L 3 SB 1659/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 13/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1659/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 31. März 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Der Beklagte hatte bei dem am 28.07.1963 geborenen Kläger unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. A. vom 18.04.2012, in der als Funktionsbehinderung eine Migräne sowie eine Depression mit einem Einzel-GdB von 30 und der Gesamt-GdB mit 30 eingeschätzt worden waren, mit Bescheid vom 23.04.2012 den GdB mit 30 seit 06.03.2012 festgestellt. Auf den Widerspruch des Klägers hatte der Beklagte unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr. B. vom 01.08.2012, in der als zusätzliche Funktionsbeeinträchtigungen eine Wirbelsäulenverformung, ein Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 10 und der Gesamt-GdB weiterhin mit 30 eingeschätzt worden waren, mit Teil-Abhilfebescheid vom 03.08.2012 den GdB weiterhin mit 30 festgestellt und ausgeführt, die Behinderung habe zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2012 ist der Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen worden.

Der Kläger beantragte am 13.02.2013 die Neufeststellung des GdB. Der Beklagte zog vom Hals-Nasen-Ohren Arzt Dr. C. gefertigte Audiogramme vom 17.09.2012 und 13.12.2012 sowie dessen Arztbrief vom 05.03.2013 und den Arztbrief des Lungen- und Bronchialheilkundlers Dr. D. vom 28.03.2012 bei. Er holte ferner den Befundbericht des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. E. vom 28.05.2013 ein, in dem eine Angst und Depression gemischt sowie eine Migräne beschrieben wurden. Dr. F. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.07.2013 als Funktionsbehinderungen die Migräne und die Depression mit einem Einzel-GdB von 40, die Wirbelsäulenverformung, den Bandscheibenschaden und die Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 10 sowie eine Schwerhörigkeit beidseits mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 01.08.2013 den GdB mit 40 seit 13.02.2013 fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2013 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 02.01.2014 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben.

Das SG hat zunächst Dr. E. und den Allgemeinmediziner Dr. G. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. E. hat unter dem 11.03.2014 ausgeführt, der Kläger leide an einer Migräne in mittelgradiger Verlaufsform sowie einer Angst und Depression gemischt als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Dr. G. hat unter dem 14.03.2014 über rezidivierende Rückenschmerzen und rezidivierende depressive Phasen berichtet.

Sodann hat das SG von Amts wegen das Gutachten des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. H. vom 09.05.2014 eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger leide an einer Dysthymia, einem degenerativen Lendenwirbelsäulensyndrom ohne neurologische Ausfälle, einer Migräne und einer Hörminderung beidseits. Auf Grund der Dysthymia und der Migräne sei die geistige und psychische Belastbarkeit in mäßiggradiger Art und Weise beeinträchtigt. Auf Grund des degenerativen Lendenwirbelsäulensyndroms sei die körperliche Belastbarkeit hinsichtlich der Verrichtung schwerer körperlicher Arbeiten in Zwangshaltungen und mit häufigem Bücken beeinträchtigt. Er hat für die Dysthymia einen Einzel-GdB von 30, für die Migräne einen Einzel-GdB von 20 sowie für das Lendenwirbelsäulensyndrom einen Einzel-GdB von 10 berücksichtigt und den Gesamt-GdB mit 40 eingeschätzt.

Daraufhin hat das SG auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers das Gutachten des Prof. Dr. I., Chefarzt an der Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie West des Klinikums am J., vom 01.12.2014 eingeholt. Er hat eine chronifizierte depressive Störung in gegenwärtig schwergradiger Ausprägung und eine spezifische Phobie diagnostiziert. Beim Kläger lägen als Hauptsymptome eine depressive Stimmung, ein Interessenverlust und eine Freudlosigkeit sowie eine Erschöpfung und Ermüdbarkeit und als Zusatzsymptome Gedächtnisleistungsstörungen, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Schlafstörungen sowie verminderter Appetit vor. Die depressive Symptomatik sei mit einer einen Einzel-GdB von 60 bedingenden affektiven Psychose bei häufigeren Phasen von mehrwöchiger Dauer einzuschätzen. Die spezifische Phobie werde vom Kläger in der Hinsicht bewältigt, dass sein alltägliches Leben keiner stärkeren Einschränkung unterworfen werde, so dass hierfür ein Einzel-GdB von 10 vorzuschlagen sei. Unter Berücksichtigung der weiteren Einzel-GdB-Werte von 10 für das Lendenwirbelsäulensyndrom und 20 für die Migräne betrage der Gesamt-GdB 70. Im Gegensatz zu Dr. H., der nur von einer dauernden chronisch depressiven Verstimmung ausgegangen sei, gehe er von einer chronisch depressiven Störung aus, für deren GdB-Einstufung der Charakter der anhaltenden Symptomatik ohne nennenswerte phasenweise Zustandsbesserungen als wesentlich zu nennen sei, um als lang andauernde Psychose mit einem Mindest-GdB von 50 bewertet zu werden.

Dr. K. hat in der vom Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 24.02.2015 ausgeführt, es ergäben sich in den beiden Gutachten beim Vergleich der Schilderung der Auswirkungen der psychischen Störungen und der sozialen Anpassungsschwierigkeiten keine wesentlichen Differenzen, aber eine unterschiedliche GdB-Bewertung, wobei die GdB-Einschätzung des Dr. H. als eher zutreffend erscheine.

Mit Gerichtsbescheid vom 31.03.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, für die beim Kläger bestehende Depression sei ein Einzel-GdB von 30 anzunehmen. Schlüssig und nachvollziehbar habe Dr. H. den Untersuchungsergebnissen entnommen, dass beim Kläger lediglich eine "gering stärker" behindernde Störung mit einem Einzel-GdB von 30 bestehe. Zwar zeige der Kläger ein soziales Rückzugsverhalten. Er sei jedoch weiterhin in der Lage, den Alltag seinen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten, seiner Arbeit nachzugehen, Auto zu fahren und soziale Kontakte zu pflegen. Es bestehe weder eine schwergradige Beeinträchtigung der Gestaltungsfähigkeit des Alltags noch eine solche der psychischen Erlebnisfähigkeit. Zudem habe Dr. H. zu Recht darauf hingewiesen, dass bei dem Beschwerdevalidierungstest deutliche Hinweise auf eine tendenzielle Beantwortung der gestellten Fragen zu erkennen gewesen seien. Somit sei beim Kläger zumindest eine durchaus bewusstseinsnahe Beschwerdeverdeutlichung anzunehmen. Dies ergebe sich auch daraus, dass er bei Dr. H. noch angegeben habe, im letzten Jahr im Odenwald einige Tage Urlaub gemacht zu haben, wohingegen er bei Prof. Dr. I. angegeben habe, in den letzten Jahren gar nicht in Urlaub gefahren zu sein. Bei Dr. H. habe der Kläger zudem angegeben, er komme mit dem Autofahren, ebenso wie mit seiner Arbeit, noch gut zu Recht. Bei Prof. Dr. I. habe er angegeben, Auto fahre er nur noch auf ihm bekannten Strecken. Auch die Schilderung der häuslichen Aktivitäten sei bei Prof. Dr. I. noch etwas eingeschränkter dargestellt als bei Dr. H. angegeben. Zudem sei zu beachten, dass der Kläger bei der Begutachtung durch Dr. H. auf Fragen häufig ausweichend geantwortet und wenig konkrete Angaben gemacht habe. Auch insoweit sei durchaus ein bestimmtes tendenzielles Antwortverhalten anzunehmen und zu berücksichtigen. Der entgegen stehenden Beurteilung des Prof. Dr. I. sei nicht zu folgen. Dieser habe sich mehr oder weniger kritiklos auf die vom Kläger geschilderten Angaben seiner Beschwerden wie Erschöpfung sowie Kraft- und Energielosigkeit gestützt. Diese ließen sich aber den Darstellungen des Gutachtens bezüglich des psychischen Befundes nicht entnehmen. Auch dort werde vielmehr darauf abgestellt, der Kläger berichte selbst, vergesslich geworden zu sein. In wie weit sich dies im Rahmen der Begutachtung habe verifizieren lassen, teile Prof. Dr. I. nicht mit. Dem gegenüber lasse sich dem Gutachten des Dr. H. deutlich entnehmen, dass sich der Kläger im Rahmen der Begutachtung in der Lage gezeigt habe, der ausführlichen Exploration aufmerksam und konzentriert zu folgen. Im Gutachten des Prof. Dr. I. werde bei der psychischen Befunderhebung hauptsächlich geschildert, was der Kläger selbst bezüglich seiner Merkfähigkeit und bezüglich seines Gefühls von Kraft, Energie und Lebendigkeit berichtet habe. Entsprechende Erhebungen des Gutachters selbst fehlten. Auch vor diesem Hintergrund vermöge die Beurteilung des Prof. Dr. I. nicht zu überzeugen. Auch der GdB-Beurteilung des Prof. Dr. I. sei nicht zu folgen, da Prof. Dr. I. die depressive Störung mit einer affektiven Psychose gleichgesetzt habe, eine solche Erkrankung beim Kläger aber nicht bestehe. Vielmehr handele es sich dabei um eine stärker behindernde Störung bedingende Depression. Ferner sei die Migräne mit einem Einzel-GdB von 20 zu beurteilen. Diesbezüglich sei dem Gutachten des Dr. H. ebenfalls zu folgen. Wie oft und wann genau die Migräne beim Kläger auftrete, lasse sich aus den Angaben des Klägers nicht eindeutig entnehmen. Er habe angegeben, im Monat etwa an 12 bis 15 Tagen Kopfschmerzen zu haben und dann meistens Tabletten zu nehmen. Dr. E. habe geschildert, der Kläger habe berichtet, zwei bis dreimal die Woche einen Anfall zu haben. Bei der Migräne des Klägers seien die Kopfschmerzen teils hinter den Augen frontal, zum Teil auch vom Nacken in den Hinterkopf ausstrahlend, oft mit Aura und Übelkeit. Vor diesem Hintergrund komme Dr. H., die häufigen Anfälle, aber mit kürzerer Verlaufsdauer berücksichtigend, zutreffend zu dem Ergebnis, dass ein Einzel-GdB von 20 anzunehmen sei. Des Weiteren lägen Einzel-GdB-Werte von jeweils 10 für die Innenohrschwerhörigkeit beidseits und das Lendenwirbelsäulensyndrom vor. Nach alledem betrage der Gesamt-GdB 40.

Gegen das Urteil des SG hat der Kläger am 27.04.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Der Ansicht des SG, der Einschätzung von Prof. Dr. I. sei insbesondere deshalb nicht zu folgen, da dieser sein Ergebnis in erster Linie auf seine eigenen Angaben gestützt habe, müsse entgegen gehalten werden, dass die eigenen Angaben der betroffenen Person hinsichtlich der Beschwerden und der Folgeerscheinungen eine wichtige und entscheidende Rolle spielten. Ohne eine solche Selbsteinschätzung könne eine nachvollziehbare Begutachtung gar nicht erst erfolgen. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. I. liege eine schwergradige Depression vor, die mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten sei. Zu berücksichtigen sei auch, dass Dr. E. die Depression mit einem Einzel-GdB von 40 bewertet habe. Da Dr. E. ihn bereits seit geraumer Zeit behandele, müsse davon ausgegangen werden, dass er mit dem Krankheitsbild gut vertraut sei und die Funktionsbeeinträchtigungen zutreffend und nachvollziehbar beurteilen könne. Dem gegenüber stehe die Beurteilung des Dr. H., der ihn nur einmal gesehen habe. Ferner sei die Migräne mit einem höheren Einzel-GdB als 20 zu bewerten. Aus seinen aktenkundigen Angaben ergebe sich, dass er nahezu die Hälfte eines jeden Monats mit starken Kopfschmerzen zu kämpfen habe. Die Migräneanfälle führten zu starken Kopfschmerzen, die zudem mit Brechreizen und auch Erbrechen einhergingen. Die Schmerzen beträfen die Augen, strahlten jedoch auch in den Nacken und den Hinterkopf aus. Zudem führten sie zu einer erheblichen Licht- und Lärmempfindlichkeit. Somit bleibe festzustellen, dass er sehr häufig Migräneanfälle beklage, die auch erhebliche Begleiterscheinungen bedingten. Daher habe Dr. E. zu Recht einen Einzel-GdB von 30 angenommen. Für das Wirbelsäulenleiden müsse ein Einzel-GdB von 20 angenommen werden. Die anhaltenden Schmerzen, die sich im Laufe der Zeit noch weiter verschlimmert hätten, rechtfertigten die Annahme eines mittelgradigen Wirbelsäulenschadens, der mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei. Der bloße Umstand, dass er keine fachärztliche Behandlung in Anspruch nehme, sage noch nichts über die Intensität der Beeinträchtigungen aus. Das Vorhandensein neurologischer Ausfallerscheinungen sei keine Voraussetzung für einen Einzel-GdB von 20. Außerdem habe der Beklagte selbst angenommen, es lägen Nervenwurzelreizerscheinungen vor.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 31. März 2015 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 1. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit 50 und die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Eine Höherbewertung des GdB lasse sich nicht begründen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 31.03.2015, mit dem die auf die Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 01.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2013 und auf Verurteilung des Beklagten, den GdB mit 50 festzustellen, gerichtete Klage abgewiesen worden ist. Der Kläger erstrebt neben der Aufhebung dieses Gerichtsbescheides des SG die Abänderung dieses Bescheides des Beklagten und dessen Verpflichtung, bei ihm den GdB mit 50 und die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen. Dieses prozessuale Ziel verfolgt der Kläger zulässigerweise gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist bei einer Änderung im Gesundheitszustand auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Feststellung des GdB ist § 2 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX haben. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei gemäß § 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.

Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung ab 15.01.2015 (BGBl. II S. 15) wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden, indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung ab 15.01.2015 (BGBl. II S. 15), dass - soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist - die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab 01.07.2011 (BGBl. I S. 2904) erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I 2904), 14.07.2010 (BGBl. I 928), 17.12.2010 (BGBl. I 2124), 28.10.2011 (BGBl. I 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I 2122) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - nach den den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. a in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom Tatsachengericht die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX; danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft maßgebend (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris).

Im vorliegenden Fall ist bei der Prüfung einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X der Zeitraum ab der letztmaligen Feststellung des Gesamt-GdB mit Bescheid vom 23.04.2012 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 03.08.2012 und des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2012 zu beurteilen.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze ist beim Kläger keine einen höheren Gesamt-GdB als 40 rechtfertigende Änderung der Gesundheitsverhältnisse eingetreten, so dass er keinen Anspruch auf Neufeststellung des Gesamt-GdB mit 50 und auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft hat.

Im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" beträgt der Einzel-GdB des Klägers 40. Der Sachverständige Dr. H. hat überzeugend dargelegt, dass der Kläger auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet an einer Dysthymia und einer Migräne leidet und auf Grund dessen die geistige und psychische Belastbarkeit in mäßiggradiger Art und Weise beeinträchtigt ist.

Die Dysthymia bedingt eine nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 mit einem GdB zwischen 30 und 40 zu bewertende stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Der Sachverständige Dr. H. hat dargelegt, dass der Kläger in der Untersuchungssituation zurückhaltend und moros wirkte, die Stimmung dysthym niedergeschlagen war und der Kläger über Ein- und Durchschlafstörungen, eine Libidoreduktion sowie diffuse innere Unruhezustände und Ängste berichtete. Der Sachverständige hat aber beim Kläger keine konzentrativen oder mnestischen Defizite, keine Depressivität vitaler Tiefe und keine wesentlichen vegetativen Symptome ausgemacht. Auch hat der Kläger weder über ein frühmorgendliches Erwachen, ein Morgentief oder eine psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit geklagt. Des Weiteren hat der Sachverständige den Kläger als ungestört formal denkend, regelrecht schwingungsfähig sowie im Antrieb ungestört beschrieben. Aus dem Gutachten und den Angaben des mit seiner Ehegattin und seinen erwachsenen Kindern in seinem Eigenheim lebenden Klägers geht ferner hervor, dass er seit rund 30 Jahren einer regelmäßigen beruflichen Tätigkeit nachgeht. So hat er seit 1982 ununterbrochen bei den US-amerikanischen Streitkräften gearbeitet und ist seit 01.10.2014 bei der L. Sicherheit & Service Süd GmbH & Co. KG berufstätig. Diese Fakten zu Grunde legend hat der Sachverständige zutreffend beim Kläger eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit angenommen. Dies zu Recht auch deshalb, da das Ergebnis der neuropsychologischen Diagnostik keine andere Bewertung nahelegt. Denn die Untersuchung nach der Hamilton-Depressions-Skala hat nur zu einem mäßiggradigen depressiven Syndrom geführt. Hinzu kommt, dass der Kläger mit der zweimonatlichen Behandlung bei Dr. E. eine lediglich niedrigfrequente fachpsychiatrische Behandlung durchführt und eine ambulante Psychotherapie nicht erfolgt, so dass ein einer schweren Störung entsprechender Leidensdruck nicht gegeben ist. Damit handelt es sich noch nicht um einen GdB ab 50 bedingende schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die der Sachverständigenbeirat annimmt, wenn eine sich in den meisten Berufen im Sinne einer verminderten Einsatzfähigkeit auswirkende sowie durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung zu erheblichen familiären Problemen führende psychische Veränderung vorliegt (Beiratsprotokoll vom 18./19.03.1998, vergleiche Wendler in Schwerbehindertenrecht, VdK-Kommentar, 3. Auflage, Stand Januar 2006, zu AHP Nr. 26.3, S. 144). Vielmehr handelt es sich um leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten, die der Sachverständigenbeirat annimmt, wenn beispielsweise eine berufliche Tätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist und keine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften vorliegt (Beiratsprotokoll vom 18./19.03.1998, vergleiche Wendler in Schwerbehindertenrecht, VdK-Kommentar, 3. Auflage, Stand Januar 2006, zu AHP Nr. 26.3, S. 144). Eine Ausschöpfung des von den VG, Teil B, Nr. 3.7 vorgegebenen GdB-Rahmens zwischen 30 und 40 hat Dr. H. zu Recht nicht vorgeschlagen, zumal der vom Kläger dargelegte Tagesablauf durchaus als strukturiert bezeichnet werden kann. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Gutachten des Prof. Dr. I ... Er hat zwar im Gegensatz zu Dr. H. leichte Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen sowie eine inhaltliche Denkstörung in Form von mittelstark ausgeprägtem Grübeln beschrieben. Ansonsten weicht der von ihm erhobene Befund aber nicht wesentlich von demjenigen des Dr. H. ab. Er ist letztlich aufgrund einer stärkeren Gewichtung der vom Kläger ihm gegenüber doch etwas vermehrt angegeben Beschwerden zu einer höheren GdB-Einschätzung gelangt, ohne testpsychologische Untersuchungen durchgeführt zu haben, hat aber den Senat ebenso wie das SG nicht davon zu überzeugen vermocht, dass und warum eine schwere Störung und damit ein GdB von mehr als 30 gegeben sein soll.

Die Migräne bedingt eine nach den VG, Teil B, Nr. 2.3 mit einem GdB zwischen 20 und 40 zu bewertende mittelgradige Verlaufsform mit häufigeren, jeweils einen Tag oder mehrere Tage andauernde, Anfällen. Dieser GdB-Rahmen ist über den vom Sachverständigen Dr. H. angenommenen GdB von 20 hinaus nicht nach oben auszuschöpfen. Zwar handelt es sich um eine aktenkundige Häufigkeit der Anfälle von 2- bis 3mal in der Woche (so die Angaben gegenüber Dr. E.) beziehungsweise 12- bis 15mal im Monat (so die Angaben gegenüber Dr. H.). Davon, dass es sich dabei jedes Mal um echte Migräne-Anfälle handelt (gegenüber Dr. H. hat er nur von Kopfschmerzen berichtet) und diese jeweils stets mindestens einen ganzen Tag anhalten, ist der Senat nicht überzeugt, zumal eine fachneurologische und medikamentöse Behandlung der Migräne ebenfalls nicht aktenkundig ist.

Zusammenfassend bildet der Senat aus dem GdB von 30 für die Dysthymia und dem GdB von 20 für die Migräne einen Einzel-GdB von 40 im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche".

Zutreffend hat das SG dargelegt, dass im Bereich des Funktionssystems "Rumpf" der Einzel-GdB nur mit 10 zu bewerten ist. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung gemäß § 153 Abs. 2 SGG unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zur Vermeidung von Wiederholungen an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung des SG eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt. Es sind keine Befunde aktenkundig, die nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 einen Einzel-GdB von 20 rechtfertigende mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten rechtfertigen. Vielmehr handelt es sich bei den von Dr. G. beschriebenen rezidivierenden Rückenschmerzen lediglich um nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 einen Einzel-GdB von 10 rechtfertigende geringe funktionelle Auswirkungen, zumal Dr. H. im Rahmen seiner grob orientierenden Untersuchung eine freie spontane Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule beschrieben und angegeben hat, dass kein Anhalt für umschriebene Paresen oder Atrophien besteht. Nur unter Berücksichtigung der vom Kläger angegeben Schmerzen lässt sich der bislang versorgungsärztlich angenommene Einzel-GdB von 10 für das Funktionssystems "Rumpf" vertreten.

Zusätzlich ist wegen der Schwerhörigkeit für das Funktionssystem "Ohren" nach der versorgungsärztlichen Auswertung der aktenkundigen Audiogramme ein Einzel-GdB von 10 anzunehmen. Anhaltspunkte für eine Heraufsetzung dieses GdB-Werts bestehen nicht.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB 40 für das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche", Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem "Rumpf" und Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem "Ohren") beträgt der Gesamt-GdB 40.

Nach alledem war die auf die Verpflichtung des Beklagten, einen höheren GdB und die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen, gerichtete Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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