L 13 R 5117/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 724/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 5117/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 5. November 2014 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich gegen ein Urteil des Sozialgerichts Reutlingen (SG), mit welchem sie zur Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 1. November 2013 verurteilt worden ist.

Der Kläger, der nach einer mit der Gesellenprüfung abgeschlossenen Ausbildung (16. Februar 1977), zuletzt vom 20. Juni 1994 bis 1. März 2010 bei der Firma M. auf dem Gebiet sanitäre Installationen und Kundendienstarbeiten im Privat- und Industriebereich beschäftigt war (Arbeitgeberauskunft), war ab August 2009 arbeitsunfähig und ab 1. April 2010 arbeitslos. Wegen der Einzelheiten der versicherungsrechtlichen Zeiten wird auf den Gesamtkontospiegel vom 5. Oktober 2011 in den Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Den Rentenantrag des Klägers vom 22. November 2010, den dieser mit Wirbelsäulen (WS)- und Schulter-Beschwerden, die seit August 2009 eine Erwerbsminderung bedingten, begründete, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Juli 2011 und Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2012 ab, da der Kläger zwar nicht mehr als Gas- und Wasserinstallateur arbeiten könne, jedoch in der Lage sei, zumutbar Tätigkeiten als Kundenberater im Großhandel mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten.

Grundlage der Entscheidung der Beklagten waren neben Berichten behandelnder Ärzte ein wegen der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eingeholtes Gutachten des Arztes für Orthopädie und Sozialmedizin Dr. B. vom 1. Oktober 2010 (zeitliches Leistungsvermögen unter drei Stunden für eine Tätigkeit als Gas- und Wasserinstallateur, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien bei Beachtung - näher dargelegter - weiterer qualitativer Einschränkungen sechs Stunden und mehr möglich) sowie sozialmedizinische Stellungnahmen des Dr. B. vom 15. Dezember 2010 ("Verweisungstätigkeiten denkbar") und der Fachärztin für Innere Medizin Dr. M. vom 6. Juli 2011 (Leistungsvermögen sechs Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen [wechselnde Körperhaltung, Arbeiten ohne häufige WS-Zwangshaltungen, tiefes Sitzen, häufiges Treppengehen, Steigen auf Leitern und Gerüsten, häufiges Bücken, Knien oder Hocken sowie besondere Exposition gegenüber Kälte, Nässe und Zugluft]). Ferner hatte die Beklagte im Widerspruchsverfahren ein weiteres Gutachten des Dr. B. vom 20. September 2011 eingeholt (Diagnosen [D]: Chronisch rezidivierende Lumboischialgien links, pseudoradikuläre Symptomatik bei degenerativen Veränderungen [vor allem lumbosacral], Ausschluss eines vertebragenen Nervenwurzelreizsyndroms, vordokumentierte, z.Zt. asymptomatische Gonarthrose links, diätetisch und funktionell kompensierter Morbus Crohn [ohne medikamentöse Behandlung] und gastroösophageale Refluxerkrankung [mit PPI ausreichend kompensiert]; eine Tätigkeit als Gas- und Wasserinstallateur sei weiter unter drei Stunden möglich, leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung - ohne andauernde oder häufige WS-Zwangshaltungen, besondere Exposition gegenüber Kälte, Nässe und Zugluft, tiefes Sitzen, Steigen auf Leitern oder Gerüsten - seien sechs Stunden und mehr möglich).

Außerdem hatte die Beklagte eine Arbeitgeberauskunft zu den zuletzt bei der Firma M. verrichteten Tätigkeiten eingeholt.

Wegen der die Gewährung von Rente versagenden Entscheidung hat der Kläger am 9. März 2012 Klage beim SG erhoben und geltend gemacht, wegen der Lumbalgien sowie einem Morbus Crohn, der zwar diätetisch kompensiert sei, aber weiterhin erhebliche Funktionseinbußen und Einschränkungen bedinge, sei es ihm nicht möglich, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes tätig zu sein. Auch Tätigkeiten als Kundenberater im Großhandel seien auf Grund der Leistungseinschränkungen keine sechs Stunden täglich möglich. Er habe zwar noch Hausmeistertätigkeiten mit der Betreuung von 120 Wohneinheiten verrichtet und sei (zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) noch 2 bis 3 Stunden wöchentlich als Hausmeister tätig, doch sei insofern auch eine Verschlechterung eingetreten. Die Hausmeistertätigkeit mit der Betreuung der 120 Wohneinheiten habe er Ende Oktober 2013 beenden müssen, da er wegen Schulterproblemen die schweren Mülltonnen nicht mehr habe ziehen und bewegen können. Als Gas- und Wasserinstallateur habe er Kundendienstarbeiten im Bereich Haustechnik ausgeführt und häufig auch Dachrinnen zu montieren gehabt. Er habe er nur im praktischen Bereich gearbeitet, mit PC-Arbeit, die ihm nicht vertraut sei, habe er nichts zu tun gehabt.

Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Über die von ihnen erhobenen Befunde und ihre Einschätzung des Leistungsvermögens haben - zum Teil unter Beifügung ärztlicher Berichte - der Chirurg Dr. Sch. am 3. September 2012 (keine Bedenken hinsichtlich leichter Tätigkeiten in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich, Tätigkeiten als Kundenberater im Großhandel seien nach den bekannten unfallchirurgischen und orthopädischen Befunden fünf- bis sechsstündig täglich zumutbar), der Orthopäde Dr. Stahl in Vertretung des Orthopäden Dr. M. am 4. September 2012 (ob leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich möglich seien, könne nicht eindeutig beantwortet werden), der Allgemeinmediziner Dr. Herr am 25. September 2012 (keine Bedenken gegen leichte Tätigkeiten von mindestens sechs Stunden, Tätigkeiten als Kundenberater im Großhandel seien fünf bis sechs Stunden täglich möglich), der Orthopäde Dr. M. am 7. März 2013 (nach dem Ergebnis einer Untersuchung vom 8. Oktober 2012 bestünden keine Bedenken gegen leichte Tätigkeiten in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich, auch nicht gegen Tätigkeiten als Kundenberater im Großhandel von mindestens fünf bis sechs Stunden) und der Chirurg Dr. Königsberger am 12. März 2013 (leichte Tätigkeiten, auch mit leichtem Einsatz des Handgelenks, seien mindestens sechs Stunden möglich, Tätigkeiten als Kundenberater, wenn sie nicht mit manuellen Tätigkeiten verbunden seien, mindestens fünf bis sechs Stunden täglich) berichtet.

Ferner hat das SG ein Sachverständigengutachten des Chirurgen Dr. G. vom 27. Juni 2013 eingeholt. Bei der Untersuchung hat der Kläger ständige Schmerzen im Bereich der HWS, Schmerzen in der unteren LWS und Schulterbeschwerden sowie Schmerzen in den Fingergelenken angegeben. Der Sachverständige hat eine linksbetonte Lumboischialgie bei Spondylose und Osteochondrose der LWS, ein mäßiggradig ausgeprägtes HWS-Syndrom, einen Z.n. Impingement-Symptomatik beider Schultergelenke nach orthopädischer Sanierung und eine im Zeitpunkt der Untersuchung asymptomatische Gonarthrose beidseits diagnostiziert. Die degenerativen Veränderungen der HWS und LWS mit einer pseudoradikulären Reizsymptomatik linksbetont führten zu qualitativen Einschränkungen für Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten sowie häufigem Bücken, Überkopfarbeit sowie Arbeit in Kälte und Nässe und in Zwangshaltung. Bei Beachtung dieser Einschränkungen könne der Kläger sechs Stunden täglich bei fünf Tagen in der Woche einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Auch Tätigkeiten als Kundenberater im Großhandel seien mindestens sechs Stunden täglich möglich, zumal der Kläger zur Zeit der Untersuchung als Hausmeister gearbeitet habe. Gegenüber dem Gutachten von Dr. B. bestehe keinerlei Widerspruch.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger könne ihm zumutbare Tätigkeiten verrichten. Hierzu hat sie eine Stellungnahme des Chirurgen Dr. L. vom 25. September 2014 vorgelegt (kein Nachweis einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes und des Leistungsvermögens).

Mit Urteil vom 5. November 2014 hat das SG unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen teilweiser "Erwerbsunfähigkeit" (gemeint Erwerbsminderung) bei Berufsunfähigkeit ab 1. November 2013 zu gewähren. Der Kläger könne zwar leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich verrichten. Eine Tätigkeit als Gas- und Wasserinstallateur sei aber nicht mehr möglich. Eine Tätigkeit als Kundenberater im Großhandel für Heizungen, Lüftung und Sanitärartikel komme zwar in Betracht und entspreche dem körperlichen Leistungsvermögen, doch verfüge der Kläger nicht über die erforderlichen Vorkenntnisse im kaufmännischen Bereich, da er, wie im Termin zur mündlichen Verhandlung glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, rein im praktischen Bereich der Haustechnik tätig gewesen sei und für Tätigkeiten im kaufmännischen Bereich und allgemein bezüglich PC-Tätigkeiten keine Vorkenntnisse habe und deshalb eine Umstellung auf eine Tätigkeit als Kundenberater eine mehr als dreimonatige Ausbildung und Einlernung voraussetze. Auch eine Tätigkeit als Hochregallagerarbeiter komme nicht in Betracht, da der Kläger bei seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit mit automatisierter Fördertechnik, elektrischer Kontrolle und Steuerungstechnik nicht befasst gewesen sei und eine solche Tätigkeit ebenfalls eine Qualifizierung mit einer Dauer von mehr als drei Monaten erfordere, so dass der Kläger auch hierauf nicht verweisbar sei.

Gegen das ihr am 1. Dezember 2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Dezember 2014 Berufung eingelegt. Sie trägt mit Verweis auf Rechtsprechung im Wesentlichen vor, der Kläger sei nicht berufsunfähig, da er unter Berücksichtigung der festgestellten Funktionseinschränkungen eine ihm zumutbare Tätigkeit als Registrator oder Poststellenmitarbeiter noch wenigstens sechs Stunden täglich verrichten könne und hierfür maximal eine Anlernzeit von vier bis sechs Wochen bis maximal drei Monate benötige, auch zum Erwerb einfacher PC-Kenntnisse. Hierzu hat sie entsprechenden Tätigkeiten beschrieben und auf Entscheidungen, u.a. des erkennenden Senats, verweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 5. November 2014 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Eine Stellungnahme zur Berufungsbegründung der Beklagten hat der Kläger nicht abgegeben.

Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass für den Kläger eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiter oder Registrator, die ihm als Facharbeiter zuzumuten seien und für die er die erforderlichen Kenntnisse in angemessener Frist (drei Monate) erwerben könne, zumutbar seien und das Urteil deshalb keinen Bestand haben dürfte. Ferner hat der Senat auf seine Entscheidungen vom 25. September 2012, veröffentlicht in Juris, und die dortigen Ausführungen und Feststellungen verwiesen.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung sowie teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch 1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und 2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nicht erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI in Verbindung mit § 43 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind sowie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert.

Grundsätzlich darf ein Versicherter im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf Tätigkeiten der nächst niedrigeren Gruppe des Mehrstufenschemas verwiesen werden. Facharbeiter sind dementsprechend nur auf Tätigkeiten ihrer Gruppe und der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten mit einer Ausbildungszeit von wenigstens drei Monaten verweisbar (BSG, Urteil vom 30. September 1987, 5b RJ 20/86 in SozR 2200 § 1246 Nr. 147). Die vielschichtige und inhomogene Gruppe der angelernten Arbeiter zerfällt nach der Rechtsprechung des BSG in einen oberen und einen unteren Bereich. Dem unteren Bereich der Stufe mit dem Leitberuf des Angelernten sind alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen, auch betrieblichen, Ausbildungs- und Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend die Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu vierundzwanzig Monaten zuzuordnen (BSG, Urteil vom 29. März 1994, 13 RJ 35/93 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Angehörige der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten im oberen Bereich können nur auf Tätigkeiten verwiesen werden, die sich durch Qualitätsmerkmale, z.B. das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher und betrieblicher Vorkenntnisse auszeichnen, wobei mindestens eine solche Verweisungstätigkeit konkret zu bezeichnen ist (BSG, a.a.O.). Versicherte, die zur Gruppe der ungelernten Arbeiter oder zum unteren Bereich der angelernten Arbeiter gehören, können grundsätzlich auf alle auf dem Arbeitsmarkt vorkommenden Tätigkeiten verwiesen werden. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in diesen Fällen regelmäßig nicht erforderlich, weil auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung steht, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist (BSG, Urteil vom 14. September 1995, 5 RJ 50/94 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50).

Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d. h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung, bisheriger Beruf, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird.

Nach Maßgabe der vorgenannten rechtlichen Grundlagen hat der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Der Kläger leidet bzw. litt nach dem im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Gutachten des Dr. B. im Wesentlichen unter chronisch rezidivierenden Lumboischialgien links, einer pseudoradikulären Symptomatik bei degenerativen Veränderungen [vor allem lumbosacral], einer vordokumentierten, z.Zt. der Untersuchung asymptomatischen Gonarthrose links, einem diätetisch und funktionell kompensierten Morbus Crohn [ohne medikamentöse Behandlung] und einer gastroösophageale Refluxerkrankung [mit PPI ausreichend kompensiert]. Dr. G. hat ebenfalls eine linksbetonte Lumboischialgie bei Spondylose und Osteochondrose der LWS und eine im Zeitpunkt der Untersuchung asymptomatische Gonarthrose beidseits sowie zusätzlich ein mäßiggradig ausgeprägtes HWS-Syndrom und einen Zustand nach Impingement-Symptomatik beider Schultergelenke nach orthopädischer Sanierung feststellen können. Weitere und schwerer wiegende dauerhafte Gesundheitsstörungen, die für die Beurteilung des Leistungsvermögens im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung erheblich sind, sind dagegen nicht nachgewiesen, insbesondere auch nicht durch die Aussagen der behandelnden Ärzte, die im Übrigen leichte Tätigkeiten auch für sechs Stunden täglich als zumutbar angesehen haben.

Unter Berücksichtigung dieser Erkrankungen ist das Leistungsvermögen des Klägers zwar eingeschränkt, insbesondere für eine Tätigkeit als Gas- und Wasserinstallateur (unter drei Stunden), er kann jedoch nach den für den Senat schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. B. und Dr. G. zumindest leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung - ohne andauernde oder häufige WS-Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten besondere Exposition gegenüber Kälte, Nässe und Zugluft, tiefes Sitzen, Steigen auf Leitern oder Gerüsten - sechs Stunden und mehr arbeitstäglich verrichten.Weitere wesentliche Einschränkungen sind auch unter Berücksichtigung der Aussagen der behandelnden Ärzte nicht bewiesen und nicht feststellbar.

Die sonach bestehenden qualitativen Einschränkungen stehen zwar einer Tätigkeit als Gas- und Wasserinstallateur entgegen, doch ist der Kläger deswegen weder berufsunfähig, noch erwerbsgemindert, denn er kann ihm zumutbare Tätigkeiten mit dem noch vorhandenen Restleistungsvermögen wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten, zum Beispiel die einem Facharbeiter zumutbare Tätigkeit eines Registrators.

Die Verweisung eines Facharbeiters ist - wie dargelegt - grundsätzlich auf eine Tätigkeit der jeweils niedrigeren Gruppe, hier der Angelernten, möglich. Ferner ist erforderlich, dass der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erwerben kann (BSG vom 22. September 1977 - 5 RJ 96/76 = SozR 2200 § 1246 Nr. 23 - Juris Rdnr. 15; BSG vom 9. September 1986 - 5b RJ 50/84 = SozR 2200 § 1246 Nr. 139 - Juris Rdnr. 11).

Zur Verweisungstätigkeit als Registrator hat der Senat nach umfangreichen Ermittlungen in ständiger Rechtsprechung bereits entschieden, dass eine solche Tätigkeit einem Facharbeiter zumutbar ist und entsprechende Arbeitsplätze auch in hinreichender Zahl vorhanden sind.

Derartige Tätigkeiten existieren auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichendem Umfang. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest auf Grund der u.a. in dem Verfahren Az. L 13 R 6087/09 durchgeführten Ermittlungen (vgl. Entscheidung vom 25. September 2012 [L 13 R 6087/09] in Juris, auf die das SG u.a. hingewiesen hat), insbesondere der dort eingeholten Arbeitgeberauskünfte im Bereich des öffentlichen Dienstes, der gesetzlichen Krankenkassen sowie der privaten Versicherungsunternehmen und Bausparkassen; bereits die Befragung ausgewählter Arbeitgeber aus diesem Kreise, beschränkt auf den süddeutschen Raum, hat eine signifikante Anzahl an entsprechenden Beschäftigungsverhältnissen jenseits der 500 ergeben, die keine (spezifische) abgeschlossene Berufsausbildung und eine Anlernzeit von max. drei Monaten erfordern. Das Vorhandensein einer nennenswerten Zahl entsprechender Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt belegt im Übrigen schon die tarifvertragliche Erfassung dieser Tätigkeit im Änderungstarifvertrag Nr. 4 vom 2. Januar 2012 zum TV-L. Gegenstand dieses Änderungstarifvertrages ist die Entgeltordnung zum TV-L, über welche sich die Tarifvertragsparteien am 10. März 2012 geeinigt haben. Diese sieht in ihrem Teil II "Tätigkeitsmerkmale für bestimmte Beschäftigtengruppen" Ziff. 16 detaillierte Eingruppierungsregelungen für Beschäftigte in Registraturen vor, die sich über 8 Entgeltgruppen erstrecken. Vor dem Hintergrund der Einschätzungsprärogative, die den Tarifvertragsparteien bezüglich der Arbeitswirklichkeit zuzuerkennen ist (vgl. BSG vom 12. September 1991 = SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17 - Juris Rdnr. 22) dokumentiert bereits diese tarifvertragliche Erfassung die Existenz einer ausreichenden Anzahl an entsprechenden Arbeitsplätzen.

Auch kann der Kläger nach Auffassung des Senats die für die Ausübung der genannten Verweisungstätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten innerhalb von drei Monaten erwerben. Die Tätigkeit eines Registrators nach Entgeltgruppe 3 umfasst das Vergeben von Aktenzeichen entsprechend geltenden Aktenplänen und -nummern, das Anlegen von Neuakten, das Beachten von Aktenordnungen sowie das Aussondern von Altakten. Dabei achten Registratoren auf die Einhaltung von Aufbewahrungsfristen. Um elektronische Informationen zu archivieren, verwensie elektronische Archivsysteme, in denen Dokumente schnell wiedergefunden werden können. Sie speichern und verwalten digitale Dokumente mit spezieller Software. Im Bereich der Aktenhaltung und Registratur sind sie außerdem für die Terminüberwachung und allgemeine Verwaltungsarbeiten verantwortlich (vgl. dazu Urteil des Senats vom 25. September 2012, a.a.O., unter Hinweis auf www.berufenet.arbeitsagentur.de/berufe/). Die hierzu erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse kann der Kläger innerhalb von drei Monaten erwerben, auch wenn er eine verwaltungsnahe bzw. kaufmännische Ausbildung nicht absolviert hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger angesichts seiner früheren Tätigkeit Gas- und Wasserinstallateur, für die er Berufsschutz als Facharbeiters geltend macht, bereits über Kenntnisse im Umgang mit Computern verfügt. Von einem Facharbeiter kann jedenfalls erwartet werden, die Grundkompetenz zum Einsatz des PC innerhalb des genannten Zeitraums zu erwerben (Bayerisches LSG vom 8. Februar 2012 - L 1 R 1005/09 - Juris Rdnr. 50; LSG Niedersachsen-Bremen vom 25. August 2009 - L 10 R 269/08 - Juris Rdnr. 24; a.A. LSG Berlin-Brandenburg vom 17. November 2011 - L 4 R 380/11 - Juris Rdnr. 43). Von einer gewissen und insoweit ausreichenden Grundkompetenz hinsichtlich der Nutzung von Computern ist im Übrigen zur Überzeugung des Senats bei einem nicht bildungsfernen Facharbeiter auszugehen.

Den vom Senat im o.g. Verfahren eingeholten Arbeitgeberauskünften zufolge bedarf es regelmäßig - soweit nicht ausnahmsweise eine spezifische Berufsausbildung gefordert wird - keiner besonderen Voraussetzungen, insbesondere keiner Fachkenntnisse, um innerhalb einer Anlernzeit von vier bis sechs Wochen bis maximal 3 Monaten die erforderlichen Kenntnisse, darunter einfache PC-Kenntnisse, zu erwerben.

Der Tätigkeit als Registrator stehen auch keine gesundheitlichen Einschränkungen entgegen. Der Kläger wird mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen dem gesundheitlichen Belastungsprofil der in Rede stehenden Verweisungstätigkeit gerecht. Dieses ist geprägt durch Arbeiten im Sitzen (vgl. www.berufenet.de), aber auch im Wechselrhythmus von Sitzen, Gehen und Stehen. In körperlicher Hinsicht sind überwiegend leichte Tätigkeiten zu verrichten. Schweres Heben und Tragen ist nicht notwendig; ggf. muss gelegentlich, aber nicht zwingend andauernd mit Aktenstücken bis 5 kg Gewicht umgegangen werden. Besondere psychische Belastungen kommen nicht vor (vgl. zu den körperlichen Anforderungen insgesamt: Bayerisches LSG vom 8. Februar 2012 a.a.O., Juris Rdnr. 48). Diesen Anforderungen kann der Kläger genügen. Insbesondere ist er - wie oben dargelegt - noch in der Lage, leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung - ohne andauernde oder häufige WS-Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten besondere Exposition gegenüber Kälte, Nässe und Zugluft, tiefes Sitzen, Steigen auf Leitern oder Gerüsten - zu verrichten.

Die Tätigkeit eines Registrators nach Entgeltgruppe 3 ist dem Kläger auch subjektiv zuzumuten. Als Facharbeiter darf der Kläger grundsätzlich lediglich auf Tätigkeiten verwiesen werden, die zu den sonstigen staatlich anerkannten Ausbildungsberufen gehören oder eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten erfordern. Dies ist beim Registrator nach der Entgeltgruppe 3 zwar ausweislich der eingeholten Arbeitgeberauskünfte nicht der Fall. Damit ist aber der Kreis der in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten noch nicht abschließend umschrieben. Vielmehr sind den durch die Ausbildungsdauer charakterisierten Leitberufen solche Berufe qualitativ gleichwertig, die von den Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag durch ihre tarifliche Einstufung in ihrem qualitativen Wert den Leitberufen gleichgestellt sind (BSG vom 12. September 1991 a.a.O., Juris Rdnr. 22 m.w.N.).

Der Senat hat hierzu in ständiger Rechtsprechung wie auch in der bereits zitierten Entscheidung vom 25. September 2012 (L 13 R 6087/09), auf die der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, unter Berücksichtigung der dort zitierten Rechtsprechung des BSG festgestellt, dass die Tätigkeit eines Registrators nach Teil II Nr. 16 Entgeltgruppe 3 der Entgeltordnung zum TV-L auch für Facharbeiter sozial zumutbar ist.

Ohne dass es somit noch darauf ankäme, ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger auch ihm zumutbare Tätigkeiten als Poststellenmitarbeiter wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten und sich die zur Ausübung dieser Tätigkeiten erforderlichen Kenntnisse in einem zeitlichen Rahmen von nicht mehr als 3 Monaten sich aneignen kann. Zu den jeweiligen Anforderungen wird auf das den Beteiligten mitgeteilte Urteil des Senats vom 25. September 2012, L 13 R 4924/09 in Juris, zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

Dem Kläger steht demnach kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) zu.

Da der Kläger nicht berufsunfähig ist, ist er erst recht nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI, da er berufliche Tätigkeiten in einem Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten kann und bei ihm mit dem oben dargelegten Leistungsvermögen weder eine schwere spezifische Leistungsminderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bestehen.

Der Senat hebt deshalb das Urteil des SG insoweit auf und weist auch insoweit die Klage ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei zu berücksichtigen war, dass der Kläger mit seinem Begehren in vollem Umfang unterlegen ist.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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