S 16 SB 458/15

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
16
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 16 SB 458/15
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1) Für die Prüfung verwaltungsbehördlicher Entscheidungen über die Erteilung einer
Ausnahmegenehmigung nach der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft. Arbeit und Verkehr über die Bewilligung von Parkerleichterungen für besondere
Gruppen schwerbehinderter Menschen sind die Verwaltungsgerichte auch dann zuständig, wenn die Versorgungsbehörden die Entscheidung getroffen haben.

2) Die Eröffnung des Rechtsweges zu den Sozial- oder auch anderen (Fach-) Gerichten erfordert aufgrund des grundgesetzlich garantierten Rechts auf den gesetzlichen Richter immer eine
Zuständigkeitsregelung durch förmliches Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlassener förmlicher Rechtsverordnung.
I. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist unzulässig.

II. Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Chemnitz verwiesen.

III. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Das angerufene Gericht erklärt sich gemäß § 17a Abs. 2 S. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) für unzuständig, da der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gegeben ist (§ 51 Sozialgerichtsgesetz –SGG-) und verweist den Rechtsstreit an das sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsgericht Chemnitz. Die Klägerin begehrt unter anderem die Erteilung einer Sonderparkerleichterung im Sinne der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr über die Bewilligung von Parkerleichterungen für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen (VwV Parkerleichterungen) vom 31.12.2011. Auf Antrag vom 19.06.2014, eigegangen am 24.06.2014, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 17.12.2014 fest, dass bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen sei. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" lägen nicht vor. Ebenso lägen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Parkerleichterungen für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen nicht vor. Auf den Widerspruch der Klägerin erging am 18.05.2015 ein abweisender Widerspruchsbescheid. Am 26.05.2015 reichte die Klägerin zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Chemnitz Klage ein. Diese wird unter dem Aktenzeichen S 16 SB 284/15 geführt. Bei Klageeinreichung stellte die Klägerin den Antrag: den Bescheid vom 17.12.2014, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2014 aufzuheben und einen Grad der Behinderung von mindestens 80, das Merkzeichen "G" und eine Sonderparkerleichterung zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 23.06.2015 beantragte der Beklagte, die Klage abzuweisen. Für den Antrag auf Feststellung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen einer Sonderparkerleichterung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 VwV-StVO sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gegeben. Die Klägerin wurde mit gerichtlichen Schreiben vom 29.06.2015 ausführlich und vom 14.07.2015 mit Hinweis auf das gerichtliche Schreiben vom 29.06.2015, darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die Sonderparkerlaubnis der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht eröffnet sei und das Gericht beabsichtige, das Verfahren insoweit abzutrennen und an das Verwaltungsgericht Chemnitz zu verweisen. Mit Beschluss vom 24.08.2015 hat das Gericht das Verfahren, soweit die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung einer Sonderparkerlaubnis nach der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr über die Bewilligung von Parkerleichterungen für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen (VwV Parkerleichterungen) geltend macht, abgetrennt und unter diesem Aktenzeichen fortgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Das Begehren der Klägerin ergibt sich aus den Schriftsätzen, insbesondere aus dem zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erklärten Klageantrag. Die Klägerin hat ausdrücklich die Ausstellung einer Sonderparkerlaubnis nach der VwV Parkerleichterungen beantragt (sogenanntes: "aG -Light"). Eine sozialgerichtliche Zuständigkeit für diese Streitigkeit besteht nicht. Die Sozialgerichte entscheiden nach § 51 Abs. 1 SGG nämlich ausschließlich in folgenden Sachgebieten:
1. in Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte,

2. in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch), auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden; dies gilt nicht für Streitigkeiten in Angelegenheiten nach § 110 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch aufgrund einer Kündigung von Versorgungsverträgen, die für Hochschulkliniken oder Plankrankenhäuser (§ 108 Nr. 1 und 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) gelten,

3. in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der Überwachung der Maßnahmen zur Prävention durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung,

4. in Angelegenheiten der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit,

4a. in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende,

5. in sonstigen Angelegenheiten der Sozialversicherung,

6. in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der §§ 25 bis 27j des Bundesversorgungsgesetzes (Kriegsopferfürsorge), auch soweit andere Gesetze die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften vorsehen,

6a. in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes,

7. bei der Feststellung von Behinderungen und ihrem Grad sowie weiterer gesundheitlicher Merkmale, ferner der Ausstellung, Verlängerung, Berichtigung und Einziehung von Ausweisen nach § 69 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch,

8. die aufgrund des Aufwendungsausgleichsgesetzes entstehen,

9. (weggefallen)

10. für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird. Eine Zuständigkeit aufgrund der Ziffern 1. bis 6a., 8. und 9. besteht offenkundig nicht.

Es besteht auch keine Zuständigkeit nach Ziff. 7 ... Gegenstand des Begehrens der Klägerin ist, soweit der Anspruch abgetrennt ist, nicht der von dem Beklagten festgestellte GdB. Es handelt sich bei der streitigen Feststellung insbesondere auch nicht um ein Merkzeichen im Sinne der Ziffer 7. des SGG, auch wenn es dabei durchaus um einen Nachteilsausgleich geht, worauf Dau in seiner Anmerkung zum Verweisungsbeschluss der Kammer vom 15.04.2015 (S 16 SB 161/15) in juris Praxisreport Sozialrecht 17/2015, Anm. 5 zutreffend hinweist.

Merkzeichen oder Nachteilsausgleiche im Sinne des § 51 Abs. 1 Ziffer 7 SGG können nämlich nur solche sein, die durch formelles Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch einen anderen formellen Rechtsakt, also durch Rechtsverordnung festgelegt werden. Das Erfordernis einer förmlichen Regelung auch für Nachteilsausgleiche ergibt sich unzweifelhaft aus dem Grundgesetz und zwar aus der Garantie des gesetzlichen Richters des Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Garantie des gesetzlichen Richters, die sich auch auf den zulässigen Rechtsweg erstreckt, erfordert nämlich, dass alle Regelungen welche die Zuständigkeit eines Gerichtes einschließlich des Rechtsweges beeinflussen können, also auch die Einführung von Merkzeichen oder Nachteilsausgleiche im Sinne des § 51 Abs. 1 Ziffer 7 SGG, ausschließlich durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlassener Rechtsverordnung als untergesetzliche förmliche Rechtsquelle erfolgen müssen.

Der Gesetzgeber hat diesen Grundsatz auch im § 69 Abs. 4 SGB-IX in Verbindung mit § 126 Abs. 2 SGB-IX beachtet und für das gesamte SGB-IX festgeschrieben. Die letztgenannte Vor-schrift nennt ausdrücklich "Rechtsvorschriften", also Gesetze oder zumindest aufgrund von Gesetzen erlassenen Rechtsverordnungen, die in der Vergangenheit gewährten Nachteilsausgleichen Bestandsschutz gewähren. Der Gesetzgeber hat mit dieser Wortwahl zunächst zwar nur deutlich gemacht, dass nur durch formellen Akt und nicht aufgrund anderer Vorschriften, wie die hier vorliegende Verwaltungsvorschrift, eingeführte Vergünstigungen Bestandsschutz haben sollten.

Aus dem Sinngehalt der Regelung wird aber, bei Berücksichtigung der genannten grundgesetzlichen Garantie des gesetzlichen Richters, auch der Wille des Gesetzgebers deutlich, dass nur durch Gesetze oder aufgrund von Gesetzen erlassener Rechtsverordnungen Merkzeichen oder Nachteilsausgleiche im Sinne des SGB-IX neu eingeführt werden können, da sie, wie dargelegt, Auswirkungen auf die gerichtliche Zuständigkeit haben (können).

Auf die Schwerbehindertenausweisverordnung oder die Verordnung vom 31.07.2001 des Bundeslandes Berlin, erlassen durch Ermächtigung des Landesgleichberechtigungsgesetzes vom 17.05.1999, durch die im Lande Berlin das nur in dem genannten Land gültige Merkzeichen "T" eingeführt wurde und die diesen Vorgaben entsprechen, wird beispielhaft verwiesen. Nicht ausreichend ist jedenfalls, wie bei der hier streitigen Verwaltungsvorschrift, eine interne Handlungsanweisung der Verwaltung. Damit sind auch die Argumente von Dau, der auf die Frage des gesetzlichen Richters überhaupt nicht eingeht, widerlegt. Sein weiteres Argument, dass es der Straßenverkehrsbehörden an der nötigen Sachkunde mangelt, verwundert doch sehr. Behörden sind, wenn es ihnen tatsächlich an Sachkunde mangeln sollte, immer gehalten, sich diese Sachkunde zu verschaffen oder das Fachamt intern zu beteiligen, wie dies beispielsweise im Bauordnungsrecht bei der Genehmigung eines Bauantrages seit Jahrzehnten problemlos praktiziert wird. Auch das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr hat diese Problematik im Übrigen gesehen, so dass es in Ziffer I. 1. der Verwaltungsvorschrift den Nachweis der Voraussetzungen von der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung abhängig gemacht hat. Diese Verfahrensvorschrift, die auf die Tätigkeit einer normalerweise nicht mit gesundheitlichen Fragen befassten Behörde zugeschnitten ist, zeigt, ebenso wie die Bezugnahme auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 4. Juni 2009 zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 deutlich, dass auch der Vorschriftengeber, eine straßenverkehrsrechtliche Vorschrift erlassen und eine Tätigkeit der Straßenverkehrsbehörden regeln wollte. Eine gesetzliche Rechtswegzuweisung nach § 51 Abs. 1 Ziff. 10. SGG ist ebenfalls nicht erkennbar, so dass für die hier streitige straßenverkehrsrechtliche Frage der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gegeben ist. Zuständig sind daher, da auch keine Regelung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO er-kennbar ist, nach wohl herrschender Ansicht, auch in der Sozialgerichtsbarkeit, die allgemeinen Verwaltungsgerichte, (vergl. zur Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte u. a.: LSG München L 3 SB 61/13 (ausdrücklich im Hinblick auf die der sächsischen VwV entsprechende Zuständigkeitsregelung der Landesbehörden nach bayerischem Landesrecht); VG Regensburg RO 4 K 10.00614; OVG Münster 8 E 959/07, 8 E 1159/09, 8 E 23/11; VG Aachen 2 K 2170/02, 2 K 266/07, 2 K 315/07, 2 K 891/07, 2 K 2191/08, 2 K 2270/10; VG Düsseldorf 6 K 5292/03, 14 K 1539/09, 14 K 4766/09; VG Gelsenkirchen 14 K 4497/03, 14 K 3637/07, 14 K 2291/09; VG Braunschweig 6 A 122711; VG Osnabrück 6 A 215/08; VG Frei-burg/Breisgau 4 K 2673/13; VG Saarlouis 10 K 764/09; VG Sigmaringen 8 K 2267/07; sowie unveröffentlicht: SG Chemnitz S 32 SB 422/14; S 33 SB 435/10). Auch das OVG Bautzen geht davon aus, dass für die Frage der Erteilung von straßenver-kehrsrechtlichen Sonderparkerlaubnissen der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist (vergl. z. B.: 3 A 431/11, 3 E 11/14).

III.

Da die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gericht als Teil der Kosten behandelt werden, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, bleibt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten (§ 17b Abs. 2 S. 1 GVG).
Rechtskraft
Aus
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