Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
22
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 22 AS 4109/12
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die nach § 28 Abs. 1, 5 SGB II als Bedarf für Bildung und Teilhabe zu berücksichtigende "schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung" ist nicht auf Nachhilfe im engeren Sinne und für einen kurzfristigen Zeitraum beschränkt. Erfordert - wie bei der Teilleistungsschwäche Legasthenie - die Art der Störung eine besondere Form der Lernförderung, ist diese ebenfalls davon umfasst, und zwar auch dann, wenn sie notwendig längere Zeit in Anspruch nimmt.
2. Die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele erschöpfen sich nicht in der Versetzung in die nächste Klassenstufe. Um die gesetzgeberisch bezweckte Chancengleichheit von Kindern aus gering bemittelten Familien zu fördern, ist vielmehr eine Einzelfallentscheidung zu treffen, die sich an den individuellen Kompetenzen des betreffenden Schülers orientiert.
3. Zur Abgrenzung gegenüber Ansprüchen gegen den Schulträger, nach § 35a Abs. 1 SGB VIII und § 53 Abs. 1 SGB XII.
2. Die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele erschöpfen sich nicht in der Versetzung in die nächste Klassenstufe. Um die gesetzgeberisch bezweckte Chancengleichheit von Kindern aus gering bemittelten Familien zu fördern, ist vielmehr eine Einzelfallentscheidung zu treffen, die sich an den individuellen Kompetenzen des betreffenden Schülers orientiert.
3. Zur Abgrenzung gegenüber Ansprüchen gegen den Schulträger, nach § 35a Abs. 1 SGB VIII und § 53 Abs. 1 SGB XII.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2012 und des Bescheides vom 25. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2013 verurteilt, dem Kläger 1.305,00 EUR für Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II zu zahlen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Der im 2002 geborene, durch seine Mutter vertretene Kläger begehrt von dem Beklagten die Übernahme von Kosten seiner Legasthenie-Therapie im Schuljahr 2012/13 im Rahmen der Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Auf einen ersten, zu Beginn seines 4. Schuljahres 2011/12 gestellten Antrag hatte der Beklagte nach Vorlage eines fachärztlichen Attestes nach testpsychologischer Untersuchung des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie T. (Diagnose: Lese-/Rechtschreibstörung von Krankheitswert bei durchschnittlichen allgemeinen Lern- und Leistungsmöglichkeiten) sowie eines Vertrages mit der Diplom-Lehrerin und Legasthenie-Therapeutin A. L. mit Bescheid vom 14. März 2012 Lernförderung für dieses Schuljahr bewilligt.
Am 27. Juni 2012 stellte der Kläger, vertreten durch seine Mutter, einen Antrag für das folgende 5. Schuljahr. In diesem wechselte er von der Grund- zur Regelschule. Er legte eine Bestätigung der Schule vor, wonach weiterhin ein zusätzlicher individueller Lernförderbedarf im Unterrichtsfach Deutsch wegen Lese-/Rechtschreibschwäche/Legasthenie bestehe. Es sei Einzelunterricht bei Frau L. erforderlich, da keine qualifizierte Fachkraft an der Schule vorhanden sei. Vorgelegt wurde weiter das Abschlusszeugnis der 4. Klasse, aus dem sich im Wesentlichen, insbesondere auch im Fach Deutsch gute, lediglich in Mathematik und Sport befriedigende Leistungen ergaben.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 ab. Bei dem Nachhilfebedarf des Klägers handele es sich nicht um eine die schulischen Angebote ergänzende Lernförderung, ohne die im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II das Erreichen der wesentlichen Lernziele gefährdet wäre.
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Schule habe aus-führlich erläutert, dass die notwendige Lernförderung dort nicht durchgeführt werden könne, sondern eine spezielle Legasthenie-Therapie erforderlich sei. Sie sei auch notwendig, um das Klassenziel zu erreichen, und nicht nur zur Notenverbesserung. Die erzielte Verbesserung der Schulnote in Deutsch habe er durch extreme Fleißarbeit im Bereich mündlicher Zusatzaufgaben erreichen können; der Durchschnitt der Klassenarbeiten entspreche der Note 4. Bei Abbruch der Förderung seien schnell wieder die ursprünglichen Probleme zu erwarten, während die Defizite nach Abschluss des Lernförderprogramms in ca. 1 Jahr langfristig minimiert wären. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2012 zurück. Bei einem Notendurchschnitt von 2,22 auf dem Abschlusszeugnis der 4. Klasse könne von einem Nichterreichen der festgesetzten Lernziele nicht ausgegangen werden. Von daher sei eine Lernförderung nach dem SGB II nicht gerechtfertigt.
Dagegen hat der Kläger am 7. Dezember 2012 Klage erhoben.
Am 24. Januar 2013 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Lernförderung und fügte dem eine Bestätigung der Schule vom 5. Februar 2013 bei, in dem – neben dem früheren Hinweis, dass ein Einzelunterricht bei Frau L. erforderlich sei, da keine qualifizierte Fachkraft an der Schule vorhanden sei – ausdrücklich erklärt wurde: "Förderung in der Schule wenig hilfreich! siehe Anlage! nur eine langfristige, kontinuierliche Therapie bringt Erfolg!". Beigefügt war ein Auszug aus dem Internet-Aufritt des Bundesverbandes für Legasthenie und Dyskalkulie zu den Förderansätzen bei Legasthenie. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 25. März 2013 ab, weil das wesentliche Lernziel auch ohne die beantragte Lernförderung erreicht werden könne und keine Gefährdung des wesentlichen Lernziels vorliege.
Den dagegen entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung erhobenen Widerspruch, in dem ins-besondere vorgetragen wurde, dass ausschließlich die kontinuierlich durchgeführte Therapie zur Behandlung der Teilleistungsschwäche das erreichte Leistungsniveau ermögliche, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2013 zurück. Die Lernförderung diene dazu, vorübergehende Lernschwächen zu beheben, und beziehe sich auf das wesentliche Lernziel, das regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau sei. Bei einem nachgewiesenen Notendurchschnitt von 2,27 auf dem Halbjahreszeugnis der 5. Klasse sei ein ausreichendes Lernniveau erreicht; von einem Nichterreichen festgesetzter Lernziele könne nicht ausgegangen werden.
Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, dass die Therapie auf dringendes Anraten der Therapeutin durchgehend weitergeführt worden sei, weil sonst – bei Unterbrechung – das bislang Erlernte gefährdet würde. Die Leistungen würden schnell abfallen und er wieder resignieren. In der Therapie mache er große Fortschritte. Nach erfolgreichem Abschluss wäre die Teilleistungsschwäche kaum noch erkennbar, was sich auch auf die anderen Fächer auswirke und somit auch auf Dauer Kosten für eine dortige Lernförderung senke. Die gute Note im Fach Deutsch beruhe auf ihm ermöglichten vielen mündlichen Zusatzleistungen, um schwächere schriftliche Leistungen auszugleichen. Zum Beleg hierfür werden Kopien schriftlicher Arbeiten sowie Zensurenübersichten für das Fach Deutsch vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2012 und des Bescheides vom 25. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2013 zu verurteilen, 1.305,00 EUR Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II für den Kläger zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist weiter auf die in den ablehnenden Bescheiden geäußerte Ansicht.
Das Gericht hat Stellungnahmen des Kinder- und Jugendpsychiaters T. (vom 3. Juni 2013) und der Frau A. L. (vom 30. Juni 2013) eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 30 – 32 sowie 36, 37 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Kläger hat auf Aufforderung des Gerichts für das streitige Schuljahr 2012/2013 29 durchgeführte Therapiestunden zum Preis von jeweils 45,00 EUR nachgewiesen.
Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt von Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Übernahme der für die Legasthenie-Therapie im Schuljahr 2012/2013 aufgewandten 1.305,00 EUR. Die entgegenstehenden Ent-scheidungen des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen ihn in seinen Rechten.
Bei dem Anspruch auf Lernförderung im Rahmen des Bedarfs für Bildung und Teilhabe handelt es sich um einen eigenen Streitgegenstand, der isoliert von den sonstigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) geltend gemacht werden kann (vgl. Bundessozialgericht {BSG} Urteil vom 10. September 2013, Az.: B 4 AS 12/13 R). Der Kläger ist angesichts seines Alters selbst nicht prozessfähig, § 71 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er wird in den Verfahren jedoch ordnungsgemäß durch seine allein sorgeberechtigte Mutter, Frau A. M., vertreten, § 1629 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Gegenstand des Rechtsstreites sind der Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2012 sowie der Bescheid vom 25. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2013. Bei der zuletzt genannten Entscheidung handelt es sich um einen so genannten Zweitbescheid, weil der Beklagte über den gleichen Streitgegenstand, nämlich das zweite Halbjahr des Schuljahres 2012/13, bereits mit dem Ausgangsbescheid entschieden hatte, jedoch auf den weiteren Antrag in eine neue Sachprüfung eingetreten ist und ihn auf deren Grundlage abgelehnt hat (vgl. Engelmann in: von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 7. Auflage 2010, § 31 Rn. 31). Im Umfang der zeitlichen Überschneidung ersetzt der Zweitbescheid die Ausgangsverfügung und ist deshalb nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden.
Eine Beiladung des Landkreises N. nach § 75 Abs. 2, 5 SGG war nicht notwendig. Als Ju-gendhilfeträger war der Landkreis bereits dem Grunde nach nicht beizuladen, weil er weder Versicherungsträger noch Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch Träger der Sozialhilfe ist. Auch seine Beiladung als Sozialhilfeträger war nicht notwendig, weil ein Anspruch des Klägers nach § 53 ff. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) nicht in Betracht kommt (vgl. dazu sodann).
In der Sache steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten zu.
Zur Überzeugung der Kammer – und auch durch den Beklagten nicht bestritten – steht fest, dass der Kläger wegen einer Lese- und Rechtschreibstörung von Krankheitswert einer besonderen, spezialisierten Therapie bedarf. Das ergibt sich zum einen aus dem Attest des Kinder- und Jugendpsychiaters T. vom 8. November 2010 sowie dessen Stellungnahme für das erkennende Gericht vom 3. Juni 2013, der diese Diagnose aufgrund einer Untersuchung und Behandlung zwischen dem 17. August und 26. Oktober 2010 gestellt hat. Eine weitgehende Kompensation könne bei Anwendung eines speziellen Therapiekonzepts wissenschaftlich nachweisbar gelingen. Auch ohne den Kläger sei Ende 2010 erneut gesehen zu haben, könne er einschätzen, dass nach dem 31.07.2012 (nach ca. 40 Sitzungen) "sicher" von der Notwendigkeit einer weiteren Behandlung der Legasthenie auszugehen sei; die Behandlungsdauer variiere regelmäßig zwischen 60 und 180 Stunden. Die Therapeutin L. hat aufgrund der im Rahmen der Therapie durchgeführten Tests dargestellt, dass die Ergebnisse des Klägers bezüglich der Lesezeit als auch der Lesegenauigkeit im unterdurchschnittlichen bzw. weit unterdurchschnittlichen Bereich gelegen haben. Im Schreiben sei das Ergebnis ebenfalls unterdurchschnittlich gewesen. Bei einer ersten Erfolgskontrolle im Januar 2013 nach 54 Behandlungsstunden lagen die Ergebnisse beim Lesen weiterhin im unterdurchschnittlichen Bereich. Das Schreiben gelang in den trainierten Bereichen im Durchschnittsbereich. Bei einem Abbruch im Juli 2012 wäre der bis dahin erreichte Lernstand ihrer Einschätzung nach nicht gesichert gewesen. Der Kläger wäre in seine alten Strategien zurückgefallen, was die vorangegangene Maßnahme zunichte gemacht hätte. Im Hinblick auf die Schulzeit insgesamt sei eine abgeschlossene Therapiebehandlung nach dem angewandten Konzept bei entsprechender Mitarbeit des Kindes hingegen stets erfolgreich und eröffnet dem Kind die Chance, einen Schulabschluss entsprechend seiner Begabung zu erreichen. Nachweislich helfen bei einer Legasthenie weder Nachhilfe noch fleißiges häusliches Üben. Regelmäßig seien bei Kindern mit gleicher bzw. ähnlicher Ausgangslage wie hier dem Kläger ca. 40 Behandlungsstunden für den Phonem-Stufenaufbau zur Sicherung der lautgetreuen Schreibung und des Methodentrainings sowie ca. 60 Behandlungsstunden zur Einführung des morphematischen Prinzips, der Großschreibung Phase II sowie der Ableitungsstrategien erforderlich. Im Zeitpunkt der Stellungnahme im Juni 2013 hielt die Therapeutin nach bis dahin durchgeführten 70 Behandlungsstunden ca. weitere 70 Therapieeinheiten für notwendig und legte den diesbezüglichen Therapieplan ab Juli 2013 dar. Eine Weiterführung der Behandlung im Regelbereich sei zwingend notwendig.
Für die Kammer steht nach alledem fest, dass für den Ausgleich der Teilleistungsschwäche eine spezielle Legasthenie-Therapie auch im streitigen Schuljahr erforderlich war.
Streitig zwischen den Beteiligten ist insbesondere, ob gerade der Beklagte hierfür die Kosten im Rahmen der Leistungen für Bildung und Teilhabe – des sogenannten "Bildungspakets" – zu übernehmen hat. Grundsätzlich besteht zwar ein Vorrang der Zuständigkeit der Länder für das Schul- und Bil-dungswesen. Darauf kann sich der Beklagte im Rahmen des Grundsicherungsrechts jedoch nicht berufen. Insbesondere betrifft die Zuständigkeit der Länder den "personellen und sachlichen Aufwand für die Institution Schule und nicht den individuellen Bedarf eine hilfebedürftigen Schülers. Der Bundesgesetzgeber könnte erst dann von der Gewährung entsprechender Leistungen absehen, wenn sie durch landesrechtliche Ansprüche substituiert und hilfebedürftigen Kindern gewährt würden. Solange und soweit dies jedoch nicht der Fall ist, hat der Bundesgesetzgeber, der mit dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ein Leistungssystem schaffen wollte, welches das Existenzminimum vollständig gewährleistet, dafür Sorge zu tragen, dass mit dem Sozialgeld dieser zusätzliche Bedarf eines Schulkindes hinreichend abgedeckt ist." (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010, Az.: 1 BvL 1/09 u. a., Rz.: 197). Dass eine spezialisierte Legasthenie-Förderung an der Schule des Klägers nicht möglich ist, hat diese mehrfach bestätigt.
Ebenso wenig kommen – grundsätzlich gemäß § 10 Abs. 3 des Achten Buches Sozialgesetz-buch (SGB VIII) vorrangige – Eingliederungsleistungen nach § 35a Abs. 1 SGB VIII in Betracht. Danach haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn 1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und 2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Be-einträchtigung zu erwarten ist. Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung begründet die Legasthenie als bloße Teilleistungsschwäche ohne eine hinzutretende seelische Störung als Sekundärfolge jedoch keinen derartigen Anspruch (vgl. etwa Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 2013, Az.: 12 B 13.129; Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 20. August 2009, Az.: 1 B 432/09; Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Rheinland-Pfalz vom 26. März 2007, Az.: 7 E 10 212/07; Beschluss des Verwaltungsgerichtes Cottbus vom 3. Dezember 2012, Az.: 3 L 254/13, sowie Urteil des Verwaltungsgerichtes Ansbach vom 26. September 2013, Az.: AN 6 K 13.00444). Eine solche Sekundärstörung ist bei dem Kläger erfreulicherweise nicht eingetreten.
Erst recht liegen die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 SGB XII für Eingliederungshilfe für behinderte Menschen im Rahmen der Sozialhilfe nicht vor, weil dort vorausgesetzt wird, dass eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch den Betroffenen "wesentlich" in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, einschränkt oder damit bedroht. Zwar handelt es sich bei der Legasthenie um eine Beeinträchtigung, die nach Teil B Ziffer 3.4.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes – Versorgungsmedizinverordnung) je nach Ausprägung einen Grad der Behinderung im Sinne des Schwerbehindertenrechts bedingen kann. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Teilhabefähigkeiten liegt bei dem Kläger jedoch offensichtlich nicht vor.
Zur Überzeugung der Kammer besteht jedoch der Anspruch gegen den Beklagten nach § 19 Abs. 2 i. V. m. § 28 Abs. 5 SGB II. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB II haben Leistungsberechtigte, zu denen der Kläger angesichts des Bezuges von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II unstreitig zählt, unter den Voraussetzungen des § 28 Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches haben, was bei dem Kläger offensichtlich nicht der Fall ist.
Nach § 28 Abs. 5 SGB II wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote er-gänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentliche Lernziele zu erreichen. Nach dem oben Ausgeführten ist die Legasthenie-Therapie jedenfalls geeignet und auch zusätzlich erforderlich, um die bei dem Kläger bestehende Teilleistungsstörung auszugleichen. Streitig ist inzwischen den Beteiligten das Merkmal, "um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen". Nach Ansicht der Kammer ist dieses jedoch ebenfalls erfüllt. Wesentliches Lernziel ist dabei entgegen der Ansicht des Beklagten nicht ausschließlich die Frage der Versetzung. Insoweit ist auch die Gesetzesbegründung zur Einführung der fraglichen Vorschrift mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (BT-Drs. 17/3404, Seite 105) in sich widersprüchlich, wenn einerseits erklärt wird, das wesentliche Lernziel sei regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau, andererseits jedoch ausdrücklich auf die schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes verwiesen wird. Ausschließlich der Verweis auf schulrechtliche Bestimmungen hat dann auch Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden. Nur darauf ist deshalb abzustellen.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 des Thüringer Schulgesetzes bilden die Lehrpläne und Stundentafeln die Grundlage für Unterricht und Erziehung. Der Lehrplan für den Erwerb des Hauptschul- und des Realschulabschlusses des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur für das Fach Deutsch führt insoweit aus, dass diesem Fach eine grundlegende Bedeutung im Rahmen der Kompetenzentwicklung der Schüler bis zum Erwerb des Haupt- bzw. des Realschulabschlusses zukommt. Sie sollen dazu befähigt werden, sich in einer vorwiegend medial vermittelten Umwelt zu orientieren. Die Lernenden sollen Kompetenzen in den Lernbereichen "Texte rezipieren", "Texte produzieren" und "Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren" erwerben. Der Fokus liegt auf den Sprachtätigkeiten, die über das Sprachenlernen hinaus auch die Grundlage für das fachliche Arbeiten in allen anderen Unterrichtsfächern bilden. Dies umfasst vor allem eine solide schriftliche und mündliche Kommunikations- und Darstellungsfähigkeit, die den unterschiedlichen gesellschaftlichen Erfordernissen, insbesondere den sich ständig verändernden Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt, gerecht werden muss. Der Deutschunterricht wird über die Grenzen des Faches und der Schule hinaus wirksam und ist wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, für den zwischenmenschlichen Umgang, für Selbstständigkeit sowie Verantwortungs- und Kooperationsbereitschaft. Zu den zu erwerbenden Kompetenzen gehört nach Ziffer 1.2.1.2 das Leseverstehen, das eine Verstehenskompetenz ist, die eine wesentliche Grundlage für weiterführende Lernprozesse bildet. Ziel ist es, den Schüler zu befähigen, lineare und nichtlineare Texte in ihren Intentionen, ihren Aussagen und ihrer Struktur zu verstehen, sie in einen größeren Zusammenhang einzuordnen und entsprechend dem Leseanlass und der Leseabsicht zu nutzen. Zur Sachkompetenz im Bereich Texte produzieren/schreiben (Ziffer 1.2.2.2) gehört es u. a., sprachliche Strukturen funktional und normgerecht einzusetzen. Der Kompetenzerwerb in den Klassenstufen 5/6 (Ziffer 2.1) geht davon aus, dass ein Schüler am Ende der 4. Klassenstufe u. a. altersgemäße nichtliterarische und literarische Texte sinnverstehend lesen sowie Texte erschließen, und dabei z. B. Informationen finden und mit Textstellen belegen, verschiedene Methoden der Texterschließung nutzen, konzentriert und genau lesen kann (Ziffer 2.1.1.2). Eben das war dem Kläger nach der durch Frau L. durchgeführten Erfolgskontrolle noch im Januar 2013 nur in unterdurchschnittlichem Maße möglich, obwohl seine allgemeine geistige Leistungsfähigkeit im durchschnittlichen Bereich liegt. Im Bereich der Produktion von Texten durch Schreiben (Ziffer2.1.2.2) sollen Schüler am Ende der Klassenstufe 4 Texte planen, schreiben, gestalten und selbstständig überarbeiten, d. h. u. a. sicher mit Schrift umgehen (z. B. abschreiben, hervorheben, korrigieren), den Klassen- und Schreibwortschatz sowie ihren individuellen Wortschatz nutzen und Rechtschreibregeln und -strategien anwenden können. Auch das war dem Kläger ausweislich der durch Frau L. durchgeführten Tests noch am Ende des 1. Halbjahres der 5. Klasse nicht in einem seinem durchschnittlichen allgemeinen Leistungsvermögen entsprechenden Maße möglich. Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben des Lehrplanes gehen die nach den schulrechtlichen Best-immungen festgelegten wesentlichen Lernziele über das bloße Erreichen der Versetzung hinaus; das bloße Abstellen darauf wird den Maßgaben der schulrechtlichen Bestimmungen nicht gerecht (vgl. ebenso SG Darmstadt, Urteil vom 16. Dezember 2013, Az.: S 1 AS 467/12), zumal in Thüringen nach § 51 Abs. 1 der Thüringer Schulordnung ein Schüler der Klassenstufe 5 ohne Versetzungsentscheidung in die nächst höhere Klassenstufe aufrückt.
Zur Überzeugung der Kammer ist vielmehr eine Einzelfallentscheidung zu treffen, die sich jeweils an den individuellen Kompetenzen des betreffenden Schülers orientiert. Dies ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Damit sollten ausweislich des Allgemeinen Teils der Begründung (vgl. BT-Drs. 17/3404 S. 42 f.) die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zur verfassungskonformen Ermittlung der Regelbedarfe nach dem SGB II und dem SGB XII umgesetzt werden. Weiter wird dort ausgeführt: "In Bildung und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für Kinder und Jugendliche liegt eine Schlüsselfunktion für die Herstellung von Chancengleichheit. Aus dem Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich die Verpflichtung, Kinder und Jugendliche in einer Art und Weise zu befähigen, dass sie später aus eigenen Kräften und damit unabhängig von staatlichen Fürsorgeleistungen leben können. Voraussetzung hierfür sind Fähigkeiten, die nur durch eine angemessene materielle Ausstattung für Bildung erworben werden können. So darf eine ungünstige materielle häusliche Ausgangsbasis für Kinder und Jugendliche kein Hinderungsgrund sein, am Leben Gleichaltriger teilzuhaben. Der Gesetzgeber beabsichtigt mit der Ausgestaltung der neuen Leistungen für Bildung und Teilhabe ein gleichberechtigtes Maß an Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für Kinder und Jugendliche aus besonders förderungsbedürftigen Haushalten genauso zu gewährleisten wie auch die gleichartige Ermöglichung des Zugangs zur Bildung im schulischen und außerschulischen Bereich.".
Legt man diese Ausführungen zugrunde und kann selbstverständlich davon ausgehen, dass dem Gesetzgeber die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen von Eingliederungsleistungen nach § 35a Abs. 1 SGB VIII bekannt waren, ist zur Überzeugung der Kammer unumgänglich, die Kosten der Therapie bei Legasthenie als solche im Rahmen des Bildungspaketes anzusehen. Es kann nicht unterstellt werden, dass der Gesetzgeber gera-de die Schüler, die von einer medizinisch begründeten Teilleistungsschwäche betroffen sind, im Gegensatz zu solchen, die z. B. nach akuter Krankheit mit länger andauerndem Unterrichtsausfall oder sozialen Schwierigkeiten, die zu schulischen Problemen geführt haben, von Leistungen gänzlich ausschließen wollte. Dem entspräche es faktisch jedoch, wenn eine Legasthenie-Therapie, weil sie regelmäßig und notwendig mehr als kurzzeitig erbracht werden muss und außerdem nicht zwangsläufig mit einer Versetzungsgefährdung einhergeht, von den Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II ausgenommen würde. Chancengleichheit kann ausschließlich durch die Ermöglichung des Ausgleichs der Teilleistungsstörung hergestellt werden. Was alle Eltern, denen die Entwicklung ihres Kindes nicht gleichgültig ist, tun würden, darf nach den zitierten grundsätzlichen Zielen der gesetzlichen Regelung nicht an fehlender finanzieller Leistungsfähigkeit von Grundsicherungsleistungen beziehenden Eltern scheitern.
Im Einzelfall des Klägers bedeutet dies, dass seine durchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten und seine bestehende Leistungsmotivation zu berücksichtigen sind. Er soll durch die Therapie insbesondere nicht befähigt werden, eine seinem Leistungsvermögen tatsächlich nicht entsprechende Schulform zu besuchen. Vielmehr wird ihm durch die Legasthenie-Therapie der Ausgleich der Teilleistungsschwäche in Deutsch ermöglicht, was sich wiederum auf die Leistungen auch in sämtlichen anderen Fächern maßgeblich auswirkt. Insbesondere steigen mit zunehmendem Schulalter auch die Anforderungen in anderen Fächern an die Textkompetenz. Bei einem Abbruch der Therapie mit der durch die Therapeutin dargelegten Gefahr des Rückfalls in alte Strukturen, weil der erreichte Stand noch nicht gesichert war, wären negative Auswirkungen nicht nur auf das Fach Deutsch, sondern auch auf das Gesamtniveau seiner schulischen Leistungen zu befürchten gewesen, die dann unter das intellektuell und motivational erreichbare Niveau zurückgefallen wären. Im Ergebnis hätte der Kläger seine individuellen Fähigkeiten ausschließlich deshalb nicht nutzen können, weil seine Mutter Grundsicherungsleistungen bezieht. Damit läge ein eklatanter Verstoß gegen die vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünschte Chancengleichheit vor.
Dass die Legasthenie-Therapie mehr als kurzzeitig zu erbringen ist, liegt in der Natur der Störung begründet und kann deshalb einen grundsätzlichen Ausschluss von der Förderungsfähigkeit nicht begründen. Nach der Gesetzesbegründung (a. a. O. Seite 105) soll die Lernförderung zwar "in der Regel" nur kurzzeitig notwendig sein, um vorübergehende Lern-schwächen zu beheben. Bei der Legasthenie handelt es sich aber um keinen solchen Regelfall, so dass die Grundsätze auch nicht eingreifen können. Zudem ergibt sich auch aus dem Gesetzeswortlaut selbst keine zeitliche Einschränkung (ebenso Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 26. März 2014, Az. L 6 AS 31/14 B ER; SG Marburg, Beschluss vom 1. November 2012, Az.: S 5 AS 213/12 ER).
Bezüglich der Angemessenheit der Kosten für die einzelne Unterrichtsstunde in Höhe von 45,00 EUR besteht zwischen den Beteiligten kein Streit; auch die Kammer hat keinen Anlass, daran zu zweifeln.
Nachgewiesen sind durch die Mutter des Klägers 29 im Schuljahr 2012/13 durchgeführte Therapiestunden, aus denen sich der ausgeurteilte Betrag von 1.305,00 EUR ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Der im 2002 geborene, durch seine Mutter vertretene Kläger begehrt von dem Beklagten die Übernahme von Kosten seiner Legasthenie-Therapie im Schuljahr 2012/13 im Rahmen der Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Auf einen ersten, zu Beginn seines 4. Schuljahres 2011/12 gestellten Antrag hatte der Beklagte nach Vorlage eines fachärztlichen Attestes nach testpsychologischer Untersuchung des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie T. (Diagnose: Lese-/Rechtschreibstörung von Krankheitswert bei durchschnittlichen allgemeinen Lern- und Leistungsmöglichkeiten) sowie eines Vertrages mit der Diplom-Lehrerin und Legasthenie-Therapeutin A. L. mit Bescheid vom 14. März 2012 Lernförderung für dieses Schuljahr bewilligt.
Am 27. Juni 2012 stellte der Kläger, vertreten durch seine Mutter, einen Antrag für das folgende 5. Schuljahr. In diesem wechselte er von der Grund- zur Regelschule. Er legte eine Bestätigung der Schule vor, wonach weiterhin ein zusätzlicher individueller Lernförderbedarf im Unterrichtsfach Deutsch wegen Lese-/Rechtschreibschwäche/Legasthenie bestehe. Es sei Einzelunterricht bei Frau L. erforderlich, da keine qualifizierte Fachkraft an der Schule vorhanden sei. Vorgelegt wurde weiter das Abschlusszeugnis der 4. Klasse, aus dem sich im Wesentlichen, insbesondere auch im Fach Deutsch gute, lediglich in Mathematik und Sport befriedigende Leistungen ergaben.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 ab. Bei dem Nachhilfebedarf des Klägers handele es sich nicht um eine die schulischen Angebote ergänzende Lernförderung, ohne die im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II das Erreichen der wesentlichen Lernziele gefährdet wäre.
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Schule habe aus-führlich erläutert, dass die notwendige Lernförderung dort nicht durchgeführt werden könne, sondern eine spezielle Legasthenie-Therapie erforderlich sei. Sie sei auch notwendig, um das Klassenziel zu erreichen, und nicht nur zur Notenverbesserung. Die erzielte Verbesserung der Schulnote in Deutsch habe er durch extreme Fleißarbeit im Bereich mündlicher Zusatzaufgaben erreichen können; der Durchschnitt der Klassenarbeiten entspreche der Note 4. Bei Abbruch der Förderung seien schnell wieder die ursprünglichen Probleme zu erwarten, während die Defizite nach Abschluss des Lernförderprogramms in ca. 1 Jahr langfristig minimiert wären. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2012 zurück. Bei einem Notendurchschnitt von 2,22 auf dem Abschlusszeugnis der 4. Klasse könne von einem Nichterreichen der festgesetzten Lernziele nicht ausgegangen werden. Von daher sei eine Lernförderung nach dem SGB II nicht gerechtfertigt.
Dagegen hat der Kläger am 7. Dezember 2012 Klage erhoben.
Am 24. Januar 2013 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Lernförderung und fügte dem eine Bestätigung der Schule vom 5. Februar 2013 bei, in dem – neben dem früheren Hinweis, dass ein Einzelunterricht bei Frau L. erforderlich sei, da keine qualifizierte Fachkraft an der Schule vorhanden sei – ausdrücklich erklärt wurde: "Förderung in der Schule wenig hilfreich! siehe Anlage! nur eine langfristige, kontinuierliche Therapie bringt Erfolg!". Beigefügt war ein Auszug aus dem Internet-Aufritt des Bundesverbandes für Legasthenie und Dyskalkulie zu den Förderansätzen bei Legasthenie. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 25. März 2013 ab, weil das wesentliche Lernziel auch ohne die beantragte Lernförderung erreicht werden könne und keine Gefährdung des wesentlichen Lernziels vorliege.
Den dagegen entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung erhobenen Widerspruch, in dem ins-besondere vorgetragen wurde, dass ausschließlich die kontinuierlich durchgeführte Therapie zur Behandlung der Teilleistungsschwäche das erreichte Leistungsniveau ermögliche, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2013 zurück. Die Lernförderung diene dazu, vorübergehende Lernschwächen zu beheben, und beziehe sich auf das wesentliche Lernziel, das regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau sei. Bei einem nachgewiesenen Notendurchschnitt von 2,27 auf dem Halbjahreszeugnis der 5. Klasse sei ein ausreichendes Lernniveau erreicht; von einem Nichterreichen festgesetzter Lernziele könne nicht ausgegangen werden.
Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, dass die Therapie auf dringendes Anraten der Therapeutin durchgehend weitergeführt worden sei, weil sonst – bei Unterbrechung – das bislang Erlernte gefährdet würde. Die Leistungen würden schnell abfallen und er wieder resignieren. In der Therapie mache er große Fortschritte. Nach erfolgreichem Abschluss wäre die Teilleistungsschwäche kaum noch erkennbar, was sich auch auf die anderen Fächer auswirke und somit auch auf Dauer Kosten für eine dortige Lernförderung senke. Die gute Note im Fach Deutsch beruhe auf ihm ermöglichten vielen mündlichen Zusatzleistungen, um schwächere schriftliche Leistungen auszugleichen. Zum Beleg hierfür werden Kopien schriftlicher Arbeiten sowie Zensurenübersichten für das Fach Deutsch vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2012 und des Bescheides vom 25. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2013 zu verurteilen, 1.305,00 EUR Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II für den Kläger zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist weiter auf die in den ablehnenden Bescheiden geäußerte Ansicht.
Das Gericht hat Stellungnahmen des Kinder- und Jugendpsychiaters T. (vom 3. Juni 2013) und der Frau A. L. (vom 30. Juni 2013) eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 30 – 32 sowie 36, 37 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Kläger hat auf Aufforderung des Gerichts für das streitige Schuljahr 2012/2013 29 durchgeführte Therapiestunden zum Preis von jeweils 45,00 EUR nachgewiesen.
Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt von Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Übernahme der für die Legasthenie-Therapie im Schuljahr 2012/2013 aufgewandten 1.305,00 EUR. Die entgegenstehenden Ent-scheidungen des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen ihn in seinen Rechten.
Bei dem Anspruch auf Lernförderung im Rahmen des Bedarfs für Bildung und Teilhabe handelt es sich um einen eigenen Streitgegenstand, der isoliert von den sonstigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) geltend gemacht werden kann (vgl. Bundessozialgericht {BSG} Urteil vom 10. September 2013, Az.: B 4 AS 12/13 R). Der Kläger ist angesichts seines Alters selbst nicht prozessfähig, § 71 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er wird in den Verfahren jedoch ordnungsgemäß durch seine allein sorgeberechtigte Mutter, Frau A. M., vertreten, § 1629 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Gegenstand des Rechtsstreites sind der Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2012 sowie der Bescheid vom 25. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2013. Bei der zuletzt genannten Entscheidung handelt es sich um einen so genannten Zweitbescheid, weil der Beklagte über den gleichen Streitgegenstand, nämlich das zweite Halbjahr des Schuljahres 2012/13, bereits mit dem Ausgangsbescheid entschieden hatte, jedoch auf den weiteren Antrag in eine neue Sachprüfung eingetreten ist und ihn auf deren Grundlage abgelehnt hat (vgl. Engelmann in: von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 7. Auflage 2010, § 31 Rn. 31). Im Umfang der zeitlichen Überschneidung ersetzt der Zweitbescheid die Ausgangsverfügung und ist deshalb nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden.
Eine Beiladung des Landkreises N. nach § 75 Abs. 2, 5 SGG war nicht notwendig. Als Ju-gendhilfeträger war der Landkreis bereits dem Grunde nach nicht beizuladen, weil er weder Versicherungsträger noch Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch Träger der Sozialhilfe ist. Auch seine Beiladung als Sozialhilfeträger war nicht notwendig, weil ein Anspruch des Klägers nach § 53 ff. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) nicht in Betracht kommt (vgl. dazu sodann).
In der Sache steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten zu.
Zur Überzeugung der Kammer – und auch durch den Beklagten nicht bestritten – steht fest, dass der Kläger wegen einer Lese- und Rechtschreibstörung von Krankheitswert einer besonderen, spezialisierten Therapie bedarf. Das ergibt sich zum einen aus dem Attest des Kinder- und Jugendpsychiaters T. vom 8. November 2010 sowie dessen Stellungnahme für das erkennende Gericht vom 3. Juni 2013, der diese Diagnose aufgrund einer Untersuchung und Behandlung zwischen dem 17. August und 26. Oktober 2010 gestellt hat. Eine weitgehende Kompensation könne bei Anwendung eines speziellen Therapiekonzepts wissenschaftlich nachweisbar gelingen. Auch ohne den Kläger sei Ende 2010 erneut gesehen zu haben, könne er einschätzen, dass nach dem 31.07.2012 (nach ca. 40 Sitzungen) "sicher" von der Notwendigkeit einer weiteren Behandlung der Legasthenie auszugehen sei; die Behandlungsdauer variiere regelmäßig zwischen 60 und 180 Stunden. Die Therapeutin L. hat aufgrund der im Rahmen der Therapie durchgeführten Tests dargestellt, dass die Ergebnisse des Klägers bezüglich der Lesezeit als auch der Lesegenauigkeit im unterdurchschnittlichen bzw. weit unterdurchschnittlichen Bereich gelegen haben. Im Schreiben sei das Ergebnis ebenfalls unterdurchschnittlich gewesen. Bei einer ersten Erfolgskontrolle im Januar 2013 nach 54 Behandlungsstunden lagen die Ergebnisse beim Lesen weiterhin im unterdurchschnittlichen Bereich. Das Schreiben gelang in den trainierten Bereichen im Durchschnittsbereich. Bei einem Abbruch im Juli 2012 wäre der bis dahin erreichte Lernstand ihrer Einschätzung nach nicht gesichert gewesen. Der Kläger wäre in seine alten Strategien zurückgefallen, was die vorangegangene Maßnahme zunichte gemacht hätte. Im Hinblick auf die Schulzeit insgesamt sei eine abgeschlossene Therapiebehandlung nach dem angewandten Konzept bei entsprechender Mitarbeit des Kindes hingegen stets erfolgreich und eröffnet dem Kind die Chance, einen Schulabschluss entsprechend seiner Begabung zu erreichen. Nachweislich helfen bei einer Legasthenie weder Nachhilfe noch fleißiges häusliches Üben. Regelmäßig seien bei Kindern mit gleicher bzw. ähnlicher Ausgangslage wie hier dem Kläger ca. 40 Behandlungsstunden für den Phonem-Stufenaufbau zur Sicherung der lautgetreuen Schreibung und des Methodentrainings sowie ca. 60 Behandlungsstunden zur Einführung des morphematischen Prinzips, der Großschreibung Phase II sowie der Ableitungsstrategien erforderlich. Im Zeitpunkt der Stellungnahme im Juni 2013 hielt die Therapeutin nach bis dahin durchgeführten 70 Behandlungsstunden ca. weitere 70 Therapieeinheiten für notwendig und legte den diesbezüglichen Therapieplan ab Juli 2013 dar. Eine Weiterführung der Behandlung im Regelbereich sei zwingend notwendig.
Für die Kammer steht nach alledem fest, dass für den Ausgleich der Teilleistungsschwäche eine spezielle Legasthenie-Therapie auch im streitigen Schuljahr erforderlich war.
Streitig zwischen den Beteiligten ist insbesondere, ob gerade der Beklagte hierfür die Kosten im Rahmen der Leistungen für Bildung und Teilhabe – des sogenannten "Bildungspakets" – zu übernehmen hat. Grundsätzlich besteht zwar ein Vorrang der Zuständigkeit der Länder für das Schul- und Bil-dungswesen. Darauf kann sich der Beklagte im Rahmen des Grundsicherungsrechts jedoch nicht berufen. Insbesondere betrifft die Zuständigkeit der Länder den "personellen und sachlichen Aufwand für die Institution Schule und nicht den individuellen Bedarf eine hilfebedürftigen Schülers. Der Bundesgesetzgeber könnte erst dann von der Gewährung entsprechender Leistungen absehen, wenn sie durch landesrechtliche Ansprüche substituiert und hilfebedürftigen Kindern gewährt würden. Solange und soweit dies jedoch nicht der Fall ist, hat der Bundesgesetzgeber, der mit dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ein Leistungssystem schaffen wollte, welches das Existenzminimum vollständig gewährleistet, dafür Sorge zu tragen, dass mit dem Sozialgeld dieser zusätzliche Bedarf eines Schulkindes hinreichend abgedeckt ist." (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010, Az.: 1 BvL 1/09 u. a., Rz.: 197). Dass eine spezialisierte Legasthenie-Förderung an der Schule des Klägers nicht möglich ist, hat diese mehrfach bestätigt.
Ebenso wenig kommen – grundsätzlich gemäß § 10 Abs. 3 des Achten Buches Sozialgesetz-buch (SGB VIII) vorrangige – Eingliederungsleistungen nach § 35a Abs. 1 SGB VIII in Betracht. Danach haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn 1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und 2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Be-einträchtigung zu erwarten ist. Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung begründet die Legasthenie als bloße Teilleistungsschwäche ohne eine hinzutretende seelische Störung als Sekundärfolge jedoch keinen derartigen Anspruch (vgl. etwa Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 2013, Az.: 12 B 13.129; Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 20. August 2009, Az.: 1 B 432/09; Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Rheinland-Pfalz vom 26. März 2007, Az.: 7 E 10 212/07; Beschluss des Verwaltungsgerichtes Cottbus vom 3. Dezember 2012, Az.: 3 L 254/13, sowie Urteil des Verwaltungsgerichtes Ansbach vom 26. September 2013, Az.: AN 6 K 13.00444). Eine solche Sekundärstörung ist bei dem Kläger erfreulicherweise nicht eingetreten.
Erst recht liegen die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 SGB XII für Eingliederungshilfe für behinderte Menschen im Rahmen der Sozialhilfe nicht vor, weil dort vorausgesetzt wird, dass eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch den Betroffenen "wesentlich" in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, einschränkt oder damit bedroht. Zwar handelt es sich bei der Legasthenie um eine Beeinträchtigung, die nach Teil B Ziffer 3.4.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes – Versorgungsmedizinverordnung) je nach Ausprägung einen Grad der Behinderung im Sinne des Schwerbehindertenrechts bedingen kann. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Teilhabefähigkeiten liegt bei dem Kläger jedoch offensichtlich nicht vor.
Zur Überzeugung der Kammer besteht jedoch der Anspruch gegen den Beklagten nach § 19 Abs. 2 i. V. m. § 28 Abs. 5 SGB II. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB II haben Leistungsberechtigte, zu denen der Kläger angesichts des Bezuges von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II unstreitig zählt, unter den Voraussetzungen des § 28 Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches haben, was bei dem Kläger offensichtlich nicht der Fall ist.
Nach § 28 Abs. 5 SGB II wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote er-gänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentliche Lernziele zu erreichen. Nach dem oben Ausgeführten ist die Legasthenie-Therapie jedenfalls geeignet und auch zusätzlich erforderlich, um die bei dem Kläger bestehende Teilleistungsstörung auszugleichen. Streitig ist inzwischen den Beteiligten das Merkmal, "um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen". Nach Ansicht der Kammer ist dieses jedoch ebenfalls erfüllt. Wesentliches Lernziel ist dabei entgegen der Ansicht des Beklagten nicht ausschließlich die Frage der Versetzung. Insoweit ist auch die Gesetzesbegründung zur Einführung der fraglichen Vorschrift mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (BT-Drs. 17/3404, Seite 105) in sich widersprüchlich, wenn einerseits erklärt wird, das wesentliche Lernziel sei regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau, andererseits jedoch ausdrücklich auf die schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes verwiesen wird. Ausschließlich der Verweis auf schulrechtliche Bestimmungen hat dann auch Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden. Nur darauf ist deshalb abzustellen.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 des Thüringer Schulgesetzes bilden die Lehrpläne und Stundentafeln die Grundlage für Unterricht und Erziehung. Der Lehrplan für den Erwerb des Hauptschul- und des Realschulabschlusses des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur für das Fach Deutsch führt insoweit aus, dass diesem Fach eine grundlegende Bedeutung im Rahmen der Kompetenzentwicklung der Schüler bis zum Erwerb des Haupt- bzw. des Realschulabschlusses zukommt. Sie sollen dazu befähigt werden, sich in einer vorwiegend medial vermittelten Umwelt zu orientieren. Die Lernenden sollen Kompetenzen in den Lernbereichen "Texte rezipieren", "Texte produzieren" und "Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren" erwerben. Der Fokus liegt auf den Sprachtätigkeiten, die über das Sprachenlernen hinaus auch die Grundlage für das fachliche Arbeiten in allen anderen Unterrichtsfächern bilden. Dies umfasst vor allem eine solide schriftliche und mündliche Kommunikations- und Darstellungsfähigkeit, die den unterschiedlichen gesellschaftlichen Erfordernissen, insbesondere den sich ständig verändernden Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt, gerecht werden muss. Der Deutschunterricht wird über die Grenzen des Faches und der Schule hinaus wirksam und ist wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, für den zwischenmenschlichen Umgang, für Selbstständigkeit sowie Verantwortungs- und Kooperationsbereitschaft. Zu den zu erwerbenden Kompetenzen gehört nach Ziffer 1.2.1.2 das Leseverstehen, das eine Verstehenskompetenz ist, die eine wesentliche Grundlage für weiterführende Lernprozesse bildet. Ziel ist es, den Schüler zu befähigen, lineare und nichtlineare Texte in ihren Intentionen, ihren Aussagen und ihrer Struktur zu verstehen, sie in einen größeren Zusammenhang einzuordnen und entsprechend dem Leseanlass und der Leseabsicht zu nutzen. Zur Sachkompetenz im Bereich Texte produzieren/schreiben (Ziffer 1.2.2.2) gehört es u. a., sprachliche Strukturen funktional und normgerecht einzusetzen. Der Kompetenzerwerb in den Klassenstufen 5/6 (Ziffer 2.1) geht davon aus, dass ein Schüler am Ende der 4. Klassenstufe u. a. altersgemäße nichtliterarische und literarische Texte sinnverstehend lesen sowie Texte erschließen, und dabei z. B. Informationen finden und mit Textstellen belegen, verschiedene Methoden der Texterschließung nutzen, konzentriert und genau lesen kann (Ziffer 2.1.1.2). Eben das war dem Kläger nach der durch Frau L. durchgeführten Erfolgskontrolle noch im Januar 2013 nur in unterdurchschnittlichem Maße möglich, obwohl seine allgemeine geistige Leistungsfähigkeit im durchschnittlichen Bereich liegt. Im Bereich der Produktion von Texten durch Schreiben (Ziffer2.1.2.2) sollen Schüler am Ende der Klassenstufe 4 Texte planen, schreiben, gestalten und selbstständig überarbeiten, d. h. u. a. sicher mit Schrift umgehen (z. B. abschreiben, hervorheben, korrigieren), den Klassen- und Schreibwortschatz sowie ihren individuellen Wortschatz nutzen und Rechtschreibregeln und -strategien anwenden können. Auch das war dem Kläger ausweislich der durch Frau L. durchgeführten Tests noch am Ende des 1. Halbjahres der 5. Klasse nicht in einem seinem durchschnittlichen allgemeinen Leistungsvermögen entsprechenden Maße möglich. Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben des Lehrplanes gehen die nach den schulrechtlichen Best-immungen festgelegten wesentlichen Lernziele über das bloße Erreichen der Versetzung hinaus; das bloße Abstellen darauf wird den Maßgaben der schulrechtlichen Bestimmungen nicht gerecht (vgl. ebenso SG Darmstadt, Urteil vom 16. Dezember 2013, Az.: S 1 AS 467/12), zumal in Thüringen nach § 51 Abs. 1 der Thüringer Schulordnung ein Schüler der Klassenstufe 5 ohne Versetzungsentscheidung in die nächst höhere Klassenstufe aufrückt.
Zur Überzeugung der Kammer ist vielmehr eine Einzelfallentscheidung zu treffen, die sich jeweils an den individuellen Kompetenzen des betreffenden Schülers orientiert. Dies ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Damit sollten ausweislich des Allgemeinen Teils der Begründung (vgl. BT-Drs. 17/3404 S. 42 f.) die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zur verfassungskonformen Ermittlung der Regelbedarfe nach dem SGB II und dem SGB XII umgesetzt werden. Weiter wird dort ausgeführt: "In Bildung und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für Kinder und Jugendliche liegt eine Schlüsselfunktion für die Herstellung von Chancengleichheit. Aus dem Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich die Verpflichtung, Kinder und Jugendliche in einer Art und Weise zu befähigen, dass sie später aus eigenen Kräften und damit unabhängig von staatlichen Fürsorgeleistungen leben können. Voraussetzung hierfür sind Fähigkeiten, die nur durch eine angemessene materielle Ausstattung für Bildung erworben werden können. So darf eine ungünstige materielle häusliche Ausgangsbasis für Kinder und Jugendliche kein Hinderungsgrund sein, am Leben Gleichaltriger teilzuhaben. Der Gesetzgeber beabsichtigt mit der Ausgestaltung der neuen Leistungen für Bildung und Teilhabe ein gleichberechtigtes Maß an Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für Kinder und Jugendliche aus besonders förderungsbedürftigen Haushalten genauso zu gewährleisten wie auch die gleichartige Ermöglichung des Zugangs zur Bildung im schulischen und außerschulischen Bereich.".
Legt man diese Ausführungen zugrunde und kann selbstverständlich davon ausgehen, dass dem Gesetzgeber die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen von Eingliederungsleistungen nach § 35a Abs. 1 SGB VIII bekannt waren, ist zur Überzeugung der Kammer unumgänglich, die Kosten der Therapie bei Legasthenie als solche im Rahmen des Bildungspaketes anzusehen. Es kann nicht unterstellt werden, dass der Gesetzgeber gera-de die Schüler, die von einer medizinisch begründeten Teilleistungsschwäche betroffen sind, im Gegensatz zu solchen, die z. B. nach akuter Krankheit mit länger andauerndem Unterrichtsausfall oder sozialen Schwierigkeiten, die zu schulischen Problemen geführt haben, von Leistungen gänzlich ausschließen wollte. Dem entspräche es faktisch jedoch, wenn eine Legasthenie-Therapie, weil sie regelmäßig und notwendig mehr als kurzzeitig erbracht werden muss und außerdem nicht zwangsläufig mit einer Versetzungsgefährdung einhergeht, von den Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II ausgenommen würde. Chancengleichheit kann ausschließlich durch die Ermöglichung des Ausgleichs der Teilleistungsstörung hergestellt werden. Was alle Eltern, denen die Entwicklung ihres Kindes nicht gleichgültig ist, tun würden, darf nach den zitierten grundsätzlichen Zielen der gesetzlichen Regelung nicht an fehlender finanzieller Leistungsfähigkeit von Grundsicherungsleistungen beziehenden Eltern scheitern.
Im Einzelfall des Klägers bedeutet dies, dass seine durchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten und seine bestehende Leistungsmotivation zu berücksichtigen sind. Er soll durch die Therapie insbesondere nicht befähigt werden, eine seinem Leistungsvermögen tatsächlich nicht entsprechende Schulform zu besuchen. Vielmehr wird ihm durch die Legasthenie-Therapie der Ausgleich der Teilleistungsschwäche in Deutsch ermöglicht, was sich wiederum auf die Leistungen auch in sämtlichen anderen Fächern maßgeblich auswirkt. Insbesondere steigen mit zunehmendem Schulalter auch die Anforderungen in anderen Fächern an die Textkompetenz. Bei einem Abbruch der Therapie mit der durch die Therapeutin dargelegten Gefahr des Rückfalls in alte Strukturen, weil der erreichte Stand noch nicht gesichert war, wären negative Auswirkungen nicht nur auf das Fach Deutsch, sondern auch auf das Gesamtniveau seiner schulischen Leistungen zu befürchten gewesen, die dann unter das intellektuell und motivational erreichbare Niveau zurückgefallen wären. Im Ergebnis hätte der Kläger seine individuellen Fähigkeiten ausschließlich deshalb nicht nutzen können, weil seine Mutter Grundsicherungsleistungen bezieht. Damit läge ein eklatanter Verstoß gegen die vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünschte Chancengleichheit vor.
Dass die Legasthenie-Therapie mehr als kurzzeitig zu erbringen ist, liegt in der Natur der Störung begründet und kann deshalb einen grundsätzlichen Ausschluss von der Förderungsfähigkeit nicht begründen. Nach der Gesetzesbegründung (a. a. O. Seite 105) soll die Lernförderung zwar "in der Regel" nur kurzzeitig notwendig sein, um vorübergehende Lern-schwächen zu beheben. Bei der Legasthenie handelt es sich aber um keinen solchen Regelfall, so dass die Grundsätze auch nicht eingreifen können. Zudem ergibt sich auch aus dem Gesetzeswortlaut selbst keine zeitliche Einschränkung (ebenso Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 26. März 2014, Az. L 6 AS 31/14 B ER; SG Marburg, Beschluss vom 1. November 2012, Az.: S 5 AS 213/12 ER).
Bezüglich der Angemessenheit der Kosten für die einzelne Unterrichtsstunde in Höhe von 45,00 EUR besteht zwischen den Beteiligten kein Streit; auch die Kammer hat keinen Anlass, daran zu zweifeln.
Nachgewiesen sind durch die Mutter des Klägers 29 im Schuljahr 2012/13 durchgeführte Therapiestunden, aus denen sich der ausgeurteilte Betrag von 1.305,00 EUR ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Rechtskraft
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