S 13 R 523/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 523/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Ermittlung von Entgeltpunkten für die vom Kläger in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Versicherungszeiten streitig. Der am xx in der ehemaligen Sowjetunion geborene Kläger reiste als Spätaussiedler am 1. September 1998 nach Deutschland ein. Zwischen dem 1. bis 8. September 1998 befand er sich in einer Erstaufnahmestelle in Empfingen, Baden-Württemberg. Das Arbeitsamt Nagold bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 4. September 1998 für den Zeitraum 1. bis 8. September 1998 eine Eingliederungshilfe in Höhe von 151,90 DM. Im Rahmen des Verteilungsverfahrens wurde der Kläger mit seiner Familie dem Bundesland Sachsen zugewiesen und musste daraufhin am 9. September 1998 in die Landesaufnahmestelle Sachsen in Bärenstein umziehen. Von dort wurde die Familie dann am 23. September 1998 in das Übergangswohnheim in Stützengrün, Sachsen, verwiesen. Am 23. Februar 1999 schloss der Kläger mit der Firma X in Höfen/Enz, Baden-Württemberg ab dem 1. März 1999 einen Arbeitsvertrag ab. Ab dem 12. März 1999 bezog der Kläger mit seiner Familie eine Wohnung in X. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 2. Juni 2014 die Zeiten bis 31. Dezember 2007 ver-bindlich fest. Seinen ersten Aufenthalt in Deutschland habe der Kläger dabei im Beitrittsge-biet begründet, daher seien die Entgeltpunkte nach dem Beitrittsgebiet zu bemessen. Mit Schreiben vom 2. Juni 2014 übermittelte die Beklagte ihm eine Rentenauskunft. Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, er habe seinen ersten gewöhnlichen Aufenthalt in Empfingen begründet. Seinen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchbescheid vom 27. Januar 2015 als unbegründet zurück. Durch das kurzzeitige Verweilen in Empfingen sei kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden. Deswegen hat der Kläger am 17. Februar 2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Er trägt vor, bereits der Aufenthalt in Empfingen sei zukunftsoffen gewesen, er habe von Anfang an beabsichtigt, nach Baden-Württemberg zu ziehen. Der Kläger beantragt -sachdienlich gefasst-, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 2. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheid vom 27. Januar 2015 zu verpflichten, höhere versicherte Entgelte für die in der Zeit von November 1974 bis August 1998 in der Sowjetunion zurückgelegten Beitragszeiten zu berücksichtigen. Die Beklagte beantragt unter Verweis auf ihren Vortrag im Widerspruchverfahren, die Klage abzuweisen. Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklag-ten sowie die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid erweist sich als recht-mäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

1. Soweit der Beklagte die Rentenauskunft vom 2. Juni 2014 angefochten hat, ist die Klage bereits unzulässig. Die Rentenauskunft stellt keinen Verwaltungsakt dar, mit der Folge, dass eine Anfechtungsklage gem. § 54 SGG nicht zulässig ist.

Die Erteilung einer Rentenauskunft ist in § 109 SGB VI geregelt. Bei der Rentenauskunft handelt es sich um eine Wissenserklärung und nicht um die Regelung eines Einzelfalls i. S. d. § 31 SGB X, sie dient nur zur Information. Die Rentenauskunft ist also kein Verwaltungsakt, der Bindungswirkungen für die Auskunft erteilende Behörde und den Auskunftsadressaten entfaltet (vgl. BSGE 44, 114 = SozR 2200 § 886 Nr. 1, BSGE 49, 258 = SozR 2200 § 1251 Nr. 75). Daher sind Rentenauskünfte (§ 109 Abs. 2 SGB VI), wie vorliegend, auch mit dem Hinweis zu versehen, dass sie auf der Grundlage des geltenden Rechts und der im Versicherungskonto gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten erstellt ist und damit unter dem Vorbehalt künftiger Rechtsänderungen sowie der Richtigkeit und Vollständigkeit der im Versicherungskonto gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten steht. Beides verdeutlicht, dass der Rentenversicherungsträger jeweils allein über (derzeitige) Tatsachen Auskunft gibt, also eine Wissensauskunft erteilt. Gesetzesänderungen wie Änderungen in den persönlichen Verhältnissen können - das wird durch Abs. 2 ausgesagt - noch zu Veränderungen in der Höhe der zu erwartenden Rente führen. Damit kann sich der Versicherte nur im Grundsatz auf die Richtigkeit der Renteninformation/Rentenauskunft verlassen. Eine Zusicherung für den späteren Leistungsfall dergestalt, dass die ermittelte Leistungshöhe (jedenfalls) erreicht werde, enthält weder die Renteninformation noch die Rentenauskunft. Denn über die Leistung als solche - den Rentenanspruch im engeren Sinne - wird erst im konkreten Leistungsfall verbindlich entschieden.

Folglich kann sich der Kläger nicht gegen die in der Rentenauskunft beschriebene voraus-sichtliche Rentenhöhe im Rahmen einer Anfechtungsklage wenden.

2. Als Streitgegenstand verbleibt somit der Vormerkungsbescheid vom 2. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27. Januar 2015, mit dem die Beklagte entschieden hat, dass für die Ermittlung der Entgeltpunkte die Vorschrift des § 256 b maßgebend ist.

Das prozessuale Begehren des Klägers ist dahingehend auszulegen (§ 123 SGG), dass er ne-ben der Anfechtungsklage gegen die genannten Bescheide auch eine Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) erhoben hat. Denn er begehrt den Erlass eines Verwaltungsaktes be-stimmten Inhalts, nicht aber eine Leistung unmittelbar. Ein Leistungsverfahren (bzw Leis-tungsfeststellungsverfahren) ist auch von der Beklagten nicht durchgeführt worden. Vielmehr hat diese im Rahmen Beitragszeiten sowie dem maßgeblichen Verdienst durch einen Vormerkungsbescheid im Sinne von § 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI festgestellt. Dazu war sie berechtigt, da der Versicherungsträger nach dieser Vorschrift die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid festzustellen hat, wenn das Versicherungskonto geklärt ist oder der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen hat. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nachgekommen. Der Vormerkungsbescheid ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Sein Sinn und Zweck erschöpft sich nicht in der abstrakten Feststellung von Tatbeständen rentenrechtlicher Zeiten ohne jegliche Beziehung zur späteren Rentenwertfeststellung. Vielmehr trifft der Vormerkungsbescheid auf der Grundlage des bei seinem Erlass geltenden Rechts Feststellungen über Tatbestände einer rentenversicherungsrechtlich relevanten Vorleistung, die grundsätzlich in den späteren Rentenbescheid und damit in den Rentenwert eingehen (vgl hierzu nur BSGE 56, 165, 171 f; BSG SozR 1300 § 45 Nr 15). Im Interesse der Versicherten wird hierdurch Klarheit über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Zeiten rentenversicherungsrechtlicher Relevanz geschaffen. Ver-bindlich festgestellt wird nach alledem im Vormerkungsbescheid sowohl der Rechtscharakter der rentenrechtlichen Zeit als auch deren zeitlicher Umfang und damit, ob ein behaupteter Anrechnungstatbestand nach seinen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nach dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Vormerkungsbescheides geltenden materiellen Recht erfüllt ist, so dass die Möglichkeit besteht, dass er rentenrechtlich relevant werden kann (BSG SozR 3-2600 § 149 Nr 6; SozR 4-2600 § 149 Nr 1 mwN). Zugleich ist bei Tatbeständen von Beitragszeiten wegen Beschäftigung oder Tätigkeit auch der daraus jeweils erzielte oder kraft Gesetzes als fiktiv versichert geltende Verdienst festzustellen (BSG, Urteil vom 23. September 2003 - B 4 RA 48/02 R = veröffentlicht in juris, RdNr 15; aA wohl LSG Berlin, Urteil vom 29. Juli 2004 - L 8 RA 18/01 = veröffentlicht in juris).

Der Kläger kann keine Berücksichtigung höherer versicherter Entgelte für die in der Zeit vom November 1975 bis August 1998 in der Sowjetunion zurückgelegten Beitragszeiten als die in Bescheid vom 2. Juni 2014 vorgemerkten beanspruchen. Denn die Beklagte hat die Arbeitsentgelte des Klägers in Anwendung der Vorschrift des § 256 b SGB VI zutreffend ermittelt.

Der Versicherte hat die hier streitigen Zeiten nicht in der Bundesrepublik Deutschland zu-rückgelegt, sondern in der ehemaligen Sowjetunion. Die Berücksichtigung ausländischer Versicherungszeiten ist beim Personenkreis des Klägers, der als Spätaussiedler anerkannt ist (§ 1a FRG), im Fremdrentengesetz geregelt. Für die Beitrags- und Beschäftigungszeiten gemäß §§ 15 und 16 sind nach der Bestimmung des § 22 FRG Entgeltpunkte in Anwendung von § 256 b Abs. 1 S. 1 SGB VI zu ermitteln.

Für in Deutschland zurückgelegte Beitragszeiten hängt die Zuordnung zu Entgeltpunkten bzw. Entgeltpunkten (Ost) im Grundsatz davon ab, ob sie im Beitrittsgebiet oder in den alten Bundesländern zurückgelegt worden sind (§ 254d SGB VI). Soweit - wie vorliegend - im nichtdeutschen Herkunftsland zurückgelegte Beitragszeiten in Anwendung des FRG ebenfalls mit Entgeltpunkten berücksichtigt werden, findet Art. 6 § 4 Abs. 6 FANG Anwendung. Gem. Art. 6 § 4 Abs. 6 FANG werden bei Berechtigten nach dem FRG, die a) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet haben und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG erwerben, b) nach dem 31. Dezember 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG erwerben oder c) nach dem 31. Dezember 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet in das Beitrittsgebiet verlegen und bereits vor Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG haben, für nach dem FRG anrechenbare Zeiten Entgeltpunkte (Ost) ermittelt; im Falle von Buchstabe c) gilt dies nur, sofern am 31. Dezember 1991 Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG nicht bestand. Dies gilt auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezuges aufgrund neuer Rentenfeststellungen, wenn sich die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen. Bei Berechtigten nach Satz 1 Buchstabe a) und c), die ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen, verbleibt es für Zeiten nach dem FRG bei den ermittelten Entgeltpunkten (Ost).

a) Orientiert an diesen gesetzlichen Vorgaben ist das Gericht davon überzeugt, dass der Klä-ger seinen ersten gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet begründet hat.

aa) Nach der Legaldefinition in § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Auf-enthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 1/12 R –, BSGE 112, 116-126, SozR 4-1200 § 30 Nr 6, SozR 4-5060 Art 6 § 4 Nr 2, Rn. 32) ist die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthaltes anhand einer dreistufi-gen Prüfung zu klären: Ausgangspunkt ist ein "Aufenthalt"; es sind dann die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen; sie sind schließlich daraufhin zu würdi-gen, ob sie "erkennen lassen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend verweilt". Hierbei handelt es sich um eine Prognoseentscheidung, auch wenn der gewöhnliche Aufenthalt, wie hier, rückblickend zu ermitteln ist. Spätere Entwicklungen, die bei Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums noch nicht erkennbar waren, können eine Prognose weder bestimmen noch widerlegen. Im Rahmen der Prognoseentscheidung sind alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen.

Nicht ausreichend ist der Umstand, dass der Versicherte mit seiner Einreise nach Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Herkunftsgebiet aufgegeben hat. Die führt nicht unmittelbar dazu, dass er seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" an dem Ort bzw. in dem Gebiet genommen hat, in dem er sich im Anschluss an die Einreise aufgehalten hat. Die Annahme einer zwingenden Verknüpfung der Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthalts mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts lässt außer Acht, dass die Existenz eines Menschen zwar stets einen "Aufenthalt", nicht aber zwangsläufig einen "gewöhnlichen Aufenthalt" voraussetzt.

Abzugrenzen ist der gewöhnliche Aufenthalt von einem vorübergehenden Verweilen, dem als zeitliches Element eine Beendigung von vornherein innewohnt. (vgl BSG vom 19.11.1965 - 1 RA 154/62 - Juris RdNr 14; BSG vom 16.3.1978 - BSGE 46, 84, 85 = SozR 2200 § 1320 Nr 1 S 2; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46). Allerdings ist auch zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein längerer oder dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt nicht erforderlich. Es genügt, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält (vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 17; Schlegel in jurisPK-SGB I, Online-Ausgabe, § 30 RdNr 36, Stand Einzelkommentierung Oktober 2011; Seewald in Kasseler Komm, § 30 SGB I RdNr 22, Stand Einzelkommentierung September 2007). Eine Höchst- oder Mindestzeit gibt es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade nicht. Insbesondere kann die steuerrechtliche Regelung § 9 S 2 AO, wonach als gewöhnlicher Aufenthalt stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ist, nicht entsprechend angewendet werden.

Mithin hat der Prognosesteller alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen (vgl. BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2); dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein. Es kann demnach entgegen der Ansicht des Klägers nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, sich an einen anderen Ort zu begeben und dort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sogenannter Domizilwille); dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen (objektiven) Umständen übereinstimmt (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183). Nicht zwingend für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist daher, ob der Betroffene sich an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet freiwillig aufhält (vgl. BSG vom 29.5.1991 - SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8).

bb) Die zuvor beschriebene Prognoseentscheidung führt im vorliegenden Fall dazu, dass der Kläger den ersten gewöhnlichen Aufenthalt im Übergangswohnheim in Stützgrün im Bundesland Sachsen inne hatte. Der Aufenthalt war dauerhaft, denn er war zukunftsoffen.

Die Zuweisung des Klägers an das zum Beitrittsgebiet gehörende Bundesland Sachsen ist durch das Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Aussiedler und Über-siedler erfolgt. Sinn und Zweck dieses Gesetzes ist die Schaffung einer ausreichenden Le-bensgrundlage von Aussiedlern, aber auch die Vermeidung einer Überlastung von Gemeinden durch eine angemessene Verteilung. Aussiedlern, die bei ihrer Ankunft nicht über ausreichend Wohnraum verfügen, kann ein vorläufiger Wohnort zugewiesen werden.

Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesland Sachsen steht es zunächst nicht entgegen, dass die Zuweisung dorthin durch administrativen Zwang auf Grundlage des zitierten Gesetzes erfolgt ist. Dieser Vorgang ist nicht mit einer Haft oder Internierung ver-gleichbar, da sich die Aussiedler zum Zweck der Wohnungs- und Arbeitssuche, privaten Besuchen und ähnlichem frei im Bundesgebiet bewegen können. Das administrative Handeln ist nur deswegen notwendig geworden, weil zunächst der frei gewählte Bezug einer Woh-nung nicht aus eigener Kraft möglich war. Dies ist ein allgemeines Risiko der privaten Lebensverhältnisse und des Marktes. Das Übergangswohnheim war der zunächst einzig freu zugängliche Wohnraum und stellt damit den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse des Zuge-wiesenen dar. Solange es ihm selbst nicht gelungen ist selbstständig einen Wohnraum zu finden, war er in jeder Hinsicht den rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des zugewiesenen Wohnorts unterworfen. Der Aufenthalt in Sachsen war zunächst auch zukunftsoffen, weil der subjektive Wunsch, den zugewiesenen Wohnort wieder zu verlassen, sich bis zur Übersiedlung nach Bad Wildbad in keinerlei objektiven Umständen niedergeschlagen hat. Nicht maßgeblich ist dabei, dass der Kläger von Anfang an beabsichtigt hat, nach Baden-Württemberg zurückzukehren, denn alleine der subjektive Wille genügt diesbezüglich gerade nicht. Daher spielt es auch keine Rolle, dass er bereits während des Aufenthaltes im Übergangswohnheim eine Arbeitsstelle in Baden-Württemberg gesucht hat, vielmehr zeigt diese Tatsache, dass sein Aufenthalt gerade zukunftsoffen war. Schließlich war bis zum Abschluss des Arbeitsvertrages unklar, ob überhaupt und ab welchem Zeitpunkt er mit seiner Familie nach Baden-Württemberg umziehen kann. Auch die im Rückblick nur ca. fünf Monate andauernde Verweildauer im Übergangswohnheim steht der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes nicht entgegen, da wie zuvor ausgeführt keine Mindestdauer erforderlich ist und nachträgliche Entwicklungen bei der Prognoseentscheidung nicht berücksichtigt werden können. Bei Einzug in das Übergangswohnheim war die Verweildauer nicht absehbar, und somit der Aufenthalt zu-kunftsoffen.

Der Annahme eines dauerhaften Aufenthaltes im Beitrittsgebiet kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass sich der Kläger in einem Übergangswohnheim aufgehalten hat, und schon deshalb der Aufenthalt vorübergehender Natur war. Der Umstand, dass ein Über-gangswohnheim nicht zu einem dauernden Verbleib bestimmt ist, steht der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes nicht entgegen, denn auch der Aufenthalt des Klägers in dem Übergangswohnheim war zukunftsoffen in dem Sinne, dass der Zeitpunkt des Verlassens des Übergangswohnheims ungewiss war (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. August 2011 – L 3 R 454/10 –, Rn. 35, juris)

Der 9-tägige Aufenthalt in Empfingen stellt demgegenüber keinen gewöhnlichen Aufenthalt, sondern lediglich ein vorübergehendes Verweilen dar. Der Aufenthalt war nämlich nicht zukunftsoffen, da bereits von Anfang an klar war, dass der Kläger sich nur kurzfristig in der Erstaufnahmestelle aufhalten wird. Entgegen der Auffassung des Klägers ist dabei nicht ent-scheidend, dass das Arbeitsamt Nagold vom 4. bis zum 8. September Eingliederungshilfe gewährt hat. Denn bereits bei Erlass des Bescheides war dieser auf die Dauer des Auf-enthalts begrenzt, da bereits klar war, dass der Kläger umziehen muss. Vielmehr stellt dies ein gewichtiges Indiz für ein nur vorübergehendes Verweilen dar.

b) Die Regelung des Art 6 § 4 Abs. 6 S 1 Buchst b FANG verstößt nach der höchstrichterli-chen Rechtsprechung auch nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vor. "Der Gesetzgeber wollte mit der (Übergangs-)Regelung des Art 6 § 4 Abs. 6 FANG den durch die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze eingetretenen Änderungen auch im Frem-drentenrecht Rechnung tragen. Dieses sollte so weiter entwickelt werden, dass es am jeweili-gen Aufenthaltsort - sei es in den alten Bundesländern oder im Beitrittsgebiet - einen ange-messenen Lebensstandard sichert. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte Leistungen erhalten, die dem Rentenniveau der dort lebenden Bürger entspre-chen. Die unterschiedliche Leistungshöhe in den neuen und alten Bundesländern machte es jedoch nach Ansicht des Gesetzgebers erforderlich, den Anreiz für einen Wohnortwechsel in die alten Bundesländer zu nehmen und für Aussiedler keine günstigeren Regelungen zu tref-fen, als sie für Bundesbürger im Beitrittsgebiet gelten (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 (zu 6. Fremdrentenrecht)). In Umsetzung dieser Zielvorgabe hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG sachgerecht und damit keinesfalls willkürlich für die Höhe der "Renten nach dem FRG" als Anknüpfungspunkte auf den gewöhnlichen Aufenthalt des FRG-Berechtigten und die unterschiedlichen Lebens- und Einkommensverhältnisse in den neuen und alten Bun-desländern abgestellt. Dass er damit für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht allein auf die vom Willen des Betroffenen (grundsätzlich) unabhängige behördliche Zuweisung abgestellt hat, ergibt sich aus den Ausführungen zu 2 c cc). Wenn auch bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts eines FRG-Berechtigten aus den neuen in die alten Bundesländer den FRG-Zeiten EP (Ost) zugeordnet bleiben und nicht die Ermittlung von EP vorgesehen ist, entspricht dies der Rechtslage für solche Rentenberechtigte mit rentenrechtlichen Zeiten im Beitrittsgebiet, die in einem der alten Bundesländer ansässig sind." (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 1/12 R –, BSGE 112, 116-126, SozR 4-1200 § 30 Nr 6, SozR 4-5060 Art 6 § 4 Nr 2, Rn. 49)

3. Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen, da sich die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig erweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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