S 17 R 270/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 R 270/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 R 326/15
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 20. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2013 wird bezüglich der darin enthaltenen anteiligen Beitragsforderungen für die Gesamtlohndifferenz von 33.175 EUR für das Kalenderjahr 2006 aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Streitwert wird auf 229.185,93 EUR festgesetzt.
IV. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten streitig ist eine Nachforderung von Sozialversicherungs-beiträgen für den Prüfzeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2009 nach durchgeführter Betriebsprüfung von insgesamt 229.185,93 EUR.

Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), ist im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung tätig und betreibt in A-Stadt eine Personalvermittlung für Zeitarbeit. Sie ist Rechtsnachfolgerin der R. GmbH, unter welchem Namen die Firma bis zum 31.12.2012 firmierte.

Nachfolgend zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 14.12.2010, Az. 1 ABR 19/10, wonach die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) nicht tariffähig sei, führte die Beklagte in der Zeit vom 26.07.2011 bis 20.04.2012 eine Sonderbetriebsprüfung nach § 28 p Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) für die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2009 durch.

Im Rahmen der Prüfung ergab sich für die Beklagte, dass die Klägerin im Prüfungs-zeitraum mit Besitz einer entsprechenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis als Verleiherin von Arbeitnehmern Vergütungsansprüche nach einem unwirksamen Tarifvertrag gezahlt habe.

Nachdem die Beklagte im Anhörungsschreiben vom 05.10.2011 - ausgehend von den bei der Betriebsprüfung erfolgten klägerischen Angaben zur geleisteten Arbeitnehmerver-gütung - noch von deutlich höheren nachträglich zu verbeitragenden Differenzlohn-summen zwischen gezahlten Vergütungen und nach dem sogenannten "Equal-pay"-Grundsatz tatsächlich zu verbeitragenden Lohnsummen ausgegangen war und für den Prüfungszeitraum eine Nachforderung von 960.842,03 Euro in Aussicht gestellt hatte, erfolgte im weiteren Anhörungsverfahren eine gemeinsame Erarbeitung der Schätzungsgrundlagen nach § 28 f Abs. 2 SGB IV unter Beteiligung der Klägerin.

Nachfolgend gingen die Beteiligten einvernehmlich von Differenzlohnsummen zwischen den nach unwirksamem Tarifvertrag gezahlten Vergütungen und den nach Equal-pay- Grundsätzen entstandenen Vergütungsansprüchen von 33.175 Euro für das Kalenderjahr 2006, von 52.913 Euro für das Kalenderjahr 2007 und von 477.423 Euro für das Kalen-derjahr 2008 aus.

Ausgehend hiervon erließ die Beklagte den Bescheid vom 20.04.2012 mit Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 229.185,93 EUR.

Die Nachforderung ergebe sich nach dem seit Januar 2004 in § 10 Abs. 4 Arbeitnehmer-überlassungsgesetz (AÜG) gesetzlich verankerten "Equal-pay"-Grundsatz aus der Differenz zwischen dem aufgrund des unwirksamen Tarifvertrages gezahlten Arbeitsent-gelt und der Entlohnung, welche der verliehene Arbeitnehmer als Teil der Stammbeleg-schaft des Entleihers erhalten hätte.

Dabei komme es nach dem im Bereich der Sozialversicherung geltenden Entstehungs-prinzip nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV nicht darauf an, ob die betroffenen Arbeitnehmer den zustehenden höheren Entgeltanspruch gegenüber dem Arbeitgeber auch tatsächlich geltend machen würden.

Hinsichtlich der Höhe der berechneten Beitragsnachforderung sei diese nach den maß-geblichen Bestimmungen des § 28 f Abs. 2 Satz 3 SGB IV zu schätzen gewesen, da im maßgeblichen Zeitraum von Juli 2006 bis Dezember 2008 ca. 15.000 Beschäftigungs-verhältnisse mit Leihe an ca. 1.000 Entleiher vorgelegen hätten mit teilweise sehr kurzer Beschäftigungsdauer.

Aus den einvernehmlich mit der Klägerin festgestellten Gesamtdifferenzlohnsummen für die Jahre 2006 bis 2008 errechne sich ein nachzuentrichtender Gesamtsozialversiche-rungsbeitrag von insgesamt 229.185,93 EUR.

Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte am 22.05.2012 Widerspruch. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der nunmehr geprüfte Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2008 bereits Gegenstand einer regulären Betriebsprüfung gewesen sei, welche keine entsprechende Beanstandung ergeben habe. Die damaligen Bescheide seien weder aufgehoben worden, noch habe sich die Beklagte vorbehalten, das klägerische Unternehmen im Hinblick auf die Anwendung des CGZP-Tarifvertrages nochmals zu prüfen.

Der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG)vom 14.12.2010 bezüglich der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP könne nur zur Unwirksamkeit der Tarifverträge ab dem 14.12.2012 führen. Das BAG habe für die Frage Tariffähigkeit neue Beurteilungskriterien aufgestellt, ein Umstand, welcher nach dem Rückwirkungsverbot nicht in die Vergangen-heit hineinwirken dürfe.

Ansonsten werde schutzwürdiges Vertrauen in die geschlossenen Tarifverträge und das auch im Bereich der Sozialversicherung anzuwendende Äquivalenzprinzip verletzt. Es sei nicht darstellbar, wenn vom Entstehen von Ansprüchen auf Sozialversicherungsbeiträge ausgegangen werde, ohne dass zugleich auch entsprechende Vergütungsansprüche nachfolgen. Diese könnten jedoch erst mit BAG-Entscheidung Ende 2010 entstanden sein.

Schließlich sei der Klägerin kein vorwerfbares Fehlverhalten ihrer Geschäftsführer zuzurechnen; auch bei etwaigen Bedenken gegen den bestehenden Tarifvertrag hätten diese dessen Anwendung nicht eigenmächtig aussetzen dürfen.

Deshalb seien auch die für 2006 nacherhobenen Beiträge verjährt. Das im Nachgang zur BAG-Entscheidung versandte Informationsschreiben habe keine Hemmung der Ver-jährung bzw. Vorsatz begründet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Vorrangig gegenüber dem Vertrauen in das Bestehen eines unwirksamen Tarifvertrags sei die Schutzwürdigkeit der Leiharbeitnehmer nach dem AÜG. Nach BAG-Recht-sprechung sei aber geklärt, dass der bestehende Tarifvertrag von Anfang an unwirksam war. Die Tariffähigkeit der CGZP sei bereits seit 2003 umstritten gewesen, seitdem habe es auch mehrere Klagen vor dem Arbeitsgericht gegeben. Eine Abweichung von den Vorschriften des AÜG käme jedoch nur bei wirksamem Tarifvertrag in Betracht.

Das von der Klägerin angeführte Äquivalenzprinzip trete vorliegend hinter dem Solidari-tätsprinzip zurück. Grundlage für die Entstehung von Beitragsansprüchen sei nach § 22 SGB IV nicht das gezahlte, sondern das geschuldete Entgelt.

Auch die zuvor stattgehabte Betriebsprüfung stehe dem jetzt gefundenen Ergebnis der Betriebsprüfung nicht entgegen. Die Betriebsprüfung habe keine über eine Kontroll-funktion für Beitragsentrichtungen hinausgehende Bedeutung, schütze und entlaste also nicht den Beitragsschuldner.

Hinsichtlich der Verjährung war der Beschluss vom 14.12.2010 durch die Medien allgemein bekannt gemacht. Hieraus habe sich ein bedingter Vorsatz für eine erfolgte Nichtabführung von Beiträgen ergeben.

Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte am 19.03.2013 Klage zum Sozialgericht Augsburg, wobei er die im Widerspruchsverfahren vorgetragene Begründung wiederholte.

Die Beklagte ließ sich mit Schriftsatz vom 02.10. 2013 ergänzend auf die klägerischen Argumente ein.

Das allgemeine Rückwirkungsverbot greife nicht, da vor der klarstellenden Entscheidung des BAG in keiner rechtskräftigen Entscheidung von einer Tariffähigkeit der CGZP ausgegangen worden war.

Die Klägerin könne auch aus dem Umstand, dass die Beklagte bis zur Bekanntgabe des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 keine Beitragsansprüche aus der Tarifunfähigkeit der CGZP hergeleitet habe, keinen Vertrauensschutz ableiten. Ein guter Glaube in die Tariffähigkeit einer Vereinigung sei nicht geschützt. Zudem habe die Klägerin seit langem Anlass gehabt, an der Tariffähigkeit der CGZP zu zweifeln, so dass auch bis zum 14.12.2010 kein schutzwürdiges Vertrauen vorgelegen habe.

Ab dem 14.12.2010 sei von Eventualvorsatz auszugehen, so dass nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV die dreißigjährige Verjährung gelte.

In der mündlichen Erörterung vom 25.11.2014 stellte die Klägerseite dar, dass es ihr um die grundsätzliche Betrachtung der rückwirkenden Nachforderungen aufgrund der "Equal-Pay"-Problematik gehe, insoweit werde eine höchstrichterliche Entscheidung angestrebt, nachdem auch bereits beim Bundessozialgericht (BSG) unter dem Aktenzeichen B 12 R 11/14 R eine Sprungrevision zu diesen Fragen anhängig sei.

Einem durch das Gericht vorgeschlagenen vorläufigen Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BSG wurde letztlich klägerseits nicht zugestimmt.

In der mündlichen Verhandlung beantragte der Klägerbevollmächtigte,

den gegenständlichen Bescheid vom 20.04.2012 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 19.02.2013 aufzuheben.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragte

die Abweisung der Klage.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, jedoch nur zu einem Teil begründet, soweit in den gegenständlichen Bescheiden Gesamtsozialversicherungs-beiträge für das Kalenderjahr 2006 enthalten sind. Insoweit kann sich die Klägerin gemäß § 25 Abs. 1 SGB IV auf Verjährung berufen. Im Übrigen ist die Beitragsnachforderung jedoch nicht zu beanstanden.

Nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber dem Arbeitgeber. Inhalt und Umfang der Prüfung ergeben sich insbesondere aus den Vorschriften bezüglich der Meldepflichten des Arbeitgebers nach § 28 a SGB IV, Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages gemäß § 28 e SGB IV i.V.m. § 28 d SGB IV, den Aufzeichnungspflichten und der Einreichung der Beitragsnachweise nach § 28 f SGB IV.

Arbeitsentgelt sind nach § 14 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV , sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen, und dies unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt verlangt hat oder es rechtlich noch verlangen könnte. Für die Feststellung der Versicherungspflicht und der Beitragshöhe gilt damit das Entstehungs- und nicht das Zuflussprinzip (vgl. BSG, Urteil vom 14.07.2004 - B 12 KR 7/04 R).

Hinsichtlich der Darstellung des gegenständlichen Grundproblems der "Equal-pay"- Verbeitragung nach vorausgegangener Vergütung der Leiharbeitnehmer auf der Grundlage des unwirksamem Tarifvertrags, welches bereits Gegenstand einer Vielzahl von erstinstanzlichen Urteilsentscheidungen sowie zweitinstanzlichen Beschlüssen in Angelegenheiten des einstweiligen Rechtsschutzes war, verweist das Gericht gemäß § 136 Abs. 2, 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffende Darlegung im Wider-spruchsbescheid vom 19.02.2013 und sieht von einer nochmaligen Darstellung der chronologischen Entwicklung der Streitfragen bis zur Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 mit Bestätigungen der Tarifunfähigkeit der CGZP bereits ab ihrer Gründung durch die BAG-Beschlüsse vom 20.05.2012 bzw. 23.05.2012 ab (vgl. hierzu auch Sächsisches LSG, Urteil vom 22.03.2013, L 1 KR 14/13 B ER, Rdnr. 20 m.w.Nw.; Hessisches LSG, L 1 KR 95/12 B ER, Beschluss vom 23.04.2012, Rdnr. 26 m.w.Nw.).

Das Sozialgericht Augsburg, 2. Kammer, hat mit Urteil vom 15.07.2014, Az. S 2 R 611/13, in einem vergleichbaren Fall bereits dargelegt und ausführlich begründet, dass die Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP durch das BAG mit Beschluss vom 14.12.2010, Az. 1 ABR 19/10 keine konstitutive, sondern nur deklaratorische Wirkung hatte, wie das BAG selbst bereits anderweitig im Urteil vom 15.11.2006, Az. 10 AZR 665/05 festgehalten hatte.

Dieser Auffassung folgt auch die vorliegend entscheidende Kammer.

Nach dem oben angeführten Entstehungsprinzip des Gesamtsozialversicherungs-beitrages bei Fälligkeit der Vergütung, §§ 22, 23 SGB IV, und bei gleichzeitiger Unwirk-samkeit der abweichenden Vereinbarung durch Tarifvertrag im Sinne des § 9 Nr. 2 AÜG war die Klägerin daher für den gesamten gegenständlichen Prüfungszeitraum verpflichtet gewesen, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die vermittelten Leiharbeitnehmer jeweils nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen, welches vergleichbaren Arbeitnehmern in der Stammbelegschaft der Entleiher gezahlt wurde bzw. gezahlt worden wäre.

Die Klägerin kann sich auch nicht aus anderweitigen Gründen wie einem schützenswerten Vertrauen in die Tragfähigkeit des Tarifvertrages oder einem Rückwirkungsverbot für den streitgegenständlichen Zeitraum der erst Ende 2010 durch das BAG getroffenen Fest-stellungen oder wegen einer ohne entsprechende Beanstandung vorausgegangenen Betriebsprüfung darauf berufen, dass die Beklagte für die Vergangenheit keine entsprechenden Beiträge für die bestimmten Gesamtlohndifferenzen nacherheben könne.

Bezüglich des klägerseits angeführten Rückwirkungsverbotes ist darauf zu verweisen, dass die Wirksamkeit des einschlägigen Tarifvertrages und die Tariffähigkeit der CGZP, aufgrund derer die Bindungswirkung des § 10 Abs. 4 AÜG abbedungen werden sollte, zu keiner Zeit vor dem endgültigen Beschluss des BAG vom 14.12.2010 höchstrichterlich bestätigt worden war. Eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, die einen entsprechenden gegenlaufenden Vertrauenstatbestand im Sinne des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) hätte begründen können, gab es nicht, so dass die in der Ent-scheidung des BAG vom 14.12.2010 mündenden Erkenntnisse keine überraschende Wendung oder richterliche Weiterentwicklung eines bisher anerkannten und verfestigten anderweitigen Ansatzes bedeuteten (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Az. L 1 KR 131/14 B ER, Beschluss vom 29.07.2014, Rdnr. 15).

Ein schutzwürdiges klägerisches Vertrauen gegen die rückwirkende Beitragserhebung kann vorliegend weder nach allgemeinen Grundsätzen, noch aus der vorangegangenen Betriebsprüfung ohne entsprechende Beanstandung der Beitragsabführung begründet werden. Das Gericht verweist insoweit zunächst nach § 136 Abs. 3 SGG auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten hierzu im Schriftsatz vom 02.10.2013, welche sich das Gericht zu eigen macht. Es folgt damit auch der Begründung des Urteils des BAG vom 15.11.2006, Az. 10 AZR 665/05, wonach ein guter Glaube in die Tariffähigkeit einer Vereinigung nicht geschützt ist. Die Interessen der Arbeitnehmer an der Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach §§ 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 AÜG sind insoweit schutzwürdiger und vorrangig gegenüber einem etwaigen Vertrauen der Arbeitgeber auf den rechtlichen Bestand des Tarifvertrages als Mitglied der CGZP.

Auch die von der Beklagten bei der Klägerin durchgeführte vorausgegangene Betriebs-prüfung für den Zeitraum 01.01.2005 bis 31.12.2008 mit Betriebsprüfungsbescheid vom 02.03.2010 vermag keine den streitgegenständlichen Bescheiden entgegenstehende Bindungswirkung oder beachtlichen Vertrauensschutz entfalten.

Arbeitgeberprüfungen nach § 28 p SGB IV dienen allein der stichprobenartigen Kontrolle einer ordnungsgemäßen Beitragsentrichtung zu den Zweigen der Sozialversicherung, damit Beitragsausfälle vermieden und eine unberechtigte Entstehung von Leistungsan-sprüchen gegen den Träger der Rentenversicherung verhindert wird.

Ein über diese Kontrollfunktion hinausgehende Zweck kommt den Betriebsprüfungen nicht zu (vgl. ständige Rechtsprechung des BSG, zuletzt Urteil vom 30.10 2013, B 12 AL 2/11 R m.w.Nw.). Arbeitgeber werden also nicht durch die Ergebnisse der Betriebsprüfungen geschützt oder entlastet, soweit der abschließende Bescheid über die Prüfung neben etwaigen Beitragsnachforderungen nicht auch konkrete begünstigende Regelungen enthält, also beispielsweise eine konkrete Aussage über eine bestehende Versicherungsfreiheit bestimmter für den Arbeitgeber tätigen Personen trifft. Insoweit hat der Arbeitgeber durchaus Möglichkeiten, bei Zweifelhaftigkeit eines sozialversicherungs-rechtlichen Verhältnisses eine bindende Klärung zu erlangen, in dem er gemäß § 28 h Abs. 2 S. 1 SGB IV rechtzeitig eine Entscheidung der Beitragseinzugsstelle über die Versicherungs- und/oder Beitragspflicht des Mitarbeiters durch Verwaltungsakt herbeiführt oder aber den Weg des Anfrageverfahrens nach § 7 a SGB IV beschreitet.

Vorliegend wäre eine beachtliche bindende entgegenstehende Regelungswirkung des vorausgegangenen Betriebsprüfungsbescheides vom 02.03.2010 nur dann denkbar, wenn in diesem Bescheid konkret zum Ausdruck gebracht worden wäre, dass die Klägerin im gegenständlichen Prüfungszeitraum ihren Beitragspflichten mit der Verbeitragung auf der Grundlage der Vergütung der mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge - abgesehen von etwaigen beanstanden Punkten - ordnungsgemäß nachgekommen ist. Eine entsprechende bindende Positiv-Regelung ist jedoch offensichtlich nicht erfolgt. Der Bescheid vom 02.03.2010 enthält damit keine vertrauensschützenden begünstigenden Regelungen, welche nur unter Berücksichtigung der Voraussetzungen der Korrekturnorm des § 45 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen oder abgeändert werden könnten.

Schließlich durfte die Beklagte auch in Ermangelung geeigneter geführter Aufzeichnungen des Arbeitgebers eine Schätzung im Sinne des § 28 f Abs. 2 SGB IV durchführen, um so die tatsächlich zu erfüllende Beitragspflicht zu bestimmen.

Nach § 28 f Abs. 2 SGB IV kann der prüfende Träger der Rentenversicherung in Fällen, in denen ein Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Höhe des Arbeitsentgelts und der Beiträge nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermittelt und festgestellt werden kann, einerseits gemäß § 28 f Abs. 2 S. 1 SGB IV den Gesamtsozialversicherungsbeitrag im Wege eines Lohnsummenbescheides geltend machen, andererseits aber nach § 28 f Abs. 2 S. 3 SGB IV die Höhe der Arbeitsentgelte schätzen.

Dabei ergibt sich die zu wahrende Aufzeichnungspflicht zwingend aus dem Zusammen-hang der übrigen gesetzlich bestimmten Melde-, Auskunfts- und Vorlagepflichten. Es ist nämlich ausgeschlossen, diese Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen, wenn nicht vorher der Arbeitgeber die versicherungsrechtlich maßgeblichen Angaben aufgezeichnet hat (BSG, Urteil vom 28.04.1977, 12 RK 25/76, Rdnr. 13). Entsprechend regelt die auf der Grundlage der §§ 28 n, 28 p Abs. 9 SGB IV erlassene Beitragsverfahrensverordnung (BVV) vom 03.05.2006 (BGBl. I S. 1138) in § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 BVV, dass der Arbeitgeber in den Entgeltunterlagen das beitragspflichtige Arbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung einschließlich seiner Zusammen-setzung und seiner zeitlichen Zuordnung aufzunehmen hat. Erforderlich ist allein, dass der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht objektiv verletzt hat; auf ein Verschulden kommt es nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 07.02.2002, B 12 KR 12/01 R).

Die Klägerin hat das nach dem Grundsatz des "Equal pay" beitragspflichtige Entgelt nicht aufgezeichnet, nachdem sie möglicherweise hierfür aufgrund der ggf. angenommenen Tarifvertragsbindung keine Veranlassung gesehen hat. Damit hat sie jedoch dennoch objektiv ihre Obliegenheiten verletzt, weil ihr die grundsätzliche Verpflichtung bekannt gewesen war, das beitragspflichtige Entgelt aufzuzeichnen. Die denkbare fehlerhafte Bewertung der Unwirksamkeit des der Verbeitragung zugrunde gelegten Tarifvertrages kann nicht einer Unkenntnis der die Aufzeichnungspflicht begründenden Tatsachen gleichgestellt werden, sondern entspricht allenfalls einem unbeachtlichen Rechtsirrtum.

Die Höhe des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts war von der Beklagten auch nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand konkret ermittelbar. Hierfür hätte für jeden Leiharbeit-nehmer ein individueller Vergleich der bezahlten Vergütung zu der nach dem "Equal pay"- Grundsatz unter Berücksichtigung der konkreten individuellen Qualifikationen und Fähigkeiten des Arbeitnehmers und des Lohngefüges beim Entleiher für einen vergleich-baren qualifizierten Arbeitnehmer der Stammbelegschaft unter Berücksichtigung aller Zulagen und Zuschläge sowie sonstiger Vergütungsbestandteile erfolgen müssen. Bei einer im Prüfungszeitraum erfolgten Entleihung von etwa 15.000 Arbeitnehmern an etwa 1.000 Entleiher war daher eine Schätzung gerechtfertigt.

Die letztlich den streitgegenständlichen Bescheiden zugrunde gelegten, nachzuverbei-tragenden Gesamtlohndifferenzen sind die Resultate einer in enger Kooperation mit der Klägerin einverständlich erarbeiteten Schätzung. Insoweit werden Fehler der Berech-nungsgrundlagen von der Klägerin weder behauptet, noch sind sie für das Gericht sonst ersichtlich geworden.

Jedoch war der Klage stattzugeben, soweit Beitragsnachforderungen für das Kalenderjahr 2006 erfolgten. Insoweit kann sich die Klägerin nach § 25 Abs.1 Satz 1 SGB IV mit Erfolg auf Verjährung berufen.

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.

Die Klägerin wusste spätestens aufgrund des Anhörungsschreibens vom 05.10.2011 von der konkreten Absicht der Beklagten, für den Prüfungszeitraum von Januar 2006 bis zum Dezember 2008 entsprechende Beitragsnachforderungen zu erheben.

Für das Eingreifen der 30-jährigen Verjährungsfrist reicht es aus, wenn der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz ("dolus eventualis") vorenthalten hat, er also die Bei-tragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat. Die 30-jährige Verjährungsfrist tritt dabei auch dann ein, wenn der Beitragsschuldner zwar anfänglich zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge noch gut-gläubig war, also seine Beitragspflicht nicht erkannt hat, wenn er aber noch vor Eintritt der Verjährung nach vierjähriger Frist bösgläubig wird, er also seine Beitragspflicht erkennt (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2000, B 12 KR 14/99 R).

Für die Beitragsnachforderungen für die Kalenderjahre 2007 und 2008 ist daher keine Verjährung eingetreten, weil die Forderungen bei Eintritt der Bösgläubigkeit spätestens durch die Anhörung der Nachforderung im Oktober 2011 noch nicht entsprechend der vierjährigen Verjährungsfrist verjährt waren und somit die dreißigjährige Frist gilt.

Für das Kalenderjahr 2006 ist jedoch Verjährung eingetreten, da von einem entsprechen-den Eventualvorsatz der Klägerin bei Ablauf des Kalenderjahres 2010 nicht ausgegangen werden kann.

Das Gericht vermag keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass bei den damaligen Geschäftsführern der Rechtsvorgängerin der Klägerin allein aufgrund der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 mit anschließendem - fraglich überhaupt noch in 2010 zugegangenem - Hinweisschreiben der Beklagten vom 23.12.2010 noch im Jahr 2010 eine tatsächliche Meinungsbildung (Bösgläubigkeit) hinsichtlich etwaiger für die Vergangenheit nachzuleistender Beiträge erfolgt ist.

Die Feststellung eines - zumindest bedingt - vorsätzlichen Verhaltens im Sinne einer in Kauf genommenen Nichtabführung geschuldeter Beiträge setzt eine abgeschlossene Bildung einer entsprechenden Geisteshaltung vor Jahreswende voraus, auf welche unter Berücksichtigung aller Fallumstände vorliegend nicht geschlossen werden kann.

Unbestreitbar wäre es den betroffenen Arbeitgebern grundsätzlich mit der Veröffent-lichung der in den Medien bekanntgemachten BAG-Entscheidung möglich gewesen, eine drohende Beitragsnachforderung in die Vergangenheit zurück zu erkennen, wenn sie sich sehr zeitnah und ausführlich mit den Konsequenzen aus der Entscheidung befasst haben.

Dies allein rechtfertigt jedoch allenfalls die Annahme einer fahrlässigen Unkenntnis von der Beitragspflicht, nicht aber die Annahme eines Eventualvorsatzes hinsichtlich der Nichtabführung der Beiträge.

Vorliegend ist nicht erkennbar, dass die damaligen Geschäftsführer der Rechtsvor-gängerin der Klägerin sich besonders intensiv mit der anhängigen Streitfrage der Tarif-fähigkeit der CGZP befasst hätten oder die individuellen Folgen einer abschließenden Entscheidung hierüber für Vergangenheit und Zukunft abgewogen hätten. Auch das Hinweisschreiben der Beklagten vom 23.12.2010 enthielt lediglich den allgemeinen Hinweis, dass sich auch Möglichkeiten einer rückwirkenden Auswirkung der Entscheidung ergeben könnten, welche noch vom Rentenversicherungsträger geprüft würden.

Hieraus lässt sich nicht zwingend schlussfolgern, dass auch die Klägerin damals bereits ernsthaft in Betracht gezogen hat, nachträglich mit entsprechenden Nachforderungen belangt zu werden.

Nachdem auch die Entscheidungsgründe des BAG nicht mehr in 2010 veröffentlicht wurden und auch in Rechtsprechung und Literatur die folgende Entscheidung bezüglich einer nur deklaratorischen Feststellung der Tarifunfähigkeit oder aber einer konstitutiven Feststellung mit "ex-tunc"-Wirkung durchaus zum Jahreswechsel 2010/2011 noch nicht geklärt war, rechtfertigt das durch die Beklagte mit dem Hinweisschreiben erfolgte "in den Raum stellen" der Möglichkeit von Beitragsnachforderungen nicht die Annahme, dass die Klägerin tatsächlich mit entsprechenden Beitragsnachforderungen rechnete.

Selbst im Rundschreiben des GKV Spitzenverbandes vom 02.02.2011 hatte dieser die zu erwartenden Auswirkungen der BAG-Entscheidung vor Veröffentlichung der Entschei-dungsgründe als offen und ungeklärt bezeichnet. Ausdrücklich ist festgehalten, dass das BAG in der mündlichen Urteilsbegründung nicht darauf eingegangen war, ob die maßgeb-lichen Tarifverträge nun von Anfang an oder möglicherweise erst mit Wirkung ab dem Beschluss unwirksam seien. Etwaige Beitragsnachforderungen wurden ausdrücklich zurückgestellt und sollten nur abhängig von den Ergebnissen der schriftlichen Entschei-dungsgründe des BAG weiterverfolgt werden.

Da der Eintritt eines Eventualvorsatzes der Klägerin i.S. der § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV vor Ablauf 2010 nicht erweislich ist, sind die Beitragsnachforderungen für das Jahr 2006 bereits verjährt.

Der Klage war daher insoweit stattzugeben. Im Übrigen konnte die Klage jedoch keinen Erfolg haben.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 197 a Abs. 1 S. 1 SGG, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) und richtet sich nach dem Wert des klägerischen Begehrens, nämlich der vollständigen Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide.

Die Kostenentscheidung ergibt sich gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Ausgehend von der anteilig auf das Kalenderjahr 2006 und die entsprechende Differenzlohnsumme entfallende Beitragsnachforderung hat die Klägerin im Verhältnis zu nicht zu beanstandenden Nachforderungen für die Kalenderjahre 2007 und 2008 prozentual zu rund 6 % Erfolg. Nachdem die Beklagte zumindest teilweise Anlass zur Klageerhebung gegeben hat, rechtfertigt sich eine Aufteilung der Kostenlast auf 9/10 zu Lasten der Klägerin und 1/10 zu Lasten der Beklagten.
Rechtskraft
Aus
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