regelsatzes nach dem SGB II sowie die vollen angemessen Kosten der Unterkunft und Heizung ohne Berücksichtigung von C. F. als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu gewähren. Der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund seien glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin habe an Eides statt versichert, dass sie mit C. F. nicht zusammen wohne, und die Schilderung der Kontakte mit C. F. sei nicht völlig unplausibel.

Gegen diesen ihm am 14.07.2015 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 23.07.2015 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Beschwerde eingelegt. Er bestreitet weiterhin den Anordnungsanspruch, wobei er auf etliche Umstände und Widersprüchlichkeiten hinweist, die nach seiner Auffassung ein Zusammenleben der Antragstellerin mit C. F. belegen. Ferner trägt er vor, gegen den Widerspruchsbescheid vom 12.06.2015 sei kein Rechtsmittel eingelegt worden. Dies habe die Antragstellerin selbst auf telefonische Nachfrage vom 21.07.2015 erklärt; dem SG habe am 22.07.2015 noch keine Klage vorgelegen. Mit Blick auf den Änderungsbescheid vom 12.08.2015 (siehe dazu nachfolgend) hat der Antragsgegner seine Beschwerde auf den Zeitraum bis zum 05.08.2015 beschränkt.

Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen. U. a. trägt sie vor, gegen den Widerspruchsbescheid vom 12.06.2015 habe sie "immer pünktlich Klage eingereicht".

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin den Änderungsbescheid vom 12.08.2015 erteilt. Die Leistungshöhe für Juni und Juli 2015 ist unverändert geblieben, für August 2015 hat er einen monatlichen Gesamtbetrag in Höhe von 691,80 EUR und für September 2015 bis November 2015 einen monatlichen Gesamtbetrag in Höhe von jeweils 848,43 EUR vorläufig bewilligt. Zur Begründung ist ausgeführt, eine Änderung sei dadurch eingetreten, dass der Anspruch von C. F. auf Arbeitslosengeld I am 05.08.2015 geendet habe; das Einkommen werde somit ab dann nicht mehr bei der Berechnung der Leistungen berücksichtigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten beider Rechtszüge und der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist - im jetzt noch aufrecht erhaltenen Umfang für die Zeit vom 01.06.2015 bis 05.08.2015 - zulässig und begründet. Für die anschließende Zeit verfolgt der Antragsgegner seine Beschwerde zu Recht nicht mehr weiter, weil er, wenn auch aus anderen Gründen und unabhängig vom Beschluss des SG vom 10.07.2015, mit dem Änderungsbescheid vom 12.08.2015 im Ergebnis höhere Leistungen als vom SG zugesprochen gewährt und damit für eine Beschwerde kein Bedürfnis mehr besteht.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), gerichtet auf die Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II (für die jetzt nur noch streitige Zeit vom 01.06. bis zum 05.08.2015), ist nicht (mehr) zulässig, weil es keinen weiteren durchsetzbaren Hauptanspruch mehr gibt, hinsichtlich dessen eine vorläufige Regelung in Betracht kommt. Der die Höhe des Leistungsanspruchs der Antragstellerin für die Zeit vom 01.06. bis 05.08.2015 regelnde Bescheid des Antragsgegners vom 21.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.06.2015 ist bestandskräftig geworden. Die Bindungswirkung steht einer einstweiligen Regelung des Leistungsanspruchs entgegen (siehe z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.09.2014 - L 20 AS 2061/14 B ER -, juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 26d).

Die Antragstellerin hat gegen den Widerspruchsbescheid vom 12.06.2015 nicht - jedenfalls nicht innerhalb der Klagefrist - Klage erhoben. Die einmonatige Klagefrist (§ 87 SGG) gegen den mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Widerspruchsbescheid vom 12.06.2015, der am 15.06.2015 zur Post gegeben worden ist (vgl. das Schreiben des Antragsgegners vom 30.06.2015 im erstinstanzlichen Verfahren) und somit am 18.06.2015 als bekannt gegeben gilt (§ 37 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X -), endete, da der 18.07.2015 ein Samstag war, am 20.07.2015 (§ 64 SGG). Der Antragsgegner hat bereits mit der Beschwerdeschrift vom 23.07.2015 vorgetragen, nach seiner Kenntnis und wie die Antragstellerin auf telefonische Rückfrage am 21.07.2015 und das SG am 22.07.2015 bestätigt hätten, sei keine Klage erhoben worden. Der Senat hat beim SG telefonisch nachgefragt und am 24./25.08.2015 die Auskunft erhalten, nach Abschluss des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes S 8 AS 1652/15 ER sei erst am 27.07.2015 ein Schreiben der Antragstellerin mit Datum vom 20.07.2015 eingegangen. Dieses als "Widerspruch" bezeichnete, beim SG unter dem Aktenzeichen S 8 AS 2195/15 geführte Schreiben lässt sich auf Grund seines unklaren Inhalts noch nicht einmal als Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 12.06.2015 deuten, wie sich aus der vom SG dem Senat übermittelten Kopie ergibt. Den Schreiben der Antragstellerin im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens S 8 AS 1652/15 ER ist eine solche Klage ebenfalls nicht zu entnehmen. Andererseits hat das SG die Antragstellerin bereits in der Verfügung vom 12.06.2015 darauf hingewiesen, dass sie gegen den Bescheid des Antragsgegners entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung Widerspruch einlegen sollte, da dieser sonst bestandkräftig werde; der Beschluss vom 10.07.2015 enthält am Ende den Hinweis auf die Notwendigkeit einer Klage zur endgültigen Klärung in einem Hauptsacheverfahren. Die Antragstellerin trägt zwar mit Schreiben vom 01.08.2015 vor, sie habe immer pünktlich Klage eingereicht, hat allerdings keine weiteren konkreten Angaben gemacht und keine Belege vorgelegt. Nach all dem ist davon auszugehen, dass gegen den Widerspruchsbescheid vom 12.06.2015 nicht fristgerecht Klage erhoben worden ist.

Aus dem Änderungsbescheid vom 12.08.2015 ergibt sich für den hier interessierenden Zeitraum bis 05.08.2015 kein anderes Ergebnis. Insoweit handelt es sich um keinen Zweitbescheid, also um den Erlass eines Bescheids auf Grund erneuter sachlicher Prüfung nach bereits bestandskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahren, der erneut den Rechtsweg eröffnet, sondern lediglich um eine wiederholende Verfügung ohne Einfluss auf die eingetretene Bestandskraft. Zwar ist in diesem Bescheid der gesamte Zeitraum vom 01.06.2015 bis 30.11.2015 genannt und sind die unveränderten Leistungsbeträge für die Monate Juni und Juli 2015 angegeben. Die Qualifizierung als nur wiederholende Verfügung ergibt sich indessen aus den für die ersten beiden Monate bzw. bis 05.08.2015 unverändert der Berechnung zu Grunde gelegten Daten, zusammen mit der Bezeichnung des Bescheids als Änderungsbescheid und der Begründung, es sei eine Änderung dadurch eingetreten, dass der Anspruch von C. F. auf Arbeitslosengeld I am 05.08.2015 ende und das Einkommen somit ab dann nicht mehr bei der Berechnung der Leistungen berücksichtigt werde.

Auch der Charakter des Bescheids vom 21.05.2015 als Bescheid über eine vorläufige Leistung nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) steht dem Eintritt der Bestandskraft nicht entgegen. Denn auch eine solche vorläufige Leistungsgewährung kann in Bestandskraft erwachsen (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 139/10 R - , SozR 4-4200 § 11 Nr. 38).

Ob für die Zeit vom 01.06. bis 07.06.2015 die Beschwerde auch unter dem Gesichtspunkt begründet ist, dass Leistungen im Wege einer einstweiligen Anordnung bei Vorliegen der Voraussetzungen in der Regel erst ab Eingang des Eilantrags bei Gericht zuzusprechen sind (Keller a.a.O. Rn. 35a m.w.N.), kann dahinstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Da ohne den Änderungsbescheid vom 12.08.2015 sich der Eintritt der Bestandskraft des Bescheids vom 21.05.2015 letztlich für den gesamten Zeitraum bis 30.11.2015 ausgewirkt hätte und einer einstweiligen Anordnung entgegengestanden wäre, entspricht es nach Auffassung des Senats der Billigkeit, von einer Erstattung außergerichtlicher Kosten der Antragstellerin abzusehen.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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