L 13 SB 79/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 178 SB 1131/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 79/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Februar 2014 aufgehoben sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 19. Juli 2011 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 9. Februar 2012 verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 20. März 2013 einen Grad der Behinde-rung von 50 festzustellen. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu zwei Dritteln zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Auf den Antrag des 1960 geborenen Klägers vom 25. März 2011 stellte der Beklagte nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten medizinischen Unterlagen mit Bescheid vom 19. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2012 bei ihm einen Gesamt-GdB von 30 fest. Dieser Entscheidung legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Ein-zel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

a) Schwerhörigkeit beidseits (30), b) Bluthochdruck (10), c) Fettleber (10), d) Harnsäurestoffwechselstörung (10).

Mit der bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger einen GdB von 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten des Fach-arztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 2. Mai 201 eingeholt, der als Funktionsbeein-trächtigungen

a) hochgradige Hörminderung, Ohrgeräusche beidseits (30), b) Bluthochdruck (10), c) Fettleber (10), d) Harnsäurestoffwechselstörung (10), e) Knorpelschaden der Kniegelenke beidseits, arthroskopische Meniskusopera-tion links Januar 1999, Oberschenkelfraktur beidseits operativ versorgt, Un-terschenkelkrampfaderbildung beidseits mit Ödembildung und Hautverände-rungen (20)

ermittelt und den Gesamt-GdB auf 40 vom Zeitpunkt der Begutachtung am 20. März 2013 eingeschätzt hat.

Mit Urteil vom 12. Februar 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30. Das Sozi-algericht ist hierbei entgegen der Einschätzung des Sachverständigen Dr. S davon ausgegangen, dass der Einzel-GdB von 30 für die Hörminderung mit Ohrgeräuschen durch das Knieleiden mit einem Einzel-GdB von 20 nicht zu erhöhen ist.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt, mit der er zunächst weiterhin einen Gesamt-GdB von 50 begehrt hat. Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 24. Februar 2015 über die Bildung des Gesamt-GdB eingeholt.

In der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2015 hat der Kläger erklärt, den Ge-samt-GdB von 50 erst ab 20. März 2013 zu begehren.

Die Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Februar 2014 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Juli 2011 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2012 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 20. März 2013 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, da sich der Gesundheitszu-stand des Klägers während des Klageverfahrens verschlechtert und er deshalb An-spruch auf Festsetzung eines GdB von 50 ab 20. März 2013 hat.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversor-gungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.

Zwischen den Beteiligten steht – zu Recht – außer Streit, dass bei dem Kläger neben den nur einen Einzel-GdB von 10 bedingenden Behinderungen ein Knieleiden be-steht, das mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten ist.

Für die Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen ist nach Teil B Nr. 5.2 der Anlage zu § 2 VersMedV ein Einzel-GdB von 40 anzusetzen. Grundlage der Beurteilung der Hör-minderung bildet das Tonschwellenaudiogramm vom 4. März 2011, dessen Ergeb-nisse ausweislich der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 5. Oktober 2012 durch das nach Teil B Nr. 5 der Anlage zu § 2 VersMedV ebenfalls heranzuziehen-den Sprachaudiogramm vom selben Tag bestätigt wird. Unter Anwendung der 4-Frequenztabelle nach Röser 1973 (Teil B Nr. 5.2.2 der Anlage zu § 2 VersMedV) errechnet sich hieraus ein prozentualer Hörverlust für das rechte Ohr von 39 (9 bei 500 Hz, 16 bei 1000 Hz, 7 bei 2000 Hz und 7 bei 4000 Hz) sowie für das linke Ohr von 95 (20 bei 500 Hz, 33 bei 1000 Hz, 28 bei 2000 Hz und 14 bei 4000 Hz). Für diese Werte sieht die Tabelle 4 (Teil B Nr. 5.2.4 der Anlage zu § 2 VersMedV) einen Einzel-GdB von 30 vor. Indes ist zu berücksichtigen, dass dieses Ergebnis direkt an der Grenze zu dem Einzel-GdB von 40 liegt. Der Senat hält es für geboten, unter Berücksichtigung der Ohrgeräusche, die zu der Hörminderung eine weitere Teilhabebeeinträchtigung darstellen, den Einzel-GdB in diesem Funktionssystem mit 40 zu bewerten.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchti-gungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchs-ten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Bei dem Kläger ist der Gesamt-GdB danach mit 50 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 40 für die Hörminderung mit Ohrgeräuschen ist unter Berücksichtigung der mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Behinderungen der unteren Extremitäten heraufzusetzen. Die Behinderungen des Klägers betreffen zwei unterschiedliche Funktionssysteme, woraus im vorliegenden Fall auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen ist, da die Teilhabebeeinträchtigungen maßgeblich verstärkt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechts-streits.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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