L 12 AS 2546/15 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 1397/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2546/15 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 28.05.2015 insoweit aufgehoben, als die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid vom 02.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2015 erhobenen Anfechtungsklage auch in Bezug auf die monatliche Bewilligung eines Mehrbedarfs für alleinerziehende Leistungsberechtigte in Höhe von monatlich 143,64 EUR angeordnet wurde. Insoweit wird der Antrag abgelehnt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin drei Viertel der außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 15.05.2015 erhobenen Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 02.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2015, mit dem der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.05.2015 bis 31.07.2015 in vollem Umfang aufgehoben hat.

Die 1984 geborene Antragstellerin hat eine Ausbildung als Fachkraft im Gastgewerbe erfolgreich abgeschlossen. Sie leidet seit ihrem 13. Lebensjahr an Epilepsie. Seit dem 01.08.2014 ist sie Mieterin einer Dreizimmerwohnung in G., der Mietzins einschließlich Garage beträgt insgesamt 590,00 EUR. Seit Oktober 2013 arbeitete die Antragstellerin bei der Firma A. I. GmbH in G. als Hilfskraft im Lager. Der Arbeitsvertrag ist ungekündigt. Am 20.08.2014 brachte die Antragstellerin ihre Tochter M. S. zur Welt. Seither ist sie in Mutterschutz bzw. in Elternzeit und erhält für die Zeit vom 20.10.2014 bis zum 19.08.2015 Elterngeld (zuletzt in Höhe von monatlich 591,45 EUR). Nach der Geburt der Tochter musste die Epilepsie-Medikation neu eingestellt werden. Durch die Umstellung der Medikamente kam es bei der Antragstellerin vermehrt zu Anfällen, weshalb vom zuständigen Jugendamt die Auffassung vertreten wird, sie müsse erst ein Jahr anfallsfrei sein, bevor sie sie sich allein um ihre Tochter kümmern könne.

Auf den Weiterbewilligungsantrag der Antragstellerin bewilligte der Antragsgegner mit Bewilligungsbescheid vom 08.01.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02.2015 bis zum 31.07.2015, wobei der Antragstellerin ein Gesamtbetrag von 629,00 EUR (Regelbedarf 190,36 EUR‚ Mehrbedarf 143,64 EUR‚ Bedarf für Unterkunft und Heizung 295,00 EUR) und ihrer Tochter ein Gesamtbetrag von 159,19 EUR (Regelbedarf 0,00 EUR‚ Mehrbedarf 0,00 EUR‚ Bedarf für Unterkunft und Heizung 159,19 EUR) bewilligt wurde.

Mit Bewilligungsbescheid vom 10.04.2015 bewilligte der Landkreis G., K., der Tochter der Antragstellerin die Kostenübernahme für deren Unterbringung in einer Pflegefamilie in S. ab 31.03.2015 nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Mit weiterem Bewilligungsbescheid vom 17.04.2015 bewilligte der L. G. der Antragstellerin als Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Kostenübername für das Begleitete Wohnen in Familien ab dem 31.03.2015. Diese Bewilligung umfasst eine unmittelbar an den Träger des Begleiteten Wohnens zu zahlende Leistungspauschale in Höhe von monatlich 400 EUR sowie ein an die Pflegefamilie zu zahlendes Betreuungsentgelt von 427 EUR monatlich. Seit 31.03.2015 hält sich die Antragstellerin zusammen mit ihrer Tochter ganz überwiegend in S. auf, ca. alle 14 Tage wird die Antragstellerin von den Eltern des Kindsvaters mit dem Kfz abgeholt und verbringt dann mit dem Kindsvater gemeinsam das Wochenende in der Wohnung in G ... In S. bewohnt die Antragstellerin ein eigenes Zimmer innerhalb der Wohnung der Pflegefamilie und teilt sich mit der Pflegefamilie sanitäre Einrichtungen, Küche und Wohnzimmer. Die voraussichtliche Dauer dieser Maßnahme beträgt 8 bis 9 Monate. Danach ist beabsichtigt, dass die Antragstellerin mit ihrer Tochter wieder in der bisherigen Wohnung in G. lebt.

Am 02.04.2015 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zu einer Überzahlung und Rückerstattung von SGB II Leistungen an. Die Antragstellerin sei seit dem 31.03.2015 in einer stationären Einrichtung untergebracht und nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig, so dass nach § 7 Abs. 4 SGB II kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe. Der Bescheid vom 08.01.2015 sei deshalb mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei. Die Antragstellerin habe Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20. April 2015.

Ohne eine Stellungnahme der Antragstellerin abzuwarten, erließ der Antragsgegner zeitgleich mit der Anhörung am 02.04.2015 einen Aufhebungsbescheid für die Zukunft, mit dem der Bescheid vom 08.01.2015 ab dem 01.05.2015 in vollem Umfang aufgehoben wurde. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, die Antragstellerin sei stationär untergebracht und habe daher keinen Leistungsanspruch mehr nach dem SGB II.

Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch, den sie dahingehend begründete, sie sei nicht stationär aufgenommen worden, sondern befinde sich in einem Gaststatus in derselben Familie wie ihre Tochter. Sie beabsichtige, so bald als möglich wieder mit ihrer Tochter in die G. Wohnung zurückzukehren und dort dann mit dem Kindsvater gemeinsam zu leben. Sollte die Wohnung verloren gehen, so wären die Renovierungs- und Umzugskosten umsonst gewesen. Im Übrigen würden auch durch die Kündigungsfrist von drei Monaten Mietschulden entstehen. Auch müssten die Möbel bei Verlust der Wohnung untergestellt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2015 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er nunmehr aus, die Antragstellerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners nach § 36 SGB II, sondern in S ... Es komme nicht darauf an, wo sich die Antragstellerin nach dem ambulanten Aufenthalt aufhalten wolle, sondern wo sie sich tatsächlich aufhalte. Insoweit müsse die Bewilligung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben werden.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 15.05.2015 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben (Az.: S 14 AS 1412/15) und zeitgleich einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat die Antragstellerin u.a. ausgeführt, aller Voraussicht nach werde sie spätestens Ende des Jahres 2015 wieder in ihrer Wohnung in G. leben können. Das Abwarten einer Hauptsachentscheidung sei ihr nicht zuzumuten, da die Gefahr des Verlust der G. Wohnung bestehe. Sie erhalte mit Ausnahme des bis August bewilligten Elterngeldes keine Leistungen, weder vom Kreisjugendamt noch von Dritten.

Mit Beschluss vom 28. 05. 2015 hat das SG die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid vom 02.04.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2015 erhobenen Anfechtungsklage angeordnet. Der Antrag sei zulässig; insbesondere sei das SG Ulm zuständiges Gericht im Sinne von § 57 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da die Antragstellerin in Göppingen und damit im Gerichtsbezirk einen Wohnsitz habe. In der Sache sei der Antrag begründet, denn die Aufhebungsentscheidung sei rechtswidrig. Dem fortbestehenden Leistungsanspruch der Antragstellerin stehe nicht entgegen, dass sie jetzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in S. habe und damit der Antragsgegner nicht mehr örtlich zuständig sei. Dies sei keine wesentliche Änderung nach § 48 SGB X. Denn sie halte sich nach wie vor im zeit- und ortsnahen Bereich des Antragsgegners auf, weshalb § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II nicht eingreife. Die Antragstellerin habe auch weiterhin Anspruch auf die Kosten der Unterkunft und Heizung für die Wohnung in G ... Fraglich sei zwar, ob wegen der Mitbetreuung des Kindes durch Dritte noch die Voraussetzungen eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende erfüllt seien; doch habe der Antragsgegner die Aufhebungsentscheidung nicht auf diesen Gesichtspunkt gestützt und könne sie nachträglich nicht darauf stützen.

Hiergegen hat der Antragsgegner am 17.06.2015 Beschwerde beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung trägt er u.a. vor, durch den Umzug nach S. sei eine wesentliche Änderung eingetreten, die zur Aufhebung der Leistungsbewilligung berechtige. Ein Bedarf für die Übernahme der Kosten der Unterkunft in G. bestehe nicht. Die Antragstellerin habe sich in S. weder beim SGB II- noch beim SGB XII-Leistungsträger gemeldet. Der Antragsgegner als alter Leistungsträger könne die Antragstellerin hierzu auch nicht auffordern. Der Antragsgegner müsse daher die Möglichkeit haben, die Leistungsbewilligung auch hinsichtlich des Regelbedarfs aufzuheben. Die Auffassung des SG, der Antragsgegner habe dem Aufenthalt der Antragstellerin in S. konkludent zugestimmt, sei unzutreffend.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 28.05.2015 aufzuheben und den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den Beschluss des SG für zutreffend. Der Verbleib in der Pflegefamilie sei nach vorheriger Absprache mit dem Leistungsträger erfolgt. Eine örtliche Unzuständigkeit sei im Widerspruchsverfahren nie thematisiert worden. Ein Umzug liege nicht vor. Der Fall sei mit der Flucht einer Familie in ein Frauenhaus vergleichbar.

Wegen der Einzelheiten im Sachverhalt und im Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

II.

Die vom Antragsgegner unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 28.05.2015 ist zulässig, in der Sache jedoch überwiegend unbegründet.

Der Antrag der Antragstellerin ist in Bezug auf die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zulässig. Denn abweichend vom Regelfall des § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG hat die gegen den Bescheid vom 02.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2015 erhobene Klage gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung, weil es sich bei dem genannten Bescheid um einen Verwaltungsakt handelt, mit dem der Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufgehoben hat.

Inhalt der gerichtlichen Prüfung im Rahmen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist - wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat - eine Interessenabwägung, bei der unter Beachtung der vom Gesetzgeber getroffenen Grundentscheidung, den Eintritt der aufschiebenden Wirkung abweichend von dem in § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG geregelten Grundsatz nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG gerade auszuschließen, die jeweiligen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind. Ergibt diese Abwägung, dass das private Interesse des jeweiligen Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung seines Bescheides überwiegt, ist die aufschiebende Wirkung in aller Regel anzuordnen. Dies wiederum ist der Fall, wenn sich der angegriffene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist und dies mit einer subjektiven Rechtsverletzung des Belasteten einhergeht, weil an der sofortigen Vollziehung eines mit der Rechtsordnung nicht im Einklang stehenden Bescheides kein öffentliches Interesse besteht. Umgekehrt überwiegt das öffentliche Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung seines Bescheides das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs, wenn gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides offensichtlich keine Bedenken bestehen. In diesem Fall ist die aufschiebende Wirkung in aller Regel nicht anzuordnen. Lässt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides indes nicht hinreichend sicher beantworten, kommt es unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundentscheidung des Gesetzgebers für die Begründetheit des Antrags entscheidend auf die sonstigen Interessen der Beteiligten an. Grundsätzlich hat hierbei zu gelten, dass die an das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu stellenden Anforderungen im Sinne einer dynamischen Betrachtung um so höher sein müssen, je geringer die Erfolgsaussichten des von ihm in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs zu bewerten sind. Die wechselseitig eintretenden Folgen, die jeweils entstünden, wenn sich die durch das Gericht getroffene Eilentscheidung im Hauptsacheverfahren als unzutreffend erweisen sollte, sind in die Betrachtung mit einzubeziehen. Hierbei ist insbesondere in den Verfahren, in denen existenzsichernde Leistungen in Rede stehen, in den Blick zu nehmen, ob und mit welcher Intensität dem Antragsteller bei einer Ablehnung seines Antrages eine endgültige Verletzung von Grundrechten droht, deren Eintritt zu vermeiden nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gerade Sinn und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ist (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.11.2014 - L 25 AS 2731/14 B ER -, juris).

Unter Beachtung dieser Grundsätze erweist sich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung als überwiegend begründet und die Beschwerde des Antragsgegners damit als überwiegend unbegründet. Zu Recht hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 02.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2015 angeordnet, soweit der Antragsgegner eine Aufhebung der bewilligten Regelleistung und der Kosten der Unterkunft verfügt hat (hierzu unter 1.). Eine zur Aufhebung berechtigende wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X liegt allein mit Blick auf den ebenfalls bewilligten Mehrbedarf für Alleinerziehende vor. In diesem Umfang hat die Beschwerde des Antragsgegners zum Teil Erfolg und die Entscheidung des SG ist teilweise aufzuheben (hierzu unter 2.).

1.) Die anzustellende Interessenabwägung fällt bezogen auf die Regelleistung und die Kosten der Unterkunft zugunsten der Antragstellerin aus, da sich der angegriffene Aufhebungsbescheid nach einstweiliger Prüfung insoweit als rechtswidrig darstellt und voraussichtlich nach einer gerichtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren aufgehoben werden wird. Ergänzend zu den Ausführungen des SG - auf die gem. § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug genommen wird - und mit Blick auf den Vortrag in der Beschwerdeschrift, ist folgendes anzumerken:

Die angegriffene Entscheidung stellt sich aktuell bereits als formal rechtswidrig dar, da der Antragsgegner keine ordnungsgemäße Anhörung durchgeführt hat und dieser Verfahrensfehler bislang nicht geheilt wurde. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist gem. § 24 Abs. 1 SGB X diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Vorschrift des § 24 SGB X dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs und soll das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken und den Bürger vor Überraschungsentscheidungen schützen (z.B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 15.08.2002 - B 7 AL 38/01 R -, juris, Rn. 19). Die Behörde hat vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes (vorliegend des Aufhebungsbescheides mit Wirkung für die Zukunft), den Beteiligten zu den entscheidungserheblichen Tatsachen anzuhören. Entscheidungserheblich sind alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, d.h. die Tatsachen, auf die sich die Verwaltung im maßgeblichen Fall tatsächlich auch gestützt hat bzw. stützen will (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2015 - L 7 AS 4295/13 -, juris, Rn. 24; Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 24 Rn. 13). Dabei kommt es auf die Rechtsansicht der Behörde an, was sie als entscheidungserheblich ansieht, auch wenn ihre Ansicht ggf. materiell-rechtlich unzutreffend ist (z.B. BSG, Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R -, BSGE 112, 221). Das Gericht ist in jedem Stand des Verfahrens verpflichtet zu prüfen, ob die anhörungspflichtige Behörde dem Anhörungsgebot entsprochen hat (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 15/01 R - juris, Rn. 24). Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben hat der Antragsgegner die Antragstellerin vor Erlass des streitigen Aufhebungsbescheides nicht ordnungsgemäß angehört. Zwar hat der Antragsgegner der Antragstellerin mit Schreiben vom 02.04.2015 mitgeteilt, diese sei in einer stationären Einrichtung untergebracht und es bestehe Gelegenheit zu einer deshalb beabsichtigen Aufhebung- und Erstattungsentscheidung bis zum 20.04.2015 Stellung zu nehmen. Tatsächlich hat der Antragsgegner jedoch noch am gleichen Tag den streitgegenständlichen Aufhebungsbescheid vom 02.04.2015 erlassen, so dass der in § 24 Abs. 1 SGB X normierte Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren verletzt wurde. Von der Anhörung konnte hier auch nicht gemäß § 24 Abs. 2 SGB X abgesehen werden, da keine der dort genannten Fallgestaltungen einschlägig ist. Der Anhörungsmangel ist auch nicht durch eine Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt worden. Das Widerspruchsverfahren ersetzt die förmliche Anhörung, wenn den bis dahin nicht ausreichend angehörten Beteiligten Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen sachgerecht zu äußern (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 2/13 R -, SozR 4-4200 § 38 Nr. 3; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 41 Rn 15 mwN). Die bloße Bekanntgabe einer behördlichen Entscheidung bewirkt allerdings keine Heilung des Mangels. Vielmehr wird ein Anhörungsmangel im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nur dann geheilt, wenn der Bescheid selbst alle wesentlichen Tatsachen enthält (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.1994 - 7 RAr 104/93 - SozR 3-4100 § 117 Nr. 11; Schütze a.a.O. Rn. 15). Dies ist hier nicht der Fall. Der Antragsgegner hat den Aufhebungsbescheid vom 02.04.2015 (ebenso wie im Anhörungsschreiben vom gleichen Tag angekündigt) allein damit begründet, die Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB II seien entfallen, da die Antragstellerin in einer stationären Einrichtung untergebracht sei. Im maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 07.05.2015 hat der Antragsgegner hingegen auf diesen Gesichtspunkt nicht mehr abgestellt, sondern darauf, dass seine örtliche Zuständigkeit entfallen sei. Tatsächlich hatte die Antragstellerin daher zu keinem Zeitpunkt Gelegenheit, sich zu den aus Sicht des Antragsgegners zuletzt entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Allerdings kann die fehlende Anhörung gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X noch bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden, weshalb diesem Gesichtspunkt für das vorliegende Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz jedenfalls kein allein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden kann (vgl. Bayerisches LSG, Beschlüsse vom 31.07.2015 - L 7 R 506/15 B ER - und vom 25.03.2014 - L 16 AS 150/14 B ER -, juris; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.07.2015 - L 5 AS 486/15 B ER -, juris; Wehrhahn in: Breitkreuz/Fichte, § 86b, Rn. 45, m.w.N).

In der für die Interessenabwägung maßgeblichen materiellen Beurteilung teilt der Senat die Bewertung des SG, dass allein der Wegfall der örtlichen Zuständigkeit des Leistungsträgers die vom Antragsgegner verfügte vollständige Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 08.01.2015 nicht zu begründen vermag. Dies ergibt sich aus der Regelung des § 2 Abs. 3 SGB X. Hiernach muss die bisher zuständige Behörde bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit die Leistungen noch so lange erbringen, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden. Da § 36 SGB II für den Fall des Wechsels der örtlichen Zuständigkeit keine abweichende Regelung enthält, ist die allgemeine Regelung des § 2 Abs. 3 SGB X einschlägig und geht den §§ 102, 105 SGB X vor (Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 12.04.2011 - L 6 AS 45/10 -, juris, m.w.N.). Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, eine typischerweise bei einem Zuständigkeitswechsel eintretende Unterbrechung der Leistung an den Leistungsempfänger zu verhindern und einen nahtlosen Übergang der Leistungsgewährung zu erreichen (vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 8/2034 zu Art. 1 § 2; Neumann in Hauck/Noftz, SGB X, § 2, Rn. 34). § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X gibt dem Betroffenen gegenüber der unzuständig gewordenen Behörde einen eigenständigen materiell-rechtlichen Anspruch auf Fortsetzung der Leistung, solange die nunmehr zuständige Behörde noch keine Leistungen erbringt. Dies gilt solange und soweit die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen weiter bestehen.

Ein Anspruch aus § 2 Abs. 3 SGB X ergibt sich daher nur in dem Umfang, in dem die Leistungsgewährung rechtmäßig ist und die bisher zuständige Behörde mit Rechtsgrund geleistet hat. Dies ist hier der Fall. Insbesondere stehen weder § 7 Abs. 4 SGB II (hierzu a.) noch § 7 Abs. 4a SGB II (hierzu b.) dem Leistungsanspruch der Antragstellerin entgegen und auch die Kosten der Unterkunft waren jedenfalls für den hier streitigen Zeitraum weiterhin vom Antragsgegner zu tragen (hierzu c.).

a.) Nach § 7 Abs. 4 SGB II erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht (Satz 1). Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt (Satz 2). In Ausnahme von dem grundsätzlichen Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II erhält Leistungen nach dem SGB II gleichwohl, wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V -) untergebracht ist (Satz 3 Nr 1) oder wer in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist (Satz 3 Nr 2). Die Antragstellerin hält sich nicht in einer stationären Einrichtung auf. Der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung schließt nach Auffassung des BSG seit dem 01.08.2006 Leistungen nach dem SGB II dann aus, wenn der Träger der Einrichtung nach Maßgabe seines Konzepts die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung und die Integration des Hilfebedürftigen übernimmt (BSG, Urteil vom 05.06.2014 - B 4 AS 32/13 R -, BSGE 116, 112-120, SozR 4-4200 § 7 Nr. 36 unter Hinweis darauf, dass an dem zuvor durch die Rechtsprechung des BSG geprägten funktional ausgerichteten Einrichtungsbegriff auf Basis des § 7 Abs. 4 SGB II in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung nicht mehr festzuhalten ist). Die Unterbringung in einer Pflegefamilie stellt keine stationäre Unterbringung im zuvor genannten Sinn dar. Laut Schreiben der SOS-Kinder- und Jugendhilfe G. vom 15.04.2015 handelt es sich bei der Betreuung (in der Pflegefamilie) um eine Maßnahme der Jugendhilfe, die nicht der Behandlung der Antragstellerin dient, sondern ausschließlich das Kindeswohl absichert. Es findet keine Therapie oder ähnliches für die Antragstellerin statt (Bl. 65 SG Akte). Letztlich hat auch der Antragsgegner die im Bescheid vom 02.04.2015 gemachten Ausführungen, die Antragstellerin sei im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II stationär untergeberacht, im Widerspruchsbescheid vom 07.05.2015 nicht weiterverfolgt, sondern hat sich dort ausschließlich auf den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit berufen.

b.) Entgegen der (erstmals) in der Beschwerdeschrift geäußerten Auffassung des Antragsgegners greift auch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4a SGB II vorliegend nicht. In der gemäß § 77 Abs.1 SGB II anzuwenden Fassung des § 7 Abs. 4a SGB II vom 23.12.2007 erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997, geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001, definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält. Eine Definition des zeit- und ortsnahen Bereiches ergibt sich aus § 2 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 EAO, wonach zum Nahbereich alle Orte in der Umgebung des Antragsgegners gehören, von denen aus der Leistungsberechtigte erforderlichenfalls in der Lage wäre, den Antragsgegner täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen. Die maximale Entfernung beträgt dabei 75 Minuten für die Reisezeit mit den dem Leistungsberechtigten zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln auf der einfachen Strecke vom vorübergehenden Aufenthaltsort bis zum Antragsgegner (vgl; Bayerisches LSG, Urteile vom 26.02.2015 - L 11 AS 393/14 -, juris, Rn. 17, und vom 15.12.2009 - L 10 AL 395/05 - juris, mwN; Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7, Rn. 268). Der Aufenthaltsort des Leistungsempfängers muss also nicht zwingend im räumlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners im Sinne des § 36 SGB II liegen (vgl. Spellbrink/G. Becker in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 7, Rn. 147). Nicht der Hilfebedürftige muss täglich erreichbar sein, sondern der Träger durch den Arbeitsuchenden (Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB, 10/13, § 7 SGB II, Rn. 263). Die Entfernung zwischen G. und S. beträgt rund 20 km und kann mit dem Auto in ca. 25 Minuten und mit dem Bus in circa 40 Minuten (Quelle: http://reiseauskunft.bahn.de) zurückgelegt werden. Vorliegend liegt daher bereits kein Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs vor, so dass die Frage, ob der Antragstellerin eine (konkludente) Zustimmung erteilt wurde oder eine solche zu erteilen wäre, keiner Erörterung bedarf.

c.) Auch soweit der Antragsgegner die Bewilligung von Kosten der Unterkunft für die G. Wohnung für die Zeit vom 01.05.2015 bis 31.07.2015 aufgehoben hat, bestehen beim Senat erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung, so dass auch in diesem Punkt das Suspensivinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt. Wie bereits dargelegt, begründet § 2 Abs. 3 SGB X einen eigenständigen Anspruch insoweit, als sich die Rechtswidrigkeit der bisherigen Bewilligung ausschließlich aus dem eingetretenen Zuständigkeitswechsel ergibt. Dies gilt beispielsweise mit Blick auf die Kosten der Unterkunft nicht bei einer kompletten Aufgabe der bisherigen Wohnung in Form eines Umzugs, da in diesem Fall die Kosten der Unterkunft für die bisher bewohnte Wohnung nicht nur aufgrund des Zuständigkeitswechsels nicht mehr zu übernehmen sind, sondern vielmehr auch deswegen, weil diese Wohnung überhaupt nicht mehr zur Unterkunft dient (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.07.2014 - L 13 AS 105/13, nicht veröffentlicht; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 12.04.2011 - L 6 AS 45/10 -, juris). Mit der Konstellation eines Umzugs, d.h. insbesondere der vollständigen Aufgabe der bisherigen Wohnung, kann der vorliegende Sachverhalt jedoch nicht gleichgesetzt werden, da die Wohnung in G. weiterhin (zumindest in geringem Umfang) aktuell genutzt wird und auch in Zukunft wieder durchgehend genutzt werden soll. Tatsächlich stellt sich der Fall vielmehr so dar, dass die Antragstellerin hier für einen längeren, aber vorübergehenden Zeitraum über eine für sie selbst kostenfreie weitere Unterkunft in Form des Zimmers bei der Pflegfamilie verfügt und diese rein zeitlich betrachtet derzeit überwiegend nutzt. Nach Rechtsprechung des Senats sind gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angemessene Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe nur für eine einzige Unterkunft anzuerkennen, und zwar auch dann wenn der Hilfebedürftige über mehrere Unterkünfte verfügen kann. Abzustellen ist dann auf die vorrangig tatsächlich genutzte Unterkunft (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.03.2014 - L 12 AS 290/14 -, Rn. 28, juris; vgl. auch Thüringer LSG, Beschluss vom 15.04.2008 - L 9 AS 1438/07 ER - m.w.N., Juris). Auf die keineswegs eindeutig zu beurteilende Frage, ob das Bewohnen des Zimmers bei der Pflegefamilie in Schorndorf eine vollwertige Unterkunft darstellt, die den Aufbau oder Erhalt einer Privatsphäre ermöglicht, selbstbestimmtes Wohnen gewährleistet und faktisch und/oder rechtlich gesichert ist und daher die Übernahme weiterer Unterkunftskosten in G. ausschließt (vgl. zur Problematik: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.03.2012 - L 10 AS 123/12 B ER -, juris), kommt es für den vorliegend streitigen Zeitraum bis 31.07.2015 nicht entscheidungserheblich an. Selbst doppelte Mietaufwendungen sind nämlich dann ausnahmsweise als Unterkunftskosten (als sog. Überschneidungskosten) zu übernehmen, wenn der Auszug aus der bisherigen Unterkunft notwendig war und die Mietzeiträume wegen der bestehenden Kündigungsfristen nicht nahtlos aufeinander abgestimmt werden konnten und der Hilfebedürftige alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, die Aufwendungen für die frühere und neue Wohnung so gering wie möglich zu halten (vgl. Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 22, Rn. 50, m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER -, juris). Insoweit erweist sich jedenfalls die vom Antragsgegner verfügte Leistungsaufhebung für den streitigen Zeitraum vom 01.05.2015 bis 31.07.2015 als rechtswidrig, da diese Entscheidung die von der Antragstellerin zivilrechtlich zu beachtenden Kündigungsfristen des § 573c Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht berücksichtigt. Bei einem Mietverhältnis über Wohnraum ist die Kündigung gem. § 573 c Abs.1 BGB grundsätzlich spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats für den Ablauf des übernächsten Monats zulässig. Die Bewilligung zur Kostenübernahme für begleitetes Wohnen durch das Kreissozialamt des Landkreises G. ist erst mit Bescheiden vom 10.04.2015 und 17.04.2015 erfolgt (Bl. 57, 58 SG Akte), so dass die Antragstellerin frühestens zu diesem Zeitpunkt überhaupt eine Veranlassung zur Kündigung der G. Wohnung gehabt haben könnte und eine Kündigung dieser Wohnung frühestens zum 31.07.2015 möglich gewesen wäre. Dementsprechend ist hier - selbst wenn man das Vorhandensein einer vollwertigen Unterkunft in S. einmal als gegeben unterstellt - von einem Anspruch der Antragstellerin auf Übernahme der Kosten der Unterkunft für die Wohnung in G. zumindest bis 31.07.2015 auszugehen. Die Frage, ob die Kosten der Unterkunft für die G. Wohnung auch ab 01.08.2015 weiter zu übernehmen sind, ist hingegen kein zulässiger Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

2.)

Mit Blick auf die ebenfalls aufgehobene Bewilligung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende in Höhe von monatlich 143,64 EUR überwiegt hingegen das Vollzuginteresse des Antragsgegners, so dass die vom SG auch insoweit angeordnete aufschiebende Wirkung aufzuheben war. Zwar erweist sich der Aufhebungsbescheid vom 02.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2015 auch insoweit mangels ordnungsgemäßer Anhörung jedenfalls aktuell als formal rechtswidrig (s.o. unter 1.), dem misst der Senat jedoch aufgrund der bestehenden Heilungsmöglichkeit nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz für die vorliegend vorzunehmende Interessenabwägung kein ausschlaggebendes Gewicht zu (vgl. Bayerisches LSG, Beschlüsse vom 31.07.2015 - L 7 R 506/15 B ER - und vom 25.03.2014 - L 16 AS 150/14 B ER, a.a.O.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.07.2015, a.a.O.; Wehrhahn a.a.O.). Als maßgeblich erachtet der Senat vielmehr, dass der Antragstellerin materiell kein Mehrbedarf bei alleiniger Pflege und Erziehung von Kindern im Sinne des § 21 Abs. 3 SGB II mehr zustehen dürfte und insoweit eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten ist, die dem Antragsgegner die Aufhebung des bewilligten Mehrbedarfs mit Wirkung für die Zukunft ermöglicht. Im streitigen Zeitraum war die Antragstellerin nicht allein für die Pflege und Erziehung ihres Kindes verantwortlich, da eine Mitbetreuung des Kindes durch eine Fachkraft des SOS-Kinderdorfs im Wege der Eingliederungshilfe erfolgt ist (Bl. 25 der SG Akte). Der Mehrbedarf bei alleiniger Pflege und Erziehung von Kindern im Sinne des § 21 Abs. 3 SGB II setzt jedoch gerade voraus, dass der Hilfebedürftige allein für Pflege und Erziehung des Kindes sorgt. Dies ist nur dann der Fall, wenn andere Personen dabei nicht in erheblichem Umfang mitwirken, d.h. wenn keine nachhaltige Entlastung eintritt (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 50/07 R -, juris). Vorliegend geht der Senat auf Basis der Bewilligung der Leistungspauschale von 400 EUR monatlich für eine begleitende Betreuung durch eine Fachkraft, einstweilig davon aus, dass hierneben kein zusätzlicher Anspruch auf Mehrbedarf bei alleiniger Pflege und Erziehung von Kindern bestehen kann.

Richtig ist zwar, dass der Antragsgegner seine Aufhebungsentscheidung nicht ausdrücklich auf diesen Gesichtspunkt gestützt hat, entgegen der Auffassung des SG, vermag der Senat hierin jedoch keinen gänzlich anderen Lebenssachverhalt zu erkennen, der etwa dem Nachschieben von Gründen entgegenstehen könnte. Auch der Antragsgegner hat seine Entscheidung auf den Lebenssachverhalt ("Aufnahme in eine Pflegefamilie") gestützt, auch wenn er daraus rechtlich unzutreffende Schlussfolgerungen gezogen hat. Bloße Begründungsmängel oder Begründungsfehler wirken sich bei gebundenen Verwaltungsakten auf die Rechtmäßigkeit der Regelung jedoch selbst nicht aus und rechtfertigen grundsätzlich nicht die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts. Ein inhaltlicher (materieller) Begründungsmangel ist jedoch bei gebundenen Verwaltungsakten grundsätzlich entscheidungsunerheblich, weil das Gericht die getroffene Regel unter jedem rechtlich denkbaren Gesichtspunkt zu überprüfen hat. Grenzen des sog Nachschiebens von Gründen eines Verwaltungsakts, die bereits bei seinem Erlass vorgelegen haben, nimmt die Rechtsprechung aber insofern an, als dadurch der Verwaltungsakt nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden darf (BSG, Urteil vom 29.06.2000 - B 11 AL 85/99 R -, BSGE 87, 8, SozR 3-4100 § 152 Nr 9). Eine derartige Wesensänderung ist vorliegend nicht ersichtlich, da der Antragsgegner gerade keinen gänzlich anderen Lebenssachverhalt, sondern den gleichen Lebenssachverhalt nur unter Ausleuchtung eines anderen (unzutreffenden) rechtlichen Gesichtspunkts zu Grunde gelegt hat. Auch die Rechtsverteidigung der Antragstellerin wird durch eine diesbezügliche Begründungsänderung nicht erschwert. Die Antragstellerin sieht sich nämlich nicht unbekannten oder schwer zugänglichen Tatsachen gegenüber. Vielmehr handelt es sich um Umstände, die ihr ohne weiteres selbst bekannt sind.

3.) Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG, wobei der Senat das teilweise Obsiegen des Antragsgegners angemessen berücksichtigt hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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