L 1 U 4372/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 1477/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 4372/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.10.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger am 15.10.2001 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Der 1971 geborene Kläger stammt aus der Türkei und hält sich nach seinen Angaben seit 1994 in Deutschland auf. Zum Zeitpunkt des angeschuldigten Ereignisses war er bei der Schreinerei H. GmbH in R. versicherungspflichtig beschäftigt.

Ausweislich des Zweitausdruckes des Durchgangsarztberichtes des Chefarztes der Chirurgischen Abteilung der Kreisklinik B. Dr. H. vom 15.10.2001 stellte sich der Kläger an diesem Tag um 15.06 Uhr dort vor. Die Angaben des Klägers wurden in dem Bericht wie folgt wiedergegeben: "Beim Abladen und Einschlagen von Holzbalken fiel dieser um, als der UV ihn heben wollte verspürte er plötzlich starke Schmerzen im HWS-Bereich." Als Unfallzeitpunkt angegebenen ist der 15.10.2001, 13.10 Uhr. Arbeitsbeginn sei um 7.00 Uhr gewesen. Zum Verhalten nach dem Unfall heißt es: "ging heim kam dann hierher". Weiter enthält der Zweitausdruck den Vermerk: "Eingetroffen mit: Rettungswagen". Dr. H. erhob den Befund eines Druckschmerzes über dem BWK 4 und 5 mit radikulärer Ausstrahlung beidseits sowie in der Nackenregion. Es hätten deutliche Bewegungseinschränkungen, aber keine neurologischen Ausfälle bestanden. Weiter heißt es im Befund: "Kein direktes Trauma erinnerlich." Das Röntgen der Brustwirbelsäule (BWS) in zwei Ebenen habe keinen Nachweis einer frischen ossären Läsion erbracht. Dr. H. diagnostizierte eine Blockade in der oberen BWS mit radikulärer Ausstrahlung. Es handele sich um keinen Unfall im Sinne des Gesetzes.

Der Vorgang wurde bei der Beklagten als Bagatellfall geführt; die Originalakte ist inzwischen vernichtet.

In einem an die Bau-BG gerichteten Schreiben des Klägers vom 09.05.2011 (Eingang dort am 13.05.2011) begehrte dieser u.a. Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines im Jahr 2001 bei der Firma H. erlittenen Arbeitsunfalls, welchen er mit "Umkippen eines Fahnenmastes" umschrieb. Die B.-BG gab den Vorgang zuständigkeitshalber an die Beklagte ab.

Diese zog neben dem Zweitausdruck des Durchgangsarztberichts vom 15.10.2001 auch einen Befundbericht der Neurochirurgischen Praxis des Dr. P. vom 28.06.2011 bei, wonach der Kläger diesem gegenüber u.a. angegeben habe, 2001 bei der Firma H. Innenausbau einen fallenden Fahnenmast abgefangen zu haben, worauf wieder stärkste Zervikalgien bestanden hätten.

Mit an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 04.09.2011 führte der Kläger aus, am Tag des Unfalls sei er von seinem Freund zu Dr. W. gefahren worden, der ihn wiederum in das Krankenhaus geschickt habe. Denen habe er die Stellen gezeigt, an denen er die Schmerzen und die Verletzung gehabt habe. Sie hätten ihn zum Röntgen geschickt und ihm gesagt, dass er orthopädisch gesehen an den Knochen keine Verletzungen habe. Sie hätten ferner gesagt, dass eine Verletzung an den Muskeln (Muskelriss) und "das die Nerven mehrer Schäden getragen haben könnten." Nach einiger Zeit hätte auch die AOK ihn untersucht. Sie habe ihm bestätigt, weiterhin krank zu sein.

Die Beklagte zog hierauf das für die AOK Z. am 31.10.2001 von Dr. S. vom Medizinischen Dienst der K. B.-W. (MdK) auf Veranlassung des Arbeitgebers wegen Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit erstattete sozialmedizinische Gutachten bei. Hiernach sei er seit Juli 2001 bei der Schreinerei H. beschäftigt gewesen; zum 25.10.2001 sei das Beschäftigungsverhältnis gekündigt. Der Kläger sei seit dem 25.10.2001 arbeitsunfähig. Die Arbeitsunfähigkeit sei wegen Schmerzen im Nacken, im Schultergürtel und im Bereich der oberen BWS zustande gekommen. Beschwerdebeginn Mitte Oktober 2001, nach Angabe der Ehefrau nach einem "Unfall" am Arbeitsplatz. Dr. S. erhob den Befund einer freien Kopfbeweglichkeit, eines Klopfschmerzes über der mittleren BWS, einer druckschmerzhaften Schultergürtelmuskulatur rechts, eines Druckschmerzes über der rechtsparavertebralen Rückenstreckermuskulatur in Höhe der oberen BWS und über der linksparavertebralen Rückenstreckermuskulatur in Höhe der mittleren BWS. Anhaltspunkte für Prellungen oder Hämatome im Bereich des Brustkorbs oder der Schultern beschrieb er nicht. Der Einschätzung der Kreisklinik B., welche das Vorliegen eines Arbeitsunfalls verneint habe, sei sozialmedizinisch zuzustimmen.

Der ambulant nachbehandelnde Orthopäde Dr. S. übersandte seine Karteieinträge. Hiernach habe der Kläger am 19.10.2001 angegeben, Schmerzen an der LWS zu haben und am 15.10.2001 im Krankenhaus gewesen zu sein. Er diagnostizierte eine BWS-Blockierung, ein BWS-Syndrom und eine paravertebrale Tendomyopathie (Bl. 72 VA).

Nach Beiziehung eines Reha-Entlassungsberichts der Reha-Klinik S., D., vom 18.07.2011 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.09.2011 die Anerkennung des Ereignisses vom 15.10.2001 als Arbeitsunfall ab. Aus dem Durchgangsarztbericht vom 15.10.2001 gehe hervor, dass bei der Untersuchung am selben Tag eine Blockade im Bereich der oberen Brustwirbelkörper mit radikulärer Ausstrahlung als Befund erhoben worden sei. Zum Hergang sei dokumentiert worden, dass der Kläger beim Anheben eines umgefallenen Holzbalkens plötzlich starke Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule verspürt habe. Bei dem geschilderten Hergang handele es sich um einen bewussten, koordinierten Bewegungsablauf, der biomechanisch nicht geeignet gewesen sei, unfallbedingte Verletzungen der Wirbelsäule hervorzurufen, zumal dabei die in diesem Körperbereich vorhandenen Strukturen nicht regelwidrig belastet worden seien.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 05.10.2011 Widerspruch, welcher zur weiteren Begründung das Schreiben des Klägers vom 03.10.2011 samt einer Skizze beifügte (Bl. 107 bis 109 VA). Am fraglichen Tag hätten mehrere Fahnenmasten aufgestellt werden sollen. Sein Chef, Herr H., und ein weiterer Kollege hätten mit dem Kläger zusammengearbeitet. Es habe sich um ca. sieben Meter lange Metallpfosten mit einem Durchmesser von ca. 15 bis 20 cm gehandelt. Er habe den Pfosten in seine Höhe hochgehoben, der Kollege sei dann mit den Latten gekommen und habe diese an die Spitze des Pfostens gehalten, um diesen in die Höhe zu schieben. Er habe seinem Kollegen zu Hilfe eilen wollen, als sich der Pfosten von den Latten "entreiste" und direkt auf ihn gefallen sei. Er sei genau auf seine linke Schulter und auf seinen Brustkörper gefallen, gleichzeitig sei er nach hinten mit dem Rücken auf den Boden gefallen. Mit seinen Händen habe er den Pfosten abzufangen versucht, habe aber nur seinen Kopf schützen können. Sein Chef und der Kollege hätten ihm aufgeholfen. Er habe im Lendenbereich und in der linken Schulter sowie zwischen den Schultern und im ganzen Brustkörper einen stechenden und brennenden Schmerz verspürt. Als er versucht habe, seine Schulter zu bewegen, habe er den brennenden und stechenden Schmerz verspürt und sich dabei kaum bewegen können. Er sei zu seinem Hausarzt gefahren worden, welcher ihn ohne Untersuchung an das Krankenhaus Balingen verwiesen habe. Mit Stellungnahme vom 25.01.2012 führte der Beratungsarzt der Beklagten, Dr. B., aus, nach der Skizze könne der Kläger nur eine Prellung der Wirbelsäulenmuskulatur erlitten haben. Nach der Skizze sei der Bereich aber nicht eingrenzbar, am wenigsten betroffen scheine die HWS zu sein. Eine Prellung der Muskulatur könne natürlich zur Bewegungseinschränkung (Blockade) führen. Eine derartige Prellung heile nach ca. vier Wochen aus.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. In den Gründen führte sie aus, Unterlagen aus dem Jahr 2001 lägen ihr nicht mehr vor. Die damalige Akte sei nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet worden. Ein damals vom Kläger übersandter Fragebogen könne daher nicht mehr herangezogen werden. Aus den beigezogenen Unterlagen ergäben sich keinerlei Hinweise auf eine relevante traumatische Verletzung. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem geschilderten Ereignis und den von dem Kläger noch heute geklagten Beschwerden sei daher nicht hinreichend wahrscheinlich. Doch auch wenn man den nun geschilderten Hergang als erwiesen zugrunde legen könnte, würde hieraus nur eine folgenlos ausgeheilte Prellung der Wirbelsäule resultieren. Ein Leistungsanspruch bestehe nicht.

Gegen den am 4.5.2012 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 24.05.2012 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und die Gewährung von Prozesskostenhilfe begehrt. Am 15.10.2001 habe der Kläger beim Aufrichten eines Fahnenmastes mitzuwirken gehabt. Anwesend sei sein damaliger Chef, Herr C. H., gewesen. Name und Wohnort des mitarbeitenden Kollegen hätten nicht mehr eruiert werden können. Der Mast sei gekippt und habe den Kläger, der ihn habe auffangen wollen, zu Boden geworfen. Es bestehe ein HWS-, BWS- und LWS-Syndrom. Insbesondere sei durch den Fahnenmast eine Schulterverletzung links ausgelöst worden. Es handele sich um einen Arbeitsunfall.

Die Beklagte ist der Klage unter Berufung auf die angefochtenen Bescheide entgegen getreten.

Im Erörterungstermin vom 24.02.2014 hat das SG den Kläger persönlich angehört. Dieser hat angegeben, er sei mit seinem damaligen Chef und einem weiteren Mitarbeiter dabei gewesen, einen Metallpfosten aufzurichten. Der Mitarbeiter habe eine Holzlatte geholt, sie mit einem "Zwinger" (gemeint war wohl eine Schraubzwinge) befestigt und der ehemalige Arbeitgeber sei am Fuß des Pfostens gestanden. Beim Aufrichten sei der Pfosten "aus dem Zwinger gerutscht" und auf seine Schulter gefallen. Er sei nach hinten umgefallen und habe auf dem Rücken gelegen. Weiter hat er erklärt: "Meine Füße waren nach oben und ich hatte Schwierigkeiten beim Atmen." Er sei dann zum Betrieb gebracht worden, die Frau seines damaligen Chefs sei gerufen worden und habe ihn auf dem Rücksitz ihres PKW zunächst zu Dr. W. gefahren, der ihn ins Krankenhaus weitergeleitet habe. Dort habe er eine Sauerstoffmaske erhalten und sei dann nach ca. zweieinhalb Stunden von einem Arzt zum Unfallhergang befragt worden, den er wie geschehen geschildert habe. Der Arzt habe gesagt, seine Chefin habe etwas anderes erzählt. Man glaube ihr aber nicht, sondern man glaube ihm. Den ihm zugesandten Unfallfragebogen habe er ausgefüllt und zurückgeschickt, jedoch nie eine Antwort erhalten. In dem Termin hat das SG auch seinen ehemaligen Arbeitgeber als Zeugen vernommen. Dieser hat angegebenen, sie seien an dem Tag zu dritt gewesen und hätten einen Fahnenmast aufstellen wollen. Wer der dritte Mann gewesen sei, wisse er nicht mehr. Als sie angehoben hätten, habe er (der Kläger) plötzlich geschrien, es sei ihm hinten reingefahren, und sei heimgegangen. Um 11.00 Uhr habe er die Kündigung erhalten und um 14.00 Uhr habe seine Frau eine Krankmeldung gebracht. Er könne sich nicht erinnern, dass seine Ehefrau mit dem Vorgang befasst gewesen sei. Der Kläger sei ins Auto gestiegen und heim gefahren. Der Fahnenmast sei etwa 5,80 Meter noch gewesen, aus Aluminium und oval. Vom Gewicht her, wenn er waagrecht sei, könne er ihn alleine tragen.

Ausweislich des aktenkundigen Vorerkrankungsverzeichnisses (Bl. 88 SG-Akte) war der Kläger wegen einer Radikulopathie vom 15.10.2001 bis zum 19.10.2001 und dann wieder vom 25.10.2001 bis zum 31.10.2001 arbeitsunfähig erkrankt.

Aktenkundig ist auch ein Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. R. vom 25.11.2001 (Bl. 98 SG-Akte), wonach der Kläger am 13.11.2001 anamnestisch angegeben habe, er leide an Schmerzen links präkordial seit einer Verletzung. Beim Halten eines wegrutschenden Fahnenmastes auf die Seite habe es in BWS geknackt, "seither Schmerzen BWS und vorderer Brustkorb."

Im Erörterungstermin vom 15.9.2014 hat das SG die Ehefrau des ehemaligen Arbeitgebers als Zeugin vernommen. Sie hat angegeben, insgesamt drei Personen, ihr Mann, ein weiterer Mitarbeiter und der Kläger seien rausgegangen, um die Fahnenmasten aufzustellen. Dann sei ihr Mann plötzlich reingekommen, habe gescholten und geschimpft, der Kläger habe sich verletzt, ein Fahnenmast sei abgerutscht. Sie sei dann rausgegangen, der Kläger habe Schmerzen gehabt, sie glaube, in der linken Seite seiner Brust. Sie habe dann entschieden, ihn nach B. in das Krankenhaus zu fahren. Die Schmerzen, die er gehabt habe, seien mit Sicherheit durch den Aufprall verursacht worden. Sie gehe davon aus, dass es einen Aufprall gegeben haben müsse, "sonst hätte er die Schmerzen nicht gehabt." Der Kläger habe schneeweiß ausgesehen und Atembeschwerden gehabt. In der Notaufnahme habe sie gewartet, bis er untersucht worden sei. Sie habe dort keine Angaben zum Hergang des Unfalls gemacht und sei auch nicht danach gefragt worden. Sie habe ihn dann nach Hause gebracht.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.10.2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der ursprünglich angenommene Geschehensablauf, wie er sich aus der Beschreibung im Durchgangsarztbericht des Dr. H. vom 15.10.2001 ergebe (Schmerzen nach Anheben eines Holzbalkens), könne für die Prüfung eines Arbeitsunfalls nicht herangezogen werden, weil der Kläger diesen Hergang gerade bestreite und das Unfallereignis im Sinne eines Sturzes unter einen herabfallenden Fahnenmast beschreibe. Aber auch dieser Geschehensablauf sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellbar, so dass letztlich offenbleiben müsse, welches konkrete Ereignis letztlich zur Vorstellung im Krankenhaus am 15.10.2001 geführt habe.

Der Zeuge H. habe das Geschehen so geschildert, dass es dem Kläger "hinten reingefahren" sei, was im Groben in Übereinstimmung mit den Angaben des Durchgangsarztberichtes stehe. Die Zeugin H. habe das Unfallgeschehen nicht beobachtet, lediglich die Beschwerdeschilderung des Klägers nach dem Ereignis vom 15.10.2001 im Wesentlichen bestätigt. Gegen die Unfallschilderung des Klägers sprächen allerdings sämtliche Arztberichte aus der damaligen Zeit, namentlich der Durchgangsarztbericht des Dr. H. vom 15.10.2001, die Arztbriefe des Dr. S. vom 19.10.2001 und 26.11.2001, in denen von einem Arbeitsunfall nicht ansatzweise die Rede sei, der Arztbrief des Dr. R. vom 25.11.2001, der den Hergang nicht so belege, wie er vom Kläger geschildert worden sei, und schließlich das Gutachten des Dr. S. vom 31.10.2001. Zu einer vom Kläger behaupteten massiven Verletzung im Rahmen des strittigen Ereignisses passe auch nicht, dass er nur kurze Zeit arbeitsunfähig gewesen sei und erst nach jahrelanger Berufstätigkeit im Jahr 2011 wieder auf das Unfallereignis zurückgekommen sei.

Gegen den ihm am 15.10.2014 per Postzustellungsurkunde zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21.10.2014 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das Ergebnis des Gerichtsbescheides, dass der Zeugenaussage der Frau des ehemaligen Arbeitgebers kein Beweiswert zukomme, sei unplausibel. Diese habe den damaligen Sachverhalt so geschildert, dass ihre Schilderung zwanglos mit dem Vorbringen des Klägers in Einklang zu bringen sei. Zwar habe sie den Unfall selbst nicht beobachtet, habe aber konkret geschildert, mit welchen Arbeiten ihr Mann und der Kläger zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens beschäftigt gewesen seien, dass nämlich Fahnenmasten aufgestellt werden sollten. Sie habe weiter geschildert, dass dann von ihrem Mann berichtet worden sei, dass der Kläger sich verletzt habe, als ein Fahnenmast abgerutscht sei. Schon auf Grund der offenkundig unzureichenden Würdigung dieser Aussage könne der Gerichtsbescheid keinen Bestand haben. Es werde angeregt, die Beweisaufnahme, insbesondere durch Einvernahme des damaligen Arbeitgebers des Klägers und seiner Ehefrau nachzuholen und auf der Grundlage dieser beiden Aussagen und der heranzuziehenden Arztberichte eine Entscheidung zu treffen. Der Kläger sei Opfer eines Arbeitsunfalls geworden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.10.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 27.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2012 aufzuheben und festzustellen, dass er am 15.10.2001 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie ist der Berufung entgegen getreten und verweist auf den Inhalt der Akten und die Gründe des angegriffenen Gerichtsbescheides.

Der Senat hat den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.07.2015 persönlich angehört.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2012, mit welchem sie die Anerkennung des Ereignisses vom 15.10.2001 als Arbeitsunfall abgelehnt hat.

Nachdem der Kläger im Erörterungstermin vor dem SG vom 15.09.2014 erklärt hat, dass es ihm um die Feststellung des Gerichts geht, dass er am 15.10.2001 einen Arbeitsunfall erlitten hat, ist statthafte Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann ein Versicherter, dem gegenüber ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung durch Verwaltungsakt entschieden hat, dass ein Arbeitsunfall nicht gegeben ist, dessen Vorliegen als Grundlage in Frage kommender Leistungsansprüche im Wege einer Kombination von Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG klären lassen (BSG, Urteil vom 02.12.2008 – B 2 U 26/06 R –, BSGE 102, 111-121, SozR 4-2700 § 8 Nr. 29, SozR 4-2200 § 550 Nr. 2).

Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das SG hat zutreffend erkannt und dargelegt, dass sich auch nach Vernehmung aller benannten Zeugen nicht erweisen lässt, welcher tatsächliche Geschehensablauf dazu geführt hat, dass der Kläger am 15.10.2001 im Kreiskrankenhaus B. vorstellig geworden ist, weshalb nicht nachgewiesen ist, dass ein Arbeitsunfall i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) überhaupt stattgefunden hat.

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers auf Anerkennung eines Versicherungsfalls ist § 102 SGB VII. Danach haben die Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung eines Versicherungsfalls (oder von Unfallfolgen), wenn ein Unfall vorliegt, der die Voraussetzungen von § 8 Abs. 1 SGB VII erfüllt. § 102 SGB VII ist damit nicht nur eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass des feststellenden Verwaltungsaktes für den Unfallversicherungsträger, sondern zugleich auch Anspruchsgrundlage für den Versicherten (ausführlich hierzu BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R = SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 RdNr. 15 ff.). Der Tatbestand des § 102 SGB VII setzt mithin voraus, dass der Versicherte einen Versicherungsfall und, soweit die Feststellung von Unfallfolgen begehrt wird, weitere Gesundheitsschäden erlitten hat, die im Wesentlichen durch den Gesundheitserstschaden verursacht oder einen (u.U. nur behaupteten) Versicherungsfalls aufgrund besonderer Zurechnungsnormen zuzurechnen sind.

Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls, sondern lediglich für die Gewährung einer Verletztenrente (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG Urteile vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 RBSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, Rn. 10, 30.01.2007 - B 2 U 8/06 R - UV-Recht Aktuell 2007, 860-866, juris, Rn. 10 m.w.N., sowie vom 27.02.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31, juris, Rn. 9).

Ein Arbeitsunfall ist nur anzunehmen, wenn das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und diese Tätigkeit den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muss also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw. sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr. 92; BSG SozR 2200 § 548 Nrn. 82 und 97; SozR 3-2200 § 548 Nrn. 19 und 26). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr. 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr. 84). Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung, mithin auch für das von außen auf den Körper einwirkende Ereignis und den Gesundheitserstschaden, ist der volle Nachweis erforderlich (BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1 m.w.N.; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr. 84). Der volle Beweis verlangt die volle Überzeugung (an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit) für das Vorliegen der tatbestandsbegründenden Umstände (vgl. bereits BSG Urteil vom 02.02.1978 – 8 RU 66/77 = SozR-2200 § 548 Nr. 38, juris, Rn. 14f. m.w.N.).

Der Kläger war am 15.10.2001 als Angestellter der Schreinerei H. Beschäftigter i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Die Verrichtung des Klägers zur Zeit des angeschuldigten Geschehensablaufs - das Mithelfen beim Aufstellen eines Fahnenmasts - stand auch im sachlichen Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit i.S. des § 8 Abs. 1 SGB VII. Nicht erwiesen ist jedoch der konkrete Geschehensablauf, welcher dazu geführt hat, dass der Kläger am 15.10.2001 das Kreiskrankenhaus B. aufgesucht hat, weshalb der erkennende Senat nach Auswertung aller Zeugenaussagen den Eintritt eines zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper des Klägers einwirkendes Ereignisses (Unfallereignis) während des Aufstellens des Fahnenmasts nicht festzustellen vermag.

Zwar kann, wenn Tatbestandsmerkmale, wie hier das Unfallereignis, die Tätigkeit zum Zeitpunkt des Unfallereignisses und der Gesundheitserstschaden, des Vollbeweises bedürfen, dieser unter Umständen auch (bzw. sogar allein) durch Angaben eines Beteiligten erbracht werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Vortrag in sich schlüssig und frei von Widersprüchen ist und mit den übrigen Ermittlungsergebnissen im Einklang steht. Der Vollbeweis wird demgegenüber nicht erbracht, wenn die Angaben mehrfach geändert wurden und es für die demgemäß ursprünglich unrichtigen Angaben keine befriedigende Erklärung gibt (BSG, Urteil vom 07.12.1989 - 4 RLw 11/88 -; Sächsisches LSG, Urteil vom 30.08.2006 - L 6 U 62/06 - (jeweils juris)).

Den vorgenannten Anforderungen entspricht der Vortrag des Klägers nicht. So hat dieser zunächst behauptet, von einem Freund zu Dr. W. gefahren zu sein, und von dort aus in das Krankenaus geschickt worden zu sein (Schreiben vom 04.09.2011, Bl. 49 VA). Damit waren die Angaben im Durchgangsarztbericht vom 15.10.2001 "ging heim kam dann hierher" und "Eingetroffen mit: Rettungswagen" in Übereinstimmung zu bringen, wenn man davon ausgeht, dass der Kläger sich zu Dr. W. von einem Freund bringen lassen hat, und der weitere Transport von dort aus dann mittels eines Rettungswagens erfolgt ist. Mit Schriftsatz vom 18.11.2013, im Erörterungstermin vom 24.02.2014 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2015 hat er aber behauptet, von der Ehefrau seines damaligen Arbeitgebers zunächst zu Dr. W. und dann in das Krankenhaus B. gefahren worden zu sein. Warum er zunächst anderslautende Angaben gemacht hat, ist nicht ersichtlich. Mit den Angaben im Durchgangsarztbericht vom 15.10.2001 ist dies nicht in Übereinstimmung zu bringen.

Auch die weiteren Behauptungen des Klägers sind mit den übrigen Ermittlungsergebnissen nicht in Einklang zu bringen. So hat er im Schreiben vom 03.10.2011 behauptet, der herabfallende Pfosten sei auf die linke Schulter und seinen Brustkörper gefallen, wodurch erhebliche Schmerzen verursacht worden seien. Im Schreiben vom 04.09.2011 hat er behauptet, im Krankenhaus die Stellen gezeigt zu haben, an welchen er Schmerzen und Verletzungen gehabt habe. Demgegenüber fehlen im Durchgangsarztbericht vom 15.10.2001 (Zweitausdruck Bl. 36 VA) nicht nur Hinweise auf stattgehabte Anprallverletzungen (Prellmarken, gerötete Hautstellen, Hämatome), vielmehr enthält der Befund den ausdrücklichen Hinweis "Kein direktes Trauma erinnerlich". Ein entsprechender Hinweis findet sich auch im an Dr. B. gerichteten vorläufigen Arztbrief der Kreisklinik B. vom 15.10.2011 (Bl. 89 VA). Auch der vom Orthopäden Dr. S. am 19.10.2001 erhobene Befund enthält keine Hinweise auf ein erlittenes Anpralltrauma im Schulter-Brustbereich. Schließlich ist es nicht schlüssig, wenn der Kläger im Termin vom 20.07.2015 zunächst durch seinen Bevollmächtigten vortragen lassen hat, immer noch kein einziges Wort Deutsch zu sprechen, aber anschließend selbst im Rahmen der Schilderung des Ablaufs der Geschehnisse am 15.10.2001 behauptet hat, von dem Arzt im Krankenhaus zum Unfallhergang befragt worden zu sein und außerdem von diesem mitgeteilt bekommen zu haben, seine Chefin habe etwas anderes erzählt.

Sein ehemaliger Arbeitgeber hat den vom Kläger behaupteten Geschehensablauf nicht bestätigt, sondern angegeben, ihm sei es beim Anheben des - nicht übermäßig schweren - Fahnenmasts zu dritt "hinten rein gefahren". Diese Aussage steht im Wesentlichen in Übereinstimmung mit den Angaben zum Hergang im Durchgangsarztbericht vom 15.10.2001, welcher vom Kläger bestritten wird.

Die Ehefrau des ehemaligen Arbeitgebers hat bestätigt, dass der Kläger über Schmerzen in der linken Seite seiner Brust geklagt hat, weshalb sie davon ausging, dass es einen Aufprall dort, gegeben haben müsse ("Die Schmerzen, die er hatte, waren mit Sicherheit durch den Aufprall."), welchen sie aber, wie auch den übrigen im Streit stehenden Geschehensablauf und den Brustkorb des Klägers, selbst nicht gesehen hat. Auch ihre Zeugenaussage lässt sich weder mit den fehlenden Hinweisen auf eine Anprallverletzung im Befund, noch mit den entgegen stehenden Angaben zum Eintreffen des Klägers in der Kreisklinik B. (mit Rettungswagen) in Übereinstimmung bringen. Die Angaben der Zeugin, wonach ihr Mann hereingekommen sei und geschimpft habe, der Kläger habe sich verletzt, ein Fahnenmast sei abgerutscht, lassen sich zwar sowohl mit der Sachverhaltsdarstellung in den Befundberichten des Internisten Dr. R. vom 25.11.2001 (Knacken in der BWS beim Halten eines wegrutschenden Fahnenmasts) und des Neurochirurgen Dr. P. vom 28.06.2011 (fallenden Fahnenmast abgefangen, daraufhin stärkste Zervikalgien) als weitere Varianten eines möglichen Geschehensablaufs in Übereinstimmung bringen als auch mit den Schilderungen des Klägers im Erörterungstermin vor dem SG. Sie bilden aber keine geeignete Grundlage für eine volle richterliche Überzeugung hinsichtlich eines bestimmten Geschehensablaufs. Die Zeugin hat hinsichtlich des Ablaufes der Ereignisse beim Aufstellen des Fahnenmasts keine substantiierten Angaben machen können, weil sie diesbezüglich nur Zeugin vom Hörensagen ist. Einen Aufprall des Fahnenmasts auf die linke Brust hat sie weder gesehen noch hat ihr Ehemann ihr davon berichtet. Vielmehr handelt es sich bei den diesbezüglichen Angaben der Zeugin um einen im Wege des Rückschlusses selbst konstruierten Geschehensablauf.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren nicht veranlasst. Name und Anschrift des weiteren Mitarbeiters sind nicht bekannt. Auch eine nochmalige Einvernahme der Zeugen U. und C. H. war nicht veranlasst. Diese haben bereits gegenüber dem SG sämtliche Details der Geschehnisse, an die sie sich erinnern konnten, angegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved