Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 23 AL 2278/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 4123/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. August 2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).
Die 1971 geborene Klägerin war seit 1.1.2001 bei der Dr. A. B. Nahrungsmittel KG, C., als Leiterin der Produktentwicklung beschäftigt. Diese Beschäftigung endete am 27.11.2006, als sie in Mutterschutz ging.
Am 4.1.2007 gebar die Klägerin ihr erstes Kind D. und am 9.9.2008 ihr zweites Kind E ... Nachdem ihr Arbeitgeber eine adäquate Teilzeitstelle nicht anzubieten vermochte, wurde das Arbeitsverhältnis durch einen am 7.1.2013 geschlossenen gerichtlichen Vergleich zum 31.12.2012 unter Zahlung einer Abfindung beendet.
Versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt bezog die Klägerin bis einschließlich 27.11.2006. Aus Anlass der Geburt des ersten Kindes erhielt sie ab 28.11.2006 zunächst Mutterschaftsgeld und danach Elterngeld bis 3.1.2008 (Bescheid vom 4.4.2007). Für das zweite Kind bezog sie vom 9.9.2008 bis 8.9.2009 Elterngeld (Bescheid vom 13.10.2008).
Am 4.1.2013 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15.3.2013 ab, da die Klägerin in den letzten zwei Jahren vor dem 4.1.2013 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen sei und die Anwartschaftszeit damit nicht erfüllt habe.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, das familienpolitische Ziel, je Kind bis zu drei Jahre Elternzeit nehmen zu können, dürfe nicht dazu führen, dass im Anschluss an die Elternzeit bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe. Diese Regelungslücke sei zu schließen und ihr Arbeitslosengeld nach dem Einkommen vor Inanspruchnahme der Elternzeit zu bewilligen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.3.2013 mit der Begründung zurück, die Klägerin habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Sie habe innerhalb der die Zeit vom 5.1.2011 (richtig wäre: 4.1.2011) bis 4.1.2013 (richtig wäre: 3.1.2013) umfassenden Rahmenfrist nicht mindestens zwölf Monate (= 360 Kalendertage) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden, sondern lediglich 247 Tage. Sie sei vom 28.11.2006 bis 8.9.2011 gemäß § 26 Abs. 2 bzw. 2a SGB III versicherungspflichtig gewesen, da sie Mutterschaftsgeld bezogen bzw. ein Kind, welches das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet habe, erzogen habe und unmittelbar davor versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Der Sohn E. sei am 9.9.2008 geboren und habe daher am 8.9.2011 das dritte Lebensjahr vollendet. Zeiten ab dem 9.9.2011 seien daher nicht mehr versicherungspflichtig und dienten nicht der Erfüllung der Anwartschaftszeit.
Die Klägerin hat am 19.4.2013 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und darauf hingewiesen, sie habe nach der Geburt des zweiten Kindes die Elternzeit für das erste Kind unterbrochen und die Elternzeit für das zweite Kind genommen. Nach Ablauf dieser Elternzeit habe sie den Rest der ersten Elternzeit genommen. Sie hat nochmals betont, dass die Inanspruchnahme der vollen Elternzeit für beide Kinder nicht dazu führen dürfe, dass Anwartschaften für den Bezug von Arbeitslosengeld nicht erfüllt würden. Sie habe lediglich die vom Gesetzgeber eingeräumte Befugnis wahrgenommen. Der Umstand, dass bei der Berechnung von Anwartschaftszeiten nur auf das Lebensalter der Kinder abgestellt werde, führe zu einem unbilligen und vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis. Eltern, welche in geringerem Abstand als drei Jahre Kinder bekämen und Elternzeit in vollem Umfang in Anspruch nähmen, seien benachteiligt.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.8.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Unter Darlegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften hat es ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 4.1.2013 habe. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Vorschrift des § 26 Abs. 2a SGB III nicht erweiternd auslegungsfähig. Die Klägerin weise zu Recht darauf hin, dass in anderen Vorschriften eine Verlängerung der Eltern- bzw. Kindererziehungszeiten über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus möglich sei, so nach § 15 Abs. 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) und nach § 56 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Eine sinngemäße Anwendung dieser Regelungen scheide jedoch aus, weil eine ausfüllungsbedürftige Lücke im Gesetz nicht vorliege. Die Vorschrift bestimme eindeutig, dass nur Personen versicherungspflichtig seien, in der Zeit, in der sie ein Kind bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres erziehen würden. Eine Gesetzeslücke könne daher nur angenommen werden, wenn das Gesetz entweder absichtlich keine Regelung treffe und dies insoweit der Rechtsprechung überlasse oder wenn der nicht geregelte Tatbestand sich erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben habe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben. Bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 26 Abs. 2a SGB III zum 1.1.2003 habe die - mit § 15 Abs. 2 BEEG inhaltsgleiche - Regelung in § 15 Abs. 3 im Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) bestanden, der eine Verlängerung der Elternzeit über die Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes hinaus bei Mehrfach-Erziehung vorgesehen habe. Gleiches gelte für die Regelung in § 56 Abs. 5 SGB VI. Demnach sei davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber durchaus die unterschiedliche Regelung bewusst gewesen sei und er eine solche auch gewollt habe. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften nach BErzGG und BEEG scheide daher aus. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sei nicht ersichtlich. Insoweit sei nicht maßgeblich, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden habe, sondern ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten habe. Zweck der Arbeitslosenversicherung sei es, für einen vorübergehenden Zeitraum das Risiko der Beschäftigungslosigkeit abzusichern. Der zeitliche Abstand zwischen der zuletzt ausgeübten Beschäftigung und dem Anspruch auf Arbeitslosengeld sei daher zeitlich zu begrenzen, wie sich dies auch in den Regelungen zur Anwartschaftszeit zeige. Ziel des SGB III sei es insgesamt, Beschäftigungslosigkeit möglichst rasch zu beenden. Daher sei es nachvollziehbar und sachgerecht, dass im Bereich des SGB III der versicherungspflichtige Tatbestand der Kindererziehung mit Vollendung des dritten Lebensjahres ende.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 2.9.2014 zugestellten Gerichtsbescheid am 30.9.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie hat ihr Vorbringen weiter vertieft und eine erweiternde Auslegung des § 26 Abs. 2a SGB III für erforderlich erachtet. Auch hält sie an der Ansicht fest, dass § 26 Abs. 2a SGB III gegen Grundrechte verstoße.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 15. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2013 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. August 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab dem 4. Januar 2013 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid. Ergänzend hat sie auf den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25.11.2004 (1 BVR 2303/03) verwiesen, wonach die Begrenzung des an die Erziehung und Betreuung von Kindern anknüpfenden Vorteils im Recht der Arbeitslosenversicherung auf die ersten drei Lebensjahre verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Ferner hat sie auf das Urteil des LSG vom 22.6.2010 (L 13 AL 5467/09, juris) verwiesen und daraus zitiert, dass die gesetzliche Vorschrift nicht laute, dass eine Versicherungszeit für drei Jahre der Erziehung eines Kindes vorliege oder dass eine Addition bzw. Verlängerung im Falle der gleichzeitigen Erziehung mehrerer unter dreijähriger Kinder vorzunehmen sei, sondern gerade, dass das erzogene Kind noch keine drei Jahre alt sein dürfe.
Die Klägerin sowie die Beklagte haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten ihre Zustimmung hierzu gemäß § 124 Abs. 2 SGG erteilt haben.
Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§ 143 SGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten kein Arbeitslosengeld nach § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in der ab dem 1.4.2014 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl. I 2854) (n.F.) verlangen, da sie die erforderliche Anwartschaftszeit gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 142 Abs. 1 SGB III n.F. nicht erfüllt.
In der vom SG zutreffend nach § 143 SGB III n.F. berechneten Rahmenfrist vom 4.1.2011 bis 3.1.2013 hat die Klägerin nicht für mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gemäß § 24 SGB III gestanden. Zwar wurde das Arbeitsverhältnis bei der Dr. A. B. Nahrungsmittel KG erst zum 31.12.2012 beendet, die Klägerin war jedoch nicht gegen Arbeitsentgelt beschäftigt, sodass kein Versicherungspflichtverhältnis gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III bestand. Zu Recht hat das SG auch eine Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2a SGB III verneint. Gemäß § 26 Abs. 2a SGB III sind Personen in der Zeit versicherungspflichtig, in der sie ein Kind erziehen, welches das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Damit ist klar zum Ausdruck gebracht, dass ab dem dritten Lebensjahr eines Kindes keine Versicherungspflicht mehr vorliegt. Für die Bestimmung der versicherungspflichtigen Zeiten ist also für jedes Kind ein eigener mit seiner Geburt beginnender und am Tag vor der Vollendung des dritten Lebensjahres endender Dreijahreszeitraum zu bilden. Die gesetzliche Vorschrift lautet gerade nicht, dass eine Versicherungszeit für drei Jahre der Erziehung eines Kindes vorliegt oder dass eine Addition bzw. Verlängerung im Falle der gleichzeitigen Erziehung mehrerer unter dreijähriger Kinder vorzunehmen ist (vgl. § 56 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zum Rentenrecht und § 15 Abs. 2 Satz 4 BEEG zum Elterngeldrecht). Die Versicherungspflicht endete somit am Tag vor dem Ablauf des dritten Lebensjahres des zweitgeborenen Kindes E., also am 8.9.2011.
Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt weder eine erweiternde Auslegung von § 26 Abs. 2a SGB III im Lichte der die Erziehungszeiten günstiger regelnden Vorschriften (§ 15 Abs. 2 Satz 4 BEEG, § 56 Abs. 5 Satz 2 SGB VI) in Betracht, noch verstößt die Regelung in § 26 Abs. 2a SGB III gegen höherrangiges Recht. Zur Begründung verweist der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die zutreffenden Ausführungen des SG (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist lediglich wie folgt noch auszuführen:
Die Auffassung des SG wird durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.5.2008 (B 11 a /7a AL 64/06 R, juris, Rn. 18) bestätigt. Dort heißt es wörtlich: "Denn folgen mehrere Geburten in so kurzen Abständen aufeinander, dass sich die jeweils anschließenden dreijährigen Kindererziehungszeiten überschneiden, soll § 26 Abs. 2a SGB III eine Versicherungspflicht für die gesamte Zeit von der Geburt des ältesten bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs des jüngsten Kindes begründen (vgl. Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III, § 26 RdNr. 90; Timme in Hauck/Noftz, SGB III, § 26 Rn. 47). In diesen Fällen ist also unter "Kindererziehung" die Gesamtheit der aufeinander folgenden und sich überschneidenden dreijährigen Erziehungszeiten zu verstehen."
Als Grundlage des klägerischen Begehrens kommt auch Art. 6 Abs. 4 GG nicht in Betracht. Ob diese Norm Müttern über die Zeit der Schwangerschaft und über die ersten Monate nach der Geburt hinaus überhaupt Schutz gewährt, kann offenbleiben; jedenfalls können aus Art. 6 Abs. 4 GG keine besonderen Rechte für Sachverhalte hergeleitet werden, die nicht allein Mütter betreffen. Da Erziehungszeiten sowohl Müttern als auch in gleichem Umfang Vätern zuerkannt werden, ist der Schutzbereich von Art. 6 Abs. 4 GG nicht tangiert. Im Übrigen folgt aus dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG nicht, dass der Gesetzgeber jede mit der Mutterschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen hat, selbst wenn die hier streitige Regelung sich überwiegend zu Lasten von Müttern auswirkt. Der Gesetzgeber ist zwar zum Ausgleich unmittelbarer Nachteile in der Arbeitslosenversicherung verpflichtet, soweit Mütter im Unterschied zu anderen Arbeitnehmern darin gehindert sind, sich durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung den Zugang zu Versicherungsleistungen selbst zu schaffen oder zu erhalten (BSG, Urteil vom 29.5.2008, a.a.O., juris, Rn. 35). Eine damit vergleichbare Situation ist - so das BSG - nicht gegeben, wenn eine Mutter von der Ausübung einer ihr rechtlich erlaubten versicherungspflichtigen Beschäftigung auf Grund der eigenen Lebensplanung für die Zeit der Kindererziehung absieht, so dass der Gesetzgeber nicht einmal gehalten ist, Vorkehrungen gegen das Erlöschen eines bereits erworbenen Anspruchs auf Arbeitslosengeld während einer Elternzeit zu treffen. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Versicherungspflicht in § 26 Abs. 2a SGB III für jedes Kind auf drei Jahre zu erstrecken, besteht daher nicht.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).
Die 1971 geborene Klägerin war seit 1.1.2001 bei der Dr. A. B. Nahrungsmittel KG, C., als Leiterin der Produktentwicklung beschäftigt. Diese Beschäftigung endete am 27.11.2006, als sie in Mutterschutz ging.
Am 4.1.2007 gebar die Klägerin ihr erstes Kind D. und am 9.9.2008 ihr zweites Kind E ... Nachdem ihr Arbeitgeber eine adäquate Teilzeitstelle nicht anzubieten vermochte, wurde das Arbeitsverhältnis durch einen am 7.1.2013 geschlossenen gerichtlichen Vergleich zum 31.12.2012 unter Zahlung einer Abfindung beendet.
Versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt bezog die Klägerin bis einschließlich 27.11.2006. Aus Anlass der Geburt des ersten Kindes erhielt sie ab 28.11.2006 zunächst Mutterschaftsgeld und danach Elterngeld bis 3.1.2008 (Bescheid vom 4.4.2007). Für das zweite Kind bezog sie vom 9.9.2008 bis 8.9.2009 Elterngeld (Bescheid vom 13.10.2008).
Am 4.1.2013 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15.3.2013 ab, da die Klägerin in den letzten zwei Jahren vor dem 4.1.2013 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen sei und die Anwartschaftszeit damit nicht erfüllt habe.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, das familienpolitische Ziel, je Kind bis zu drei Jahre Elternzeit nehmen zu können, dürfe nicht dazu führen, dass im Anschluss an die Elternzeit bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe. Diese Regelungslücke sei zu schließen und ihr Arbeitslosengeld nach dem Einkommen vor Inanspruchnahme der Elternzeit zu bewilligen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.3.2013 mit der Begründung zurück, die Klägerin habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Sie habe innerhalb der die Zeit vom 5.1.2011 (richtig wäre: 4.1.2011) bis 4.1.2013 (richtig wäre: 3.1.2013) umfassenden Rahmenfrist nicht mindestens zwölf Monate (= 360 Kalendertage) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden, sondern lediglich 247 Tage. Sie sei vom 28.11.2006 bis 8.9.2011 gemäß § 26 Abs. 2 bzw. 2a SGB III versicherungspflichtig gewesen, da sie Mutterschaftsgeld bezogen bzw. ein Kind, welches das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet habe, erzogen habe und unmittelbar davor versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Der Sohn E. sei am 9.9.2008 geboren und habe daher am 8.9.2011 das dritte Lebensjahr vollendet. Zeiten ab dem 9.9.2011 seien daher nicht mehr versicherungspflichtig und dienten nicht der Erfüllung der Anwartschaftszeit.
Die Klägerin hat am 19.4.2013 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und darauf hingewiesen, sie habe nach der Geburt des zweiten Kindes die Elternzeit für das erste Kind unterbrochen und die Elternzeit für das zweite Kind genommen. Nach Ablauf dieser Elternzeit habe sie den Rest der ersten Elternzeit genommen. Sie hat nochmals betont, dass die Inanspruchnahme der vollen Elternzeit für beide Kinder nicht dazu führen dürfe, dass Anwartschaften für den Bezug von Arbeitslosengeld nicht erfüllt würden. Sie habe lediglich die vom Gesetzgeber eingeräumte Befugnis wahrgenommen. Der Umstand, dass bei der Berechnung von Anwartschaftszeiten nur auf das Lebensalter der Kinder abgestellt werde, führe zu einem unbilligen und vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis. Eltern, welche in geringerem Abstand als drei Jahre Kinder bekämen und Elternzeit in vollem Umfang in Anspruch nähmen, seien benachteiligt.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.8.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Unter Darlegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften hat es ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 4.1.2013 habe. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Vorschrift des § 26 Abs. 2a SGB III nicht erweiternd auslegungsfähig. Die Klägerin weise zu Recht darauf hin, dass in anderen Vorschriften eine Verlängerung der Eltern- bzw. Kindererziehungszeiten über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus möglich sei, so nach § 15 Abs. 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) und nach § 56 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Eine sinngemäße Anwendung dieser Regelungen scheide jedoch aus, weil eine ausfüllungsbedürftige Lücke im Gesetz nicht vorliege. Die Vorschrift bestimme eindeutig, dass nur Personen versicherungspflichtig seien, in der Zeit, in der sie ein Kind bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres erziehen würden. Eine Gesetzeslücke könne daher nur angenommen werden, wenn das Gesetz entweder absichtlich keine Regelung treffe und dies insoweit der Rechtsprechung überlasse oder wenn der nicht geregelte Tatbestand sich erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben habe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben. Bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 26 Abs. 2a SGB III zum 1.1.2003 habe die - mit § 15 Abs. 2 BEEG inhaltsgleiche - Regelung in § 15 Abs. 3 im Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) bestanden, der eine Verlängerung der Elternzeit über die Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes hinaus bei Mehrfach-Erziehung vorgesehen habe. Gleiches gelte für die Regelung in § 56 Abs. 5 SGB VI. Demnach sei davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber durchaus die unterschiedliche Regelung bewusst gewesen sei und er eine solche auch gewollt habe. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften nach BErzGG und BEEG scheide daher aus. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sei nicht ersichtlich. Insoweit sei nicht maßgeblich, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden habe, sondern ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten habe. Zweck der Arbeitslosenversicherung sei es, für einen vorübergehenden Zeitraum das Risiko der Beschäftigungslosigkeit abzusichern. Der zeitliche Abstand zwischen der zuletzt ausgeübten Beschäftigung und dem Anspruch auf Arbeitslosengeld sei daher zeitlich zu begrenzen, wie sich dies auch in den Regelungen zur Anwartschaftszeit zeige. Ziel des SGB III sei es insgesamt, Beschäftigungslosigkeit möglichst rasch zu beenden. Daher sei es nachvollziehbar und sachgerecht, dass im Bereich des SGB III der versicherungspflichtige Tatbestand der Kindererziehung mit Vollendung des dritten Lebensjahres ende.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 2.9.2014 zugestellten Gerichtsbescheid am 30.9.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie hat ihr Vorbringen weiter vertieft und eine erweiternde Auslegung des § 26 Abs. 2a SGB III für erforderlich erachtet. Auch hält sie an der Ansicht fest, dass § 26 Abs. 2a SGB III gegen Grundrechte verstoße.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 15. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2013 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. August 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab dem 4. Januar 2013 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid. Ergänzend hat sie auf den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25.11.2004 (1 BVR 2303/03) verwiesen, wonach die Begrenzung des an die Erziehung und Betreuung von Kindern anknüpfenden Vorteils im Recht der Arbeitslosenversicherung auf die ersten drei Lebensjahre verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Ferner hat sie auf das Urteil des LSG vom 22.6.2010 (L 13 AL 5467/09, juris) verwiesen und daraus zitiert, dass die gesetzliche Vorschrift nicht laute, dass eine Versicherungszeit für drei Jahre der Erziehung eines Kindes vorliege oder dass eine Addition bzw. Verlängerung im Falle der gleichzeitigen Erziehung mehrerer unter dreijähriger Kinder vorzunehmen sei, sondern gerade, dass das erzogene Kind noch keine drei Jahre alt sein dürfe.
Die Klägerin sowie die Beklagte haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten ihre Zustimmung hierzu gemäß § 124 Abs. 2 SGG erteilt haben.
Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§ 143 SGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten kein Arbeitslosengeld nach § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in der ab dem 1.4.2014 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl. I 2854) (n.F.) verlangen, da sie die erforderliche Anwartschaftszeit gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 142 Abs. 1 SGB III n.F. nicht erfüllt.
In der vom SG zutreffend nach § 143 SGB III n.F. berechneten Rahmenfrist vom 4.1.2011 bis 3.1.2013 hat die Klägerin nicht für mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gemäß § 24 SGB III gestanden. Zwar wurde das Arbeitsverhältnis bei der Dr. A. B. Nahrungsmittel KG erst zum 31.12.2012 beendet, die Klägerin war jedoch nicht gegen Arbeitsentgelt beschäftigt, sodass kein Versicherungspflichtverhältnis gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III bestand. Zu Recht hat das SG auch eine Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2a SGB III verneint. Gemäß § 26 Abs. 2a SGB III sind Personen in der Zeit versicherungspflichtig, in der sie ein Kind erziehen, welches das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Damit ist klar zum Ausdruck gebracht, dass ab dem dritten Lebensjahr eines Kindes keine Versicherungspflicht mehr vorliegt. Für die Bestimmung der versicherungspflichtigen Zeiten ist also für jedes Kind ein eigener mit seiner Geburt beginnender und am Tag vor der Vollendung des dritten Lebensjahres endender Dreijahreszeitraum zu bilden. Die gesetzliche Vorschrift lautet gerade nicht, dass eine Versicherungszeit für drei Jahre der Erziehung eines Kindes vorliegt oder dass eine Addition bzw. Verlängerung im Falle der gleichzeitigen Erziehung mehrerer unter dreijähriger Kinder vorzunehmen ist (vgl. § 56 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zum Rentenrecht und § 15 Abs. 2 Satz 4 BEEG zum Elterngeldrecht). Die Versicherungspflicht endete somit am Tag vor dem Ablauf des dritten Lebensjahres des zweitgeborenen Kindes E., also am 8.9.2011.
Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt weder eine erweiternde Auslegung von § 26 Abs. 2a SGB III im Lichte der die Erziehungszeiten günstiger regelnden Vorschriften (§ 15 Abs. 2 Satz 4 BEEG, § 56 Abs. 5 Satz 2 SGB VI) in Betracht, noch verstößt die Regelung in § 26 Abs. 2a SGB III gegen höherrangiges Recht. Zur Begründung verweist der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die zutreffenden Ausführungen des SG (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist lediglich wie folgt noch auszuführen:
Die Auffassung des SG wird durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.5.2008 (B 11 a /7a AL 64/06 R, juris, Rn. 18) bestätigt. Dort heißt es wörtlich: "Denn folgen mehrere Geburten in so kurzen Abständen aufeinander, dass sich die jeweils anschließenden dreijährigen Kindererziehungszeiten überschneiden, soll § 26 Abs. 2a SGB III eine Versicherungspflicht für die gesamte Zeit von der Geburt des ältesten bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs des jüngsten Kindes begründen (vgl. Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III, § 26 RdNr. 90; Timme in Hauck/Noftz, SGB III, § 26 Rn. 47). In diesen Fällen ist also unter "Kindererziehung" die Gesamtheit der aufeinander folgenden und sich überschneidenden dreijährigen Erziehungszeiten zu verstehen."
Als Grundlage des klägerischen Begehrens kommt auch Art. 6 Abs. 4 GG nicht in Betracht. Ob diese Norm Müttern über die Zeit der Schwangerschaft und über die ersten Monate nach der Geburt hinaus überhaupt Schutz gewährt, kann offenbleiben; jedenfalls können aus Art. 6 Abs. 4 GG keine besonderen Rechte für Sachverhalte hergeleitet werden, die nicht allein Mütter betreffen. Da Erziehungszeiten sowohl Müttern als auch in gleichem Umfang Vätern zuerkannt werden, ist der Schutzbereich von Art. 6 Abs. 4 GG nicht tangiert. Im Übrigen folgt aus dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG nicht, dass der Gesetzgeber jede mit der Mutterschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen hat, selbst wenn die hier streitige Regelung sich überwiegend zu Lasten von Müttern auswirkt. Der Gesetzgeber ist zwar zum Ausgleich unmittelbarer Nachteile in der Arbeitslosenversicherung verpflichtet, soweit Mütter im Unterschied zu anderen Arbeitnehmern darin gehindert sind, sich durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung den Zugang zu Versicherungsleistungen selbst zu schaffen oder zu erhalten (BSG, Urteil vom 29.5.2008, a.a.O., juris, Rn. 35). Eine damit vergleichbare Situation ist - so das BSG - nicht gegeben, wenn eine Mutter von der Ausübung einer ihr rechtlich erlaubten versicherungspflichtigen Beschäftigung auf Grund der eigenen Lebensplanung für die Zeit der Kindererziehung absieht, so dass der Gesetzgeber nicht einmal gehalten ist, Vorkehrungen gegen das Erlöschen eines bereits erworbenen Anspruchs auf Arbeitslosengeld während einer Elternzeit zu treffen. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Versicherungspflicht in § 26 Abs. 2a SGB III für jedes Kind auf drei Jahre zu erstrecken, besteht daher nicht.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
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