S 8 AS 126/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 126/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur grundsicherungsrechtlichen Behandlung von Nachzahlungen (hier Elterngeld)
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Rückforderung von insgesamt 2.376,81 EUR an Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Zeitraum 1. Juli bis 30. September 2014 wegen einer Elterngeldnachzahlung.

Die 1979 und 1986 geborenen Kläger zu 1. und 2. bezogen zusammen mit ihren 2010 geborenen Zwillingen, den Klägern zu 3. und 4., bis März 2011 laufende Leistungen zum Lebensunterhalt vom beklagten Jobcenter. Die Kläger zu 1. und 2. nahmen nach der Geburt der Kinder beide Elternzeit und erhielten Elterngeld in Höhe von zunächst 600 EUR bzw. 300 EUR.

Ab Oktober 2011 waren die Kläger erneut beim Beklagten im Leistungsbezug. Mit Bescheid vom 6. März 2014 bewilligte der Beklagte ihnen laufende Leistungen vom 1. April bis zum 30. September 2014 von 1.584,55 EUR pro Monat. Dabei wurde nur das Kindergeld für die Kläger zu 3. und 4. als Einkommen berücksichtigt.

Im Zuge der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 27. Juni 2013, B 10 EG 8/12 R, teilte das Zentrum Bayern Familie und Soziales dem Beklagten im Frühjahr 2014 mit, dass die Kläger zu 1. und 2. Elterngeldnachzahlungen in Höhe von insgesamt 5.113,60 EUR zu erwarten hätten, und bat um Mitteilung, ob ein Erstattungsanspruch geltend gemacht würde. Nachdem dies nicht erfolgte, erhielt der Kläger zu 1. Elterngeld in Höhe von 2.400 EUR und die Klägerin zu 2. in Höhe von 2.713,60 EUR Mitte Juni 2014 nachbezahlt.

Daraufhin bewilligte der Beklagte nach Anhörung der Kläger mit zwei Bescheiden vom 12. September 2014 den Anspruch für die Monate Juli bis September 2014 neu, hob die bisherige Bewilligung insofern teilweise auf und forderte für diesen Zeitraum Überzahlungen in Höhe von 778,89 EUR vom Kläger zu 1., von 1.412,61 EUR von der Klägerin zu 2. sowie von je 316,86 EUR von den Klägern zu 3. und 4. zurück. Die Elterngeldnachzahlungen stellten einmalige Einnahmen dar, die auf sechs Monate, beginnend ab Juli 2014, aufzuteilen seien.

Für den anschließenden Bewilligungszeitraum ab Oktober 2014 bewilligte der Beklagte schließlich mit Bescheid vom 6. Oktober 2014 Leistungen ohne Anrechnung der Nachzahlungen, weil er von einem Verbrauch ausging.

Die Widersprüche gegen die Bescheide vom 12. September 2014 wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 19. Januar 2015 zurückgewiesen.

Dagegen haben die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten am 5. Februar 2015 Klagen zum Sozialgericht Augsburg erhoben (Verfahren S 8 AS 126/15 und S 11 AS 127/15, später S 8 AS 127/15). Zur Begründung ist jeweils vorgetragen worden, es handle sich bei den Elterngeldnachzahlungen nicht um einmalige, sondern laufende Einnahmen. Das zugrunde liegende Rechtsverhältnis sei nämlich auf wiederkehrende und laufende Zahlungen ausgerichtet. Jeglicher Zufluss daraus sei deshalb eine laufende Einnahme, die verspätete Zahlung ändere daran nichts. Die Zahlung sei aber nicht auf sechs Monate aufzuteilen, weil sich der Vorgang in einer einzigen Nachzahlung erschöpfe. Selbst wenn man aber von einer einmaligen Einnahme ausginge, sei aber ab 2. September 2014 eine Anrechnung nicht mehr möglich, weil das Geld verbraucht sei und damit bereite Mittel fehlten. Die Einnahmen seien zur Schuldentilgung, zur Anschaffung von Bekleidung, Einrichtungsgegenständen, Gebrauchsgegenständen und persönlichen Bedarfen verbraucht worden. Dazu sind diverse Kontoauszüge sowie eine als "Ausgabenliste" betitelte Aufstellung der Klägerin zu 2. vom 10. September 2014 vorgelegt worden.

Der Beklagte verteidigt seine Entscheidungen.

In der mündlichen Verhandlung sind die beiden Verfahren unter dem nunmehrigen Aktenzeichen verbunden worden.

Für die Kläger wird beantragt:

Die Bescheide des Beklagten vom 12. September 2014 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19. Januar 2015 werden aufgehoben.

Für den Beklagten wird beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten s owie die Niederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die beiden Bescheide des Beklagten vom 12. September 2014 jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19. Januar 2015 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Der Beklagte fordert zu Recht von den Klägern für die Monate Juli bis September 2014 Überzahlungen von insgesamt 2.376,81 EUR zurück.

Das Erstattungsverlangen des Beklagten kann auf § 40 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) i.V.m. den §§ 48 und 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) und § 330 Abs. 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) gestützt werden.

Die Kläger waren im streitgegenständlichen Zeitraum 1. Juli bis 30. September 2014 leistungsberechtigt und bildeten eine Bedarfsgemeinschaft, § 7 SGB II. Der Beklagte hatte den Klägern für diese Zeit mit Bescheid vom 6. März 2014 Leistungen in Höhe von monatlich 1.584,55 EUR bewilligt.

Der Beklagte hat die geänderte Berechnung des Leistungsanspruchs der Kläger für Juli bis September 2014 auch zutreffend vorgenommen. Die Kläger zu 1. und 2. haben am 16. Juni 2014 Elterngeldnachzahlungen von 2.400 EUR und 2.713,60 EUR erhalten. Dadurch ist eine wesentliche Änderung auch für die Monate Juli bis September 2014 eingetreten. Denn die Nachzahlungen waren für diese Monate ebenfalls teilweise als bedarfsminderndes Einkommen anzurechnen, so dass allen Klägern geringere Leistungen nach dem SGB II zustanden.

Bei den am 16. Juni 2014 zugeflossenen Nachzahlungen handelt es sich um Einkommen, weil auch ein für zurückliegende Zeiträume, aber nach der Antragstellung, erbrachter Geldbetrag Einkommen und nicht Vermögen ist. Diese Nachzahlungen stellten zwar - anders als der Beklagte dies gesehen hat - keine einmaligen, sondern laufende Einnahmen im Sinn des § 11 Abs. 2 SGB II dar. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG - Urteil vom 24. April 2015, B 4 AS 32/14 R) reicht es für die Qualifizierung einer Einnahme als laufende Einnahme aus, wenn sie zwar nicht "laufend", sondern in einem Gesamtbetrag erbracht wird, aber nach dem zugrunde liegenden Rechtsgrund regelmäßig zu erbringen gewesen wäre. Ohne Bedeutung für die Abgrenzung ist es, ob das Rechtsverhältnis, auf dem die Zahlung beruht, zum Zeitpunkt der Zahlung noch bestanden hat oder schon beendet war. Diese zur Nachzahlung von Bezügen aus einem Arbeitsverhältnis entwickelten Kriterien lassen sich auch auf die hier inmitten stehende Elterngeldnachzahlung übertragen, weil insofern kein Grund für eine andere Behandlung ersichtlich ist. Demnach stellt das den Klägern nachgezahlte Elterngeld eine laufende Einnahme dar, weil es nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) für mindestens zwei Monate bezogen werden muss und monatlich erbracht wird (so § 4 BEEG inhaltsgleich in den jeweiligen Fassungen). Aus der Entscheidung des BSG vom 25. Juni 2015, B 14 AS 17/14 R, zur Behandlung einer Nachzahlung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz folgt nichts anderes, weil es sich beim Elterngeld nicht um eine existenzsichernde Leistung in diesem Sinn handelt.

Zur Möglichkeit der Aufteilung demgemäß als laufende Einnahmen zu qualifizierender Nachzahlungen hat sich das BSG in seinem Urteil vom 24. April 2015 nicht geäußert. Nach Ansicht des Gerichts ist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II zu verfahren und derartige Nachzahlungen sind aufzuteilen auf mehrere Monate. Hierfür spricht, dass das BSG bei der oben dargestellten Abgrenzung von laufenden zu einmaligen Einnahmen als eine Erwägung herausstellt, dass ein vertrags- bzw. rechtswidriges Vorenthalten einer Leistung bzw. eine Leistungsstörung grundsicherungsrechtlich nicht zu Lasten des Berechtigen und Leistungsempfängers gehen dürfe. Demgemäß muss jedoch umgekehrt derselbe Gedanke greifen: Ein derartiger Ablauf darf grundsicherungsrechtlich auch nicht zu einer ungerechtfertigten Begünstigung des Leistungsempfängers führen. Gerade das aber würde sich vorliegend ergeben, wenn die Nachzahlungen ausschließlich im Zuflussmonat, hier Juni 2014, als Einnahmen berücksichtigt würden. Dann nämlich stünde ein Grundsicherungsempfänger besser, als wenn er die nachgezahlten Beträge von Anfang an als entsprechend höhere laufende Einnahmen erhalten hätte. Hätten die Kläger zu 1. und 2. bereits während ihrer Zeiten des Elterngeldbezugs höheres Elterngeld bekommen, wären ihre ergänzend bezogenen SGB II-Leistungen dementsprechend geringer ausgefallen.

Diese Überlegung wird noch unterstrichen, richtet man den Blick auf das in § 2 Abs. 2 SGB II verankerte - und seit jeher den existenzsichernden Leistungen immanente - Grundprinzip, dass alle Möglichkeiten zu nutzen sind, den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Damit wäre es kaum vereinbar, würde eine den Bedarf über mehrere Monate deckende Einnahme lediglich in einem Monat berücksichtigt. Das gilt auch unter Ansehung des vom SGB II vorgesehenen Schutzumfangs für Vermögen. Denn dieser Schutz soll vornehmlich dazu führen, dass bestimmte, bei Beginn des Leistungsbezugs vorhandene Vermögenswerte nicht verwertet werden müssen. Zielrichtung ist aber im Ausgangspunkt nicht, dass während des Leistungsbezugs das Vermögen auf Kosten steuerfinanzierter Leistungen gemehrt wird. Gerade dazu käme es, wenn derart erhebliche Einnahmen zu einem Großteil unangetastet blieben und lediglich mit einem Teilbetrag zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln herangezogen würden. Es hinge dann vielfach vom Zufall ab, ob das sonstige Vermögen, namentlich das Schonvermögen in Form des Grundfreibetrages nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II, bereits ausgeschöpft ist und hinzu kommende Beträge doch zu verwerten wären oder eben nicht. Dass der Gesetzgeber diese Situation beabsichtigt hat, ist nicht anzunehmen. Gewollt war lediglich - auch zur Verwirklichung des Prinzips des "Förderns", Leistungsberechtigte zur Erwerbstätigkeit anzureizen, indem ihnen gewisse Teile des Einkommens belassen werden. Umgesetzt wird dies im Wesentlichen über die Absetzungen nach § 11a SGB II und die Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung. Die dort vorgesehenen Abzüge sind dementsprechend auch bei nachgezahlten Einnahmen für die betreffenden Monate vorzunehmen - wie es der Beklagte getan hat (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 2014, B 14 AS 25/13 R). Für die Absicht einer darüber hinausgehenden Privilegierung bzw. Motivation findet sich jedoch keine hinreichende Stütze im Recht der Grundsicherung.

Die somit anzunehmende Intention des SGB II kann in Anbetracht der Normgestaltung des § 11 SGB II auf verschiedenen Wegen erreicht werden: Entweder werden die Bestimmungen des § 11 Abs. 3 SGB II ungeachtet der grundsätzlichen Behandlung als laufende Einnahme dennoch entsprechend angewandt oder die besagten Nachzahlungen werden als laufende Einnahmen, die in größeren als monatlichen Abständen zufließen, behandelt. Das Gericht hält die letztgenannte Lösung für vorzugswürdiger, weil sie konsequenter die grundlegende Qualifizierung als laufende und nicht einmalige Einnahme fortführt. Denkbar ist des Weiteren, wie beklagtenseits in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II in den Absatz 2 hineinzulesen.

Gleich welcher Vorgehensweise gefolgt wird, ist demnach im Fall der Kläger eine Aufteilung der Elterngeldnachzahlungen zutreffend erfolgt. Das gilt sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach. Ob dabei im Juni oder im Juli 2014 zu beginnen war, ist unerheblich, weil dies für die vorliegende Konstellation keine Rolle spielt.

Die demnach eingetretene Änderung berechtigte den Beklagten zu einer Aufhebung der Leistungsbewilligung in Höhe von insgesamt 2.376,81 EUR für Juli bis September 2014 und einer entsprechenden Rückforderung nach § 50 SGB X, wobei die auf die einzelnen Kläger entfallenen, bereits aufgeführten Beträge ebenfalls fehlerfrei ermittelt wurden.

Daran ändert sich auch nichts mit Blick auf den vorgetragenen Verbrauch der Elterngeldnachzahlungen - den der Beklagte dann ab Oktober 2014 auch angenommen hat. Im Ausgangspunkt trifft es zu, dass lediglich tatsächlich zur Verfügung des Leistungsberechtigten stehende Mittel - auch als bereite Mittel bezeichnet - angerechnet werden dürfen. Soweit die Mittel tatsächlich verbraucht sind - auch wenn damit unzulässigerweise Schulden getilgt wurden, können sie nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. dazu BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, B 14 AS 76/12 R).

Das Gericht kann sich jedoch nicht davon überzeugen, dass ein vollständiger Verbrauch bereits im streitgegenständlichen Zeitraum eingetreten ist. Nach den vorgelegten Belegen haben die Kläger in erheblichem Umfang Zahlungen in den Monaten Juni, Juli und September 2014 an die Stadtwerke vorgenommen. Es kann vermutet werden, dass damit rückständige Rechnungen beglichen wurden. Das hat die Klägerin zu 2. so auch in ihrer Ausgabenliste vom 10. September 2014 angegeben. Rechnet man die dadurch verbrauchten Beträge zusammen, ergibt sich ein Abfluss von 1.531,94 EUR im Juni 2014, von 456 EUR im Juli 2014 und von 150 EUR im September 2014, insgesamt 2.137,94 EUR. Von den Elterngeldnachzahlungen verblieben damit immer noch 2.975,66 EUR. Damit blieb immer noch genügend, um die vom Beklagten im streitigen Zeitraum vorgenommene Einkommensanrechnung zu tragen. Die weiteren von der Klägerin in ihrer Ausgabenliste aufgeführten Ausgaben sind nicht belegt. Sie mögen zwar erfolgt sein, das ist aber für das Gericht nicht ohne Weiteres plausibel und daher nicht nachgewiesen, weil sich keine entsprechenden Barabhebungen oder Überweisung haben finden lassen. Hinzu kommt, dass die Kläger nicht annehmen konnten, die erhaltenen Nachzahlungen derart rasch und ungehindert vollständig verbrauchen zu dürfen. Wie der Prozessbevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, fand sich dafür in den Bescheiden des Zentrums Bayern Familie und Soziales keine Grundlage. Eine solche ist auch sonst nicht zu sehen, vor allem hat der Beklagte dazu keinen Anlass gegeben. Ein sorgsam agierender Grundsicherungsempfänger würde sich nicht derart der unverhofft erhaltenen Mittel begeben und seine Hilfebedürftigkeit auf diese Weise vertiefen.

Es bleibt daher bei der vom Beklagten vorgenommenen Neuberechnung der Leistungsansprüche und den daraus resultierenden Überzahlungen. Nachdem eine bloß teilweise Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung erfolgt ist, kommt auch die in § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB II vorgesehen Begrenzung der Rückforderung nicht zur Anwendung.

Die Klage ist deshalb abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
Saved