L 9 AS 2604/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 4255/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2604/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Nachzahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit seines Arbeitslosengeld II-Bezugs in den Jahren 2011 bis 2014.

Der 1974 geborene Kläger stand seit 2007 im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beklagten (bzw. seinem Rechtsvorgänger; im Folgenden einheitlich: der Beklagte), welcher für die Zeit bis 31.12.2010 dem zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung Entgeltmeldungen aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld II machte. Bereits mit Bewilligungsbescheiden vom 29.09.2010 und vom 03.11.2010 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass eine bevorstehende Rechtsänderung vorsehe, dass eine Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld II zum 01.01.2011 nicht mehr bestehe. Zeiträume ab 01.01.2011 würden jedoch als Anrechnungszeiten an den zuständigen Rentenversicherungsträger gemeldet. In den Bewilligungsbescheiden betreffend die Zeit ab 01.01.2011 führte der Beklagte aus, dass eine Versicherungspflicht zur Rentenversicherung nur für Zeiträume bis 31.12.2010 bestehe und ab 01.01.2011 die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II dem zuständigen Rentenversicherungsträger gemeldet würden, der prüfe und entscheide, ob diese Zeiten als Anrechnungszeiten berücksichtigt werden könnten. Der Kläger bezog Arbeitslosengeld II durchgehend bis einschließlich Mai 2014, für die Zeit danach lehnte der Beklagte die Leistungsgewährung wegen vorhandenen Vermögens ab. Die zugrundeliegenden Bescheide sind bestandskräftig geworden. Der Beklagte meldete den Leistungsbezug des Klägers für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.05.2014 dem zuständigen Rentenversicherungsträger, welcher diese Zeit als Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld II in den Versicherungsverlauf des Klägers aufnahm.

Mit Schreiben vom 24.06.2014 wandte sich der Kläger an den Beklagten und trug u.a. vor, dass ihm nach seinem Rentenverlauf "die Summen der letzten 2 Jahre, d.h. 2.500 Euro für das Jahr 2011 und 2.500 Euro für das Jahr 2012" fehlen würden. Am 03.07.2014 übersandte der Beklagte dem Kläger den Nachweis über die Meldung von Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II an die gesetzliche Rentenversicherung für das Jahr 2013 einschließlich erklärender Hinweise.

Am 17.12.2014 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und geltend gemacht, der Beklagte müsse für ihn Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Jahre 2011 bis 2014 zumindest im gleichen Umfang wie für die Jahre zuvor nachzahlen.

Der Beklagte hat darauf hingewiesen, dass bis einschließlich Mai 2014 Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II gemeldet worden seien. Die Klage nehme auf keine seiner Entscheidungen konkret Bezug, solche seien mittlerweile auch alle in Bestandskraft erwachsen, und einen Überprüfungsantrag habe der Kläger nicht gestellt. Überdies widerspreche das Begehren des Klägers der seit 2011 geltenden Rechtslage.

Das SG hat den Kläger darauf hingewiesen, dass mangels konkret angegriffenem Verwaltungsakt schon Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage bestünden und im Übrigen das Haushaltsbegleitgesetz 2011 vom 09.12.2010 - HBeglG 2011 - vorsehe, dass seit dem 01.01.2011 Bezieher von Arbeitslosengeld II nicht mehr versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung seien. Hierauf hat der Kläger weiterhin die Nachzahlung von Beiträgen durch den Beklagten geltend gemacht. Erst wenn die Summen in die Rentenversicherung für die Jahre 2011 bis 2014 nachgezahlt würden, habe sich das Thema für ihn erledigt. Der Beklagte solle ein Schreiben verfassen, dass die Summen an die Rentenversicherung nachgezahlt würden.

Mit Urteil vom 08.05.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger begehre die Verurteilung des Beklagten, für ihn Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung Bund für die Zeit von 2011 bis 2014 nachzuzahlen. Die Klage sei mangels Vorverfahren bereits unzulässig. Im Übrigen sei sie auch unbegründet. Seit dem 01.01.2011 seien Bezieher von Arbeitslosengeld II nicht mehr versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung (HBeglG 2011). Durch den Beklagten sei für die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II eine Meldung an die Deutsche Rentenversicherung Bund erfolgt und es seien entsprechende Zeiten auch aus dem vom Kläger vorgelegten Versicherungskonto ersichtlich.

Gegen das ihm am 21.05.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 19.06.2015 eingelegte Berufung des Klägers. Es gehe ihm weiterhin darum, dass ihm seit 2011 keine Beiträge in die Rentenkasse überwiesen worden seien und etwas über seinen Kopf hinweg entschieden worden sei. Hinzu komme, dass der Beklagte zur mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht erschienen sei. Er nimmt auf diverse Beweismittel ("Bundbücher von I., S. und A.", "Unterlagen und Hörbücher der Firma A. AG", "bundige Tonbänder als Musikkasseten wie "dogus" oder "Türkan") Bezug.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. Mai 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, für ihn Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung Bund für die Zeit von 2011 bis 2014 nachzuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Neue rechtserhebliche Gesichtspunkte seien nicht vorgetragen. Er verweise auf den Akteninhalt sowie die zutreffenden Ausführungen des SG.

Mit Schreiben vom 10.09.2015 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass eine Entscheidung über die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht kommt. Beide Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Der Senat entscheidet über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das SG hat die Klage im Ergebnis zutreffend abgewiesen.

Die Klage ist allerdings nicht bereits mangels Durchführung eines Widerspruchsverfahrens unzulässig. Denn es handelt sich nicht um eine Anfechtungs- und/oder Verpflichtungsklage. Der Kläger wendet sich weder gegen einen Verwaltungsakt des Beklagten noch begehrt er den Erlass eines solchen. Er benennt keinen Verwaltungsakt des Beklagten, den er anfechten oder dessen Erlass er begehren würde. Auch hat der Beklagte keinen Verwaltungsakt im Zusammenhang mit dem klägerischen Begehren erlassen oder auf Antrag des Klägers verweigert. Weder die in den Bewilligungsbescheiden aus dem Jahr 2010 enthaltenen Hinweise auf die bevorstehende Rechtsänderung noch die in den Bewilligungsbescheiden ab dem Jahr 2011 erfolgten Mitteilungen an den Kläger dahingehend, dass im hier streitgegenständlichen Zeitraum keine Entgeltmeldungen, sondern lediglich Meldungen des Bezugs von Arbeitslosengeld II an den Rentenversicherungsträger erfolgt sind, stellen einen Verwaltungsakt dar. Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Der Beklagte hat jedoch allein dadurch, dass er Meldungen an die Deutsche Rentenversicherung gemacht und den Kläger davon in Kenntnis gesetzt hat, keine "Regelung" in diesem Sinne getroffen. Er hat damit weder auf dem Gebiet des Grundsicherungsrechts noch auf demjenigen der gesetzlichen Rentenversicherung durch Begründung, Veränderung oder Aufhebung eines subjektiven Rechts oder einer Pflicht eine Rechtsfolge gesetzt (so zu Leistungsnachweisen/Entgeltbescheinigungen der Bundesagentur für Arbeit: Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25.03.2004 - B 12 AL 5/03 R - Juris m.w.N.; zu Entgeltbescheinigungen der SGB II-Leistungsträger: Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.02.2007 - L 20 AS 84/06 - Juris).

Die Klage ist vielmehr ausdrücklich auf Zahlung gerichtet und damit als reine Leistungsklage zulässig. Dass der Kläger sich nach seinem Schreiben vom 24.06.2014 nicht (nochmals) im Hinblick auf die begehrten Beiträge für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum von 2011 bis Mai 2014 an den Beklagten wandte, lässt nicht das Rechtschutzbedürfnis entfallen.

Die Klage ist aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit seines Leistungsbezugs in den Jahren 2011 bis 2014.

Hintergrund des Rechtsstreits ist die Änderung des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Für die Zeit bis zum 31.12.2010 bestimmte § 3 Abs. 3a SGB VI, dass Personen in der Zeit, für die sie von den jeweils zuständigen Trägern nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch Arbeitslosengeld II beziehen, versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung waren. Gemäß § 170 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI wurden die Beiträge für Bezieher von Arbeitslosengeld II vom Bund getragen. Diese Regelungen wurde durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 (HBeglG 2011) vom 09.12.2010 (BGBl. I 2010, S. 1885-1899) mit Wirkung ab 01.01.2011 aufgehoben.

Bereits für die bis 31.12.2010 geltende Rechtslage bestand keine Anspruchsgrundlage für das vom Kläger geltend gemachte Begehren im Verhältnis zum Beklagten. Als Bezieher von Arbeitslosengeld II stand ihm zwar gegen den Beklagten ein subjektiv-öffentliches Recht auf schriftliche Mitteilung des dem Rentenversicherungsträger Gemeldeten (§ 191 Satz 2 SGB VI i.V.m. § 28a Abs 5 SGB IV), nicht aber ein solches auf die Abgabe der Meldung selbst zu. Diese Meldung hatte der Beklagte als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unmittelbar dem zuständigen Rentenversicherungsträger zu erstatten (§ 191 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Ebenso hatte der Beklagte unmittelbar an den Rentenversicherungsträger die wirtschaftlich vom Bund getragenen (§ 170 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) Beiträge zu zahlen (§ 173 Satz 2 SGB VI). Hierbei war dem Beklagten keine eigene Entscheidungskompetenz zuerkannt. Vielmehr traf gemäß § 212 Satz 1 SGB VI allein den Rentenversicherungsträger als Gläubiger der in Frage stehenden Forderung die Pflicht, die rechtzeitige und vollständige Zahlung unmittelbar an ihn zu entrichtender Pflichtbeiträge zu überwachen und war allein er zum Erlass der entsprechenden Verwaltungsakte ermächtigt. Hatte daher der Leistungsbezieher Zweifel an der Richtigkeit einer Meldung bzw. an der Entrichtung der Beiträge in zutreffender Höhe, blieb ihm nur, sich an den sachlich zuständigen und daher im Prozess allein passiv-legitimierten Rentenversicherungsträger zu wenden (so zum Verhältnis eines Empfängers von Arbeitslosenhilfe zur Bundesagentur für Arbeit: BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 12 AL 5/03 R - Juris m.w.N.; zum Verhältnis eines Empfängers von Arbeitslosengeld II zum Grundsicherungsträger: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.02.2007 - L 20 AS 84/06 - Juris).

Die bis 31.12.2010 erforderliche Meldung für Bezieher von Arbeitslosengeld II gemäß § 191 Nr. 2 SGB VI i.V.m. § 28a Abs. 1 bis 3 SGB VI ist zum 01.01.2011 weggefallen. An ihre Stelle ist eine Meldung gemäß § 193 SGB VI in der ab 01.01.2011 geltenden Fassung getreten. Hiernach sind für Versicherte durch den zugelassenen kommunalen Träger bzw. die Bundesagentur für Arbeit Anrechnungszeiten sowie Zeiten, die für die Anerkennung von Anrechnungszeiten erheblich sein können, zu melden. Solche Meldungen sind aber für den gesamten hier streitigen Zeitraum von Januar 2011 bis Mai 2014 für den Kläger durchgehend durch den Beklagten erfolgt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senat aus dem Vortrag des Beklagten sowie den vorgelegten Verwaltungsakten und lässt sich auch dem vom Kläger selbst vorgelegten Versicherungsverlauf entnehmen.

Ein darüber hinausgehender Anspruch des Klägers auf eine Meldung anderen Inhalts für die streitgegenständliche Zeit, Aufnahme der streitgegenständlichen Zeit als Beitragszeit in den Versicherungsverlauf oder gar Abführung von Beiträgen für die streitgegenständliche Zeit scheidet daher mangels Anspruchsgrundlage von vornherein aus. Dies gilt vor dem Hintergrund der dargestellten, mit Wirkung ab 01.01.2011 erfolgten gesetzlichen Änderungen nicht nur im Verhältnis zum Beklagten, sondern allgemein. Deshalb war auch keine Beiladung des Rentenversicherungsträgers erforderlich.

Die Berufung des Klägers war daher insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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