Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 P 1577/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 2226/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. April 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung.
Die Klägerin ist am 1926 geboren und bei der Beklagten pflegeversichert. Vom 31. Mai bis 29. Juni 2013 befand sie sich zur stationären Behandlung in der Klinik für Geriatrische Rehabilitation des R.-B.-Krankenhauses S ... Im vorläufigen Entlassbrief vom 28. Juni 2013 berichtet Prof. Dr. B. im Wesentlichen die aktuellen Diagnosen einer medialen Schenkelhalsfraktur rechts im Mai 2013, einer Hüfttotalendoprothese am 21. Mai 2013 sowie Osteoporose im Mai 2013.
Die Klägerin beantragte am 28. Juni 2013 nicht näher spezifizierte Leistungen der Pflegeversicherung. Hilfebedarf bestehe im Bereich der Körperpflege und der Hauswirtschaft.
Pflegefachkraft Br. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) erstattete auf Grund einer Untersuchung der Klägerin vom 15. Juli 2013 unter dem 16. Juli 2013 ein Gutachten. Pflegebegründende Diagnosen seien Bewegungseinschränkungen bei Zustand nach Oberschenkelhalsfraktur. Die Handkraft sei beidseits leicht abgeschwächt. Der Faustschluss gelinge beidseits vollständig. Die Feinfingergriffe könne die Klägerin koordinieren. Im Sitzen erreiche sie mit den Händen untere Schienbeinhöhe. Das Gangbild sei am Rollator und Unterarmgehstütze innerhalb der Wohnung ausreichend sicher. Stehen sei an der Unterarmgehstütze ebenfalls ausreichend sicher. Aufstehen von Stuhl und Bett gelinge mit Möbelhalt. Drehen im Bett gelinge eigenständig. Beim Transfer in die Dusche benötige die Klägerin Hilfe. Die Klägerin bereite sich ihre Mahlzeiten selbst zu. Die mundgerechte Zubereitung, das Einschenken der Getränke, die Nahrungsaufnahme und das Trinken gelinge eigenständig. Die Klägerin sei blasen- und darmkontinent. Sie erledige ihre Toilettengänge eigenständig. Das Richten der Bekleidung im Rahmen der Toilettengänge gelinge mit Mühe eigenständig. Das Sehvermögen sei reduziert, das Hörvermögen nicht eingeschränkt. Die Klägerin führe ihre Körperpflege eigenständig durch. Teilweise sei es für sie mühsam. Auch das Bekleiden führe sie eigenständig durch. Sie behelfe sich beim Einstieg in Hosen, Socken und Schuhe mit einer Zange. Das Kämmen und Reinigen der Zähne gelinge eigenständig. Es bestehe (Soll-)Hilfebedarf im Bereich der Unterkörperwäsche, beim Waschen des Rückens sowie beim Bekleiden des Unterkörpers. Das Bekleiden des Oberkörpers gelinge eigenständig. Es bestehe ein (Soll-)Hilfebedarf von zehn Minuten pro Tag für die Ganzkörperwäsche sowie von sieben Minuten pro Tag für das Ankleiden und Entkleiden. Insgesamt bestehe ein Zeitaufwand für die Grundpflege von 17 Minuten pro Tag und für die Hauswirtschaft von 47 Minuten pro Tag.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 17. Juli 2013 ab.
Die Klägerin erhob am 23. Juli 2013 "Widerspruch" gegen das Gutachten des MDK sowie am 6. September 2013 sinngemäß Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. Juli 2013. Sie trug sinngemäß vor, für die Körperpflege länger als 17 Minuten zu benötigen. Hinsichtlich des Aufstehens und Ankleidens sei zu berücksichtigen, dass die Kleidung erst einmal bereitgestellt werden müsse. Die Sachen müssten auch gewaschen und gebügelt werden. Dazu brauche sie eine Haushaltshilfe. Pflegerinnen machten das nicht. Auch die Nahrung müsse in der Regel zubereitet werden.
Im Auftrag der Beklagten erstellte sodann die Pflegefachkraft E. unter dem 7. Oktober 2013 nach Aktenlage ein weiteres Gutachten. Sie bestätigte das erste Gutachten des MDK.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten entschied mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2014, dem Widerspruch der Klägerin nicht stattzugeben. Bei der Klägerin läge keine erhebliche Pflegebedürftigkeit vor.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 25. Februar 2014, das bei der Beklagten am 26. Februar 2014 einging und von dieser an das Sozialgericht Stuttgart (SG) weitergeleitet wurde, wo es am 4. März 2014 einging. Die Gutachten seien falsch. Es sei keine Liste von Gutachtern zur Auswahl gegeben worden. Zum anderen müsse ein Gutachten von einem Arzt angefertigt werden. Sie habe keine übliche Alterskrankheit, sondern seltene Krankheiten und Störungen auf Grund früherer ärztlicher Falschbehandlungen. Besuche bei Ärzten verursachten Fahrtkosten und kosteten Zeit. Zudem könne sie schwerere Einkäufe nicht mehr tragen. Insbesondere die Beschaffung von Lebensmitteln bereite ihr Schwierigkeiten. Auch das Zubereiten und Kochen sei für sie Schwerstarbeit. Gleiches gelte für das Putzen der Küche, das Reinigen des Bades, das Putzen der Fenster sowie das Waschen, Aufhängen und Bügeln der Wäsche. Es sei nicht Voraussetzung, eine bestimmte Zeit für Grundpflege zu benötigen, um überhaupt in die Pflegestufe 1 zu kommen. Ihr entstünden zudem Kosten für eine Monatskarte von EUR 600,00 pro Jahr, um nach Stuttgart fahren zu können, um sich chemiefreie Lebensmittel kaufen zu können.
Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf das Gutachten der Pflegefachkraft Br. entgegen.
Das SG bestellte Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. M.-B. von Amts wegen zur gerichtlichen Sachverständigen. Dr. M.-B. fertigte unter dem 26. August 2014 auf Grund einer häuslichen Begutachtung vom selben Tag ein Gutachten. Die Klägerin sei mit dem Gehstock innerhalb des Hauses selbständig mobil. Das Gangbild sei etwas nach vorne gebeugt, relativ flüssig und sicher. Freistehen sei möglich. Sitzen und Aufstehen vom Stuhl seien ohne Hilfe möglich. Treppensteigen erfolge mit Festhalten beider Hände am Handlauf. Die oberen Extremitäten seien beweglich. Beim Händedruck bestehe beidseits eine mäßige Kraft. Der Faustschluss und das Strecken der Finger sowie der Pinzettengriff beidseits seien möglich. Der Nackengriff, der Schürzengriff und der Zehengriff seien durchführbar. Harninkontinenz werde verneint, gelegentliche Stuhlinkontinenz angegeben. Inkontinenzartikel würden nicht getragen. Nachts gehe die Klägerin selbständig zur Toilette. Die Klägerin führe, wenn auch mühsam, ihre persönliche Hygiene noch selbst durch. Sie dusche täglich. Das Waschen der Hände und des Gesichtes könne selbständig durchgeführt werden. Ein Hilfebedarf bestehe in Form von teilweiser Übernahme beim Waschen des Rückens und der unteren Körperhälfte von zehn Minuten täglich. Die Zahnpflege erfolge selbständig. Kämmen erfolge ebenfalls, wenn auch mühsam, selbständig. Die Klägerin habe langes Haar. Ein Hilfebedarf in Form von teilweiser Übernahme von zwei Minuten pro Tag könne angenommen werden. Die Verrichtung der Darm- und Blasenentleerung erfolge selbständig. Die mundgerechte Zubereitung der Nahrung sei ohne Hilfe möglich. Auch Abbeißen sei möglich. Es bestehe kein Hilfebedarf bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Aufstehen und Zubettgehen sei ohne Hilfe möglich. An- und Auskleiden erfolge, wenn auch mühsam selbständig. Ein Hilfebedarf in Form von teilweiser Übernahme beim An- und Ausziehen der Strümpfe, Schuhe und Hose könne von insgesamt acht Minuten pro Tag angenommen werden. Die Klägerin sei innerhalb der Wohnung selbständig mobil. Ein- und Aussteigen in und aus der Dusche erfolge ohne Hilfe. Auch hier könne ein Hilfebedarf in Form von teilweiser Übernahme beim Ein- und Aussteigen von zwei Minuten pro Tag angenommen werden. Regelmäßige Praxisbesuche in Begleitung würden nicht durchgeführt. Ein nächtlicher Hilfebedarf bestehe nicht. Insgesamt bestehe ein grundpflegerischer Hilfebedarf von 22 Minuten pro Tag.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. April 2015 ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Pflegegeld, dessen Gewährung sie bei sachgerechter Auslegung ihres Begehrens geltend mache, denn ihr gesamter Vortrag sei dadurch geprägt, dass sie ihre hohen Lebenshaltungskosten beklage. Ein Grundpflegebedarf von täglich mehr als 45 Minuten werde nicht erreicht. Dies habe Dr. M.-B. überzeugend dargelegt. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen, über die es – das SG – entscheiden könne, obwohl sich weder der Ausgangs- noch der Widerspruchsbescheid dazu ausdrücklich verhielten. Entscheidend sei aber, dass die Beklagte den Leistungsantrag der Klägerin insgesamt abgelehnt und den dagegen erhobenen Widerspruch insgesamt als unbegründet zurückgewiesen habe. Die Voraussetzung für zusätzliche Betreuungsleistung lägen nicht vor. Weder die Pflegefachkräfte Br. und E. noch die Sachverständige Dr. M.-B. hätten Feststellung zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz getroffen. Es sei auch sonst nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin an einer demenzbedingten Fähigkeitsstörung, einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Erkrankung leide.
Gegen den ihr am 28. April 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27. Mai 2015 Berufung eingelegt. Der Gerichtsbescheid habe kein ordentliches Verfahren zur Grundlage gehabt, da keine mündliche Verhandlung stattgefunden habe. Ihre Erkrankungen beruhten auf der Fehlbehandlung einer Bindehautentzündung in den 1980iger Jahren. Die für die Pflegebedürftigkeit maßgeblichen Zeiten würden in ihrem Fall leicht überschritten, wenn nicht nur von der Grundpflege ausgegangen würde. Sie verweist erneut auf ihre Schwierigkeiten beim Einkaufen von Lebensmitteln.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. April 2015 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2014 zu verurteilen, ihr ab dem 1. Juni 2013 Pflegegeld nach Pflegestufe I sowie dem Grunde nach zusätzliche Betreuungsleistungen für Versicherte mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da die Klägerin Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2014 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat seit dem 1. Juni 2013 keinen Anspruch auf Pflegegeld (dazu unter a) oder zusätzliche Betreuungsleistungen (dazu unter b).
a) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Pflegegeld.
aa) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen.
Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (Nr. 2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 21. Februar 2002 – B 3 P 12/01 R – in juris, Rn. 12 ff.; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – in juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – in juris, Rn. 26). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 7/97 R – in juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – in juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 – B 3 P 26/05 B – in juris, Rn. 8; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – in juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – in juris, Rn. 26). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 P 10/08 R – in juris, Rn. 20 m.w.N.).
bb) Die Klägerin leidet im Wesentlichen unter einer medialen Schenkelhalsfraktur rechts im Mai 2013, einer Hüfttotalendoprothese am 21. Mai 2013 sowie Osteoporose im Mai 2013. Dies entnimmt der Senat dem vorläufigen Entlassbrief des Prof. Dr. B. vom 28. Juni 2013. Pflegebegründend sind die Bewegungseinschränkungen bei Zustand nach Oberschenkelhalsfraktur. Dies ergibt sich aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der Pflegefachkraft Br., das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – in juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – in juris, Rn. 51). Ferner bestehen bei der Klägerin eine arterielle Hypertonie, eine generalisierte arterielle Verschlusskrankheit, eine generalisierte Arthrose, ein Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom, Augenprobleme und eine rezidivierende Epistaxis sowie nach ihren Angaben multiple Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten,
cc) Die gesundheitlichen Einschränkungen bedingen nur geringe funktionelle Einschränkungen. Die Klägerin kann die meisten für die Berechnung des Grundpflegebedarfs relevanten Verrichtungen selbst durchführen und tut dies auch. Hilfebedarf besteht lediglich in Form von teilweiser Übernahme beim Waschen des Rückens und der unteren Körperhälfte, teilweiser Übernahme des Kämmens, teilweiser Übernahme beim An- und Entkleiden sowie beim Ein- und Aussteigen in und aus der Dusche. Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten der Dr. M.-B ... Nach dem vorläufigen Entlassungsbericht des Prof. Dr. B. vom 28. Juni 2013 versorgte sich die Klägerin bei der Entlassung in der Körperpflege selbständig und benutzte Anziehhilfen. Ein Bedarf an Unterstützung war nach der Entlassung aus der stationären Behandlung nur für größere Einkäufe und schwerere Hausarbeiten erforderlich.
Mit diesem Hilfebedarf wird ein Grundpflegebedarf von durchschnittlich täglich mehr als 45 Minuten mit deutlichem Abstand nicht erreicht. Die Einschätzung der Sachverständigen Dr. M.-B., die von einen Grundpflegebedarf von täglich 22 Minuten ausgeht, ist ohne Weiteres plausibel.
Darüber hinaus gehenden Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege behauptet auch die Klägerin nicht. Sie verweist lediglich auf Schwierigkeiten beim Einkaufen von Lebensmitteln, der Bereitstellung, dem Waschen und Bügel von Kleidung, dem Zubereiten und Kochen von Essen und der Reinigung der Wohnung. All dies sind aber keine Verrichtungen, die der Grundpflege zuzuordnen sind. Auch die mit dem Erwerb einer Monatskarte für Fahrten nach Stuttgart zum Einkaufen verbundenen Kosten, auf die die Klägerin verweist, sind für die Bemessung des Grundpflegebedarfs irrelevant. Gleiches gilt für die (Kosten der) Arztbesuche, die sie selbständig wahrnimmt.
b) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen.
aa) Nach § 45b Abs. 1 Satz 1 SGB XI können Versicherte, die die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen, je nach Umfang des erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen. Die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen (1.) Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III sowie (2.) Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter im Rahmen der Begutachtung nach § 18 SGB XI als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt haben, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben (§ 45a Abs. 1 Satz 2 SGB XI).
bb) Das SG hat bereits zutreffend festgestellt, dass diese Voraussetzungen bei der Klägerin nicht vorliegen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass bei der Klägerin demenzbedingte Fähigkeitsstörungen, geistige Behinderungen oder psychische Erkrankungen vorliegen, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz führen. Weder behauptet die Klägerin solche Umstände noch sind sie von den im Verwaltungsverfahren tätigen Gutachtern Br. und E. noch von der gerichtlichen Sachverständigen Dr. M.-B. festgestellt worden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung.
Die Klägerin ist am 1926 geboren und bei der Beklagten pflegeversichert. Vom 31. Mai bis 29. Juni 2013 befand sie sich zur stationären Behandlung in der Klinik für Geriatrische Rehabilitation des R.-B.-Krankenhauses S ... Im vorläufigen Entlassbrief vom 28. Juni 2013 berichtet Prof. Dr. B. im Wesentlichen die aktuellen Diagnosen einer medialen Schenkelhalsfraktur rechts im Mai 2013, einer Hüfttotalendoprothese am 21. Mai 2013 sowie Osteoporose im Mai 2013.
Die Klägerin beantragte am 28. Juni 2013 nicht näher spezifizierte Leistungen der Pflegeversicherung. Hilfebedarf bestehe im Bereich der Körperpflege und der Hauswirtschaft.
Pflegefachkraft Br. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) erstattete auf Grund einer Untersuchung der Klägerin vom 15. Juli 2013 unter dem 16. Juli 2013 ein Gutachten. Pflegebegründende Diagnosen seien Bewegungseinschränkungen bei Zustand nach Oberschenkelhalsfraktur. Die Handkraft sei beidseits leicht abgeschwächt. Der Faustschluss gelinge beidseits vollständig. Die Feinfingergriffe könne die Klägerin koordinieren. Im Sitzen erreiche sie mit den Händen untere Schienbeinhöhe. Das Gangbild sei am Rollator und Unterarmgehstütze innerhalb der Wohnung ausreichend sicher. Stehen sei an der Unterarmgehstütze ebenfalls ausreichend sicher. Aufstehen von Stuhl und Bett gelinge mit Möbelhalt. Drehen im Bett gelinge eigenständig. Beim Transfer in die Dusche benötige die Klägerin Hilfe. Die Klägerin bereite sich ihre Mahlzeiten selbst zu. Die mundgerechte Zubereitung, das Einschenken der Getränke, die Nahrungsaufnahme und das Trinken gelinge eigenständig. Die Klägerin sei blasen- und darmkontinent. Sie erledige ihre Toilettengänge eigenständig. Das Richten der Bekleidung im Rahmen der Toilettengänge gelinge mit Mühe eigenständig. Das Sehvermögen sei reduziert, das Hörvermögen nicht eingeschränkt. Die Klägerin führe ihre Körperpflege eigenständig durch. Teilweise sei es für sie mühsam. Auch das Bekleiden führe sie eigenständig durch. Sie behelfe sich beim Einstieg in Hosen, Socken und Schuhe mit einer Zange. Das Kämmen und Reinigen der Zähne gelinge eigenständig. Es bestehe (Soll-)Hilfebedarf im Bereich der Unterkörperwäsche, beim Waschen des Rückens sowie beim Bekleiden des Unterkörpers. Das Bekleiden des Oberkörpers gelinge eigenständig. Es bestehe ein (Soll-)Hilfebedarf von zehn Minuten pro Tag für die Ganzkörperwäsche sowie von sieben Minuten pro Tag für das Ankleiden und Entkleiden. Insgesamt bestehe ein Zeitaufwand für die Grundpflege von 17 Minuten pro Tag und für die Hauswirtschaft von 47 Minuten pro Tag.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 17. Juli 2013 ab.
Die Klägerin erhob am 23. Juli 2013 "Widerspruch" gegen das Gutachten des MDK sowie am 6. September 2013 sinngemäß Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. Juli 2013. Sie trug sinngemäß vor, für die Körperpflege länger als 17 Minuten zu benötigen. Hinsichtlich des Aufstehens und Ankleidens sei zu berücksichtigen, dass die Kleidung erst einmal bereitgestellt werden müsse. Die Sachen müssten auch gewaschen und gebügelt werden. Dazu brauche sie eine Haushaltshilfe. Pflegerinnen machten das nicht. Auch die Nahrung müsse in der Regel zubereitet werden.
Im Auftrag der Beklagten erstellte sodann die Pflegefachkraft E. unter dem 7. Oktober 2013 nach Aktenlage ein weiteres Gutachten. Sie bestätigte das erste Gutachten des MDK.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten entschied mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2014, dem Widerspruch der Klägerin nicht stattzugeben. Bei der Klägerin läge keine erhebliche Pflegebedürftigkeit vor.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 25. Februar 2014, das bei der Beklagten am 26. Februar 2014 einging und von dieser an das Sozialgericht Stuttgart (SG) weitergeleitet wurde, wo es am 4. März 2014 einging. Die Gutachten seien falsch. Es sei keine Liste von Gutachtern zur Auswahl gegeben worden. Zum anderen müsse ein Gutachten von einem Arzt angefertigt werden. Sie habe keine übliche Alterskrankheit, sondern seltene Krankheiten und Störungen auf Grund früherer ärztlicher Falschbehandlungen. Besuche bei Ärzten verursachten Fahrtkosten und kosteten Zeit. Zudem könne sie schwerere Einkäufe nicht mehr tragen. Insbesondere die Beschaffung von Lebensmitteln bereite ihr Schwierigkeiten. Auch das Zubereiten und Kochen sei für sie Schwerstarbeit. Gleiches gelte für das Putzen der Küche, das Reinigen des Bades, das Putzen der Fenster sowie das Waschen, Aufhängen und Bügeln der Wäsche. Es sei nicht Voraussetzung, eine bestimmte Zeit für Grundpflege zu benötigen, um überhaupt in die Pflegestufe 1 zu kommen. Ihr entstünden zudem Kosten für eine Monatskarte von EUR 600,00 pro Jahr, um nach Stuttgart fahren zu können, um sich chemiefreie Lebensmittel kaufen zu können.
Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf das Gutachten der Pflegefachkraft Br. entgegen.
Das SG bestellte Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. M.-B. von Amts wegen zur gerichtlichen Sachverständigen. Dr. M.-B. fertigte unter dem 26. August 2014 auf Grund einer häuslichen Begutachtung vom selben Tag ein Gutachten. Die Klägerin sei mit dem Gehstock innerhalb des Hauses selbständig mobil. Das Gangbild sei etwas nach vorne gebeugt, relativ flüssig und sicher. Freistehen sei möglich. Sitzen und Aufstehen vom Stuhl seien ohne Hilfe möglich. Treppensteigen erfolge mit Festhalten beider Hände am Handlauf. Die oberen Extremitäten seien beweglich. Beim Händedruck bestehe beidseits eine mäßige Kraft. Der Faustschluss und das Strecken der Finger sowie der Pinzettengriff beidseits seien möglich. Der Nackengriff, der Schürzengriff und der Zehengriff seien durchführbar. Harninkontinenz werde verneint, gelegentliche Stuhlinkontinenz angegeben. Inkontinenzartikel würden nicht getragen. Nachts gehe die Klägerin selbständig zur Toilette. Die Klägerin führe, wenn auch mühsam, ihre persönliche Hygiene noch selbst durch. Sie dusche täglich. Das Waschen der Hände und des Gesichtes könne selbständig durchgeführt werden. Ein Hilfebedarf bestehe in Form von teilweiser Übernahme beim Waschen des Rückens und der unteren Körperhälfte von zehn Minuten täglich. Die Zahnpflege erfolge selbständig. Kämmen erfolge ebenfalls, wenn auch mühsam, selbständig. Die Klägerin habe langes Haar. Ein Hilfebedarf in Form von teilweiser Übernahme von zwei Minuten pro Tag könne angenommen werden. Die Verrichtung der Darm- und Blasenentleerung erfolge selbständig. Die mundgerechte Zubereitung der Nahrung sei ohne Hilfe möglich. Auch Abbeißen sei möglich. Es bestehe kein Hilfebedarf bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Aufstehen und Zubettgehen sei ohne Hilfe möglich. An- und Auskleiden erfolge, wenn auch mühsam selbständig. Ein Hilfebedarf in Form von teilweiser Übernahme beim An- und Ausziehen der Strümpfe, Schuhe und Hose könne von insgesamt acht Minuten pro Tag angenommen werden. Die Klägerin sei innerhalb der Wohnung selbständig mobil. Ein- und Aussteigen in und aus der Dusche erfolge ohne Hilfe. Auch hier könne ein Hilfebedarf in Form von teilweiser Übernahme beim Ein- und Aussteigen von zwei Minuten pro Tag angenommen werden. Regelmäßige Praxisbesuche in Begleitung würden nicht durchgeführt. Ein nächtlicher Hilfebedarf bestehe nicht. Insgesamt bestehe ein grundpflegerischer Hilfebedarf von 22 Minuten pro Tag.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. April 2015 ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Pflegegeld, dessen Gewährung sie bei sachgerechter Auslegung ihres Begehrens geltend mache, denn ihr gesamter Vortrag sei dadurch geprägt, dass sie ihre hohen Lebenshaltungskosten beklage. Ein Grundpflegebedarf von täglich mehr als 45 Minuten werde nicht erreicht. Dies habe Dr. M.-B. überzeugend dargelegt. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen, über die es – das SG – entscheiden könne, obwohl sich weder der Ausgangs- noch der Widerspruchsbescheid dazu ausdrücklich verhielten. Entscheidend sei aber, dass die Beklagte den Leistungsantrag der Klägerin insgesamt abgelehnt und den dagegen erhobenen Widerspruch insgesamt als unbegründet zurückgewiesen habe. Die Voraussetzung für zusätzliche Betreuungsleistung lägen nicht vor. Weder die Pflegefachkräfte Br. und E. noch die Sachverständige Dr. M.-B. hätten Feststellung zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz getroffen. Es sei auch sonst nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin an einer demenzbedingten Fähigkeitsstörung, einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Erkrankung leide.
Gegen den ihr am 28. April 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27. Mai 2015 Berufung eingelegt. Der Gerichtsbescheid habe kein ordentliches Verfahren zur Grundlage gehabt, da keine mündliche Verhandlung stattgefunden habe. Ihre Erkrankungen beruhten auf der Fehlbehandlung einer Bindehautentzündung in den 1980iger Jahren. Die für die Pflegebedürftigkeit maßgeblichen Zeiten würden in ihrem Fall leicht überschritten, wenn nicht nur von der Grundpflege ausgegangen würde. Sie verweist erneut auf ihre Schwierigkeiten beim Einkaufen von Lebensmitteln.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. April 2015 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2014 zu verurteilen, ihr ab dem 1. Juni 2013 Pflegegeld nach Pflegestufe I sowie dem Grunde nach zusätzliche Betreuungsleistungen für Versicherte mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da die Klägerin Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2014 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat seit dem 1. Juni 2013 keinen Anspruch auf Pflegegeld (dazu unter a) oder zusätzliche Betreuungsleistungen (dazu unter b).
a) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Pflegegeld.
aa) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen.
Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (Nr. 2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 21. Februar 2002 – B 3 P 12/01 R – in juris, Rn. 12 ff.; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – in juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – in juris, Rn. 26). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 7/97 R – in juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – in juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 – B 3 P 26/05 B – in juris, Rn. 8; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – in juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – in juris, Rn. 26). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 P 10/08 R – in juris, Rn. 20 m.w.N.).
bb) Die Klägerin leidet im Wesentlichen unter einer medialen Schenkelhalsfraktur rechts im Mai 2013, einer Hüfttotalendoprothese am 21. Mai 2013 sowie Osteoporose im Mai 2013. Dies entnimmt der Senat dem vorläufigen Entlassbrief des Prof. Dr. B. vom 28. Juni 2013. Pflegebegründend sind die Bewegungseinschränkungen bei Zustand nach Oberschenkelhalsfraktur. Dies ergibt sich aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der Pflegefachkraft Br., das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – in juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – in juris, Rn. 51). Ferner bestehen bei der Klägerin eine arterielle Hypertonie, eine generalisierte arterielle Verschlusskrankheit, eine generalisierte Arthrose, ein Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom, Augenprobleme und eine rezidivierende Epistaxis sowie nach ihren Angaben multiple Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten,
cc) Die gesundheitlichen Einschränkungen bedingen nur geringe funktionelle Einschränkungen. Die Klägerin kann die meisten für die Berechnung des Grundpflegebedarfs relevanten Verrichtungen selbst durchführen und tut dies auch. Hilfebedarf besteht lediglich in Form von teilweiser Übernahme beim Waschen des Rückens und der unteren Körperhälfte, teilweiser Übernahme des Kämmens, teilweiser Übernahme beim An- und Entkleiden sowie beim Ein- und Aussteigen in und aus der Dusche. Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten der Dr. M.-B ... Nach dem vorläufigen Entlassungsbericht des Prof. Dr. B. vom 28. Juni 2013 versorgte sich die Klägerin bei der Entlassung in der Körperpflege selbständig und benutzte Anziehhilfen. Ein Bedarf an Unterstützung war nach der Entlassung aus der stationären Behandlung nur für größere Einkäufe und schwerere Hausarbeiten erforderlich.
Mit diesem Hilfebedarf wird ein Grundpflegebedarf von durchschnittlich täglich mehr als 45 Minuten mit deutlichem Abstand nicht erreicht. Die Einschätzung der Sachverständigen Dr. M.-B., die von einen Grundpflegebedarf von täglich 22 Minuten ausgeht, ist ohne Weiteres plausibel.
Darüber hinaus gehenden Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege behauptet auch die Klägerin nicht. Sie verweist lediglich auf Schwierigkeiten beim Einkaufen von Lebensmitteln, der Bereitstellung, dem Waschen und Bügel von Kleidung, dem Zubereiten und Kochen von Essen und der Reinigung der Wohnung. All dies sind aber keine Verrichtungen, die der Grundpflege zuzuordnen sind. Auch die mit dem Erwerb einer Monatskarte für Fahrten nach Stuttgart zum Einkaufen verbundenen Kosten, auf die die Klägerin verweist, sind für die Bemessung des Grundpflegebedarfs irrelevant. Gleiches gilt für die (Kosten der) Arztbesuche, die sie selbständig wahrnimmt.
b) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen.
aa) Nach § 45b Abs. 1 Satz 1 SGB XI können Versicherte, die die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen, je nach Umfang des erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen. Die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen (1.) Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III sowie (2.) Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter im Rahmen der Begutachtung nach § 18 SGB XI als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt haben, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben (§ 45a Abs. 1 Satz 2 SGB XI).
bb) Das SG hat bereits zutreffend festgestellt, dass diese Voraussetzungen bei der Klägerin nicht vorliegen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass bei der Klägerin demenzbedingte Fähigkeitsstörungen, geistige Behinderungen oder psychische Erkrankungen vorliegen, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz führen. Weder behauptet die Klägerin solche Umstände noch sind sie von den im Verwaltungsverfahren tätigen Gutachtern Br. und E. noch von der gerichtlichen Sachverständigen Dr. M.-B. festgestellt worden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
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