L 13 AS 3144/15 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AS 4121/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 3144/15 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. März 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers, gerichtet auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm (SG) vom 7. März 2014 ist zulässig (vgl. § 145 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

Die Beschwerde ist auch nicht wegen Verfristung als unzulässig zu verwerfen. Zwar hat der Kläger erst am 27. Juli 2015 gegen das ihm am 27. März 2014 zugestellte Urteil Beschwerde erhoben, sodass die Beschwerdefrist (§ 145 Abs. 1 S. 2 SGG) nicht eingehalten ist. Das angefochtene Urteil ist mit einer nicht zutreffenden Rechtsmittelbelehrung (Berufung) versehen. Dementsprechend hatte der Kläger am 27. April 2014 auch zunächst Berufung eingelegt. Entgegen der Rechtsmittelbelehrung das angefochtenen Urteils ist die Berufung nicht statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes den maßgeblichen Betrag von 750,00 EUR nicht übersteigt.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, in der hier anwendbaren und ab 1. April 2008 geltenden Fassung, bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dieser Beschwerdewert wird vorliegend nicht erreicht; der Ausnahmetatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor. Gegenstand des Klageverfahrens ist zunächst der Bescheid vom 6. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. November 2011 gewesen. Mit diesem Bescheid hatte die Rechtsvorgängerin des Beklagten dem Kläger im Hinblick auf das noch nicht im Einzelnen feststehende Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit zunächst vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes vom 1. Juli 2011 bis zum 31. Dezember 2011 bewilligt und nach einem fiktiv angesetzten Einkommen einen restlichen Regelleistungsanspruch in Höhe von monatlich 44,00 EUR errechnet.

Nach der Klageerhebung hat der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 14. Juni 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. Dezember 2011 endgültig bewilligt und gleichzeitig die Erstattung in diesem Zeitraum überbezahlter Leistungen in Höhe von 2.694,00 EUR verfügt. Dieser Bescheid hat den ursprünglich angefochtenen Bescheid ersetzt (§ 96 SGG). Mit dem an das SG gerichteten Schriftsatz vom 30. Juli 2013 hat der Beklagte den Bescheid vom 14. Juni 2012 wiederum abgeändert und für den zuvor bezeichneten Zeitraum die Erstattungsforderung auf insgesamt 264,00 EUR reduziert. Dieses in dem Schriftsatz enthaltene Teilanerkenntnis besitzt bereits Regelungscharakter (§ 31 SGB X) und damit Verwaltungsaktsqualität. Der Bescheid vom 30. Juli 2013 hat den Bescheid vom 14. Juni 2012 unmittelbar abgeändert und ist gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Somit ist Gegenstand des Klageverfahrens der Bescheid vom 14. Juni 2012 in der Fassung des Bescheids vom 30. Juli 2013. Letztlich hat der Beklagte somit gegen den Kläger noch eine Forderung wegen festgestellter Überzahlung von Regelleistungen in Höhe von 264,00 EUR für den zuvor bezeichneten Zeitraum geltend gemacht. Damit ergibt sich für den Kläger aus dem klageabweisenden Urteil keine Beschwer von über 750,00 EUR; auch sind nicht Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen.

Die Beschwerdeerhebung war daher auch am 27. Juli 2015 noch möglich. Die nicht zutreffende Rechtsmittelbelehrung ist einer Belehrung, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei (§ 66 Abs. 2 S. 1 2. Halbsatz 2. Alt. SGG), gleichzustellen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG § 66 Rdnr. 13d m.w.N.), so dass die Beschwerde auch noch nach Ablauf eines Jahres nach der Zustellung des Urteils hat eingelegt werden können. Die nach Hinweis des Senats auf das statthafte Rechtsmittel eingelegte Beschwerde vom 27. Juli 2015 ist daher als fristgerecht anzusehen.

Die Beschwerde des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des SG ist jedoch nicht begründet; die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

Da das SG eine Zulassung der Berufung nicht ausgesprochen hat, bedarf eine Berufung der Zulassung durch Beschluss des Landessozialgerichts (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor. Der Rechtssache kommt zunächst keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine Klärung erfolgt (ständige Rechtsprechung des BSG seit BSGE 2, 121, 132 zur entsprechenden früheren Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (so Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 144 Rdnr. 28; vgl. dort auch § 160 Rdnr. 6 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage in diesem Sinn wirft die Streitsache nicht auf. Zwischen den Beteiligten ist lediglich streitig, ob das Einkommen des Klägers aus selbständiger Tätigkeit nach § 3 Abs. 2 der ALG II-VO ohne Rücksicht auf steuerliche Vorschriften durch Schätzung ermittelt werden durfte, weil das tatsächliche Einkommen nicht innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach Ende des Bewilligungsabschnitts nachgewiesen worden ist sowie ob und wie der Beklagte zeitlich nach Erlass der angefochtenen Bescheide vom Kläger eingereichte Unterlagen zu berücksichtigten hat. Die insoweit anzustellenden Erwägungen und Überlegungen sind auf den Einzelfall bezogen und werfen keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung auf. Eine solche liegt insbesondere nicht darin, dass der Beklagte - nach der Behauptung der Klägers - weitere Belege hätte abwarten müssen. Weder dieser Umstand noch das Vorbringen im Klageverfahren lassen eine grundsätzliche Bedeutung erkennen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Erwägungen zur Richtigkeit der Entscheidung des SG für die Frage der grundsätzlichen Bedeutung bereits systematisch verfehlt und irrelevant sind (Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 145 Rdnr. 5).

Darüber hinaus liegt auch eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht vor. Eine solche Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt (vgl. hierzu Leitherer, a.a.O., § 160 Rdnr. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Einen Rechtssatz in diesem Sinn hat das SG in seinem Urteil nicht aufgestellt, so dass eine Divergenz nicht in Betracht kommt.

Letztlich ist auch ein wesentlicher Mangel des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des dritten Zulassungsgrundes nicht erfolgreich geltend gemacht worden.

Soweit der Kläger geltend macht, an der Teilnahme bei der mündlichen Verhandlung am 7. März 2014 krankheitsbedingt gehindert gewesen zu sein und um Vertagung gebeten zu haben, folgt hieraus nicht anderes. Denn nach den zutreffenden Ausführungen des SG ist die Verhinderungsanzeige des Klägers erst wenige Minuten vor Terminbeginn (14.00 Uhr) an das SG gefaxt worden (13.47 Uhr ). Mit einer Vorlage im Gerichtssaal binnen weniger Minuten kann bei ernsthafter Betrachtung der gerichtsinternen Abläufe nicht gerechnet werden. Dennoch hat das SG in zutreffender Weise über eine Viertelstunde, bis 14.17 Uhr, mit der Termineröffnung gewartet. Auf einen Ordnungsgeldbeschluss zu Lasten des Klägers, dessen persönliches Erscheinen an sich angeordnet war, hat das SG gleichwohl verzichtet. Die dann erfolgte Eröffnung und Durchführung der mündlichen Verhandlung am SG in Abwesenheit des Klägers stellt daher keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs und damit keinen wesentlichen Mangel des gerichtlichen Verfahrens dar.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 SGG.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).

Das angefochtene Urteil des SG wird hiermit rechtskräftig (vgl. § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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