L 4 R 5002/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 2397/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 5002/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 31. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen ein Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte) vom 18. März 2004, mit dem sie die Behandlung seines Antrages auf Leistungen zur Teilhabe als Rentenantrag angekündigt hatte.

Der Kläger ist am 1941 geboren und bei der Beklagten rentenversichert. Auf die mit Bescheid vom 2. März 2004 erfolgte Aufforderung seiner Krankenkasse, einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe zu stellen, stellte der Kläger unter dem 2. März 2004 einen entsprechenden Antrag, der bei der Beklagten am 4. März 2004 einging. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. März 2004 ab. Die Voraussetzungen für entsprechende Leistungen seien nicht erfüllt, weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlimmerung nicht abgewendet werden könne. Mit weiterem Schreiben (ohne Rechtsmittelbelehrung) vom 18. März 2004 (im Folgenden: Schreiben) teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe vom 2. März 2004 gelte gemäß § 116 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) als Rentenantrag.

Der Kläger erhob gegen das Schreiben der Beklagten vom 18. März 2004, das er als "Bescheid" bezeichnete, am 17. Mai 2004 Widerspruch. Bei dem Schreiben, in dem die Beklagte unter Bezugnahme auf § 116 Abs. 2 SGB VI festgestellt habe, dass der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben als Rentenantrag gelte, handele es sich um einen Verwaltungsakt.

Mit Bescheid vom 29. November 2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. August 2006. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 5. Dezember 2006 Widerspruch mit der Begründung, ein Rentenantrag liege nicht vor, weshalb keine Berechtigung bestehe, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2008 den Widerspruch des Klägers vom 17. Mai 2004 gegen die Ablehnung des Antrags auf medizinische Leistung zur Rehabilitation als unzulässig zurück, da der Widerspruch nach Ablauf der Frist erhoben worden sei. Den Widerspruch vom 5. Dezember 2006 gegen den Bescheid vom 29. November 2006 wies der Widerspruchsausschuss zugleich als unbegründet zurück.

Hiergegen erhob der Kläger beim Sozialgericht Freiburg (SG) an 26. Mai 2008 zwei Klagen, wobei das SG die in Bezug auf den Bescheid vom 29. November 2006 erhobene Klage (S 14 R 2595/08) mit Beschluss vom 20. Februar 2009 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit der in Bezug auf das Schreiben vom 18. März 2004 erhobenen Klage (S 8 R 2594/08) verband.

Das SG wies die Klage[n] mit Gerichtsbescheid vom 16. Februar 2011 ab. Der gegen den Bescheid vom 18. März 2004 gerichtete Widerspruch sei nicht fristgerecht erhoben worden; maßgeblich sei insoweit der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Bescheid und nicht das formlose Schreiben vom selben Tag. Hiergegen legte der Kläger am 23. Februar 2011 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 10 R 765/11) ein. Er wandte sich ausdrücklich gegen das Schreiben vom 18. März 2004, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt. Nach Hinweis der Berichterstatterin in jenem Berufungsverfahren, dass mit dem Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2004 nur über den (nicht erhobenen) Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 18. März 2004, mit dem die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt worden war, entschieden worden sei, wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers gegen ihr "Schreiben" vom 18. März 2004 mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2014 zurück; der Widerspruch sei unzulässig, da es sich bei der Mitteilung, dass der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe in einen Rentenantrag umzudeuten sei, nicht um einen Verwaltungsakt handele. Das LSG Baden-Württemberg wies die Berufung des Klägers mit Urteil vom 25. September 2014 zurück. Die gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil vom Kläger eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 15. Juli 2015 (B 13 R 369/14 B).

Am 21. Mai 2014 erhob der Kläger erneut Klage beim SG gegen das Schreiben vom 18. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2014. Er sei nicht bereit darüber zu diskutieren, ob es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 18. März 2004, in dem ihm mitgeteilt worden sei, dass sein Antrag auf Leistung zur Teilhabe vom 2. März 2004 als Rentenantrag gelte, um einen Verwaltungsakt handele oder nicht.

Der Beklagte trat der Klage entgegen. Die Klage sei unzulässig. Das Schreiben vom 18. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2014 sei bereits Gegenstand des Berufungsverfahrens L 10 R 765/11.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31. Oktober 2014 ab. Die Klage sei unzulässig. Während der Rechtshängigkeit könne ein zweites Verfahren zwischen denselben Beteiligten über denselben Streitgegenstand nicht anhängig gemacht werden. Der "Bescheid" vom 18. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2014 sei jedoch bereits Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens L 10 R 765/11 geworden.

Gegen den ihm am 4. November 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 4. Dezember 2014 Berufung eingelegt, diese aber nicht begründet.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 31. Oktober 2014 sowie den ohne Rechtsbehelfsbelehrung ergangenen Bescheid der Beklagten vom 18. März 2004, in dem mitgeteilt wurde, dass sein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe als Rentenantrag behandelt werde, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat sich nicht geäußert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akte des Senats, die Akte des SG im Verfahren S 11 R 2397/14, die Akten des LSG Baden-Württemberg im Verfahren L 10 R 764/11, die Akten des SG in den Verfahren S 8 R 2594/08 und S 14 R 2595/08 sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da die Klage keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Senat konnte über die Berufung mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Gegenstand des Verfahrens ist das Schreiben der Beklagten vom 18. März 2004, mit dem diese dem Kläger mitgeteilt hat, dass sein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe als Rentenantrag gelte, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2014.

2. Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Klage ist unzulässig.

Die Klage gegen das Schreiben – die Rechtsnatur des Schreibens ist zwischen den Beteiligten streitig – der Beklagten vom 18. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2014 war zunächst wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) unzulässig (dazu unter a). Soweit dieses Hindernis dann wegen des rechtskräftigen Abschlusses des ersten Streitverfahrens entfallen ist, steht ihr nun die Rechtskraftwirkung der ersten Entscheidung entgegen (dazu unter b).

a) aa) Die Zulässigkeit der Klage ist als Prozessvoraussetzung auch im Berufungsverfahren von Amts wegen zu prüfen. Bei einer zulässigen Berufung ist, bevor über die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen der streitigen Ansprüche entschieden wird, festzustellen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Insbesondere sind solche Mängel zu berücksichtigen, die sich aus dem Fehlen unverzichtbarer Prozessvoraussetzungen ergeben, gleichgültig ob der Mangel nur das Berufungsverfahren oder – wie hier – schon das Klageverfahren betrifft (so zum Revisionverfahren BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R – in juris, Rn. 15 m.w.N.).

Nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) kann die Sache während der Rechtshängigkeit von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Die Rechtshängigkeit entfaltet mithin für ein zweites Verfahren über denselben Streitgegenstand Sperrwirkung (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R – in juris, Rn. 17). Diese prozessuale Sperrwirkung führt zur Unzulässigkeit einer zweiten Klage.

bb) Der Kläger hatte das Schreiben der Beklagten vom 18. März 2004 bereits mit einer am 26. Mai 2008 beim SG erhobenen Klage angegriffen, wodurch die Streitsache gemäß § 94 SGG rechtshängig wurde. Diese Rechtshängigkeit stand der am 21. Mai 2014 im hiesigen Verfahren erhobenen Klage gegen dasselbe Schreiben entgegen. Zwar hat das SG in seinem Gerichtsbescheid vom 16. Februar 2011 nur über den Bescheid vom 18. März 2004, mit dem der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt worden ist, entschieden. Dieser Bescheid war aber nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Der Kläger hatte bereits bei Klageerhebung deutlich gemacht, dass er sich gegen das Schreiben vom 18. März 2004, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt und in dem mitgeteilt wurde, dass der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe als Rentenantrag gelten würde, wendet. Für die Frage, welche Streitsache durch Klageerhebung rechtshängig wird, ist aber nicht entscheidend, welche (irrtümliche) Auffassung das angerufene Gericht hierzu vertritt, sondern maßgeblich ist eine objektive Betrachtung. Auch im Berufungsverfahren L 10 R 765/11 hat der Kläger erneut deutlich gemacht, dass er sich gegen das Schreiben vom 18. März 2004, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, wendet. Auch das LSG Baden-Württemberg ging in seinem Berufungsverfahren L 10 R 765/11 davon aus, dass Gegenstand des Klageverfahrens das Schreiben vom 18. März 2004, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, war und veranlasste dementsprechend, dass die Beklagte über den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers noch eine Widerspruchsentscheidung herbeiführt. Dies geschah dann durch den Widerspruchsbescheid vom 29. April 2014.

b) aa) Die Sperrwirkung der anderweitigen Rechtshängigkeit endet zwar mit Abschluss des ersten Verfahrens, so dass eine zunächst wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässige Klage noch zulässig werden kann. Sie bleibt aber unzulässig, soweit sie denselben Streitgegenstand zwischen denselben Beteiligten betrifft. Insofern steht dann die entgegenstehende Rechtskraft der das erste Klageverfahren abschließenden Entscheidung der Zulässigkeit der zweiten Klage entgegen (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R – in juris, Rn. 17).

bb) Entsprechend entfiel zwar die Rechtshängigkeit des ersten Klageverfahrens mit Wirksamwerden des Beschlusses des BSG vom 15. Juli 2015 über die vom Kläger erhobene Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem die Berufung zurückweisenden Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25. September 2014. Seit diesem Zeitpunkt steht der im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Klage aber die Rechtskraft des Gerichtsbescheides des SG vom 16. Februar 2011 entgegen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved