L 3 SB 3665/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 SB 3269/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3665/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 07. August 2014 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung) der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "RF" (Ermäßigung der Rundfunkbeiträge).

Die Klägerin ist im Jahre 1970 geboren und wohnt im Inland. Mit Bescheid vom 27.11.2007 stellte das Landratsamt A. als Versorgungsamt (LRA) bei ihr einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 fest. Jener Feststellung lagen ausweislich der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.11.2007 zu Grunde: ein operiertes Akustikusneurinom (gutartiger Hirntumor im Bereich des Hörzentrums) bei Neurofibromatose (degenerative Erbkrankheit) mit Kraftminderung links, Gleichgewichtsstörungen, Störungen der Koordination und psychovegetativen Störungen (Einzel-GdB 70), Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule mit degenerativen Veränderungen und Wirbelsäulenverformung sowie des rechten Schultergelenks mit Schulter-Arm-Syndrom (Einzel-GdB 40), eine Gesichtsnervenlähmung (Facialisparese) rechts mit Lähmung des rechten Oberlids und Sicca-Syndrom (Einzel-GdB 30), eine Zungenatrophie rechts bei Hypoglossuslähmung (Einzel-GdB 20) sowie eine Taubheit rechts (Einzel-GdB 20). Ferner wurden die Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "B" (auf ständige Begleitung angewiesen) festgestellt. Die ebenfalls begehrten Merkzeichen "Gl" (gehörlos) und "RF" lehnte das LRA hingegen ab.

Ein weiterer Antrag der Klägerin auf Feststellung des Merkzeichens "RF" vom 12.04.2010 wurde mit Bescheid vom 11.06.2010 abgelehnt.

Am 22.12.2010 beantragte die Klägerin erneut die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" sowie des Merkzeichens "aG" (außergewöhnlich gehbehindert). Nach dem Attest von Dr. D. vom 16.12.2010 kann die Klägerin Badeanstalten nicht mehr aufsuchen, da sie Wasser aspirieren würde; ferner sei das linke Ohr äußerst geräuschempfindlich geworden, weswegen die Klägerin keine öffentlichen Veranstaltungen mehr aufsuche. Der Allgemeinarzt Dr. E. gab in dem Befundschein vom 27.01.2011 ergänzend an, die Klägerin habe bei Nebengeräuschen kein Wortverständnis mehr, danach trete vermehrt Schwindel auf. Die Orientierungsfähigkeit, vor allem im Dunkeln, sei eingeschränkt. Das LRA ließ auch diese ärztlichen Unterlagen auswerten und lehnte den Antrag wegen der beiden Merkzeichen mit Bescheid vom 14.02.2011 ab.

Im Widerspruchsverfahren berichtete Dr. D. von einem Hörsturz auf dem linken Ohr am 21.02.2011, der sich teilweise wieder zurückgebildet habe. Die Klägerin könne auch an kleineren Zusammenkünften von drei bis vier Personen nicht mehr teilnehmen, weil sie die Stimmen nicht mehr zuordnen könne. Sie sei bis auf ihren häuslichen Bereich isoliert. Ferner übersandte Dr. D. das Ton-Audiogramm vom 25.02.2011. Prof. Dr. F. berichtete unter dem 07.07.2011 von einer leichten Größenzunahme des Akustikusneurinoms links, der Hörverlust und die zwischenzeitlich gewachsene Gangunsicherheit hätten sich gebessert. Das LRA erteilte der Klägerin unter dem 26.10.2011 eine Bescheinigung für Parkerleichterungen für besondere Gruppen Schwerbehinderter ohne das Merkzeichen "aG". Den Widerspruch der Klägerin wies das Landesversorgungsamt des beklagten Landes mit Bescheid vom 03.11.2011 - bezogen auf beide beantragte Merkzeichen - zurück.

Am 16.11.2011 hat die Klägerin - beschränkt auf das Merkzeichen "RF" - Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, ihr restliches Gehör könne keine Nebengeräusche mehr filtern, ferner beständen massive Schwindelbeschwerden.

Nachdem das beklagte Land der Klage entgegengetreten war, hat das SG zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Unter dem 19.01.2012 hat HNO-Arzt Dr. G., der Nachfolger von Dr. D., bekundet, eine Praxiskollegin habe sich normal mit der Klägerin unterhalten können. Der Zeuge hat ferner ein Ton-Audiogramm vom 08.12.2011 vorgelegt. Dr. E. hat unter dem 22.01.2011 ergänzend mitgeteilt, die von der Klägerin angegebenen Beschwerden erlaubten ihr keine aktive Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, weswegen das Merkzeichen "RF" zuerkannt werden solle.

Sodann hat das SG von Amts wegen den HNO-Arzt Dr. v. Witzleben mit einer Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dieser Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 28.11.2011 bekundet, nach der Teilentfernung des rechtsseitigen Akustikusneurinoms sei die Klägerin rechts ertaubt und es sei das rechte Gleichgewichtsorgan zerstört worden. Zusätzlich seien eine diskrete Gesichtsnervenlähmung rechts und eine Lähmung des rechtsseitigen Zungenmuskelnervs eingetreten. Durch das Wachstum des linksseitigen Neurinoms seien mehrfach Funktionsbeeinträchtigungen des Hörsinns links aufgetreten, die noch mit Cortison behandelbar gewesen seien. Es sei sicher davon auszugehen, dass die Klägerin auch das linke Hör- und Gleichgewichtsorgan verlieren werde, weswegen ihr angeraten worden sei, die Gebärdensprache zu erlernen. Die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF", so der Sachverständige abschließend, seien gegeben. Auch bei derzeit noch bestehender Normakusis (normales Hörvermögen) links sei die Klägerin in ihrer Mobilität deutlich eingeschränkt, vor allem bei Dunkelheit, wenn die räumliche Orientierung durch das optische System ausfalle. Auch komme es wegen des Tumordrucks links zu passageren Störungen des linken Hörvermögens und Gleichgewichtsorgans.

Nachdem der Beklagte unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Reiniger vom 05.03.2013 den Schlussfolgerungen Dr. H. entgegengetreten war, hat das SG erneut behandelnde Ärzte schriftlich vernommen. Dr. E. hat unter dem 16.06.2013 ergänzend mitgeteilt, die Gangunsicherheit der Klägerin werde zweimal pro Woche krankengymnastisch behandelt. Der Neurologe und Psychiater Dr. I. hat mit Schreiben vom 01.08.2013 und vom 13.08.2013 mitgeteilt, auf der linken Seite erfolge eine Chemotherapie, hier resultiere eine höhergradige Hörschwäche, es drohe eine völlige Ertaubung, weswegen die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" vorlägen; eine eigentliche Gangunsicherheit sowie eine Ataxie beim Gehen beständen nicht, jedoch sei die Belastbarkeit auch im Gehen eingeschränkt. Auf Anforderung des SG hat die Klägerin abschließend das Ton-Audiogramm vom 28.01.2014 vorgelegt.

Der Beklagte hat an seiner Ansicht festgehalten, die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" lägen nicht vor. Hierzu hat er zuletzt die versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. Götz vom 05.11.2013 und Dr. Wolf vom 13.03.2014 vorgelegt, wonach bei Taubheit rechts und einem Hörverlust von 17 % links für das Gehör ein GdB von 20 folge; eine höhergradige Gangunsicherheit nicht vorliege, und ggfs. der Besuch öffentlicher Veranstaltungen mit Begleitpersonen oder technischen Hilfsmitteln wie einem Rollstuhl möglich und zumutbar sei.

Mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 07.08.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, bei der Klägerin liege links keine Taubheit und keine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vor. Auch die weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen der Lärmempfindlichkeit, des Schwindels und der Gangunsicherheit vor allem bei Dunkelheit, reichten nicht aus. Das SG hat sich bei dieser Einschätzung im Wesentlichen auf die Auswertung der ärztlichen Befunde durch den versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten gestützt und ergänzend ausgeführt, die aktuellen Berichte und die Aussage von Dr. I. hätten keine höhergradige Gangunsicherheit bestätigt.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27.08.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Sie behauptet, ihr Hörvermögen links habe sich weiter verschlechtert. Sie meint, auch die drohende Ertaubung müsse berücksichtigt werden. Im Übrigen verweist sie auf die Gangunsicherheit und die Lähmungen im Gesichtsbereich.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 7. August 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. November 2011 zu verurteilen, bei ihr ab dem 22.12.2012 die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Ermäßigung der Rundfunkbeitragspflicht) festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.

Der Senat hat die Klägerin persönlich angehört und in Augenschein genommen. Wegen der Ergebnisse wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" besteht nicht.

a) Für die rechtlichen Grundlagen des Anspruchs gilt Folgendes:

Die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" sind nach § 69 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (Schwb¬AwV) landesrechtlich geregelt.

In Baden-Württemberg enthielt § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (RGebStV) vom 15.10.2004, der ab dem 01.04.2005 in der Fassung des Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. S. 189) und seit dem 01.01.2009 in der Fassung des Zwölften Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 18.12.2008 (GBl. 2009, S. 131) galt, die entsprechenden Regelungen. Danach stand der Nachteilsausgleich nach § 6 Nr. 8 RGebStV u.a. schwerbehinderten Menschen zu, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Der RGebStV hat nur bis zum 31.12.2012 gegolten. Nur bis zu diesem Tag hat das Merkzeichen "RF" eine volle Befreiung von den Rundfunkgebühren bedingt.

Seit dem 01.01.2013 wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland nicht mehr durch Gebühren, sondern durch Beiträge finanziert. Dies regelt nunmehr der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15. bis 21.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl. S. 477 ff.) zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen wurden jedoch nicht geändert. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird der Rundfunkbeitrag nach § 2 Abs. 1 RBStV auf Antrag für folgende natürliche Personen auf ein Drittel ermäßigt: 1. Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von wenigstens 60 v.H. allein wegen der Sehbehinderung, 2. Hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, und 3. Behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 v.H. beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

b) Keine dieser Anspruchsvoraussetzungen ist bei der Klägerin erfüllt:

aa) Für eine Einschränkung des Sehvermögens im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 1 RBStV ist nichts ersichtlich, auch nicht unter Berücksichtigung der Lähmungserscheinungen im Gesichtsbereich.

bb) Die Klägerin fällt auch nicht unter die Gruppe schwer hörgeschädigter Menschen nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 RBStV. Sie ist nicht gehörlos. Taubheit besteht bei ihr auf dem rechten Ohr, während das Hörvermögen links nach den vorgelegten Ton-Audiogrammen - nur - um 17 % eingeschränkt ist. Auch ist - sogar unabhängig von Hörhilfen - eine Verständigung mit ihr möglich. Dies ergibt sich zum einen aus der Zeugenaussage von Dr. G. vom 19.01.2012, wonach man sich in der Praxis problemlos mit der Klägerin habe unterhalten können. Zum anderen hat der Senat in der mündlichen Verhandlung am 19.08.2015 umfassend Gespräche mit der Klägerin führen können, ohne dass dazu besonders laute Stimmen notwendig gewesen wären.

cc) Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV erfüllt die Klägerin ebenfalls nicht. Es besteht bei ihr zwar ein GdB von mindestens 80, nämlich von 100. Sie ist jedoch nicht wegen ihres Leidens ständig daran gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen:

Öffentliche Veranstaltungen im Sinne dieser Norm sind Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 17.03.1982 - 9a/9 RVs 6/81 - juris Rn 15 ff.).

Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der schwerbehinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist. Solange er mit technischen Mitteln oder mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise auch nur einzelne öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er an einer Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht gehindert (BSG, Urt. v. 11.01.1991 - 9a/9 RVs 15/89 - juris; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 09.05.2011 - L 8 SB 2294/10 - juris Rn. 35 ff.). Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zu Gute kommt, die den ausdrücklich genannten schwerbehinderten Menschen (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial benachteiligten Menschen vergleichbar sind. Die näheren Voraussetzungen dieser Personengruppen hat das SG unter Bezug auf eine ältere Fassung der früheren "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit" (AHP 2004) dargelegt (vgl. S. 6 f. des Gerichtsbescheids), dem tritt der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG bei. Erfasst sind demnach im Wesentlichen Menschen mit schweren Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden -, Menschen, die auf ihre Umgebung abstoßend wirken, Menschen mit ansteckenden Erkrankungen wie Lungentuberkulose, Menschen nach Organtransplantationen während einer längeren Therapie mit Immunsupressiva, sowie geistig oder seelisch behinderte Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.

Von diesen Fallgruppen kommt für die Klägerin zunächst jene der Menschen mit schweren Bewegungsstörungen in Betracht. Die Störungen des Gleichgewichtsorgans bzw. eine etwaige Gangunsicherheit, die bei ihr vorliegen, führen nicht dazu, dass sie ständig von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen wäre. Dies hat das SG ebenfalls überzeugend dargelegt und dabei insbesondere zutreffend ausgeführt, dass gegen eine Teilnahme in Begleitung oder mit technischen Hilfsmitteln nichts spricht. Auch die Aussage der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, sie leide nach dem Besuch einer Veranstaltung längere Zeit an Schwindel und müsse deswegen das Haus hüten, erscheint zu unkonkret, um daraus zu schließen, dass schon der Besuch unmöglich ist, bezogen auf jede Veranstaltung, also auch solche ohne erhöhte Geräuschkulisse.

Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, sie traue sich auch deswegen nicht in die Öffentlichkeit, weil manche Menschen ihr Gangbild dahin interpretierten, sie sei betrunken, führt dies nicht zu einem - objektiv nachvollziehbaren - Ausschluss von allen öffentlichen Veranstaltungen. Die Voraussetzungen der Fallgruppe "abstoßende Wirkung" liegen nicht vor, insbesondere keine Entstellung.

Die Lärmempfindlichkeit bzw. die Einschränkung der Filterfunktion auf dem verbliebenen linken Ohr schließt eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen im Ergebnis ebenfalls nicht dauernd aus. Wie ausgeführt, ist für das Merkzeichen "RF" auch ein Ausschluss von "kleinen" Veranstaltungen mit wenigen Teilnehmern, auf denen ggfs. auch nicht viele Personen gleichzeitig reden, notwendig. Außerdem hat der Senat Bedenken, eine Beeinträchtigung, die wie hier aus einer Behinderung des Hörvermögens herrührt, überhaupt unter die Fallgruppe aus § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV zu fassen. Es spricht Vieles dafür, dass solche Beeinträchtigungen abschließend in § 4 Abs. 2 Nr. 2 RBStV erfasst sind.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

3. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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