S 32 AS 3422/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 32 AS 3422/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine unverzügliche Nachholung der Antragstellung i.S.d. § 40 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 28 Satz 1 SGB X setzt grundsätzlich voraus, dass der Antrag spätestens am ersten Öffnungstag der Behörde nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem der Ablehnungsbescheid hinsichtlich der anderen Sozialleistung bestandskräftig geworden ist.
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Beklagte hat keine außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Monate August und September 2012, die ihm der Beklagte versagt hat.

Am 1. August 2012 hatte der Kläger zunächst die Gewährung von Arbeitslosengeld I (ALG I) bei der Bundesagentur für Arbeit in B. beantragt, nachdem er zuvor als Automobilkaufmann tätig gewesen war. Dieser Antrag wurde durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 22.08.2012 (Bl. 22 Vw-Akte) abgelehnt. Der Ablehnungsbescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen sowie mit dem Hinweis, dass der Kläger Arbeitslosengeld II (ALG II) beantragen sollte, wenn sein Lebensunterhalt nicht gesichert sei.

Ende September 2012 verlegte der bis dahin in K. wohnhafte Kläger seinen Wohnsitz nach D ... Am Freitag, dem 05.10.2012, ließ er sich beim Jobcenter Dresden die Unterlagen für die Beantragung von ALG II aushändigen (Bl. 3 Vw-Akte des Jobcenters Dresden). Nachdem der Kläger zum Termin für deren Einreichung am 18.10.2012 zu spät erschienen war, reichte er die ausgefüllten Unterlagen schließlich am 29.10.2012 beim Jobcenter Dresden ein (Bl. 1 und 3 Vw-Akte des Jobcenters Dresden).

Am 18.10.2012 holte der Kläger auch beim Beklagten Unterlagen zur Beantragung von ALG II ab. Anlässlich des Termins zur Einreichung der Unterlagen am 25.10.2012 führten Mitarbeiter des Beklagten mit dem Kläger ein Beratungsgespräch, in dem der Kläger darauf hingewiesen wurde, dass sein Antrag nach Rechtsauffassung des Beklagten nur bis zum 01.10.2012 zurückwirke. Nach Beendigung des Beratungsgespräches nahm der Kläger die Antragsunterlagen wieder mit (Bl. 1, 7 und 8 Vw-Akte).

In der Folge bat die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Beklagten mit Schriftsatz vom 08.11.2012 um Bescheidung des Antrages des Klägers auf Gewährung von ALG II (Bl. 5 Vw-Akte). Daraufhin teilte der Beklagte mit Schreiben vom 12.11.2012 mit, dass der Kläger nach dem Gespräch am 25.10.2012 die Antragsunterlagen wieder mitgenommen habe, was als Antragsrücknahme zu werten sei (Bl. 7 Vw-Akte). In Erwiderung darauf stellte die Klägervertreterin mit Schriftsatz vom 25.11.2012 klar, dass deren Schreiben vom 08.11.2012 als Überprüfungsantrag bezogen auf die im Rahmen des Beratungsgesprächs am 25.10.2012 mündlich erfolgte Ablehnung des Antrags auf ALG II behandelt werden möge (Bl. 8 Vw-Akte).

Diesen Überprüfungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.12.2012 als unzulässig ab, weil kein Verwaltungsakt vorliege, der Gegenstand des Überprüfungsbegehrens sein könne (Bl. 12 Vw-Akte). Den gegen diese Entscheidung mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 04.01.2013 erhobenen Widerspruch (Bl. 13 Vw-Akte) wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2013 zurück (Bl. 27 Vw-Akte). Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass für die Monate August und September 2012 kein Leistungsanspruch bestehe, weil insoweit keine rechtzeitige Antragstellung vorliege. Weder die Antragstellung beim Jobcenter Dresden am 05.10.2012, noch die etwaige Antragstellung beim Beklagten am 18.10.2012 erfülle die Anforderungen an eine im Sinne des § 28 SGB X i. V. m. § 40 Abs. 5 SGB II unverzügliche Stellung des Antrags nach Ablauf des Monats September 2012, in dem die Ablehnung des Antrages auf ALG I bestandskräftig geworden sei. Daher wirkten die vorgenannten Anträge nur bis zum 01.10.2012 zurück. Ob in der Mitnahme der Antragsunterlagen durch den Kläger nach dem Beratungsgespräch beim Beklagten am 25.10.2012 eine Antragsrücknahme liege, wurde im Widerspruchsbescheid offen gelassen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Antragstellung im Laufe des Monats Oktober 2012 als unverzüglich nach Ablauf des Monats September 2012 im Sinne der insoweit geltenden Vorschrift des § 40 Abs. 5 SGB II zu bewerten sei und damit auf die streitgegenständlichen Monate August und September 2012 zurückwirke. Im Übrigen habe der Ablehnungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 22.08.2012 keinen Hinweis auf die einzuhaltende Frist enthalten.

Der zur mündlichen Verhandlung am 23.07.2015 nicht erschienene und dort auch nicht anwaltlich vertretene Kläger hat zuletzt mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 23.05.2013 beantragt,

1. den Bescheid des Beklagten vom 06.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.04.2013 aufzuheben,

2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum 08/12 bis 09/12 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass eine unverzügliche Antragstellung im Sinne des § 40 Abs. 5 SGB II grundsätzlich nur am ersten Tag des Folgemonats, hier also am 1. Oktober 2012, vorliege. Gründe, die eine spätere Antragstellung rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich.

Die Kammer hat die Verwaltungsakte des Beklagten, Az. , sowie die Verwaltungsakte des Jobcenters Dresden, Az.: (zwei Bände), beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Gericht konnte die mündliche Verhandlung durchführen und auf dieser Grundlage ein Urteil sprechen, obwohl der Kläger und seine Prozessbevollmächtigte nicht zum Termin erschienen waren (vgl. zur "einseitigen mündlichen Verhandlung": Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 127 Rn 4). Sowohl der Kläger als auch die Prozessbevollmächtigte waren ausweislich der Zustellungsurkunde (Bl. 59 der Akte) bzw. des Empfangsbekenntnisses (Bl. 60 der Akte) ordnungsgemäß geladen. Der Kläger wurde in der Ladung auch darauf hingewiesen, dass im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann und dies auch beim Ausbleiben seiner Bevollmächtigten gilt.

II.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 06.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.04.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten.

a) Streitgegenständlich ist die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II für die Monate August und September 2012. Zwar trifft der angefochtene Ausgangsbescheid des Beklagten vom 06.12.2012 insoweit keine Sachentscheidung, weil damit der den vorgenannten Zeitraum betreffende Überprüfungsantrag des Klägers als unzulässig abgewiesen wurde. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 25.04.2013 wurde jedoch eine entsprechende Sachentscheidung getroffen. Denn die Zurückweisung des Widerspruchs wurde gerade nicht auf eine etwaige Unzulässigkeit des zugrundeliegenden Überprüfungsantrages gestützt, sondern darauf, dass keine rechtzeitige Beantragung der begehrten Leistungen vorliege.

b) Die Ablehnung der begehrten Leistungen nach dem SGB II für die Monate August und September 2012 erfolgte zu Recht, weil kein rechtzeitiger Antrag gestellt wurde. Leistungen nach dem SGB II werden nur auf Antrag erbracht, wobei dieser auf den ersten des Monats zurückwirkt; für Zeiten vor Antragstellung besteht kein Leistungsanspruch (§ 37 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB II).

aa) In dem bei der Bundesagentur für Arbeit Bautzen eingereichten Antrag auf Gewährung von ALG I vom 01.08.2012 liegt hier nicht zugleich auch ein (rechtzeitiger) Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. In Anbetracht der erheblichen Unterschiede zwischen den Leistungssystemen (beitragsbasierte Versicherungsleistung beim ALG I einerseits, steuerfinanzierte Grundsicherung beim ALG II andererseits) ist von einem ALG-I-Antrag jedenfalls nicht automatisch auch ein solcher auf Gewährung von ALG II umfasst (BSG, Urteil vom 02.04.2014, B 4 AS 29/13 R, juris). Zwar ist im Ausgangspunkt nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung davon auszugehen, dass – sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt – ein Antragsteller die je nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommenden Leistungen begehrt, unabhängig davon, welchen Antragsvordruck er hierfür benutzt. Allerdings kann dies in einer Konstellation wie der vorliegenden, in der ausdrücklich eine Sozialleistung (ALG I nach dem SGB III) bei dem für die weitere Leistung (ALG II) unzuständigen Träger beantragt wird, allenfalls dann angenommen werden, wenn der Antragsteller einen für den unzuständigen Leistungsträger erkennbaren Willen zum Ausdruck bringt, neben der beantragten Leistung noch weitere Sozialleistungen zu begehren (vgl. BSG, a. a. O.).

Dafür liegen hier keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von ALG I vom 01.08.2012, der dem Urteil zugrunde gelegt werden kann, obwohl er erst im Rahmen der in Abwesenheit des Klägers durchgeführten mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführt wurde (vgl. dazu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 127 Rn 4), enthält keinerlei Hinweise darauf, dass es dem Kläger an hinreichenden finanziellen Mitteln zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes gefehlt hätte und er deshalb auf weitere Sozialleistungen zwingend angewiesen gewesen wäre. Es ergaben sich daraus auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger möglicherweise für den Unterhalt weiterer Personen zu sorgen gehabt hätte. Vielmehr war in dem Antrag angegeben, dass der Kläger beabsichtigte, nach Eintritt der Arbeitslosigkeit einer Nebentätigkeit nachzugehen. Insbesondere vor diesem Hintergrund konnte die Bundesagentur für Arbeit nicht davon ausgehen, dass der Kläger ohne Weiteres auch Grundsicherungsleistungen in Anspruch nehmen wollte, zumal damit die im SGB II geregelten Restriktionen, die Ausfluss des "Grundsatzes des Forderns und Förderns" sind, verbunden gewesen wären (zu diesem Gesichtspunkt vgl. BSG, a.a.O.).

Vor diesem Hintergrund war es auch konsequent, dass die Bundesagentur für Arbeit den Antrag des Klägers auf Gewährung von ALG I nicht an das zuständige Jobcenter weiterleitete, sondern in dem ablehnenden Bescheid vom 22.08.2012 lediglich den Hinweis erteilte, dass der Kläger für den Fall, dass sein Lebensunterhalt nicht gesichert sei, ALG II beantragen sollte.

bb) Die beim Jobcenter Dresden und beim Beklagten gestellten Anträge auf Gewährung von ALG II wirken nicht weiter als bis zum 01.10.2012 zurück.

Der am 05.10.2012 beim Jobcenter Dresden gestellte Antrag auf Gewährung von ALG II dürfte zwar nach § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I als in diesem Zeitpunkt auch beim Beklagten gestellt gelten. Denn soweit dieser ALG II-Antrag dahingehend auszulegen wäre, dass er sich auf den streitgegenständlichen Zeitraum erstreckt, was das Gericht zugunsten des Klägers annimmt, wäre der Antrag nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I an den Beklagten als den für diesen Leistungszeitraum örtlich zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten gewesen.

Jedoch wirkt dieser Antrag nach § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II nur auf den Ersten des Monats Oktober 2012 zurück, nicht hingegen darüber hinaus auch auf die davorliegenden Monate August und September 2012. Die Voraussetzungen für die weitergehende Rückwirkung des Antrags nach § 28 Satz 1 SGB X i. V. m. § 40 Abs. 5 SGB II liegen nicht vor. Gleiches gilt erst recht für die Antragstellung beim Beklagten am 18.10.2012, so dass dahinstehen kann, ob dieser Antrag durch die Mitnahme der Antragsunterlagen am 25.10.2012 zurückgenommen wurde.

Nach § 28 Satz 1 SGB X i. V. m. § 40 Abs. 5 SGB II wirkt ein nachgeholter Antrag auf Gewährung von ALG II bis zu einem Jahr zurück, wenn er unverzüglich nach Ablauf des Monats gestellt worden ist, in dem die Ablehnung einer anderen Sozialleistung, wegen deren Geltendmachung zunächst von der Stellung des ALG-II-Antrages abgesehen wurde, bindend geworden ist. Hier ist der Ablehnungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 22.08.2012 dem Kläger vor Ende des Monats August zugegangen. Auch der Kläger geht davon aus, dass die einmonatige Widerspruchsfrist Ende September 2012 ablief (S. 3 der Klagebegründung vom 18.10.2013). Daher hätte der Antrag auf Gewährung von ALG II, um die Rückwirkung von einem Jahr nach § 28 Satz 1 SGB X i. V. m. § 40 Abs. 5 SGB II herbeizuführen, unverzüglich nach Ablauf des Monats September 2012 gestellt werden müssen. Diesen Anforderungen wird die Antragstellung am 05.10.2012 beim Jobcenter Dresden nicht gerecht.

Nach Auffassung der Kammer ist das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" in § 40 Abs. 5 SGB II dahingehend auszulegen, dass der ALG II-Antrag grundsätzlich am ersten Öffnungstag der entsprechenden Behörde nach Ablauf des Monats, in dem der Ablehnungsbescheid hinsichtlich der anderen Sozialleistung bestandskräftig wird, zu stellen ist. Hier hätte daher die Antragstellung – jedenfalls im Grundsatz – am Montag, dem 01.10.2012, erfolgen müssen, um die Rückwirkung von bis zu einem Jahr gemäß § 28 Satz 1 SGB X i. V. m. § 40 Abs. 5 SGB II auszulösen. Eine längere Frist kann im Einzelfall nur dann gelten, wenn dem Hilfebedürftigen die Antragstellung aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich war und er daher im Sinne der Legaldefinition des § 121 BGB gleichwohl ohne schuldhaftes Zögern handelte.

Nach dem allgemeinen Wortsinn des Begriffs unverzüglich ist die Auslegung der Kammer zwar nicht zwingend, jedoch ohne weiteres möglich. In den Gesetzesmaterialien finden sich keine Hinweise, dass der Gesetzgeber die hier streitentscheidende Frage gesehen und sich dazu positioniert hätte. Allerdings lässt sich der Gesetzesbegründung der Zweck der Regelung des § 40 Abs. 5 SGB II entnehmen. Die Regelung soll gewährleisten, dass der Zeitraum, für den gegebenenfalls rückwirkend Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind, in der Regel überschaubar bleibt (Bundestagsdrucksache 16/1410, Seite 27). Dies spricht eher für eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals "unverzüglich".

Von maßgeblicher Bedeutung sind für die Kammer letztlich gesetzessystematische Erwägungen. Das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" ist in § 121 BGB legal definiert als Handeln "ohne schuldhaftes Zögern". Der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung würde es zwar grundsätzlich naheliegen, die im Bereich des unmittelbaren Anwendungsbereichs des § 121 BGB übliche Auslegung auf den Regelungsbereich des SGB II zu übertragen. Dafür bestünde jedoch dann kein Raum, wenn die geregelten Sachverhaltsbereiche nicht vergleichbar wären und die bestehenden Unterschiede eine andere Auslegung erforderten. So liegt der Fall hier. Im Bereich des unmittelbaren Anwendungsbereiches des § 121 BGB gewährt man dem Anfechtungsberechtigten in der Regel einen Überlegungs- und Prüfungszeitraum von mehreren Tagen. Dieser Zeitraum kann je nach Komplexität der Angelegenheit durchaus zwei Wochen erreichen. Insbesondere kann es gegebenenfalls erforderlich sein, dem Anfechtungsberechtigten zunächst die Einholung von Rechtsrat zu ermöglichen. Dementsprechend ist die Anfechtungsfrist zu bemessen. Sämtliche vorgenannten Gründe, aus denen im Anwendungsbereich des § 121 BGB eine Anfechtungserklärung auch noch einige Tage nach Erlangung der Kenntnis vom Anfechtungsgrund als "unverzüglich" angesehen wird, sind auf den Regelungsbereich des § 40 Abs. 5 SGB II nicht übertragbar. Denn der Antragsteller hat hier bereits während des Laufs der Widerspruchsfrist gegen die Ablehnung der zunächst beantragten Sozialleistung, hier des Antrages auf ALG I, hinreichend Zeit, über die weitere Vorgehensweise nachzudenken und ggf. entsprechende rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Es ist insoweit auch ohne weiteres möglich, parallel die Erfolgsaussichten eines etwaigen Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung der zunächst beantragten Sozialleistung und die Inanspruchnahme alternativ in Betracht kommender anderer Sozialleistungen zu prüfen. Der zur Verfügung stehende Zeitraum von einem Monat ist dafür in jedem Falle ausreichend bemessen.

Vor diesem Hintergrund sowie unter Berücksichtigung des in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Regelungszwecks ist daher § 40 Abs. 5 SGB II dahingehend auszulegen, dass der Antrag auf ALG II grundsätzlich am ersten Öffnungstag der Behörde nach Ablauf des Monats gestellt werden muss, in dem die Widerspruchsfrist gegen die Ablehnung der zunächst beantragten Sozialleistung abläuft. Dies entspricht auch der einhelligen Auffassung in der Kommentarliteratur (Eicher-Link, SGB II, 3. Aufl., § 40 Rn 190; Adolph, SGB II, § 40 Rn 80, juris; Schlegel/Voelzke - Aubel, 4. Aufl., SGB II, § 40 Rn 173, juris-PK).

Es sind hier auch keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer der Kläger aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen daran gehindert gewesen wäre, den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II rechtzeitig im vorgenannten Sinne zu stellen. Weder ergeben sich entsprechende Hinderungsgründe aus den Akten, noch wurden solche von dem – anwaltlich vertretenen – Kläger im Vorfeld der mündlichen Verhandlung vorgetragen, obwohl der Beklagte seinerseits bereits mit Schriftsatz vom 28.11.2013 darauf hingewiesen hatte, dass keine Gründe ersichtlich seien, welche eine spätere Antragstellung rechtfertigen würden. Die bloße Unkenntnis von der geltenden Frist ist nicht geeignet, die verspätete Antragstellung zu entschuldigen. Insoweit ist es ohne Belang, dass in dem Ablehnungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 22.08.2012 zwar auf die Möglichkeit, ALG II zu beantragen, nicht jedoch die dafür geltende Antragsfrist hingewiesen wurde. Es ist Hilfebedürftigen grundsätzlich zumutbar, sich über die Voraussetzungen von Sozialleistungen entsprechend zu informieren. Das gilt erst recht in einem Fall wie hier, in dem dafür nach Kenntnis von der Ablehnung des Antrags auf ALG I ein Zeitraum von mehr als einem Monat zur Verfügung gestanden hätte, zumal in Anbetracht der vom Kläger zuvor ausgeübten beruflichen Tätigkeit als Automobilkaufmann auch keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er intellektuell zur Einholung entsprechender Auskünfte nicht in der Lage gewesen sein könnte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

IV.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt den Betrag von 750,00 Euro, sodass die Berufung nicht zulassungsbedürftig ist (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Als Orientierungsgröße kann insoweit die Bewilligung vorläufiger Leistungen durch das Jobcenter Dresden mit Bescheid vom 30.10.2012 für den Zeitraum ab 01.10.2012 in Höhe von monatlich 824,00 Euro dienen (Bl. 52 ff der Akte). Im Hinblick auf die hier dem Grunde nach im Raum stehenden Leistungen für den Zeitraum von zwei Monaten erreicht daher der Beschwerdewert ohne Weiteres die Berufungssumme.
Rechtskraft
Aus
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