L 13 AS 3223/15 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 1590/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 3223/15 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. Juli 2015 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen (SG) vom 27. Juli 2015 ist begründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vom 19. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 -mit einem Abschlag- zu gewähren.

Der Antragsteller ist zwar nach seinen Angaben hilfebedürftig und dürfte erwerbsfähig sein und seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I) seit April 2015 (s. Bescheinigung des Generalkonsulats der Republik Polen vom 21. Juli 2015) im Bundesgebiet haben; er erfüllt auch die gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich des Alters (vgl. zu alledem § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-4 SGB II). Der Antragsteller ist aber gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Wege des Erst-Recht-Schlusses vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Hiernach sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dies gilt erst recht für Ausländer, die sich -wie der Antragsteller- ohne materielles Aufenthaltsrecht in Deutschland aufhalten.

Der Antragsteller ist Pole (s. o.g. Bescheinigung des Generalkonsulats) und hält sich ohne materielles Aufenthaltsrecht in Deutschland auf. Weder will er sich als Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU aufhalten noch Arbeit suchen (§ 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU). Der Antragsteller lebte im Jemen, bis er im April 2015 im Rahmen einer Evakuierung nach Deutschland eingereist ist (s. o.g. Bescheinigung). Er spricht und versteht kein deutsch und auch nicht polnisch. Auf die schriftliche Anfrage des SG, ob er Arbeit suche, wenn ja, was er bisher unternommen habe, hat nicht er reagiert, sondern seine Mutter, die angegeben hat, dass sie nach dem Deutschkurs für ihn eine Arbeit suche. Damit ist -entgegen dem SG- ein aktueller Bezug zum Arbeitsmarkt nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller ist 1986 geboren, so dass er auch kein Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger hat (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU). Die Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU sind auch nicht erfüllt, da er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt.

Der Senat ist der Auffassung, dass der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Ausschluss für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, auch gilt, wenn nicht einmal dieses vorliegt (so auch der 1. Senat des Landessozialgerichts Baden- Württemberg, Beschluss vom 29. Juni 2015, L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B, Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. Februar 2015, L 2 AS 14/15 B ER, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2014, L 29 AS 2052/14 B, Urteil vom 19. Juli 2012, L 5 AS 511/11, Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. Juli 2014, L 15 AS 202/14 B ER, 15. November 2013, L 15 AS 365/13 B ER, Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. Dezember 2014, L 2 AS 1623/14 B ER, Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11. Dezember 2014, , L 7 AS 528/14 B ER; a.A. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 5. Mai 2014, L 19 AS 430/13, und 10. Oktober 2013, L 19 AS 129/13 m.w.N., alle Juris). Dies ergibt sich daraus, dass ansonsten ein unauflösbarer Wertungswiderspruch entstünde, der durch systematische Auslegung zu vermeiden ist. Der Gesetzgeber wollte Ausländer von Leistungen ausschließen, die ohne einen anderen anerkannten Aufenthaltsgrund nach dem FreizügG/EU zu haben, nur zur Arbeitssuche einreisen. Damit wird deutlich, dass nicht einmal dieses Aufenthaltsrecht Innehabende von vorneherein ausgeschlossen sein sollten.

Der Leistungsausschluss für nicht Arbeitssuchende ist auch mit Europarecht konform. Nach der Entscheidung des EuGH vom 11. November 2014, C 333/13, (Dano), sind keine berechtigte Zweifel mehr erkennbar. Denn hiernach können Unionsbürger, die kein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmestaat nach der Richtlinie 2004/38 geltend machen können, sich schon nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie berufen (vgl. auch Thym, Die Rückkehr des Marktbürgers - Zum Ausschluss nichterwerbsfähiger EU-Bürger von Hartz IV-Leistungen, NJW 2015, 130).

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG. Der Senat hat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens für maßgeblich erachtet, dass die Beschwerde des Antragsgegners erfolgreich gewesen ist.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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