L 6 KR 478/11

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 30 KR 879/09
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 478/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 14. Februar 2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 797,28 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15. Februar 2009 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht in zwei Fällen bereits gezahlte Vergütungen für die an ihren Versicherten abgegebenen Arzneimittel in Höhe von insgesamt 797,28 EUR beanstandet und gegen unstreitige Vergütungsforderungen der Klägerin aus späteren Arzneimittelabgaben aufgerechnet hat (Retaxierung).

Die Klägerin ist Inhaberin der St.- und L.-Apotheke in A. und Mitglied des Th. A. e.V. Am 3. Mai 2007 gab sie an eine Versicherte der Beklagten die Arzneimittel ZYPREXA VELO-TAB/15 mg/70 Tabletten und ZYPREXA VELOTAB/20 mg/70 Tabletten ab. Vorgelegt hatte die Versicherte eine ärztliche Verordnung vom 26. April 2007, auf der jeweils 56 Tabletten der beiden Arzneimittel verordnet wurden. Auf telefonische Nachfrage der Klägerin erklärte die verordnende Vertragsärztin, dass Packungen mit jeweils 70 Tabletten abgegeben werden sollten. Die Klägerin vermerkte auf dem Rezept in den Verordnungszeilen jeweils "lt. ärztl. Anweis. 70 Tbl.". In der Folgezeit gab die Klägerin am 26. Mai 2007 das Arzneimittel Pulmicort® Turbohaler® 200µg 200 IHP an eine weitere Versicherte der Beklagten ab, wobei die Zahl 200 die Zahl der Einzeldosen angibt. Auf der von der Versicherten vorgelegten Verordnung des Vertragsarztes vom 25. Mai 2007 war eine Packung mit 100 IHP/Einzeldosen angegeben. Da nur eine Packung mit 200 IHP/Einzeldosen verfügbar war und die Versicherte nach Angaben der Klägerin unter akuter Atemnot litt, wurde die verordnende Ärztin angerufen. Diese erklärte telefonisch ihr Einverständnis, dass das Medikament mit 200 IHP/Einzeldosen abgegeben wird. Auf dem Rezept wurde entsprechend vermerkt "lt. ärztl. Rücksprache - Dauermedikation! 200 IHP".

Die Beklagte zahlte der Klägerin zunächst den jeweiligen Abgabepreis für die Medikamente abzüglich des Kassenrabatts, beanstandete jedoch mit Schreiben vom 26. Mai 2008 die Medi-kamentenabgabe und nahm eine Absetzung in Höhe von insgesamt 797,28 EUR vor. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 6. Juni 2008, woraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 4. September 2008 mitteilte, dass die Rückforderung aufrechterhalten bleibe. Die Retaxierung sei auf der Grundlage des § 4 des Arzneilieferungsvertrages und des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung erfolgt. Nachträgliche Änderungen hinsichtlich der Abgabemenge müssten vom verordnenden Arzt bestätigt und vor Rechnungslegung von diesem gegengezeichnet werden.

Am 13. März 2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht Altenburg (SG) Klage auf Zahlung von 797,28 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15. Februar 2009 erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, dass sie genau die Arzneimittel abgegeben habe, die nach dem Willen der verordnenden Ärzte abgegeben werden sollten. Die Abänderung der Rezepte sei mit deren vorheriger Zustimmung erfolgt. Davon gehe auch § 17 Abs. 5 S. 3 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) als selbstverständlich aus, wonach der Apotheker nach Beseitigung von Unklarheiten durch Rücksprache mit dem Arzt verpflichtet sei, jede Änderung auf der Verschreibung zu vermerken. Es gebe daher keine Vorschrift, wonach eine mit Zustimmung des Arztes erfolgte nachträgliche Änderung von Verordnungen vom Arzt noch einmal gegenzuzeichnen sei. Vorliegend habe eine Unklarheit bestanden, weil Packungen mit 56 Tabletten zwar zum Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnung am 26. April 2007, aber nicht mehr seit dem 1. Mai 2007 im Handel gewesen seien. Jahrzehntelang sei die Abänderung von Rezepten durch den Apotheker von den gesetzlichen Krankenkassen nicht beanstandet worden. Dem ist die Beklagte entgegengetreten und hat geltend gemacht, die von der Klägerin abgegebenen Mengen seien nicht verordnet gewesen. Daran vermöge die handschriftliche Ergänzung durch die Apotheke nichts zu ändern, da diese nicht von den verordnenden Ärzten unterschrieben worden sei. Aus § 2 Abs. 1 Nr. 10 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) folge, dass die Verschreibung die eigenhändige Unterschrift des Arztes enthalten müsse. Auch § 4 Abs. 1 Satz 2 Buchst. n des Arzneilieferungsvertrags (ALV) verlange die Unterschrift des Vertragsarztes. Zudem folge aus § 29 Abs. 10 des Bundesmantelvertrags - Ärzte (BMV-Ä), dass Änderungen und Ergänzungen der Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln einer erneuten Arztunterschrift mit Datumsangabe bedürften. Aus der Verletzung der Abgabebestimmungen folge, dass ein Vergütungsanspruch der Klägerin entfallen sei.

Mit Urteil vom 14. Februar 2011 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung aus-geführt, die Klägerin habe es unterlassen, die nachträgliche Änderung der Verpackungsgröße vom verordnenden Arzt unterschreiben zu lassen. Dies verstoße gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 Buchst. n ALV. Aus dieser Vorschrift folge, dass es nicht zulässig sei, eine Änderung der ärztlichen Verordnung durch den Apotheker auf dem Rezept vermerken zu lassen und lediglich telefonisch Rücksprache mit dem verordnenden Arzt zu halten. Sinn der Vorschrift sei es, die ärztlich verfasste Erklärung unverändert umzusetzen. Nur dies stelle sicher, dass die vertragsärztliche Verordnung als das zentrale Element der Arzneimittelversorgung der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung gewährleistet sei. Der Sinn und Zweck der Vorschrift könne nur erreicht werden, wenn verlangt werde, dass auch bei Änderung der ärztlichen Verordnung der Vertragsarzt diese mit seiner Unterschrift versehe. Dem entspreche § 29 Abs. 10 BMV-Ä, wonach Änderungen und Ergänzungen der Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln einer erneuten Arztunterschrift mit Datumsangabe bedürften. Es sei unschädlich, dass im Gegensatz zu anderen Arzneilieferungsverträgen im hier einschlägigen ALV nicht ausdrücklich vereinbart worden sei, dass der Vertragsarzt jede Änderung einer ärztlichen Verordnung mit seiner Unterschrift mit Datum zu bestätigen habe. Dies lasse sich ohne Weiteres bereits der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Buchst. n ALV entnehmen. Die dort vorgesehene Unterschrift des Vertragsarztes verliere ihren Sinn, wenn man zulassen würde, dass Änderungen nicht mehr mit einer ärztlichen Unterschrift zu versehen seien, sondern ein handschriftlicher Vermerk des Apothekers über eine telefonische Rücksprache ausreiche. Unbeachtlich sei, dass die verordnende Ärztin hinsichtlich des Medikaments Zyprexa nachträglich auch noch schriftlich bestätigt habe, dass das Rezept wie geschehen habe eingelöst werden können. Entscheidend sei, dass zum Zeitpunkt der Abgabe des Medikaments die Abgabebestimmungen eingehalten würden. Auch der von der Klägerin vorgetragene Notfall zum Zeitpunkt der Abgabe des Medikaments Pulmicort® lasse den Verstoß gegen die Abgabebestimmungen nicht entfallen.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 4. März 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. März 2011 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, dass sich die vom SG zur Begründung herangezogenen Bestimmungen des ALV nicht mit der Abänderung einer zuvor ordnungsgemäß ausgestellten vertragsärztlichen Verschreibung befassten. Anders als in § 29 Abs. 10 BMV-Ä, der jedoch auf das streitgegenständliche Rechtsverhältnis nicht anwendbar sei, enthalte der ALV keine Pflicht zu einer erneuten, also zweiten Arztunterschrift bei Änderung der Verschreibung. Maßgeblich sei hier vielmehr § 17 Abs. 5 ApBetrO, der in seinem Absatz 4 zudem die Geltung der Vorschriften der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung, wonach Änderungen grundsätzlich durch eine erneute Unterschrift bestätigt werden müssten, vorbehalte. Auch das BSG lasse in seinem Urteil vom 3. August 2006 (Az.: B 3 KR 7/05 R) zur Beseitigung von Unklarheiten eine einfache telefonische Nachfrage beim Arzt genügen, ohne dessen erneute Unterschrift zu verlangen. Die ApBetrO finde auch Anwendung, da nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. September 2010 (B 1 KR 3/10 R) der ALV voraussetze, dass die Apotheke ihr spezifisches Berufsrecht, wozu auch die ApBetrO gehöre, beachten müsse.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 14. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 797,28 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15. Februar 2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass sich § 4 Abs. 1 Satz 2 Buchst. n ALV auch für die Änderung einer zuvor ordnungsgemäß ausgestellten Verordnung gelte, da die inhaltliche Änderung dasselbe sei wie die Ausstellung einer neuen Verordnung. Eine Heilung der fehlenden Unterschrift sei nicht möglich. Dies folge aus § 4 Abs. 2 ALV, wo Buchstabe n des Absatzes 1 nicht genannt sei. Schließlich werde bestritten, dass es anhand der Verordnungsimages erkennbar sei, dass die Klägerin die Änderungen auf der Verordnung unterschrieben habe.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Ver-waltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage auf Zahlung von 797,28 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15. Februar 2009 zu Unrecht abgewiesen.

Zutreffend hat die Klägerin eine allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 des Sozialge-richtsgesetzes (SGG) erhoben, weil sie als Apothekerin und die gesetzliche Krankenkasse im Rahmen eines Abrechnungsstreits in einem prozessualen Gleichordnungsverhältnis zueinander stehen.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen öffentlich-rechtlichen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28. September 2010 - Az.: B 1 KR 3/10 R m.w.N., nach juris), durch Aufrechnungen analog § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu erfüllenden Erstattungsanspruch in Höhe von 797,28 EUR, weil sie die von der Klägerin berechneten streitgegenständlichen Arzneimittelabgaben nicht ohne hinreichenden Rechtsgrund zahlte.

Die Rechte und Pflichten der Klägerin ergeben sich u.a. aus dem nach § 129 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) abzuschließenden Rahmenvertrag über die Arzneimit-telversorgung in der jeweils gültigen Fassung, der nach der gesetzgeberischen Vorgabe be-stimmte Inhalte enthalten muss und nach § 129 Abs. 3 SGB V Rechtswirkungen für die Apo-theken hat. Maßgebend sind also § 129 SGB V sowie die ergänzenden Vereinbarungen, der Rahmenvertrag auf Bundesebene nach § 129 Abs. 2 SGB V und der Arzneilieferungsvertrag (ALV), geschlossen zwischen dem D. A. e.V. und den V. der A.-Krankenkassen (VdAK) sowie der A.-Ersatzkassen (AEV), in der Fassung vom 1. Juli 2009. Die Klägerin ist als Mitglied des Th. A. e.V. nach § 2 Abs. 2 ALV, die Beklagte als Mitglied des VdAK nach § 2 Abs. 1 ALV an diesen Vertrag gebunden.

Die Abrechnung bzw. die Rechnungslegung ist in den §§ 10 und 11, das Beanstandungsverfahren in § 17 des ALV geregelt. Die Klägerin hat hiernach einen Anspruch gegen die Beklagte auf Vergütung aus den beiden streitgegenständlichen Verordnungen vom 26. April und vom 25. Mai 2007, denn bei diesen handelt es sich entgegen der Auffassung der Beklagten sowie der Vorinstanz um ordnungsgemäß ausgestellte und ausgeführte Verordnungen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

In § 4 ALV sind die Abgabebestimmungen für Arzneimittel geregelt. Nach dessen Absatz 1 erfolgt die Abgabe aufgrund einer ordnungsgemäß ausgestellten vertragsärztlichen Verordnung. Ordnungsgemäß ausgestellt ist eine vertragsärztliche Verordnung, wenn sie neben den Arzneimitteln die näher bezeichneten Angaben, darunter unter Buchstabe n die Unterschrift des Vertragsarztes enthält. Dies ist bei den streitgegenständlichen Verordnungen nach Überzeugung des Senats der Fall, denn die auf den beiden Verordnungen durch die Klägerin vermerkten Änderungen der jeweiligen Abgabemengen bedürfen entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der Beklagten keiner gesonderten Unterschrift des verordnenden Vertragsarztes.

Der ALV enthält nämlich keine ausdrückliche Bestimmung für die Fälle, in denen, wie vorliegend, aufgrund einer telefonischen Rücksprache der abgebenden Apotheke mit dem verordnenden Vertragsarzt die Abgabemenge des verordneten Medikaments geändert und dies entsprechend auf der Verordnung vermerkt wird. Aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung kann aber nach nunmehriger Auffassung des Senats nicht gefolgert werden, dass eine entsprechende Verfahrensweise damit durch den ALV ausgeschlossen wird. Der Senat gibt diesbezüglich seine entgegenstehende Rechtsprechung (vgl. Beschluss vom 15. März 2011 - Az.: L 6 KR 516/10 NZB) ausdrücklich auf. Da § 4 des ALV in seinen Absätzen 7 bis 10 den Apotheken die Möglichkeit einräumt, sogar ohne ärztliche Genehmigung die jeweiligen Abgabemengen, wenn auch durch das Gebot der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Arzneimitteln vorgegeben, selbst festzulegen, falls die Verordnung diesbezüglich nicht eindeutig ist, und in Absatz 11 der Apotheke zudem die Befugnis einräumt, bei unvollständiger oder ungenauer Bezeichnung die Darreichungsform oder die Dosierung der verordneten Fertigarzneimittel nach pflichtgemäßem Ermessen selbst zu bestimmen, wenn der verordnende Vertragsarzt nicht erreichbar ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Änderung der Abgabemenge, die gerade aufgrund ärztlicher Anordnung bzw. mit ärztlicher Genehmigung erfolgt, grundsätzlich ausgeschlossen werden soll. Nach Überzeugung des Senats hätte es daher vielmehr umgekehrt einer ausdrücklichen Regelung, die dies ausschließt, bedurft. Insoweit wird auf die durch die Beteiligten zitierte Bestimmung des niedersächsischen ALV verwiesen, der in seinem § 4 Abs. 1 Satz 3 ausdrücklich verlangt, dass bei hinsichtlich der Menge erhöhten Verordnungen der verordnende Arzt die Änderung durch seine Unterschrift zu bestätigen hat. Eine solche ausdrückliche Regelung fehlt im hier anwendbaren ALV.

Dem steht auch nicht § 29 Abs. 10 BMV-Ä, wie noch in dem zuvor genannten Senatsbeschluss - dort fehlerhaft mit § 29 Abs. 7 BMV-Ä bezeichnet - behauptet, entgegen. Zwar bestimmt § 29 Abs. 10 BMV-Ä, dass Änderungen und Ergänzungen der Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln einer erneuten Arztunterschrift mit Datumsangabe bedürfen, doch gilt diese vertragliche Bestimmung allein zwischen den vertragsschließenden Parteien, hier also zwischen den Kassenärzten und den gesetzlichen Krankenkassen, wobei der Regelung dergestalt noch ein Regelungsbereich verbleibt, als z.B. Änderungen der Verordnung jedenfalls dann der erneuten Arztunterschrift mit Datumsangabe bedürfen, wenn sie durch die nichtärztlichen Mitarbeiter des jeweiligen verordnenden Vertragsarztes oder durch den versicherten Patienten selbst vorgenommen werden. Im Verhältnis zwischen abgebender Apotheke und Krankenkasse gelten dagegen die apothekenrechtlichen und -vertraglichen Bestimmun-gen, im konkreten Fall also der ALV. Daneben müssen Apotheken auch ihr spezifisches Berufsrecht, wie z.B die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), beachten. Dies setzt der ALV als selbstverständlich voraus, denn es kann nicht Ziel des ALV sein, die Apotheken von ihren spezifischen beruflichen Pflichten zu dispensieren (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2010 - Az.: B 1 KR 3/10 R, nach juris).

Für die des Weiteren von der Beklagten in Bezug genommene Bestimmung des § 2 Abs. 1 Nr. 10 AMVV, wonach die Verschreibung die eigenhändige Unterschrift des Arztes enthalten muss, gilt ebenso wie im hier einschlägigen ALV, dass diesbezüglich eine Vorschrift fehlt, die die Änderung einer ordnungsgemäß ausgestellten Verordnung regelt. Aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung kann aber auch hier nicht auf den Ausschluss einer ärztlich angeordneten oder genehmigten Änderung der Verordnung durch die abgebende Apotheke geschlossen werden.

Insbesondere verbietet sich nach Auffassung des Senats der durch die Beklagte mit ihrer Be-rufungserwiderung gezogene Schluss, dass die inhaltliche Änderung einer Verordnung dasselbe sei wie die Ausstellung einer neuen Verordnung und deshalb der erneuten Unterschrift des verordnenden Vertragsarztes bedürfe. Zum einen ist die Änderung einer Verordnung bereits dem Wortsinn nach eben gerade keine Neuausstellung der ursprünglichen Verordnung, es sei denn - was hier aber nicht der Fall ist - gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen ordnen insoweit eine Gleichstellung an. Zum anderen übernimmt die Apotheke durch den entsprechenden, auf dem Verordnungsblatt anzubringenden Vermerk gerade die Gewähr dafür, dass die Änderung durch den verordnenden Arzt angeordnet oder genehmigt wurde. Dies jedoch macht eine erneute Unterschrift des verordnenden Arztes entbehrlich. Es ist deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten im vorliegenden Fall auch unschädlich, dass § 4 Abs. 2 ALV eine Heilungsmöglichkeit für den Fall des Fehlens der (erstmaligen) Unterschrift des verordnenden Vertragsarztes nicht vorsieht, da beide Verordnungen ursprünglich vom jeweils verordnenden Vertragsarzt unterzeichnet wurden.

Maßgebend ist hier vielmehr, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, die berufsrechtliche Vorschrift des § 17 Abs. 5 Satz 3 ApBetrO. Danach hat der Apotheker jede, im Anschluss an die durch Satz 2 vorgeschriebene Beseitigung von Unklarheiten erforderliche, Änderung auf der Verschreibung zu vermerken und zu unterschreiben. Dies ist seitens der Klägerin auf den beiden streitgegenständlichen Verordnungen ausweislich der in der Verwaltungsakte der Beklagten befindlichen Verordnungsimages auch so erfolgt. Die von der Beklagten insoweit gehegten Zweifel an der namentlichen Unterzeichnung der auf den Verordnungen vermerkten Änderungen durch den jeweiligen Apotheker vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, da auf den Verordnungsimages jeweils eine Unterschriftsparaphe im Anschluss an die handschriftlichen Änderungsvermerke erkennbar ist. Dies erachtet der Senat für ausreichend. Jedenfalls verlangt die ApBetrO nicht, die auf der Verordnung angebrachten Änderungsvermerke zu ihrer Wirksamkeit durch eine erneute Unterschrift des verordnenden Vertragsarztes gegenzeichnen zu lassen, was zu einem unnötigen bürokratischen Mehraufwand führen würde. In der Zusammenschau mit Satz 4 des § 17 Abs. 5 ApBetrO, der die Vorschriften der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung für vorrangig anwendbar erklärt, ist eine entsprechende Unterschrift des Arztes vielmehr nur bei der Änderung von Betäubungsmittelverordnungen erforderlich, nicht dagegen bei der Änderung "gewöhnlicher" Arzneimittelverschreibungen.

Letztlich hält auch das BSG (vgl. Urteil vom 3. August 2006 - Az.: B 3 KR 7/05 R, nach juris) ein weitgehend unbürokratisches Verfahren für zulässig, bei dem der Apotheker bei Unklarheiten über die verordnete bzw. abzugebende Medikamentenmenge durch einfache telefonische Nachfrage beim Arzt eine Klärung herbeiführt. Dadurch werde sowohl die Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Arzneimitteln gesichert als auch garantiert, dass der Vertragsarzt weiterhin als "Schlüsselfigur" für die Verordnung verantwortlich bleibt und jeweils das Medikament und die Dosierung bestimmt, welche er bei der diagnostizierten Krankheit als medizinisch notwendig erachtet. Eine nochmalige ärztliche Unterschrift kann danach entgegen der Auffassung der Vorinstanz gerade nicht als erforderlich angesehen werden.

Auf die Berufung der Klägerin war deshalb das erstinstanzliche Urteil wie geschehen aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Der Zinsanspruch der Klägerin ist, auch der Höhe nach, begründet. Gemäß § 288 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, weil die Klägerin als gewerbliche Unternehmerin in diesem Zusammenhang kein Verbraucher ist. Der Zeitraum der Zinszahlungspflicht wird nach § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB durch die Dauer des Verzugs bestimmt. Die Beklagte ist aufgrund der Anfang Februar 2009 erfolgten Verrechnung der Rechnungsbeträge, mit der sie zu erkennen gegeben hat, dass sie die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, in Verzug geraten, ohne dass es einer Mahnung bedurfte (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB), so dass der geltend gemachte Zinsanspruch auch wie von der Klägerin beantragt ab dem 15. Februar 2009 besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungs-gerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war, wie geschehen zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG insoweit vorliegen, als die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Entscheidend ist im vorliegenden Verfahren nämlich die Rechtsfrage, ob die nachträgliche Änderung einer vertragsärztlichen Verordnung zu ihrer Wirksamkeit der nochmaligen Unterschrift des verordnenden Vertragsarztes bedarf.
Rechtskraft
Aus
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