Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 13 AS 788/15 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab April 2015 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von 89,93 EUR monatlich zu gewähren. 2. Die Auszahlung der Leistungen erfolgt vorläufig. Sie stehen unter dem Vorbehalt der Rückforderung. 3. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin 5/11 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Höhe der der An-tragstellerin zu gewährenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), namentlich um die Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwendige Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II aufgrund einer Histaminintoleranz (HIT).
Die 1982 geborene Antragstellerin beantragte erstmalig am 5. September 2014 beim Antrags-gegner Grundsicherungsleistungen. Anlässlich dieser Antragstellung machte sie auch einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung unter Verweis auf ein ärztliches Attest vom 4. September 2014 von Dr. Ch. K., G., B. F. geltend. Der Antragsgegner bewilligte der An-tragstellerin Regelleistungen.
Am 30. Januar 2015 stellte die Antragstellerin beim Antragsgegner einen Weiterbewilli-gungsantrag für die Zeit ab 1. März 2015. Mit Bescheid vom 17. Februar 2015 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit vom 1. März 2015 bis 29. Februar 2016 Regel-leistungen i.H.v. 399,00 EUR pro Monat. Hiergegen erhob die Antragstellerin am selben Tage Widerspruch (W 215/15) und machte in diesem wiederum einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung geltend. Am 23. Februar 2015 erließ der Antragsgegner sodann einen Änderungsbescheid. Er bewilligte der Antragstellerin für den Bewilligungsabschnitt noch Kosten der Unterkunft, monatlich schwankend in Höhe zwischen 0,00 EUR und 33,10 EUR. Gegen diesen Änderungsbescheid erhob die Antragstellerin am 2. März 2015 wiederum Widerspruch (W 274/15) und rügte abermals, dass der beantragte Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung nicht berücksichtigt worden sei. Diesen Widerspruch verwarf der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2015 als unzulässig aufgrund § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und unter Verweis auf den bereits am 17. Februar 2015 eingelegten Widerspruch (W 215/15). Ebenfalls am 26. März 2015 beschied der Antragsgegner den Widerspruch vom 17. Februar 2015 (W 215/15), indem er ihn als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, bei Histaminintoleranz handele es sich zunächst nicht um ein Krankheitsbild, bei dem nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für private und öffentliche Fürsorge einen Mehrbedarf zu gewähren sei. Es sei vielmehr anhand der Gesamtumstände eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Die Antragstellerin habe auch keine detaillierte Kostenaufstellung eingereicht. Histaminarme Lebensmittel, die bei einer Histaminintoleranz verzehrt werden könnten, seien Ge-müse in natürlicher Form, frisches Obst (mit Ausnahme von Bananen, Ananas, Orangen, Erdbeeren, Kiwi, Grapefruit, Zitrusfrüchten und Himbeeren), tiefgekühltes oder frisches Fleisch, diverse Fischsorten, Frischkäse, Ricotta, Butterkäse, Quark, Hüttenkäse, Joghurt, Milch, Buttermilch und Sahne, Kartoffeln, Reis, Nudeln, Speisefette, Öle sowie diverse Süßwaren. Darin sei eine gesunde Vollkostenernährung zu erblicken. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin auf eine weizenmehlfreie Ernährung angewiesen sei, mache noch keine aus medizinischen Gründen kostenaufwendige Ernährung erforderlich. Die Gewährung eines Mehrbedarfs sei erst dann angezeigt, wenn ohne teurere Ersatzprodukte gesundheitliche Einschränkungen drohten oder aber keine Alternativprodukte zur Verfügung stünden. Nur wenn ein vollständiger Verzicht auf weizenmehlhaltige Lebensmittel gesundheitliche Einschränkungen nach sich ziehen würde, zöge diese kostenaufwendigere Ernährung mit Alternativprodukten auch einen Mehrbedarf nach sich. Im Falle der Antragstellerin ergäbe sich jedoch keine Notwendigkeit, auf kostenintensivere Produkte zurückzugreifen.
Hiergegen erhob die Antragstellerin am 7. April 2015 Klage beim Sozialgericht.
Ferner hat die Antragstellerin ebenfalls am 7. April 2015 beim Sozialgericht einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Hierbei hat sie zunächst einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung, weitere Kosten der Unterkunft für den Zeitraum von September 2014 bis Dezember 2014 sowie die Gewährung von Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung geltend gemacht. Zur Antragsbegründung verweist die Antragstellerin zunächst auf die ärztliche Bescheinigung von Dr. K. vom 4. September 2014. Der Antragsgegner habe den beantragten Mehrbedarf pauschal abgelehnt, eine Einzelfallprüfung sei nicht erfolgt. Die Antragstellerin vertrage insbesondere kein Schweinefleisch, Fisch- oder Wurstwaren. Sie erleide Asthmaanfälle bei dem Verzehr von Fisch oder Wurst. Im Übrigen leide sie bei dem Verzehr von histaminhaltigen Lebensmitteln unter Atem- und Herzbeschwerden, Haut- und Schleimhautentzündungen mit Juckreiz im Mund- und Afterbereich, Schnupfensymptomen, Durchfall, Schweißausbrüchen, Schlafstörungen, Unruhe sowie mitunter Migräne. Außerdem vertrage sie keine Milchprodukte, namentlich Milch, Quark, Joghurt und Käse. Der Verzehr dieser Produkte löse bei ihr Magen-Darm-Beschwerden aus. Bei Nudelprodukten könne sie lediglich solche mit Dinkelmehl, nicht jedoch Weizenmehl konsumieren. Außerdem sei ihr der Verzehr von Tomaten, Sauerkraut, Zwiebeln, Lauch, Soja, Champignons und von vielen Arten von Süßwaren nicht möglich; beispielsweise solche mit Zusätzen von Kakao, Weizenmehl, Hefe, Wal- oder Erdnüssen sowie Konservierungsstoffen. Auch gängige Obstsorten wie Bananen, Kiwis, Orangen oder Zitrusfrüchte vertrage sie nicht. In der Folge sei sie daher darauf angewiesen, auf Äpfel, Weißkohl, Salat, Brokkoli, Blumenkohl, Sellerie, Fenchel, Paprika, Melonen, Mangos, Kaki, Pfirsiche, Nektarinen und Zucchini auszuweichen. Bei Fleisch müsse sie auf (teureres) Rindfleisch oder Hühnchen zurückgreifen. Auch könne sie nicht Fertigprodukte wie Tütensuppen, Konserven-, Mikrowellen- und Tief-kühlgerichte verwenden. Bei diesen gebe es keine histaminarmen Alternativprodukte. Mahlzeiten müsse sie täglich frisch zubereiten; dies sei auch kostenaufwendiger durch erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der Zutaten. Der Mehrbedarf resultiere unter anderem aus dem Rückgriff auf Dinkelrodukte, frisches Obst und Gemüse sowie teurere Fleischsorten. Bei Backwaren sei der Rückgriff auf Dinkelmehl sowie Weinsteinbackpulver (als Ersatzmittel für Hefe) erforderlich. Statt Kuhmilch könne sie lediglich Reismilch konsumieren. Die Histaminunverträglichkeit könne auch nicht durch einfaches Weglassen von unverträglichen Produkten ausgeglichen werden. Dies würde bedeuten, dass die Antragstellerin auf Ge-treideprodukte, Fleischprodukte sowie Süßwaren vollständig verzichten müsste, was zu einer Mangelernährung (Fehlen von hochwertigen Fettsäuren, B-Vitaminen, Kalzium und Jod) führen würde. Auch könne keine rein vegetarische Ernährung von ihr verlangt werden.
In der Summe resultiere hieraus – unter Verweis auf einen vorgelegten Ernährungsplan – ein monatlicher Mehrbedarf in letztlicher Höhe von insgesamt 89,93 EUR (wobei die Antragstellerin ihren ursprünglich geltend gemachten Mehrbedarf in Höhe von insgesamt 108,93 EUR im Laufe des Verfahrens reduziert hat).
Im Erörterungstermin am 28. April 2015 hat die Antragstellerin ihren Antrag betreffend die Kosten der Unterkunft sowie die Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu-rückgenommen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Annäherung zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung hat der Antragsgegner seine im Widerspruchsbescheid gemachten Ausfüh-rungen wiederholt und vertieft. Nicht jede Unverträglichkeit löse einen ernährungsbedingten Mehrbedarf aus. Die Antragstellerin habe nicht hinreichend dargelegt, weshalb das bloße Weglassen bestimmter histaminreicher Lebensmittel nicht ausreichend sei. Der Ernährungsplan, auf welchen sich die Antragstellerin stütze, enthalte eine Reihe nicht zwingend erforderlicher Bestandteile; er sei damit teilweise nicht plausibel. Auch habe die Antragstellerin nicht dargelegt, weshalb die von ihr angegebene Form der Ernährung unabdingbar sei. Schließlich wendet der Antragsgegner ein, die isolierte Geltendmachung des Mehrbedarfs sei kein zulässiger Streitgegenstand.
Das Gericht hat am 23. April 2015 sowie am 21. Juli 2015 eine ärztliche Stellungnahme von Dr. K. eingeholt. Dr. K. hat dem Gericht ferner eine (auf eigene Initiative eingeholte) Stellungnahme der Ernährungswissenschaftlerin M. E. vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Inhalte der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet. Die Antrag-stellerin hat Anspruch auf vorläufige Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwendige Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II in Höhe von 89,83 EUR monatlich.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige An-ordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines An-ordnungsanspruches, d.h. des materiellen Anspruches, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit bei Abwägung aller betroffenen Interessen, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Richter einen geringeren Grad an Wahrscheinlichkeit vermitteln soll. Die Entscheidung des Gerichtes im einstweiligen Rechtsschutz darf zudem grundsätzlich keine Vorwegnahme der Hauptsache enthalten (Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller, SGG, § 86b, Rn. 31).
Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange der Antragstellerin umfassend die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, a.a.O., S. 1237). Dies gilt insbesondere, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die – anwaltlich nicht vertretene – Antragstellerin hat am 17. Februar 2015 Widerspruch (W 215/15) gegen den Bewilligungsbescheid und sodann am 7. April 2015 Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 26. März 2015 erhoben. D.h., Bestandskraft ist nicht eingetreten. Im Ergebnis begehrt die Antragstellerin insgesamt höhere Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II; es geht ihr bei verständiger Auslegung ihres Antragsbegehrens nicht allein um die (prozessual unzulässige; vgl. Bundessozialgericht vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 6/13 R) isolierte Feststellung eines Mehrbedarfs. Hieran knüpft der ebenfalls am 7. April 2015 gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an. An einen anwaltlich nicht vertretenen Antragsteller dürfen keine überzogenen Anforderungen hinsichtlich der Formulierung des Antragsbegehrens gestellt werden. Im Zweifel ist nach der Auslegungsregel des § 133 BGB, die auch auf öffentlich-rechtliche Erklärungen Anwendung findet, bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften.
2. Der Antrag ist auch begründet.
a. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ausweislich ihres Vortrags sowie den in der Leistungsakte befindlichen Kontoauszügen verfügt die Antragstellerin über keinerlei nennenswerte Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts (Kontostand 2. April 2015: 104,43 EUR). Ferner hat die die Antragstellerin behandelnde Ärztin Dr. K. in ihrer Stellungnahme vom 23. April 2015 bestätigt, dass der Antragstellerin gesundheitliche Schäden drohen, wenn Sie bis auf Weiteres keine histaminfreie Kost zu sich nimmt. Im Hinblick auf die möglicherweise eintretenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist es der Antragstellerin nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Aufgrund ihrer finanziellen Situation ist die Antragstellerin nicht in der Lage, diese drohenden Beeinträchtigungen aus eigener Kraft abzuwenden. Sie kann den begehrten Mehrbedarf auch nicht aus der Regelleistung bestreiten. Der geltend gemachte Mehrbedarf beträgt deutlich mehr als zehn Prozent der Regelleistung der Antragstellerin. Aus den §§ 42a Abs. 2 S. 1; 43 Abs. 2 S. 1 SGB II ist abzuleiten, dass einem Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II allenfalls ein Rückgriff auf die Regelleistung zumutbar ist, wenn der in Rede stehende Betrag weniger als 10 Prozent dieser ausmacht (vgl. LSG Hamburg v. 11.01.2007 - L 5 B 531/06 ER AS), wobei eine keine allgemeine Bagatellgrenze von 10 Prozent gibt, d.h. im Einzelfall auch bereits bei geringeren Beträgen ein Rückgriff auf die Regelleistung unstatthaft ist (vgl. BSG v. 04.06.2014 - B 14 AS 30/13 R).
b. Ferner hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch.
Vorliegend war es dem Gericht zwar nicht möglich aufzuklären, ob die Antragstellerin Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II hat.
aa. Für das Vorliegen eines solchen Mehrbedarfs spricht, dass Dr. K., bei welcher die Antragstellerin bereits seit dem Jahr 2009 in Behandlung ist, sowohl mit dem ärztlichen Attest vom 4. September 2014 als auch mit der Stellungnahme vom 23. April 2015 angegeben hat, dass bei der Antragstellerin eine Histaminintoleranz vorliegt. Ferner hat sie angegeben, dass die An-tragstellerin einen konkreten Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung benötigt, dass sie keine konservierten Lebensmittel zu sich nehmen könne sowie Mahlzeiten stets frisch zubereiten müsse. Hierfür spricht ferner, dass sich die von der Antragstellerin geschilderten Beschwerden mit den Symptomen decken, welche in dem von der Ernährungswissenschaftlerin M. E. übersandten Fachaufsatz von Steneberg (Biogene Amine – Ernährung bei Histamintoleranz, in: Umwelt und Gesundheit 2/2007, S. 47, 49) decken (im Einzelnen: Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Herzjagen, Kreislaufbeschwerden, Magen- und Darmbeschwerden, Juck-reiz).
bb. Gegen das Vorliegen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes spricht hingegen, dass die Stellungnahme von Dr. K. teilweise auf (subjektiven) Angaben der Antragstellerin und keinen (objektiven) diagnostischen Verfahren beruht. Ferner hat die Ernährungswissenschaftlerin M. E. in ihrer Stellungnahme angegeben, dass der von der Antragstellerin vorgelegte Ernährungsplan nicht plausibel sei; unter Umständen sei ein bloßes Weglassen bestimmter Ernährungsbestandteile oder gar eine vegetarische Ernährung ausreichend. Schließlich führt Dr. K. aus, dass sich die von der Antragstellerin geschilderten Unverträglichkeiten und Beschwerden nicht allein mit dem Vorliegen einer Histaminintoleranz erklären lassen würden (was allerdings nicht zwingend gegen die Gewährung eines Mehrbedarfes nach § 21 Abs. 5 SGB II sprechen muss).
cc. Die Frage, ob und in welcher Höhe ein Mehrbedarf der Antragstellerin wegen kostenaufwendiger Ernährung zu gewähren ist, kann im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geklärt werden. Die aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für private und öffentliche Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vom 10. Dezember 2014 führen aus, dass gegenwärtig nicht abschließend beurteilt werden kann, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Mehrbedarf zu gewähren ist (ebd., Ziff. 3.2.3). Dies ist ausschließlich eine Frage des jeweiligen Einzelfalls (vgl. auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Oktober 2011 – L 19 AS 2253/10). Darüber hinaus habe die Empfehlungen des Deutschen Vereins nicht den Charakter von antizipierten Sachverständigengutachten (BSG v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R; BSG v. 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R). Sie haben allenfalls Indizwirkung (LSG Nordrhein-Westfalen v. 05.09.2011 - L 19 AS 2219/10 B; LSG Berlin-Brandenburg v. 03.05.2011 - L 10 AS 345/11 NZB). Im Hauptsacheverfahren werden daher voraussichtlich die Einholung eines medizinischen sowie eines ernährungswissenschaftlichen Sachverständigengutachtens erforderlich werden.
dd. Es war somit im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden; im Ergebnis zugunsten der Antragstellerin. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen.
Bei der vorzunehmenden Folgenabwägung sind folgende Erwägungen maßgeblich: Für den Fall, dass die Antragstellerin den ernährungsbedingten Mehrbedarf im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erhielte, sie jedoch im Hauptsacheverfahren obsiegt, ergäbe sich eine irreversible Verletzung ihres grundrechtlich geschützten Existenzminimums für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung. Hingegen folgt aus dem Fall, dass die Antragstellerin im Rahmen des einstweiligen Rechts-schutzes den Mehrbedarf vorläufig erhält, sodann in der Hauptsache aber unterliegt, lediglich die Situation, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner die vorläufig erhaltenen Leistungen zurückerstatten muss. Insoweit trifft den Antragsgegner soweit ein – überschaubares – Aus-fallrisiko betreffend die Rückforderung. Der Antragsgegner hat dann zudem die Möglichkeit, sich einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen und aus diesem innerhalb einer Frist von 30 Jahren (Vollstreckungsverjährung, § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB) seine Forderung zu realisieren. In dieser Situation folgt aus der verfassungsrechtlichen, dem Schutz der Menschenwürde die-nenden Pflicht des Staates (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05), der An-tragstellerin die Leistungen vorläufig zu gewähren. Ihre grundrechtlich geschützte Rechtsposition überwiegt das fiskalische Interesse des Antragsgegners bei Weitem.
Der Antragstellerin war daher der begehrte Mehrbedarf i.H.v. 89,83 EUR zu gewähren. Es handelt sich hierbei um eine vorläufige Leistung gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III. Das bedeutet, dass die Antragstellerin die vorläufig gewährten Leistungen gemäß § 328 Abs. 3 SGB III an den Antragsgegner zurückerstatten muss, sollte sie im Hauptsacheverfahren voll oder teilweise unterliegen. Die Antragstellerin kann sich in diesem Fall nicht auf schutzwürdiges Vertrauen, insbesondere nicht darauf berufen, dass sie die Leistungen bereits verbraucht hat (vgl. auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Februar 2012 – L 7 AS 119/12 B ER –, juris).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Antragstellerin ursprünglich neben dem Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung zusätzlich die Gewährung von Kosten der Unterkunft für einen (zurückliegenden) Zeitraum von vier Monaten sowie die Gewährung von Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung beantragt hatte, diese beiden Anträge jedoch im Erörterungstermin vom 18. April 2015 zurückgenommen hat. Im Hinblick auf die Bedeutung der jeweiligen Leistungen für die Antragstellerin entspricht daher eine Kostenquote von 5/11 dem billigen Ermessen im Sinne des § 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Höhe der der An-tragstellerin zu gewährenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), namentlich um die Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwendige Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II aufgrund einer Histaminintoleranz (HIT).
Die 1982 geborene Antragstellerin beantragte erstmalig am 5. September 2014 beim Antrags-gegner Grundsicherungsleistungen. Anlässlich dieser Antragstellung machte sie auch einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung unter Verweis auf ein ärztliches Attest vom 4. September 2014 von Dr. Ch. K., G., B. F. geltend. Der Antragsgegner bewilligte der An-tragstellerin Regelleistungen.
Am 30. Januar 2015 stellte die Antragstellerin beim Antragsgegner einen Weiterbewilli-gungsantrag für die Zeit ab 1. März 2015. Mit Bescheid vom 17. Februar 2015 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit vom 1. März 2015 bis 29. Februar 2016 Regel-leistungen i.H.v. 399,00 EUR pro Monat. Hiergegen erhob die Antragstellerin am selben Tage Widerspruch (W 215/15) und machte in diesem wiederum einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung geltend. Am 23. Februar 2015 erließ der Antragsgegner sodann einen Änderungsbescheid. Er bewilligte der Antragstellerin für den Bewilligungsabschnitt noch Kosten der Unterkunft, monatlich schwankend in Höhe zwischen 0,00 EUR und 33,10 EUR. Gegen diesen Änderungsbescheid erhob die Antragstellerin am 2. März 2015 wiederum Widerspruch (W 274/15) und rügte abermals, dass der beantragte Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung nicht berücksichtigt worden sei. Diesen Widerspruch verwarf der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2015 als unzulässig aufgrund § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und unter Verweis auf den bereits am 17. Februar 2015 eingelegten Widerspruch (W 215/15). Ebenfalls am 26. März 2015 beschied der Antragsgegner den Widerspruch vom 17. Februar 2015 (W 215/15), indem er ihn als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, bei Histaminintoleranz handele es sich zunächst nicht um ein Krankheitsbild, bei dem nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für private und öffentliche Fürsorge einen Mehrbedarf zu gewähren sei. Es sei vielmehr anhand der Gesamtumstände eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Die Antragstellerin habe auch keine detaillierte Kostenaufstellung eingereicht. Histaminarme Lebensmittel, die bei einer Histaminintoleranz verzehrt werden könnten, seien Ge-müse in natürlicher Form, frisches Obst (mit Ausnahme von Bananen, Ananas, Orangen, Erdbeeren, Kiwi, Grapefruit, Zitrusfrüchten und Himbeeren), tiefgekühltes oder frisches Fleisch, diverse Fischsorten, Frischkäse, Ricotta, Butterkäse, Quark, Hüttenkäse, Joghurt, Milch, Buttermilch und Sahne, Kartoffeln, Reis, Nudeln, Speisefette, Öle sowie diverse Süßwaren. Darin sei eine gesunde Vollkostenernährung zu erblicken. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin auf eine weizenmehlfreie Ernährung angewiesen sei, mache noch keine aus medizinischen Gründen kostenaufwendige Ernährung erforderlich. Die Gewährung eines Mehrbedarfs sei erst dann angezeigt, wenn ohne teurere Ersatzprodukte gesundheitliche Einschränkungen drohten oder aber keine Alternativprodukte zur Verfügung stünden. Nur wenn ein vollständiger Verzicht auf weizenmehlhaltige Lebensmittel gesundheitliche Einschränkungen nach sich ziehen würde, zöge diese kostenaufwendigere Ernährung mit Alternativprodukten auch einen Mehrbedarf nach sich. Im Falle der Antragstellerin ergäbe sich jedoch keine Notwendigkeit, auf kostenintensivere Produkte zurückzugreifen.
Hiergegen erhob die Antragstellerin am 7. April 2015 Klage beim Sozialgericht.
Ferner hat die Antragstellerin ebenfalls am 7. April 2015 beim Sozialgericht einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Hierbei hat sie zunächst einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung, weitere Kosten der Unterkunft für den Zeitraum von September 2014 bis Dezember 2014 sowie die Gewährung von Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung geltend gemacht. Zur Antragsbegründung verweist die Antragstellerin zunächst auf die ärztliche Bescheinigung von Dr. K. vom 4. September 2014. Der Antragsgegner habe den beantragten Mehrbedarf pauschal abgelehnt, eine Einzelfallprüfung sei nicht erfolgt. Die Antragstellerin vertrage insbesondere kein Schweinefleisch, Fisch- oder Wurstwaren. Sie erleide Asthmaanfälle bei dem Verzehr von Fisch oder Wurst. Im Übrigen leide sie bei dem Verzehr von histaminhaltigen Lebensmitteln unter Atem- und Herzbeschwerden, Haut- und Schleimhautentzündungen mit Juckreiz im Mund- und Afterbereich, Schnupfensymptomen, Durchfall, Schweißausbrüchen, Schlafstörungen, Unruhe sowie mitunter Migräne. Außerdem vertrage sie keine Milchprodukte, namentlich Milch, Quark, Joghurt und Käse. Der Verzehr dieser Produkte löse bei ihr Magen-Darm-Beschwerden aus. Bei Nudelprodukten könne sie lediglich solche mit Dinkelmehl, nicht jedoch Weizenmehl konsumieren. Außerdem sei ihr der Verzehr von Tomaten, Sauerkraut, Zwiebeln, Lauch, Soja, Champignons und von vielen Arten von Süßwaren nicht möglich; beispielsweise solche mit Zusätzen von Kakao, Weizenmehl, Hefe, Wal- oder Erdnüssen sowie Konservierungsstoffen. Auch gängige Obstsorten wie Bananen, Kiwis, Orangen oder Zitrusfrüchte vertrage sie nicht. In der Folge sei sie daher darauf angewiesen, auf Äpfel, Weißkohl, Salat, Brokkoli, Blumenkohl, Sellerie, Fenchel, Paprika, Melonen, Mangos, Kaki, Pfirsiche, Nektarinen und Zucchini auszuweichen. Bei Fleisch müsse sie auf (teureres) Rindfleisch oder Hühnchen zurückgreifen. Auch könne sie nicht Fertigprodukte wie Tütensuppen, Konserven-, Mikrowellen- und Tief-kühlgerichte verwenden. Bei diesen gebe es keine histaminarmen Alternativprodukte. Mahlzeiten müsse sie täglich frisch zubereiten; dies sei auch kostenaufwendiger durch erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der Zutaten. Der Mehrbedarf resultiere unter anderem aus dem Rückgriff auf Dinkelrodukte, frisches Obst und Gemüse sowie teurere Fleischsorten. Bei Backwaren sei der Rückgriff auf Dinkelmehl sowie Weinsteinbackpulver (als Ersatzmittel für Hefe) erforderlich. Statt Kuhmilch könne sie lediglich Reismilch konsumieren. Die Histaminunverträglichkeit könne auch nicht durch einfaches Weglassen von unverträglichen Produkten ausgeglichen werden. Dies würde bedeuten, dass die Antragstellerin auf Ge-treideprodukte, Fleischprodukte sowie Süßwaren vollständig verzichten müsste, was zu einer Mangelernährung (Fehlen von hochwertigen Fettsäuren, B-Vitaminen, Kalzium und Jod) führen würde. Auch könne keine rein vegetarische Ernährung von ihr verlangt werden.
In der Summe resultiere hieraus – unter Verweis auf einen vorgelegten Ernährungsplan – ein monatlicher Mehrbedarf in letztlicher Höhe von insgesamt 89,93 EUR (wobei die Antragstellerin ihren ursprünglich geltend gemachten Mehrbedarf in Höhe von insgesamt 108,93 EUR im Laufe des Verfahrens reduziert hat).
Im Erörterungstermin am 28. April 2015 hat die Antragstellerin ihren Antrag betreffend die Kosten der Unterkunft sowie die Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu-rückgenommen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Annäherung zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung hat der Antragsgegner seine im Widerspruchsbescheid gemachten Ausfüh-rungen wiederholt und vertieft. Nicht jede Unverträglichkeit löse einen ernährungsbedingten Mehrbedarf aus. Die Antragstellerin habe nicht hinreichend dargelegt, weshalb das bloße Weglassen bestimmter histaminreicher Lebensmittel nicht ausreichend sei. Der Ernährungsplan, auf welchen sich die Antragstellerin stütze, enthalte eine Reihe nicht zwingend erforderlicher Bestandteile; er sei damit teilweise nicht plausibel. Auch habe die Antragstellerin nicht dargelegt, weshalb die von ihr angegebene Form der Ernährung unabdingbar sei. Schließlich wendet der Antragsgegner ein, die isolierte Geltendmachung des Mehrbedarfs sei kein zulässiger Streitgegenstand.
Das Gericht hat am 23. April 2015 sowie am 21. Juli 2015 eine ärztliche Stellungnahme von Dr. K. eingeholt. Dr. K. hat dem Gericht ferner eine (auf eigene Initiative eingeholte) Stellungnahme der Ernährungswissenschaftlerin M. E. vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Inhalte der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet. Die Antrag-stellerin hat Anspruch auf vorläufige Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwendige Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II in Höhe von 89,83 EUR monatlich.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige An-ordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines An-ordnungsanspruches, d.h. des materiellen Anspruches, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit bei Abwägung aller betroffenen Interessen, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Richter einen geringeren Grad an Wahrscheinlichkeit vermitteln soll. Die Entscheidung des Gerichtes im einstweiligen Rechtsschutz darf zudem grundsätzlich keine Vorwegnahme der Hauptsache enthalten (Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller, SGG, § 86b, Rn. 31).
Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange der Antragstellerin umfassend die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, a.a.O., S. 1237). Dies gilt insbesondere, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die – anwaltlich nicht vertretene – Antragstellerin hat am 17. Februar 2015 Widerspruch (W 215/15) gegen den Bewilligungsbescheid und sodann am 7. April 2015 Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 26. März 2015 erhoben. D.h., Bestandskraft ist nicht eingetreten. Im Ergebnis begehrt die Antragstellerin insgesamt höhere Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II; es geht ihr bei verständiger Auslegung ihres Antragsbegehrens nicht allein um die (prozessual unzulässige; vgl. Bundessozialgericht vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 6/13 R) isolierte Feststellung eines Mehrbedarfs. Hieran knüpft der ebenfalls am 7. April 2015 gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an. An einen anwaltlich nicht vertretenen Antragsteller dürfen keine überzogenen Anforderungen hinsichtlich der Formulierung des Antragsbegehrens gestellt werden. Im Zweifel ist nach der Auslegungsregel des § 133 BGB, die auch auf öffentlich-rechtliche Erklärungen Anwendung findet, bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften.
2. Der Antrag ist auch begründet.
a. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ausweislich ihres Vortrags sowie den in der Leistungsakte befindlichen Kontoauszügen verfügt die Antragstellerin über keinerlei nennenswerte Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts (Kontostand 2. April 2015: 104,43 EUR). Ferner hat die die Antragstellerin behandelnde Ärztin Dr. K. in ihrer Stellungnahme vom 23. April 2015 bestätigt, dass der Antragstellerin gesundheitliche Schäden drohen, wenn Sie bis auf Weiteres keine histaminfreie Kost zu sich nimmt. Im Hinblick auf die möglicherweise eintretenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist es der Antragstellerin nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Aufgrund ihrer finanziellen Situation ist die Antragstellerin nicht in der Lage, diese drohenden Beeinträchtigungen aus eigener Kraft abzuwenden. Sie kann den begehrten Mehrbedarf auch nicht aus der Regelleistung bestreiten. Der geltend gemachte Mehrbedarf beträgt deutlich mehr als zehn Prozent der Regelleistung der Antragstellerin. Aus den §§ 42a Abs. 2 S. 1; 43 Abs. 2 S. 1 SGB II ist abzuleiten, dass einem Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II allenfalls ein Rückgriff auf die Regelleistung zumutbar ist, wenn der in Rede stehende Betrag weniger als 10 Prozent dieser ausmacht (vgl. LSG Hamburg v. 11.01.2007 - L 5 B 531/06 ER AS), wobei eine keine allgemeine Bagatellgrenze von 10 Prozent gibt, d.h. im Einzelfall auch bereits bei geringeren Beträgen ein Rückgriff auf die Regelleistung unstatthaft ist (vgl. BSG v. 04.06.2014 - B 14 AS 30/13 R).
b. Ferner hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch.
Vorliegend war es dem Gericht zwar nicht möglich aufzuklären, ob die Antragstellerin Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II hat.
aa. Für das Vorliegen eines solchen Mehrbedarfs spricht, dass Dr. K., bei welcher die Antragstellerin bereits seit dem Jahr 2009 in Behandlung ist, sowohl mit dem ärztlichen Attest vom 4. September 2014 als auch mit der Stellungnahme vom 23. April 2015 angegeben hat, dass bei der Antragstellerin eine Histaminintoleranz vorliegt. Ferner hat sie angegeben, dass die An-tragstellerin einen konkreten Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung benötigt, dass sie keine konservierten Lebensmittel zu sich nehmen könne sowie Mahlzeiten stets frisch zubereiten müsse. Hierfür spricht ferner, dass sich die von der Antragstellerin geschilderten Beschwerden mit den Symptomen decken, welche in dem von der Ernährungswissenschaftlerin M. E. übersandten Fachaufsatz von Steneberg (Biogene Amine – Ernährung bei Histamintoleranz, in: Umwelt und Gesundheit 2/2007, S. 47, 49) decken (im Einzelnen: Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Herzjagen, Kreislaufbeschwerden, Magen- und Darmbeschwerden, Juck-reiz).
bb. Gegen das Vorliegen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes spricht hingegen, dass die Stellungnahme von Dr. K. teilweise auf (subjektiven) Angaben der Antragstellerin und keinen (objektiven) diagnostischen Verfahren beruht. Ferner hat die Ernährungswissenschaftlerin M. E. in ihrer Stellungnahme angegeben, dass der von der Antragstellerin vorgelegte Ernährungsplan nicht plausibel sei; unter Umständen sei ein bloßes Weglassen bestimmter Ernährungsbestandteile oder gar eine vegetarische Ernährung ausreichend. Schließlich führt Dr. K. aus, dass sich die von der Antragstellerin geschilderten Unverträglichkeiten und Beschwerden nicht allein mit dem Vorliegen einer Histaminintoleranz erklären lassen würden (was allerdings nicht zwingend gegen die Gewährung eines Mehrbedarfes nach § 21 Abs. 5 SGB II sprechen muss).
cc. Die Frage, ob und in welcher Höhe ein Mehrbedarf der Antragstellerin wegen kostenaufwendiger Ernährung zu gewähren ist, kann im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geklärt werden. Die aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für private und öffentliche Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vom 10. Dezember 2014 führen aus, dass gegenwärtig nicht abschließend beurteilt werden kann, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Mehrbedarf zu gewähren ist (ebd., Ziff. 3.2.3). Dies ist ausschließlich eine Frage des jeweiligen Einzelfalls (vgl. auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Oktober 2011 – L 19 AS 2253/10). Darüber hinaus habe die Empfehlungen des Deutschen Vereins nicht den Charakter von antizipierten Sachverständigengutachten (BSG v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R; BSG v. 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R). Sie haben allenfalls Indizwirkung (LSG Nordrhein-Westfalen v. 05.09.2011 - L 19 AS 2219/10 B; LSG Berlin-Brandenburg v. 03.05.2011 - L 10 AS 345/11 NZB). Im Hauptsacheverfahren werden daher voraussichtlich die Einholung eines medizinischen sowie eines ernährungswissenschaftlichen Sachverständigengutachtens erforderlich werden.
dd. Es war somit im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden; im Ergebnis zugunsten der Antragstellerin. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen.
Bei der vorzunehmenden Folgenabwägung sind folgende Erwägungen maßgeblich: Für den Fall, dass die Antragstellerin den ernährungsbedingten Mehrbedarf im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erhielte, sie jedoch im Hauptsacheverfahren obsiegt, ergäbe sich eine irreversible Verletzung ihres grundrechtlich geschützten Existenzminimums für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung. Hingegen folgt aus dem Fall, dass die Antragstellerin im Rahmen des einstweiligen Rechts-schutzes den Mehrbedarf vorläufig erhält, sodann in der Hauptsache aber unterliegt, lediglich die Situation, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner die vorläufig erhaltenen Leistungen zurückerstatten muss. Insoweit trifft den Antragsgegner soweit ein – überschaubares – Aus-fallrisiko betreffend die Rückforderung. Der Antragsgegner hat dann zudem die Möglichkeit, sich einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen und aus diesem innerhalb einer Frist von 30 Jahren (Vollstreckungsverjährung, § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB) seine Forderung zu realisieren. In dieser Situation folgt aus der verfassungsrechtlichen, dem Schutz der Menschenwürde die-nenden Pflicht des Staates (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05), der An-tragstellerin die Leistungen vorläufig zu gewähren. Ihre grundrechtlich geschützte Rechtsposition überwiegt das fiskalische Interesse des Antragsgegners bei Weitem.
Der Antragstellerin war daher der begehrte Mehrbedarf i.H.v. 89,83 EUR zu gewähren. Es handelt sich hierbei um eine vorläufige Leistung gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III. Das bedeutet, dass die Antragstellerin die vorläufig gewährten Leistungen gemäß § 328 Abs. 3 SGB III an den Antragsgegner zurückerstatten muss, sollte sie im Hauptsacheverfahren voll oder teilweise unterliegen. Die Antragstellerin kann sich in diesem Fall nicht auf schutzwürdiges Vertrauen, insbesondere nicht darauf berufen, dass sie die Leistungen bereits verbraucht hat (vgl. auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Februar 2012 – L 7 AS 119/12 B ER –, juris).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Antragstellerin ursprünglich neben dem Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung zusätzlich die Gewährung von Kosten der Unterkunft für einen (zurückliegenden) Zeitraum von vier Monaten sowie die Gewährung von Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung beantragt hatte, diese beiden Anträge jedoch im Erörterungstermin vom 18. April 2015 zurückgenommen hat. Im Hinblick auf die Bedeutung der jeweiligen Leistungen für die Antragstellerin entspricht daher eine Kostenquote von 5/11 dem billigen Ermessen im Sinne des § 193 SGG.
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