S 18 AS 248/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 AS 248/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerinnen begehren von dem Beklagten die Gewährung von höheren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung von Fahrtkosten für den Besuch des Kindergartens durch die Klägerin zu 2).

Die Klägerin zu 1) ist die Mutter der im Mai 2009 geborenen Klägerin zu 2). Diese beziehen gemeinsam in Bedarfsgemeinschaft SGB II-Leistungen vom Beklagten.

Im Rahmen des laufenden Leistungsbezuges nach dem SGB II beantragten die Kläger die Weiterbewilligung von SGB II-Leistungen ab November 2012. Die Kläger verfügten zu die-sem Zeitpunkt über Einkommen in Höhe von 133,00 EUR Leistungen des Unterhaltsvorschusses für die Klägerin zu 2), weiterhin wurde für die Klägerin zu 2) Kindergeld in Höhe von 184,00 EUR gezahlt. Schließlich war der Klägerin zu 1) noch Wohngeld bewilligt worden in Höhe von 149,00 EUR. Die Zahlung des Wohngeldes erfolgte für die Zeit von November 2012 bis Januar 2013.

Mit Bescheid vom 22.10.2012 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum von November 2012 bis einschließlich April 2013. Hierbei berücksichtigte der Beklagte als Bedarf den jeweils gesetzlich festgelegten Regelbedarf für die Klägerinnen, weiterhin für die Klägerin zu 1) einen Mehrbedarf für Alleinerziehende und einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 10 % des auf die Klägerin zu 1) entfallenden Regelbedarfes.

Weiterhin berücksichtigte der Beklagte die tatsächlichen Kosten der Unterkunft.

Für die Klägerin zu 1) ergab sich so ein monatlicher Anspruch von 546,04 EUR und für die Klägerin zu 2) von 247,00 EUR. Ab Januar 2013 erfolgte eine geringere Bewilligung von 492,54 EUR bzw. 193,50 EUR im Hinblick auf den Nichtanfall von Heizkostenvorauszahlungen ab Januar 2013.

Gegen die Bewilligungsentscheidung erhoben die Kläger in der Folgezeit Widerspruch.

Mit Änderungsbescheid vom 24.11.2012 änderte der Beklagte die angefochtene Bewilligungsentscheidung im Hinblick auf die Erhöhung der Regelbedarfe ab dem 01.01.2013 ab. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 06.12.2012 berücksichtigte der Beklagte ab Januar 2013 aufgrund der Regelbedarfserhöhung eine Erhöhung der bewilligten Mehrbedarfe. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 04.02.2013 erfolgte für Februar 2013 eine weitere höhere Bewilligung von SGB II-Leistungen aufgrund einer Nachforderung der Stadtwerke sowie die Neufestsetzung der monatlichen Heizkostenabschläge. Mit weiterem Änderungsbescheid ebenfalls vom 04.02.2013 erfolgte eine Änderung der Bewilligung für März und April 2013, ebenfalls im Hinblick auf die neu festgesetzten Heizkostenabschläge.

In der Folgezeit begründete die Klägerseite den erhobenen Widerspruch dahingehend, dass aufgrund des Kindergartenbesuches der Klägerin zu 2) eine Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr erworben werden müsste. Diese Kosten würden als Mehrbedarf geltend gemacht. Der Kindergarten sei ca. 3,5 km von der Wohnung entfernt. Die Klägerin zu 2) müsste morgens zum Kindergarten gebracht und mittags abgeholt werden. Eine Stecke würde ca. 1 Stunde dauern. Die Klägerin zu 1) sei aufgrund ihrer körperlichen Verfassung nicht in der Lage, den Weg zu Fuß zu gehen. Auch für die Klägerin zu 2) wäre dies eine nicht tragbare Zumutung und dementsprechend müsste der öffentliche Nahverkehr genutzt werden. Eine Monatskarte hierfür würde 49,80 EUR kosten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2014 wies der Beklagte den erhobenen Widerspruch als unbegründet zurück. Dies begründet er damit, dass die angefochtene Entscheidung rechtmäßig sei. Es wären die gesetzlich vorgesehenen Leistungen bewilligt worden. Ein Mehrbedarf für die Kosten des Kindergartenbesuches sei nicht zu berücksichtigen. Im Regelbedarf sei bereits ein Betrag für die Kategorie Verkehr enthalten, der die Fahrtkosten im öffentlichen Nahverkehr umfasse. Im Jahr 2012 sei im Regelbedarf ein Betrag von 23,55 EUR für eine volljährige Einzelperson enthalten gewesen, somit verbliebe maximal ein Betrag von 27,65 EUR, der nicht vom Regelbedarf abgedeckt sei. Da es sich beim Regelbedarf um einen pauschalen Gesamtbetrag handele, sei es einer leistungsberechtigten Person zumutbar, einen höheren Betrag in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen. Dies sei vorliegend möglich. Insofern scheide ein höherer Anspruch der Kläger aus.

Hiergegen haben die Klägerinnen am 13.02.2014 Klage erhoben.

Sie sind der Ansicht, dass ihnen die Fahrtkosten zusätzlich zum gewährten Regelbedarf als Leistung zustehen würden. Die Kosten würden monatlich für die Fahrten der Klägerin zu 1) mit der Klägerin zu 2) zum Kindergarten und zurück entstehen. Ihnen sei die Zurücklegung des Weges zu Fuß nicht möglich. Auch könne die Klägerin zu 2) den Weg nicht alleine gehen. Ein PKW sei nicht vorhanden. Auch sei eine Finanzierung aus den Regelbedarfen nicht möglich. Die Kosten für die Tickets im Nahverkehr hätten im November 2012 monatlich 39,00 EUR und ab Dezember 2012 monatlich 49,80 EUR betragen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Bescheide vom 22.10.2012, 24.11.2012, 06.12.2012 und 04.02.2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihnen weitere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes von 39,00 EUR für November 2012 und jeweils 49,80 EUR für Dezember 2012 bis April 2013 für Fahrtkosten zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass die angefochtene Entscheidung rechtmäßig sei. Hierzu nimmt er Bezug auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Auch liege keine atypische Situation bei den Klägerinnen vor. Weiterhin sei auch zu berücksichtigen, dass auch im Regelbedarf für die Klägerin zu 2) ein Anteil für die Kategorie Verkehr enthalten wäre.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (3 Band). Diese lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Zulässiger Streitgegenstand des vorliegenden Klageverfahrens ist der Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 22.10.2012 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 24.11.2012, 06.12.2012 und 04.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2014. Die Änderungsbescheide sind jeweils gem. § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kraft Gesetz Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Der protokollierte Antrag der Klägerinnen war gem. § 123 SGG dahingehend auszulegen, dass neben den Bewilligungs- und Änderungsbescheiden auch der Widerspruchsbescheid vom Klageantrag umfasst ist.

Die Klägerinnen sind durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinn von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Denn die angefochtenen Bescheide sind nicht zu Lasten der Klägerinnen rechtswidrig.

Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf weitergehende Leistungen für den Bewilligungszeitraum von November 2012 bis einschließlich April 2013 als ihnen bisher bewilligt wurden.

Es besteht kein Anspruch bei der Klägerin zu 1) oder der Klägerin zu 2) auf die Berücksichtigung eines Mehrbedarfes für die Fahrtkosten für den Besuch des Kindergartens durch die Klägerin zu 2).

Ein Anspruch der Klägerin zu 2) selbst scheidet aus, da sie selbst keinen finanziellen Belastungen aufgrund ihres Besuches des Kindergartens ausgesetzt ist. Denn für sie selbst wird keine Fahrkarte für den Busverkehr benötigt, da sie gemeinsam mit ihrer Mutter, der Klägerin zu 1) die Fahrten zum Kindergarten unternimmt und hierbei kostenfrei mit der Klägerin zu 1) den Bus nutzen kann.

Auch der Klägerin zu 1) steht kein höherer SGB II-Anspruch zu. Ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II scheidet aus. Gem. § 21 Abs. 6 SGB II wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Vorliegend ist der Bedarf für die monatlichen Fahrtkosten mit dem Bus zum Kindergarten nicht unabweisbar. Es handelt sich zunächst um einen Bedarf der Klägerin zu 1), da die Klägerin zu 2) nicht unbegleitet mit dem Bus die Fahrt zum Kindergarten unternehmen kann. Daher benötigt die Klägerin zu 1) ein Monatsticket für den Bus im Bereich des I Stadtverkehrs, um die Klägerin zu 2) zum Kindergarten zu bringen.

Die Kosten können nicht über § 28 SGB II als Bedarfe für Bildung und Teilhabe gedeckt werden, da im Bereich der Kindertageseinrichtung nach § 28 Abs. 2 Satz 2 SGB II lediglich Aufwendungen für Ausflüge und mehrtägige Fahrten übernommen werden. Fahrtkosten können lediglich für den Schulbesuch bei Schülern unter Berücksichtigung von § 28 Abs. 4 SGB II als Bedarf für Bildung und Teilhabe berücksichtigt werden.

Die Klägerin zu 1) kann den bei ihr entstandenen Bedarf für die Fahrtkosten jedoch selbst aus den bei ihr vorhandenen Mitteln nach dem SGB II decken. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zunächst im Regelbedarf ein Anteil von ca. 6,3 % für den Bereich Verkehr enthalten ist (vgl. Eicher, SGB II, 3. A. 2013, § 20 Rn. 36). Dies entsprach in 2012 einem Betrag von ca. 23,55 EUR und in 2013 von ca. 24,20 EUR. Es ist der Klägerin zu 1) auch zumutbar, einen Teil der Kosten für die Monatstickets aus ihrem Regelbedarf zu zahlen, da sie mit dem Ticket nicht nur die Fahrten zum Kindergarten durchführen konnte, sondern das Ticket auch für sämtliche weitere Fahrten mit dem Bus im Stadtgebiet von I nutzen konnte. Weiterhin stand der Klägerin zu 1) auch der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 SGB II wegen Alleinerziehung zur Verfügung. Dieser Mehrbedarf wird gewährt, wenn eine Person mit minderjährigen Kindern zusammenlebt und allein für deren Pflege und Erziehung sorgt. Durch den pauschalen Mehrbedarf soll der höhere Aufwand des Alleinerziehenden für die Versorgung, Erziehung und Pflege des Kindes etwa wegen einer geringeren Beweglichkeit und zusätzlichen Aufwendungen für Kontaktpflege und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter ausgeglichen werden (Eicher, a.a.O, § 21 Rn. 28). Erziehung umfasst hierbei die Sorge für die seelische und geistige Entwicklung sowie die Bildung und Ausbildung des minderjährigen Kindes (Eicher, a.a.O. Rn. 30). Die Ermöglichung des Kindergartenbesuches stellt hierbei einen Teil der Erziehungsarbeit der Klägerin zu 1) dar. Denn der Besuch des Kindergartens dient der Erziehung, Betreuung und Bildung der Klägerin zu 2) (vgl. § 22 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - SGB VIII). Da die Klägerin zu 1) allein für die Klägerin zu 2) sorgt, liegt es in ihrer alleinigen Verantwortung, der Klägerin zu 2) den Besuch des Kindergartens zu ermöglichen. Dass die Klägerin zu 1) sich hierbei der Benutzung des Busses bedient um den Besuch im Kindergarten zu ermöglichen, stellt insofern eine Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter für die Erziehung dar. Dieser finanzielle Aufwand wird durch den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 SGB II bereits ausgeglichen. Im Hinblick auf den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 SGB II von 136,64 EUR in 2012 und 137,52 EUR in 2013 werden die Kosten für die Bustickets auch ausreichend abgedeckt. Denn die monatlichen Fahrtkosten von 49,80 EUR führen im Hinblick auf den Anteil für Verkehr, der bereits im Regelbedarf enthalten ist, nicht dazu, dass der pauschale Mehrbedarf für Alleinerziehende komplett aufgrund der Fahrtkosten eingesetzt werden muss. Vielmehr verbleibt weiterhin ein Betrag von über 100,00 EUR des Mehrbedarfes nach Abzug der Kosten für das Monatsticket unter Berücksichtigung des Anteiles für Verkehr im Regelbedarf.

Mangels Unabweisbarkeit des Bedarfes muss nicht entschieden werden, ob es sich um einen besonderen Bedarf handelt. Hieran sind jedenfalls Zweifel angebracht, da der Besuch eines Kindergartens mit dem damit verbundenen Erfordernis, das Kind zum Kindergarten zu bringen, nicht atypisch sein dürfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Die Berufung wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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