Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 45 SB 1830/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 293/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozial-gerichts Berlin vom 27. November 2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) und über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzun-gen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinde-rung).
Der Beklagte hatte 2010 bei der 1934 geborenen Klägerin auf der Grundlage des Gutachtens des Chirurgen R vom 24. August 2010 einen Gesamt-GdB von 60 fest-gestellt und der Klägerin das Merkzeichen "G" zuerkannt.
Auf den Neufeststellungsantrag der Klägerin vom 19. Mai 2011 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2012 bei ihr einen Gesamt-GdB von 70 fest, lehnte aber die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" und "RF" ab. Seiner Entscheidung legte er folgende (mit den in den Klammerzusätzen genannten Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigun-gen zugrunde:
a) Kunstgelenkersatz des Knies rechts, Funktionsbehinderung des Kniegelenks links, Restless-legs-Syndrom, Funktionsbehinderung des Hüftgelenks beid-seits (40), b) Funktionsbehinderung der Lendenwirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierte Wirbelsäule, Wirbelgleiten, Nervenwurzelreizer-scheinungen der Wirbelsäule (40), c) Diabetes mellitus (30), d) Blutarmut (20), e) chronische Bronchitis (20), f) Bluthochdruck (10), g) Funktionsbehinderung der Finger beidseits (10).
Mit der bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin die Zuerken-nung eines Gesamt-GdB von mindestens 80 sowie des Merkzeichens "aG" begehrt.
Das Sozialgericht hat das Gutachten des Facharztes für Orthopädie, Rheumatologie, Hand- und Unfallchirurgie Dr. S vom 7. Juni 2013 eingeholt, der den Gesamt-GdB von 70 bestätigt und die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" verneint hat.
Mit Gerichtsbescheid vom 27. November 2013 hat das Sozialgericht die Klage abge-wiesen. Die Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin seien mit einem Gesamt-GdB von 70 ausreichend bewertet. Hierbei ist das Sozialgericht den gutachterlichen Bewertungen des orthopädischen Sachverständigen Dr. S gefolgt. Auch habe die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt, mit der sie ihre Begehren weiterverfolgt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Anaesthesiologie Dr. B vom 3. März 2015. Nach Untersuchung der Klägerin hat der Sachverständige folgende Funktionsbeeinträchtigungen ermittelt:
a) verschleißbedingte bzw. postoperativ-verschleißbedingte Veränderungen an der Lendenwirbelsäule ohne Symptome von Wirbelgleiten und ohne Sympto-me einer Bedrängung von Nervenwurzeln (20), b) Kunstgelenkersatz am rechten Kniegelenk, Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks, medikamentös nicht behandlungsbedürftige Restless-legs-Symptomatik (30), c) verschleißbedingte Veränderungen an den Daumensattelgelenken (10), d) psychovegetative Störung durch chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (10), e) Zuckerkrankheit, stabil unter Insulin-Therapie eingestellt (30), f) medikamentös nicht behandlungsbedürftige Bronchitis (20), g) Bluthochdruck-Erkrankung, medikamentös gut eingestellt (10), h) unter medikamentöser Therapie leicht erhöhte Harnsäure-Werte ohne Gichtattacken (0) i) laborchemisch nicht mehr nachweisbare Blutarmut (10).
Der Sachverständige hat den Gesamt-GdB auf 50 eingeschätzt.
Die Klägerin hat den Arztbrief der Medizinischen Klinik H, Schwerpunkt Kardiolo-gie/Diabetologie, vom 20. Mai 2015 sowie den Röntgenbefund der Radiologiepraxis S vom 15. April 2015 eingereicht.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. November 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 8. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2012 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab dem 19. Mai 2011 einen GdB von mindestens 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzun-gen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage mit dem angegriffenen Gerichtsbescheid im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da die Entscheidung des Beklagten rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den von ihr begehrten höheren GdB als 70.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversor-gungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2014 und sieht nach § 153 Abs. 2 Sozialge-richtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Die im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen rechtfertigen kein anderes Er-gebnis. Der Sachverständige Dr. B hat im Gutachten vom 3. März 2015 überzeu-gend dargelegt, dass ein Gesamt-GdB von mehr als 70 nicht zu rechtfertigen ist.
Der von der Klägerin eingereichte Röntgenbefund der Radiologiepraxis S vom 15. April 2015 zeigt, dass seit der Begutachtung keine Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule aufgetreten sind: Der Radiologe Dr. F hat den Röntgen-Funktionsaufnahmen der seitlichen Lendenwirbelsäule keinen Hinweis auf Material-bruch und keine Lockerungszeichen im spondylodetisch versorgten Segment LWK 4/5 entnehmen können. Auch das Segment LWK 3/4 wies einen unveränderten Dor-salversatz des LWK 3 auf. Ebenso wenig ergaben die Funktionsaufnahmen eine Stellungsänderung im Bereich LWK 1-3.
Der Senat sieht sich durch in dem Arztbrief der Medizinischen Klinik , Schwerpunkt Kardiologie/Diabetologie, vom 20. Mai 2015 geäußerten Verdacht auf eine small-vessel-disease bei der Klägerin nicht gehalten, Ermittlungen auf kardiologischem Gebiet aufzunehmen, da für die GdB-Feststellung keine Diagnosen, sondern die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 69 Abs. 1 SGB IX) maßgeblich sind. Funktionsbeeinträchtigungen werden in dem genannten Arztbrief nicht beschrieben. Vielmehr hat der behandelnde Internist Dr. G im Hinblick auf die bei der Klägerin bestehenden Risikofaktoren Adipositas, langjähriger Diabetes melli-tus und Hypertonus eine Fortführung der antianginösen Therapie empfohlen.
Die Klägerin hat auch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" keinen Anspruch.
Anspruchsgrundlage für die Zuerkennung dieses Merkzeichens ist § 69 Abs. 4 Sozi-algesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz oder entsprechender straßenverkehrs-rechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 29. März 2007 – B 9a SB 5/05 R –, juris Rn. 11).
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Ab-schnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 (StVO) der Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) vom 22. Oktober 1998, die nach Artikel 84 Abs. 2 Grundgesetz wirksam von der Bundesregierung erlassen wurde (BSG a.a.O., juris Rn. 12). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann.
Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme möglich. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Ma-ße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fort-bewegen kann (BSG a.a.O., juris Rn. 13). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Ver-gleichsmaßstab, weil die verschiedenen, im 1. Halbsatz aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen – bei gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung – ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines nicht Behinderten erreichen können (BSG a.a.O.).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen lässt sich griffig weder quantifizie-ren noch qualifizieren (BSG a.a.O., juris Rn. 14). Weder der gesteigerte Energieauf-wand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Be-dingungen ihm dies nur noch möglich ist: Nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (BSG a.a.O., juris Rn. 14).
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden. Denn für das Merkzeichen "aG" gelten gegenüber "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG a.a.O., juris Rn. 17 mit weiteren Nachweisen). Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebli-ches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens aG herleiten (BSG a.a.O., juris, Rn. 19).
Unter Anwendung dieser rechtlichen Kriterien hat das Sozialgericht, gestützt auf die medizinischen Feststellungen des Sachverständigen Dr. S, ausführlich dargelegt, dass die Klägerin die Anforderungen an das Merkzeichen "aG" nicht erfüllt, da sie noch in der Lage ist, sich ohne fremde Hilfe und ohne große körperliche Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges zu bewegen. Der Senat folgt auch insoweit den zu-treffenden Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2014 und sieht nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsa-che.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) und über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzun-gen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinde-rung).
Der Beklagte hatte 2010 bei der 1934 geborenen Klägerin auf der Grundlage des Gutachtens des Chirurgen R vom 24. August 2010 einen Gesamt-GdB von 60 fest-gestellt und der Klägerin das Merkzeichen "G" zuerkannt.
Auf den Neufeststellungsantrag der Klägerin vom 19. Mai 2011 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2012 bei ihr einen Gesamt-GdB von 70 fest, lehnte aber die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" und "RF" ab. Seiner Entscheidung legte er folgende (mit den in den Klammerzusätzen genannten Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigun-gen zugrunde:
a) Kunstgelenkersatz des Knies rechts, Funktionsbehinderung des Kniegelenks links, Restless-legs-Syndrom, Funktionsbehinderung des Hüftgelenks beid-seits (40), b) Funktionsbehinderung der Lendenwirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierte Wirbelsäule, Wirbelgleiten, Nervenwurzelreizer-scheinungen der Wirbelsäule (40), c) Diabetes mellitus (30), d) Blutarmut (20), e) chronische Bronchitis (20), f) Bluthochdruck (10), g) Funktionsbehinderung der Finger beidseits (10).
Mit der bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin die Zuerken-nung eines Gesamt-GdB von mindestens 80 sowie des Merkzeichens "aG" begehrt.
Das Sozialgericht hat das Gutachten des Facharztes für Orthopädie, Rheumatologie, Hand- und Unfallchirurgie Dr. S vom 7. Juni 2013 eingeholt, der den Gesamt-GdB von 70 bestätigt und die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" verneint hat.
Mit Gerichtsbescheid vom 27. November 2013 hat das Sozialgericht die Klage abge-wiesen. Die Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin seien mit einem Gesamt-GdB von 70 ausreichend bewertet. Hierbei ist das Sozialgericht den gutachterlichen Bewertungen des orthopädischen Sachverständigen Dr. S gefolgt. Auch habe die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt, mit der sie ihre Begehren weiterverfolgt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Anaesthesiologie Dr. B vom 3. März 2015. Nach Untersuchung der Klägerin hat der Sachverständige folgende Funktionsbeeinträchtigungen ermittelt:
a) verschleißbedingte bzw. postoperativ-verschleißbedingte Veränderungen an der Lendenwirbelsäule ohne Symptome von Wirbelgleiten und ohne Sympto-me einer Bedrängung von Nervenwurzeln (20), b) Kunstgelenkersatz am rechten Kniegelenk, Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks, medikamentös nicht behandlungsbedürftige Restless-legs-Symptomatik (30), c) verschleißbedingte Veränderungen an den Daumensattelgelenken (10), d) psychovegetative Störung durch chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (10), e) Zuckerkrankheit, stabil unter Insulin-Therapie eingestellt (30), f) medikamentös nicht behandlungsbedürftige Bronchitis (20), g) Bluthochdruck-Erkrankung, medikamentös gut eingestellt (10), h) unter medikamentöser Therapie leicht erhöhte Harnsäure-Werte ohne Gichtattacken (0) i) laborchemisch nicht mehr nachweisbare Blutarmut (10).
Der Sachverständige hat den Gesamt-GdB auf 50 eingeschätzt.
Die Klägerin hat den Arztbrief der Medizinischen Klinik H, Schwerpunkt Kardiolo-gie/Diabetologie, vom 20. Mai 2015 sowie den Röntgenbefund der Radiologiepraxis S vom 15. April 2015 eingereicht.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. November 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 8. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2012 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab dem 19. Mai 2011 einen GdB von mindestens 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzun-gen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage mit dem angegriffenen Gerichtsbescheid im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da die Entscheidung des Beklagten rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den von ihr begehrten höheren GdB als 70.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversor-gungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2014 und sieht nach § 153 Abs. 2 Sozialge-richtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Die im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen rechtfertigen kein anderes Er-gebnis. Der Sachverständige Dr. B hat im Gutachten vom 3. März 2015 überzeu-gend dargelegt, dass ein Gesamt-GdB von mehr als 70 nicht zu rechtfertigen ist.
Der von der Klägerin eingereichte Röntgenbefund der Radiologiepraxis S vom 15. April 2015 zeigt, dass seit der Begutachtung keine Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule aufgetreten sind: Der Radiologe Dr. F hat den Röntgen-Funktionsaufnahmen der seitlichen Lendenwirbelsäule keinen Hinweis auf Material-bruch und keine Lockerungszeichen im spondylodetisch versorgten Segment LWK 4/5 entnehmen können. Auch das Segment LWK 3/4 wies einen unveränderten Dor-salversatz des LWK 3 auf. Ebenso wenig ergaben die Funktionsaufnahmen eine Stellungsänderung im Bereich LWK 1-3.
Der Senat sieht sich durch in dem Arztbrief der Medizinischen Klinik , Schwerpunkt Kardiologie/Diabetologie, vom 20. Mai 2015 geäußerten Verdacht auf eine small-vessel-disease bei der Klägerin nicht gehalten, Ermittlungen auf kardiologischem Gebiet aufzunehmen, da für die GdB-Feststellung keine Diagnosen, sondern die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 69 Abs. 1 SGB IX) maßgeblich sind. Funktionsbeeinträchtigungen werden in dem genannten Arztbrief nicht beschrieben. Vielmehr hat der behandelnde Internist Dr. G im Hinblick auf die bei der Klägerin bestehenden Risikofaktoren Adipositas, langjähriger Diabetes melli-tus und Hypertonus eine Fortführung der antianginösen Therapie empfohlen.
Die Klägerin hat auch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" keinen Anspruch.
Anspruchsgrundlage für die Zuerkennung dieses Merkzeichens ist § 69 Abs. 4 Sozi-algesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz oder entsprechender straßenverkehrs-rechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 29. März 2007 – B 9a SB 5/05 R –, juris Rn. 11).
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Ab-schnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 (StVO) der Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) vom 22. Oktober 1998, die nach Artikel 84 Abs. 2 Grundgesetz wirksam von der Bundesregierung erlassen wurde (BSG a.a.O., juris Rn. 12). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann.
Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme möglich. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Ma-ße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fort-bewegen kann (BSG a.a.O., juris Rn. 13). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Ver-gleichsmaßstab, weil die verschiedenen, im 1. Halbsatz aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen – bei gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung – ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines nicht Behinderten erreichen können (BSG a.a.O.).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen lässt sich griffig weder quantifizie-ren noch qualifizieren (BSG a.a.O., juris Rn. 14). Weder der gesteigerte Energieauf-wand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Be-dingungen ihm dies nur noch möglich ist: Nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (BSG a.a.O., juris Rn. 14).
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden. Denn für das Merkzeichen "aG" gelten gegenüber "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG a.a.O., juris Rn. 17 mit weiteren Nachweisen). Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebli-ches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens aG herleiten (BSG a.a.O., juris, Rn. 19).
Unter Anwendung dieser rechtlichen Kriterien hat das Sozialgericht, gestützt auf die medizinischen Feststellungen des Sachverständigen Dr. S, ausführlich dargelegt, dass die Klägerin die Anforderungen an das Merkzeichen "aG" nicht erfüllt, da sie noch in der Lage ist, sich ohne fremde Hilfe und ohne große körperliche Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges zu bewegen. Der Senat folgt auch insoweit den zu-treffenden Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2014 und sieht nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsa-che.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
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