L 37 SF 271/14 ZVW

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 271/14 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
L 37 SF 66/12 EK VG - B 10 ÜG 12/13 R
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Neuruppin zunächst unter dem Aktenzeichen S 3 VG 66/06 und sodann unter S 11 VG 324/07 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.100,00 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 18. Mai 2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu 30 %, der Kläger zu 70 % zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt noch eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Neuruppin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 11 VG 324/07 geführten Verfahrens in Höhe von 2.400,00 EUR. Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Ende Mai 2000 versah der seinerzeit als Polizeibeamter tätige Kläger gemeinsam mit einem Kollegen Dienst in einem Regionalzug. Es kam dort zu einem Vorfall, in dessen Verlauf der Kläger sich von seinem Kollegen vorsätzlich mit einer Schusswaffe bedroht fühlte. Zeugen waren bei dem konkreten Geschehen nicht zugegen. Ein seinerzeit eingeleitetes strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kollegen des Klägers stellte die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) im Sommer 2000 mangels hinreichenden Tatverdachts mit der Begründung ein, dass bezüglich des konkreten Geschehens Aussage gegen Aussage stehe. Der beschuldigte Kollege hatte zwar bestätigt, die Schusswaffe gezogen zu haben, sich hingegen dahin eingelassen, dies lediglich getan zu haben, um das nicht sauber eingeführte Magazin zu richten, und mit der Waffe dabei nicht direkt auf den Kläger gezielt zu haben. Auch ein weiteres Ermittlungsverfahren führte nicht zur Anklageerhebung. Im September 2005 stellte die Staatsanwaltschaft dieses mit Blick auf eine etwaige Bedrohung oder fahrlässige Körperverletzung wegen Verfolgungsverjährung und bzgl. des Vorwurfs der schweren Körperverletzung mangels zureichender Anhaltspunkte ein. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers wies der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg zurück. Den Antrag des Klägers auf gerichtliche Entscheidung verwarf das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 14. Februar 2006 als unzulässig.

Bereits im August 2004 hatte der Kläger beim Landesamt für Soziales und Versorgung – dem Beklagten des Ausgangsverfahrens - eine Entschädigung für Opfer von Gewalttaten beantragt. Nachdem die Gewährung mit Bescheid vom 22. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. März 2006 mit der Begründung abgelehnt worden war, dass weder die Tathandlung an sich noch der erforderliche Vorsatz des Täters nachgewiesen sei, erhob der anwaltlich vertretene Kläger, der zum 31. März 2006 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde, am 06. April 2006 beim Sozialgericht Neuruppin Klage, die zunächst unter dem Aktenzeichen S 3 VG 66/06 registriert wurde. Er begehrte mit Blick auf den Vorfall im Zug die Gewährung einer Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) und machte geltend, infolge dieses Geschehens unter einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden. Mit der auf richterliche Verfügung vom 07. April 2006 am 26. April 2006 gefertigten Eingangsbestätigung übersandte das Sozialgericht seinem damaligen Bevollmächtigten einen Fragebogen zur Person, der – neben umfangreichen weiteren Anlagen - am 12. Mai 2006 ausgefüllt zurückgereicht wurde. Die Unterlagen wurden dem damaligen Beklagten zur Stellungnahme zugeleitet. Am 08. Juni 2006 ging bei Gericht die Klageerwiderung ein, die dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers zur Stellungnahme zugeleitet wurde. Mit am 04. Juli 2006 eingegangenem Schriftsatz äußerte dieser sich zur Sache. Die Kammervorsitzende forderte daraufhin beim Beklagten die Schwerbehindertenakte des Klägers an, die am 01. August 2006 bei Gericht einging. Diese wurde im Folgenden zu dem parallel vom Kläger geführten Verfahren auf Anerkennung einer Schwerbehinderung genommen, in dem er sich durch andere Bevollmächtigte als im hier streitgegenständlichen Ausgangsverfahren vertreten ließ. Der streitgegenständliche Ausgangsrechtsstreit wurde verfristet.

Mit am 02. März 2007 bei Gericht eingegangenem Schreiben samt Anlagen trug der damalige Bevollmächtigte des Klägers ergänzend zu angeblichen Behauptungen bzw. Unterlassungen von Angehörigen der Bundespolizeiverwaltung im Zusammenhang mit dem Vorfall vom Mai 2000 vor. Im Juni 2007 (Eingang am 20. Juni 2007) bat er um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und legte ein Schreiben des "dbb Beamtenbund und Tarifunion" vor, in dem dargelegt wird, dass der Kläger sich nicht mehr in der Lage sehe, die sich monatlich auf rund 300,00 EUR belaufenden Kosten für eine weitergehende medizinische Versorgung durch Medikamente und die Inanspruchnahme von Ärzten zu tragen, die durch die Beihilfe und seine private Krankenkasse nicht gedeckt seien.

Zum 01. Juli 2007 wurde die 11. Kammer des Sozialgerichts Neuruppin – und damit auch ein neuer Vorsitzender - für die Bearbeitung der Sache zuständig; das Verfahren wurde nunmehr unter dem Aktenzeichen S 11 VG 324/07 geführt. Nachdem die Beteiligten hierüber unter dem 29. August 2007 informiert worden waren, trug der damalige Bevollmächtigte des Klägers mit am 13. Dezember 2007 bei Gericht eingegangenem Schreiben erneut medizinisch vor und regte an, nunmehr ein Sachverständigengutachten einzuholen. Der Schriftsatz wurde dem damaligen Beklagten am 01. Februar 2008 zur Kenntnisnahme übersandt. Im Folgenden wurde der Eingang eines im parallel geführten Schwerbehinderten-Verfahren angeforderten Befundberichtes abgewartet.

Nachdem die Akten am 17. Juni 2008 – zusammen mit den Akten des Schwerbehindertenverfahrens - wieder vorgelegt worden waren, verfügte das Sozialgericht noch am selben Tage die Beiziehung der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft und forderte nach deren Eingang am 01. Juli 2008 beim Bundesgrenzschutzpräsidium Unterlagen zu eingeleiteten Disziplinarvorermittlungen an. Mit am 21. Juli 2008 beim Sozialgericht Neuruppin eingegangenem Schreiben teilte die Bundespolizeidirektion Berlin mit, dass die gewünschten Unterlagen inzwischen getilgt und vernichtet seien.

Bereits mit am 14. Juli 2008 eingegangenem Schreiben hatte sich der Kläger persönlich an das Gericht gewandt und angekündigt, den Rechtsstreit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seinem Schreiben hatte er zahlreiche von ihm u.a. an das Bundeskanzleramt, das Bundesinnenministerium und das Bundespräsidialamt gerichtete Schriftsätze beigefügt. Sein damaliger Bevollmächtigter bat mit am 28. Juli 2008 eingegangenem Schreiben unter Hinweis auf die finanziellen Schwierigkeiten des Klägers um Terminierung. Zwei Tage später informierte der Kammervorsitzende ihn, dass die Sache alsbald zur Sitzung vorgesehen sei, und schrieb die Sache als entscheidungsreif aus.

Mit am 08. September 2008 eingegangenem Schriftsatz, dem verschiedene Anlagen beigefügt waren, bat der damalige Bevollmächtigte nochmals um baldige Entscheidung. Diesem Wunsch schloss sich der damalige Beklagte, dem das vorgenannte Schreiben zur Stellungnahme zugesandt worden war, an (Eingang des Schriftsatzes am 14. Oktober 2008). Mit am 18. Dezember 2008 eingegangenem Schriftsatz fragte der Bevollmächtigte an, ob es tatsächlich - wie der Kläger meine - zu einer Verbindung der Sache mit dem Schwerbehindertenverfahren gekommen sei. Weiter machte er eine Zunahme des Umfangs der Folgeschäden – nunmehr auf orthopädischem und internistischem Gebiet - geltend. Diesen der inzwischen (wieder) zuständigen Kammervorsitzenden am 15. Januar 2009 vorgelegten Schriftsatz beantwortete diese unter dem 10. Februar 2009 und teilte dem Bevollmächtigten mit, dass im Parallelverfahren Beweis erhoben werde, für das hiesige Verfahren hingegen eine Entscheidung beabsichtigt sei.

Nachdem Anfang April 2009 die Staatsanwaltschaft um Rücksendung ihrer Akten gebeten hatte, wurden diese auszugsweise kopiert. Am 23. April 2009 reichte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers ein im Schwerbehindertenverfahren eingeholtes chirurgisches und sozialmedizinisches Gutachten zu den Akten und bat erneut um Anberaumung eines Termins. Auf richterliche Verfügung vom 10. Juni 2009 wurde der Rechtsstreit tags darauf auf den 16. Juli 2009 terminiert. Wegen – am 23. Juni 2009 angezeigter - Verhinderung des Prozessbevollmächtigten wurde der Termin am selben Tage aufgehoben. Die Sache wurde sodann auf richterliche Verfügung vom 14. Juli 2009 unter dem 24. Juli auf den 27. August 2009 angesetzt. An diesem Tage wurde der Rechtsstreit vor dem Sozialgericht mündlich verhandelt; die Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das Gericht in seinem Urteil aus, dass der Tathergang im Mai 2000 keinen Ansatz biete, einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff festzustellen. Bereits die Staatsanwaltschaft habe festgestellt, dass wohl eher ein Missverständnis als eine Straftat vorgelegen hätte. Hiervon gehe das Gericht nach eigener Würdigung der Beweise ebenfalls aus. Die am 27. Oktober 2009 abgesandten schriftlichen Urteilsgründe wurden dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 09. November 2009 zugestellt. Bereits am 07. Oktober 2009 hatte dieser Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt, die dort unter dem Aktenzeichen L 11 VG 77/09 registriert worden war. Mit am 28. Juli 2011 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 25. Juli 2011 nahm der – inzwischen nicht mehr anwaltlich vertretene - Kläger schließlich seine Berufung zurück.

Am 18. Mai 2012 hat der Kläger Entschädigungsklage erhoben und eine Entschädigung in Höhe von 3.600,00 EUR gefordert. Zur Begründung hat er seinerzeit vorgetragen, dass das Verfahren beim Sozialgericht länger als drei Jahre und vier Monate gedauert habe, das Gericht in dieser Zeit jedoch weitgehend untätig gewesen sei. Bei angemessener Förderung hätte das Verfahren in einem Jahr erledigt sein müssen, sodass es hier zu einer Verzögerung von zwei Jahren und vier Monaten gekommen sei. Das Widerspruchs- und Berufungsverfahren sei jeweils im Umfang von vier Monaten als überlang anzusehen.

Mit Urteil vom 04. September 2013 hat der Senat die Entschädigungsklage abgewiesen (L 37 SF 66/12 EK VG). Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage zwar zulässig, insbesondere auch fristgerecht erhoben, nicht jedoch begründet sei. Der Kläger habe keinen Anspruch gegen den passivlegitimierten Beklagten auf Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens. Zwar stehe dem Anspruch weder entgegen, dass das von ihm als unangemessen lang angesehene Verfahren bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) am 03. Dezember 2011 bereits abgeschlossen gewesen sei, noch scheitere der Anspruch an der Nichterhebung einer Verzögerungsrüge. Soweit der Kläger eine Entschädigung wegen der Dauer des Widerspruchsverfahrens begehre, zähle dieses jedoch bereits nicht zum Gerichtsverfahren, für dessen Dauer eine Entschädigung überhaupt in Betracht komme. Im Übrigen habe das für den Kläger eine durchschnittliche Bedeutung aufweisende und als durchschnittlich schwierig zu qualifizierende Ausgangsverfahren - bei der gebotenen einheitlichen Würdigung beider Rechtszüge - keine Dauer gehabt, mit der das Äußerste des Zumutbaren überschritten werde, zumal auch das prozessuale Verhalten des Klägers zu Verzögerungen des Rechtsstreits geführt habe.

Auf die vom Senat zugelassene Revision hat das Bundessozialgericht dieses Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, soweit dieser die Entschädigungsklage wegen unangemessener Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Neuruppin betrifft. Zwar seien keine Rechtsfehler erkennbar, soweit der Senat angenommen habe, das Verfahren habe für den Kläger eine durchschnittliche Bedeutung gehabt und sei von durchschnittlicher Schwierigkeit gewesen. Ebenso wenig sei die Annahme zu bemängeln, dem Kläger sei im Rahmen der Prüfung seines prozessualen Verhaltens eine Verzögerung des Rechtsstreits anzulasten. Allerdings habe der Senat bei der Beurteilung der Prozessleitung die Grenzen des verfahrensrechtlichen Gestaltungsspielraums des Ausgangsgerichts auch unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit zu weit gezogen. Mit Blick auf die fast zweijährige Inaktivität des Sozialgerichts ab dem 01. August 2006 bis zum 17. Juni 2008 sei zu beachten, dass ungeachtet richterlicher Unabhängigkeit eine richterliche Grundpflicht zur stringenten und beschleunigten Verfahrensgestaltung bestehe. Es sei zu berücksichtigen, dass die medizinischen Ermittlungen zur Feststellung einer Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht generell keine Klärung des für einen Anspruch nach dem OEG bedeutsamen und hier im Vordergrund stehenden streitigen Ursachenzusammenhang bringen könnten, da es insoweit um die Frage des Vorliegens eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs, nicht aber um medizinische Befunde gehe. Erst wenn ein derartiger Angriff i.S.d. § 1 OEG festgestellt sei, könne es auf die medizinischen Feststellungen hinsichtlich der Folgen des Angriffs ankommen. Damit aber wären die Feststellungen im Schwerbehindertenverfahren für das OEG-Verfahren nicht unmittelbar von Relevanz. Das Sozialgericht hätte unter Beachtung der ihm nach § 103 Sozialgerichtsge-setz (SGG) obliegenden Amtsermittlungspflicht aus exante-Sicht alles Erforderliche veranlassen müssen, um den vom Kläger geltend gemachten Anspruch zu prüfen, und wäre nicht gehindert gewesen, eine zeitnahe Anforderung der Akten der Staatsanwaltschaft und des Bundesgrenzschutzpräsidiums gleichzeitig mit der Schwerbehindertenakte in die Wege zu leiten. Dies habe es allerdings erst mit Verfügung vom 17. Juni 2008 veranlasst. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die Sache unmittelbar nach Eingang dieser Akten mit Verfügung vom 29. Juli 2008 "alsbald" zur Sitzung vorgesehen worden sei, eine Terminierung dann aber erst am 10. Juni 2009 auf den 16. Juli 2009 erfolgt sei, obwohl das Verfahren bereits über drei Jahre angedauert habe. Mit Blick auf das ein Jahr und zehn Monate andauernde Berufungsverfahren liege keine inaktive Phase von über einem Jahr vor. Allerdings sei auch keine nennenswerte Beschleunigung ersichtlich, die geeignet wäre, durch den Ablauf des zweiten Rechtszuges eine erstinstanzlich aufgetretene unangemessene Verzögerung zu kompensieren.

Der Kläger verfolgt sein Begehren nunmehr insoweit fort, als es um eine Entschädigung für das erstinstanzliche Verfahren geht. Er begehrt diesbezüglich ausdrücklich nur noch eine Entschädigung in Höhe von 2.400,00 EUR, auch wenn er meint, dass inaktive Phasen des Sozialgerichts im Umfang von zumindest 28 Monaten zu verzeichnen seien. So liege zum einen eine inaktive Phase von 22 Monaten (01. August 2006 bis zum 17. Juni 2008) vor, die als unangemessen zu bewerten sei. Dass er in dieser Phase selbst drei Schriftsätze zu den Akten gereicht habe, könne sich nicht zu seinen Lasten auswirken. Hätte das Sozialgericht richtigerweise gleichzeitig mit der Schwerbehindertenakte auch die Akten der Staatsanwaltschaft angefordert, wäre es weder zu der fast zweijährigen Inaktivität noch zu seinen Schriftsätzen vom 28. Februar 2007, 14. Mai 2007 und 13. Dezember 2007 gekommen. Zum anderen sei die Sache nach Eingang der Akten am 17. Juni 2008 mit Verfügung vom 29. Juli 2008 "alsbald" zur Sitzung vorgesehen worden. Eine Terminierung sei dann jedoch erst am 10. Juni 2009 auf den 16. Juli 2009 erfolgt. Dieser Zeitraum weise eine inaktive Phase von über zwölf Monaten auf, werde allerdings nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts teilweise kompensiert. Insgesamt sei jedoch davon auszugehen, dass eine unangemessen lange Dauer des Verfahrens von jedenfalls zwei Jahren und vier Monaten anzunehmen sei. Soweit das Bundessozialgericht eine allgemeine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit von zwölf Monaten anerkenne, heiße dies nicht, dass dieser Zeitraum von der Verzögerungszeit abzuziehen sei. Vielmehr bedeute dies allein, dass eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit von zwölf Monaten grundsätzlich keine unangemessene Verfahrensdauer darstelle. Dementsprechend könne allenfalls die Verfahrensdauer beim Sozialgericht von drei Jahren und sieben Monaten um zwölf Monate gemindert werden.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm eine Entschädigung in Höhe von 2.400,00 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, das Bundessozialgericht habe als Bearbeitungslücken die Zeiten vom 01. August 2006 bis zum 17. Juni 2008 mit einem Jahr und neun Monaten sowie vom 29. Juli 2008 bis zum 10. Juni 2009 mit insgesamt zehn Monaten, insgesamt also zwei Jahre und sieben Monate angesehen. Von diesem Zeitraum seien die Zeiten abzuziehen, in denen der Kläger selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorgangs durch das Gericht bewirkt habe. Hier seien der Eingang des Schriftsatzes vom 28. Februar 2007 am 02. März 2007, die von ihm übersandte Stellungnahme des dbb vom 14. Mai 2007 (Eingang bei Gericht am 20. Juni 2007) sowie sein Antrag vom 13. Dezember 2007 zu nennen. Dafür sei jeweils eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit von einem Monat abzuziehen. Gleiches gelte für die Einreichung diverser medizinischer Unterlagen nebst seiner ausführlichen Stellungnahme am 10. September 2008, seine Ausführungen vom 18. Dezember 2008 sowie die Vorlage des Gutachtens von Dr. B am 23. April 2009. Es verbleibe damit ein entschädigungsrelevanter Zeitraum von zwei Jahren und einem Monat. Weiter sei es gerechtfertigt, dem Ausgangsgericht eine allgemeine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit von zwölf Monaten zuzugestehen. Der entschädigungsrelevante Zeitraum verkürze sich damit auf insgesamt ein Jahr und einen Monat für das erstinstanzliche Verfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der nach § 201 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie § 202 Satz 2 des SGG, jeweils in der Fassung des GRüGV vom 24. No¬vember 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554) für die Entscheidung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 202 Satz 2, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt hatten.

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger hat nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1.100,00 EUR, da er infolge unangemessener Dauer seines vor dem Sozialgericht Neuruppin zunächst unter dem Aktenzeichen S 3 VG 66/06 und sodann unter dem Aktenzeichen S 11 VG 324/07 geführten Verfahrens einen immateriellen Nachteil erlitten hat, der nicht auf andere Weise wieder gut gemacht werden kann (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG). Soweit er hingegen bzgl. des am 06. April 2006 eingeleiteten und durch Zustellung der Urteilsgründe des Sozialgerichts am 09. November 2009 erstinstanzlich abgeschlossenen, sich mithin über drei Jahre und sieben Monate erstreckenden Verfahrensabschnitts eine dem Beklagten anzulastende Verzögerung im Umfang von zwei Jahren und vier Monaten rügt und diesbezüglich eine Entschädigung in Höhe von nunmehr noch 2.400,00 EUR, mithin weitere 1.300,00 EUR begehrt, kann er keinen Erfolg haben.

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Ob ein Verfahren als unangemessen lang zu bewerten ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG kommt es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten an.

Das streitgegenständliche Ausgangsverfahren, das für den Kläger von durchschnittlicher Bedeutung war und eine durchschnittliche Schwierigkeit aufwies, hat unangemessen lange im Sinne des Gesetzes gedauert. Nicht hingegen gestaltete es sich in dem von dem Kläger, der die Verfahrensdauer mit seinem prozessualen Verhalten nicht unwesentlich mitverursacht hat, beklagten Umfang von zwei Jahren und vier Monaten als überlang.

Mit Blick auf die - wenn auch in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG als Kriterium zur Bestimmung der Angemessenheit nicht ausdrücklich erwähnte - für eine Verletzung des Art. 6 Europäische Menschenrechtskonvention durch den Beklagten wesentliche Frage, ob diesem zurechenbare Verhaltensweisen des Ausgangsgerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben, sind maßgeblich allein Verzögerungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – juris, Rn. 41). Vor diesem Hintergrund sind die während des Verfahrens aufgetretenen aktiven und inaktiven Zeiten der Bearbeitung konkret zu ermitteln. Kleinste relevante Zeiteinheit ist im Geltungsbereich des GRüGV dabei stets der Monat (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 25, - B 10 ÜG 2/13 – Rn. 24, jeweils zitiert nach juris) im Sinne des Kalendermonats (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R –, 2. Leitsatz und Rn. 34). Zu beachten ist dabei ferner, dass auch dann keine inaktive Zeit der Verfahrensführung vorliegt, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher) Inaktivität des Gerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht bewirkt. Denn eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – juris, Rn. 57).

Nachdem das streitgegenständliche Ausgangsverfahren ab Eingang der Klage beim Sozialgericht Neuruppin am 06. April 2006 bis zum Eingang der Schwerbehindertenakte des Klägers am 01. August 2006 konsequent gefördert worden war, ist es im Folgenden erstmals zu einer Phase der gerichtlichen Inaktivität gekommen. Denn die bereits zu diesem Zeitpunkt gebotene Anforderung der Akten der Staatsanwaltschaft und des Bundesgrenzschutzpräsidiums ist erst auf richterliche Verfügung vom 17. Juni 2008 erfolgt.

Dass es in dieser Zeit zu einem Übergang des Verfahrens auf eine andere Kammer gekommen ist und damit die Notwendigkeit für einen neuen Vorsitzenden bestand, sich in das Verfahren einzuarbeiten, vermag den Beklagten nicht zu entlasten, da es sich insoweit um gerichtsorganisatorische Gründe handelt. Wohl aber ist es in dieser Phase vermeintlicher Inaktivität ausgelöst durch den Eingang von Schriftsätzen seitens des Klägers zu Bearbeitungszeiten bei Gericht gekommen, die nicht als verzögerungsrelevant anzusehen sind.

Soweit der Kläger pauschal meint, seinen Schriftsätzen könne keine - gerichtliche Inaktivität unterbrechende – Bedeutung beigemessen werden, weil es zu diesen nicht gekommen wäre, wenn das Sozialgericht mit der Schwerbehindertenakte sogleich die Akten der Staatsanwaltschaft angefordert hätte, folgt der Senat ihm nicht. So erschließt sich bereits nicht, warum eine frühere Anforderung der Akten der Staatsanwaltschaft den Kläger, der während des gesamten streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens immer wieder widersprüchlich vorgetragen hat, daran hätte hindern sollen, wie z.B. mit dem am 13. Dezember 2007 eingegangenen Schriftsatz geschehen, medizinisch vorzutragen. Ebenso wenig vermag der Senat allerdings der Rechtsauffassung des Beklagten zu folgen, dass sämtliche der im fraglichen Zeitraum eingegangenen Schriftsätze des Klägers Bearbeitungszeiten ausgelöst hätten. Dabei ist zu beachten, dass keiner der Schriftsätze von besonderer Länge war. Im Gegenteil handelte es sich durchweg um lediglich zwei- bis vierseitige Schreiben, deren Lektüre keinen erheblichen Zeitaufwand erforderte. Entscheidend ist damit, welchen Inhalts diese Schriftsätze waren. Gemessen daran geht der Senat davon aus, dass zum einen der am 02. März und zum anderen der am 13. Dezember 2007 eingegangene Schriftsatz jeweils eine einmonatige Bearbeitungszeit bei Gericht ausgelöst haben. Denn während in dem erstgenannten Schreiben ausführlicher zu den Geschehnissen bei der Polizei infolge des Vorfalls vom Mai 2000 ausgeführt worden war, was gerade für die Beweiswürdigung zur Frage, ob es zu einem vorsätzlichen rechtswidrigen Angriff gekommen ist, von Bedeutung hätte sein können, erfolgte in dem Schreiben vom Dezember medizinischer Vortrag und wurde die Einholung eines medizinischen Gutachtens beantragt. In beiden Fällen musste das Gericht die Be-deutung der Informationen und Anträge insbesondere am damals aktuellen Verfahrensstand messen und sich damit auseinandersetzen, ob aufgrund des jeweiligen Vortrages weitere Handlungsschritte geboten waren. Nicht hingegen gilt dies für das am 20. Juni 2007 eingegangene Schreiben. Diesem ist im Wesentlichen der Wunsch des Klägers nach Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu entnehmen. Auch das beigefügte Schreiben des dbb war zur Überzeugung des Senats nicht geeignet, beim Sozialgericht eine Bearbeitungszeit auszulösen. Denn dass dieses sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens beschäftigt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Schreiben diente letztlich vielmehr dem Zweck, dem bereits im Schriftsatz zum Ausdruck gebrachten Drängen auf eine baldige Erledigung Nachdruck zu verleihen.

Ab dem 17. Juni 2008 bis zum 30. Juli 2008 wurde dem Verfahren wieder Fortgang gewährt und konzentrierten sich die Ermittlungen auf das - für die Bejahung eines Anspruchs wesentliche - Vorliegen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs.

Soweit es nach der am 30. Juli 2008 erfolgten Ausschreibung des Rechtsstreits als entscheidungsreif erstmals mit richterlicher Verfügung vom 10. Juni 2009 zur Anberaumung eines Termins auf den 16. Juli 2009 gekommen ist, kann wiederum nicht von durchgehender Inaktivität ausgegangen werden. Zwar sieht der Senat es in diesem Zusammenhang als nicht bedeutsam an, dass es Anfang April 2009 auf Bitte der Staatsanwaltschaft um Rücksendung der Akten zur Fertigung von einigen Kopien gekommen ist. Im Gegenteil ist die Notwendigkeit hierzu tatsächlich gerade der langen Verfahrensdauer geschuldet. Wohl aber wurde bei Gericht eine Bearbeitungszeit dadurch ausgelöst, dass der Kläger mit am 08. September 2008 eingegangenem neunseitigen Schriftsatz verschiedene teils medizinische Bescheinigungen sowie erneut einen früheren Schriftsatz vorlegte. Hiermit hatte sich das Gericht auseinander-zusetzen. Auch hielt die Kammer es in diesem Falle vertretbarerweise für geboten, vom Beklagten des Ausgangsverfahrens hierzu eine Stellungnahme einzuholen, die am 14. Oktober 2008 einging. Erst ab dem Folgetag ist es sodann wieder zu gerichtlicher Inaktivität gekommen, die mit Eingang des Schriftsatzes des Klägers am 18. Dezember 2008 endete. Denn auch wenn es sich bei diesem Schreiben lediglich um ein einseitiges handelte, musste das Gericht auf die Anfrage des damaligen Bevollmächtigten des Klägers, ob es zu einer Verfahrensverbindung mit dem Schwerbehindertenverfahren gekommen sei, reagieren, was auch geschehen ist. Abgesehen davon waren die Anzeige der Verschlechterung des Gesundheitszustandes sowie die Benennung eines Zeugen auf die Bedeutung für die weitere Verfahrensgestaltung zu würdigen. Der Senat geht in diesem Zusammenhang von einer einmonatigen Bearbeitungszeit aus, auch wenn das Gericht auf das klägerische Schreiben erst unter dem 10. Februar 2009 antwortete. Dass es seinerzeit offenbar erst zu einer späten Vorlage des Schriftsatzes bei der Kammervorsitzenden und einer späten Ausführung ihrer Verfügung gekommen war, kann nicht zu Lasten des Klägers gehen. An die damit ab dem 19. Dezember 2008 laufende und am 18. Januar 2009 endende Bearbeitungszeit schloss sich im Folgenden wieder eine Phase der gerichtlichen Inaktivität an, die zur Überzeugung des Senats erst im Juni 2009 endete. Denn auf richterlicher Verfügung vom 10. Juni 2009 wurde der Rechtsstreit tags darauf terminiert. Nicht hingegen war der am 23. April 2009 eingehende Schriftsatz geeignet, eine Bearbeitungszeit auszulösen. Das übersandte, im parallel geführten Schwerbehindertenverfahren eingeholte Gutachten war sowohl der Kammervorsitzenden wie auch dem damaligen Beklagten bekannt, sodass auf eine Übersendung an diesen verzichtet wurde.

Soweit nach erfolgter Ansetzung eines Termins zur mündlichen Verhandlung im Folgenden aufgrund der Verhinderung des damaligen Bevollmächtigten des Klägers eine Verlegung des Termins erforderlich wurde, ist dies nicht dem Beklagten anzulasten. Insbesondere ist es im Zusammenhang mit der Neuterminierung auch nicht zu Verzögerungen gekommen. Dies gilt – auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 134 Abs. 2 Satz 1 SGG - gleichermaßen, soweit die schriftlichen Urteilsgründe nach mündlicher Verhandlung am 27. August 2009 am 27. Oktober 2009 von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts abgeschickt wurden. Bei der dort benannten Monatsfrist handelt es sich um eine Sollfrist. Dass deren Überschreitung hier die Annahme einer Verzögerung rechtfertigen könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Dass die Zeit zwischen Absendung des Urteils und Zustellung desselben nicht in den Verantwortungsbereich des Beklagten fallen kann, ist offensichtlich.

Insgesamt ist es damit während des erstinstanzlichen Verfahrens zu folgenden Phasen der gerichtlichen Inaktivität gekommen:

vom bis zum Dauer der Verzögerung nach Kalendermonaten

02. August 2006 (Tag nach Eingang der SB-Akte) bis zum 02. März 2007 (Eingang des eine Bearbeitungszeit auslösenden Schriftsatzes) 6 Kalendermonate 03. April 2007 (Tag nach Ablauf der einmonatigen Bearbeitungszeit) 13. Dezember 2007 (Eingang des eine Bearbeitungszeit auslösenden Schriftsatzes) 7 Kalendermonate 14. Januar 2008 (Tag nach Ablauf der einmonatigen Bearbeitungszeit) 17. Juni 2008 (Einleitung der Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft) 4 Kalendermonate 31. Juli 2008 (Tag nach Ausschreiben der Sache in das Sitzungsfach) 08. September 2008 (Eingang des klägerischen Schriftsatzes) 1 Kalendermonat 15. Oktober 2008 (Tag nach Eingang der Stellungnahme des damaligen Beklagten) 18. Dezember 2008 (Eingang des klägerischen Schriftsatzes) 1 Kalendermonat 19. Januar 2009 (Tag nach Ablauf der einmonatigen Bearbeitungszeit) 11. Juni 2009 (Ladung) 4 Kalendermonate insgesamt 23 Kalendermonate

Bei der Bestimmung der Dauer der jeweiligen Verzögerung hat der Senat – der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgend – auf den Kalendermonat als kleinste maßgebliche Einheit abgestellt.

Dies heißt jedoch nicht, dass dem Kläger für 23 Kalendermonate eine Entschädigung zu gewähren ist. Denn die Bestimmung der maximal zulässigen, noch angemessenen Verfahrenslaufzeit kann jeweils nur aufgrund einer abschließenden Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien erfolgen. Die Feststellung längerer Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten führt noch nicht zwangsläufig zu einer unangemessenen Verfahrensdauer. Denn es ist zu beachten, dass dem Rechtsschutz Suchenden - je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie von seinem eigenen Verhalten – gewisse Wartezeiten zuzumuten sind, da grundsätzlich jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen muss (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – Rn. 52). Allerdings muss die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte einerseits so beschaffen sowie die gerichts-interne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln etc.) andererseits so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf. älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht. Die systematische Verfehlung dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – Rn. 53, – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 46, jeweils zitiert nach juris).

Vor diesem Hintergrund sind - vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls - Vorbereitungs- und Bedenkzeiten im Umfang von bis zu zwölf Monaten je Instanz regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte als begründet und gerechtfertigt angesehen werden können, und können in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Angemessen bleibt die Gesamtverfahrensdauer regelmäßig zudem dann, wenn sie zwölf Monate überschreitet, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht wird, die das Gericht nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – juris, Rn. 33, 54 f., – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 47 f.). Gemessen daran geht die Auffassung des Klägers, zwölf Monate seien allenfalls von der Gesamtdauer des erstinstanzlichen Verfahrens in Abzug zu bringen, nicht aber von den aufgetretenen Zeiten der Inaktivität, fehl.

Indes ist zu beachten, dass die genannten Orientierungswerte nur dann gelten, wenn sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – juris, Rn. 56). Derartige Kriterien vermag der Senat letztlich nicht zu erkennen. Vielmehr scheidet zu seiner Überzeugung eine Reduzierung der entschädigungslos hinzunehmenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit für das erstinstanzliche Verfahren schon mit Blick darauf aus, dass es in dem Verfahren nicht um Ansprüche ging, die eine besonders eilige Erledigung geboten erscheinen ließen. Umgekehrt sieht der Senat allerdings – auch unter Berücksichtigung des teils widersprüchlichen und teils einer zügigen Erledigung der Sache durchaus entgegenstehenden prozessualen Verhaltens des Klägers – keine Gründe, die nicht schon bei der Frage berücksichtigt worden wären, wieviel Zeit die einzelnen Bearbeitungsschritte berechtigterweise in Anspruch nehmen durften, ohne als Phase der Inaktivität gewertet zu werden, bzw. wann überhaupt von einer Phase der Inaktivität auszugehen ist und es nunmehr rechtfertigen würden, zum Nachteil des Klägers von einer längeren Bearbeitungs- und Bedenkzeit auszugehen.

Vor diesem Hintergrund sind mit Blick auf das erstinstanzliche Verfahren unter Berücksichtigung der im Umfang von 23 Kalendermonaten festgestellten Zeiten der Inaktivität abzüglich der dem Gericht zustehenden zwölfmonatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit letztlich elf Monate als entschädigungsrelevant anzusehen. Gründe, unter Berücksichtigung aller Umstände im Rahmen einer Gesamtabwägung von einer Verzögerung in geringerem Umfang auszugehen, sieht der Senat nicht. Angesichts der letztlich auch für das Berufungsverfahren benötigten Zeit kommt eine grundsätzlich denkbare Kompensation hier nicht in Betracht. Weiter stellt sich der in den Verantwortungsbereich des Beklagten fallende Umfang an Verzögerungen im Verhältnis zu den von dem Kläger verursachten Verzögerungen noch immer als nicht unerheblich dar. Umgekehrt sieht der Senat jedoch auch keinen Raum, von einer weitergehenden Verzögerung auszugehen.

Durch diese überlange Verfahrensdauer hat der Kläger einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht erkennbar und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.

Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Absatz 4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist zur Überzeugung des Senats nicht ausreichend (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Unter Würdigung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 und Art. 41 EMRK, nach der eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht kommt, besteht vorliegend kein Anlass, von der gesetzlich als Normalfall vorgesehenen Zahlung einer Entschädigung abzusehen. Entsprechende Gründe hat auch der Beklagte nicht geltend gemacht.

Ausgehend von der im Umfang von elf Monaten überlangen Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens und dem in § 198 Abs. 2 S. 3 GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung beläuft sich die dem Kläger zustehende angemessene Entschädigung auf 1.100,00 EUR. Zur Überzeugung des Senats besteht kein Anlass, den gesetzlich vorgesehenen Pauschalbetrag als unbillig anzusehen und in Anwendung des § 198 Abs. 2 S. 4 GVG eine abweichende Festsetzung vorzunehmen, was sowieso nur bei Vorliegen eines atypischen Sonderfalles denkbar wäre (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – Rn. 38 f.). Entsprechende Gründe hat insbesondere auch der Kläger selbst nicht dargetan. So wenig, wie der Senat damit Anlass hat, von dem gesetzlich vorgesehenen Pauschalbetrag nach oben abzuweichen, so wenig Grund sieht er umgekehrt, einen geringeren Betrag festzusetzen.

Da derEntschädigungsanspruch nach § 198 GVG außerhalb des Systems der sozial-rechtlichen Ansprüche steht, für die Prozesszinsen nach Maßgabe des § 44 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches grundsätzlich nicht beansprucht werden kann (vgl. BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 52, – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 61 und – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 54, alle zitiert nach juris), war der Beklagte weiter gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 Satz 1 BGB analog zur Zahlung von Prozesszinsen in Höhe von 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz zu verurteilen. Diese sind ab Rechtshängigkeit, d.h. nach § 94 SGG ab Klageerhebung am 18. Mai 2012 zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 und 2 VwGO und folgt dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen während des Gesamtverfahrens.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1 ZPO war im Hinblick auf die Regelungen der §§ 202, 198 Abs. 1 SGG nicht auszusprechen.

Anlass, die Revision nach §§ 160 Abs. 2, 202 Satz 2 SGG, 201 Abs. 2 Satz 3 GVG zuzulassen, bestand nicht.
Rechtskraft
Aus
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