Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 P 3000/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 2933/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Pflegegeld.
Der 1941 geborene Kläger ist versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Pflegekasse. Als Folge eines Arbeitsunfalls vom 8. Juli 1996 sind von der zuständigen Berufsgenossenschaft als Unfallfolgen am rechten Arm eine Bewegungseinschränkung des Ellenbogen- und des Handgelenks sowie bei der Unterarmdrehung, belastungsbedingte Beschwerden im Bereich des Unterarms und des Handgelenks, eine reizlose Narbe, eine deutliche Verhärtung der Weichteile der Muskulatur im Bereich des Unterarms, nächtliche Parästhesien und Taubheitsgefühle im distalen Versorgungsgebiet des Ellennerves, eine Minderung der groben Kraft des Armes und der Hand nach knöchern verheiltem Ellenschaftbruch und knöchern verheilter Absprengung am Epicodylus radialis humeri sowie eine Teilschädigung des Ellennerves anerkannt. Ferner liegen ein Diabetes mellitus Typ II sowie eine arterielle Hypertonie vor. Wegen eines stenosierenden Coloncarcinoms befand er sich vom 21. Januar bis 17. Februar 2014 in stationärer Krankenhausbehandlung, in deren Verlauf am 29. Januar 2014 eine Hemikolektomie rechts erfolgte (Bericht des Dr. L. vom 22. Februar 2014), sowie anschließend in ambulanter chemotherapeutischer Behandlung.
Der Kläger beantragte am 14. Februar 2014 Pflegegeld und verwies auf die Darmkrebserkrankung mit den notwendigen weiteren Behandlungen (Chemotherapien). Er erklärte, keinen Hausbesuch durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu wünschen. Der Hilfebedarf könne durch die behandelnden Ärzte des Krankenhauses angegeben werden. Deswegen erfolgte am 28. April 2014 in den Räumen einer Beratungsstelle des MDK die Untersuchung des Klägers durch Pflegefachkraft Kn ... In ihrem Gutachten vom selben Tag kam sie zum Ergebnis, im Bereich der Grundpflege sei der Kläger trotz bestehender derzeitiger Minderbelastbarkeit selbstständig. Hilfe benötige er im Bereich der gesamten hauswirtschaftlichen Versorgung (30 Minuten). Der Kläger bewege sich ohne Hilfsmittel und ohne fremde Hilfe fort. Das Gangbild sei etwas verlangsamt und breitbasig. Freies Stehen sei möglich. Er komme etwas verlangsamt ohne Hilfe vom Sitzen und Liegen zum Stehen. Nacken-, Pinzetten- und Schürzengriff sowie Faustschluss könnten durchgeführt werden. Der Kläger erreiche beim Bücken im Sitzen die Füße. Er könne selbstständig sich morgens anziehen, nach eigenen Angaben auch die Kompressionsstrümpfe, die er wegen Neigung zu Ödemen im Bereich der Beine bis zur Leiste trage sowie sich waschen und den Transfer ins Bad bewältigen. Seit Beginn der Chemotherapie sei er im Bereich der Hände sehr kälteempfindlich und die Atmung bei Belastung etwas erschwert. Manchmal erreiche er nicht rechtzeitig die Toilette, weshalb er sich dann waschen und umkleiden müsse. Die Sehkraft habe in letzter Zeit nachgelassen. Die Beklagte lehnte es ab, Pflegeleistungen zu zahlen (Bescheid vom 29. April 2014).
Der Kläger erhob Widerspruch. Ohne Hilfe rund um die Uhr könne er nicht überleben. Seine Angehörigen müssten unter anderem wegen der Darmkrebserkrankung täglich mehrere Stunden Pflege aufwenden (Einkauf, Nahrungszubereitung, Hilfe beim Essen und Trinken, Kontrolle der Mundhygiene und der Frisur, ständiges Überwachen auch nachts, Medikamente besorgen und verabreichen, Richten und Waschen der Kleidung, wöchentliche Arztbesuche wegen Blutabnahme und Chemotherapie, Reinigung von Bad, Toilette und Zimmer sowie Spaziergänge).
Im von der Beklagten veranlassten weiteren Gutachten bestätigte Dr. H., MDK, in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 3. Juni 2014 das Ergebnis des Vorgutachtens. Nach der Anamnese und der Befunderhebung des vorangegangenen Gutachtens könne der Kläger die grundpflegerischen Verrichtungen trotz der kräftemäßigen Einschränkungen (aufgrund der derzeit voraussichtlich noch bis Herbst oder Winter 2014 andauernden Chemotherapie) nachvollziehbar selbst durchführen. Ein Hilfebedarf beim Essen oder Trinken, der Mundhygiene, beim Kämmen oder regelmäßig nachts sei aus den Einschränkungen und Fähigkeitsstörungen nicht ableitbar. Der im Widerspruch überwiegend geltend gemachte hauswirtschaftliche Hilfebedarf könne aufgrund der Kräfteminderung mit 60 Minuten täglich berücksichtigt werden. Das Verabreichen der Medikamente sei der Behandlungspflege zuzurechnen. Arztbesuche erfolgten derzeit weniger als einmal wöchentlich. Spaziergänge gehörte nicht zu den im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) genannten Verrichtungen.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2014). Unter Berücksichtigung der Gutachten der Pflegefachkraft Kn. und des Dr. H. und des festgestellten Hilfebedarf könnten Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht zur Verfügung gestellt werden.
Der Kläger erhob am 30. Juni 2014 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Die Voraussetzungen der Pflegestufe I seien erfüllt. Er sei pflegebedürftig, weil er an einem bösartigem Darmkrebs erkrankt sei. Die Begutachtungen durch den MDK seien fehlerhaft. Ferner sei er als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt. Er lehne eine Begutachtung ab. Über die Einstufung in eine Pflegestufe sei nach Aktenlage zu entscheiden. Der Kläger legte Arztbriefe vor.
Die Beklagte verwies auf die von ihr erhobenen Gutachten des MDK. Zu den sachverständigen Zeugenauskünften (dazu sogleich) legte sie die sozialmedizinischen Fallberatung des Dr. H. vom 1. April 2015 vor, der beim Ergebnis seines Gutachtens vom 3. Juni 2014 verblieb.
Das SG zog den Bericht des Dr. L. vom 22. Februar 2014 über den stationären Aufenthalt vom 21. Januar bis 17. Februar 2014 bei und hörte den Kläger behandelnde Ärzte als sachverständige Zeugen. Arzt für Allgemeinmedizin W. nannte in seiner Auskunft vom 18. August 2014 als dauerhafte Gesundheitsstörungen des Klägers eine Hypertonie, eine Varikosis mit wiederholten Venenentzündungen, einen Diabetes mellitus mit Verdacht auf diabetische Polyneuropathie, ein stenosierendes Coloncarcinom, eine rezidivierende Lumbalgie sowie eine Gonarthrose rechts mehr als links. Inwieweit der Kläger bedingt durch die Folgen der Darmoperation und der Chemotherapie pflegebedürftig gewesen sei, entziehe sich seiner Kenntnis. Arzt für Innere Medizin Dr. E. (Auskunft vom 16. Februar 2015) berichtete über die vom 26. Februar bis 14. August 2014 erfolgten Behandlungen mit insgesamt 15 Terminen zu Chemotherapie-Infusionen sowie zur Terminplanung und Verlaufskontrolle. Der Kläger habe teilweise zu den Terminen krankheits- und therapiebedingt begleitet werden müssen. Er habe nach der operativen Entfernung des Darmtumors einen deutlich verzögerten Aufbau der körperlichen Leistungsfähigkeit und des Körpergewichts gezeigt. Erst ab August 2014 sei eine anhaltende Stabilisierung zu dokumentieren.
Das SG ernannte Dr. M. zum gerichtlichen Sachverständigen, hob diese Erkennung wieder auf, weil der Kläger eine Begutachtung ablehnte.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2015 ab. Der Kläger habe den eingeholten Gutachten des MDK zufolge im Bereich der Verrichtungen der Grundpflege keinen Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten am Tag. Ob dies zutreffe oder ob nicht im Hinblick auf den deutlich verzögerten Aufbau der körperlichen Leistungsfähigkeit und des Körpergewichts nach der Tumoroperation von Januar bis August 2014 ein gewisser Hilfebedarf bei anstrengenden Verrichtungen der Grundpflege wie Baden oder Duschen bestanden haben könnte, habe ohne ein Sachverständigengutachten, das der Kläger verweigert habe, nicht definitiv aufgeklärt werden können. Im Gutachten der Pflegefachkraft Kn. vom 28. April 2014 sei jedenfalls die eingeschränkte Belastbarkeit eingehend beschrieben und auch ein Hilfebedarf bei allen hauswirtschaftlichen Verrichtungen, die in der Regel auch relativ anstrengend seien (z.B. Wäsche waschen, Wohnung reinigen), bestätigt worden. Ein Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege sei aber nicht gesehen worden. Auch der Kläger selbst habe im Widerspruchs- und im Klageverfahren überwiegend auf Hilfen im Bereich der Hauswirtschaft abgestellt. Selbst wenn bei einzelnen Verrichtungen der Grundpflege im Zeitraum von Januar/Februar bis August 2014 ein gewisser Hilfebedarf vorhanden gewesen sein sollte, spreche nichts Greifbares dafür, dass dieser über 45 Minuten am Tag betragen haben sollte. Soweit der Kläger auf verschiedene bei ihm diagnostizierte Krankheitsbilder abstelle, bewiesen diese keine erhebliche Pflegebedürftigkeit.
Gegen den ihm am 21. Juni 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 6. Juli 2015 beim SG Berufung eingelegt. Er hat seine bisherige Auffassung wiederholt.
Der Kläger beantragt, (sachgerecht gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 29. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Februar 2014 Pflegegeld mindestens nach der Pflegestufe I zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Gutachten des MDK und die Ausführungen im Gerichtsbescheid des SG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Der Kläger hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung. Denn der Kläger begehrt Leistungen (Pflegegeld) für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 29. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Pflegegeld.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI anstelle der Pflegesachleistungen ein Pflegegeld erhalten. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Maßgebend für den zeitlichen Aufwand ist grundsätzlich die tatsächlich bestehende Pflegesituation unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des zu Pflegenden, allerdings am Maßstab des allgemein Üblichen. § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die im Einzelfall unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs oder die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - und 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R -, beide in juris). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinie der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinie) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 Begutachtungs-Richtlinie; vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R -, in juris, m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R -, in juris).
Die Voraussetzungen für die Pflegestufe I sind bereits nicht erfüllt, so dass auch die Voraussetzungen für die Pflegestufen II und III nicht erfüllt sind.
a) Beim Kläger steht im Vordergrund die Erkrankung an einem stenosierenden Coloncarcinom, die zunächst am 29. Januar 2014 operativ mittels Hemikolektomie (chirurgisches Verfahren zur Teilentfernung eines Dickdarmabschnitts) und anschließend mit Chemotherapie bis 6. August 2014 behandelt wurde. Aufgrund der Operation und der nachfolgenden Chemotherapie war der Kläger wegen längeren Episode mit Durchfall körperlich geschwächt. Der Aufbau der körperlichen Leistungsfähigkeit und des Körpergewichts verzögerte sich. Dies entnimmt der Senat der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. E ... Die eingeschränkte Belastbarkeit bei der laufenden Chemotherapie beschrieben auch Pflegefachkraft Kn. in ihrem Gutachten vom 28. April 2014 aufgrund der am selben Tag erfolgten ambulanten Untersuchung des Klägers sowie Dr. H. in seinem Gutachten vom 3. Juni 2014. Ein Hilfebedarf bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI abschließend genannten Verrichtungen der Grundpflege ergibt sich hieraus nicht. Der Senat entnimmt dies den Gutachten der Pflegefachkraft Kn. vom 28. April 2014 und des Dr. H. vom 3. Juni 2014. Sie haben schlüssig und nachvollziehbar aufgrund der erhobenen Befunde und der Angaben des Klägers einen fehlenden Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege angenommen. Der Kläger gab insbesondere gegenüber der Pflegefachkraft Kn. an, selbstständig sich morgens zu waschen und anzuziehen, einschließlich der Kompressionsstrümpfe. Auch der Gang zur Toilette erfolgt selbstständig. Im Hinblick auf die erhobenen Befunde ist dies schlüssig. Denn der Kläger konnte die üblichen Griffformen (Nacken-, Schürzen- und Pinzettengriff) durchführen. Auch konnte er sich ohne Hilfsmittel und ohne fremde Hilfe in seiner Wohnung bewegen. Soweit aufgrund des Arbeitsunfalls vom 8. Juli 1996 Bewegungseinschränkungen am rechten Arm bestehen, sind diese geringfügig und der Kläger hatte in der Zeit vor Stellung des Antrags auf Pflegegeld am 13. Februar 2014 deswegen keinen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege.
b) Der Gesundheitszustand des Klägers verschlechterte sich seit den Begutachtungen durch Pflegefachkraft Kn. und Dr. H. nicht. Vielmehr trat bei der Erkrankung des Coloncarcinoms ab August 2014 eine anhaltende Stabilisierung ein (sachverständige Zeugenauskunft des Dr. E. vom 16. Februar 2015). Auch aus den vom Kläger dem SG vorgelegten Arztbriefen ergeben sich keine Gesundheitsstörungen, die zu solchen Funktionseinschränkungen führten, die einen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege bedingten. Die computertomografischen Untersuchungen des Thorax im Juli 2014 und März 2015 zeigten keine Metastasen (Arztbriefe der Radiologen Dr. Ba. und andere vom 7. Juli 2014 und 30. März 2015). Im Arztbrief vom 30. März 2015 wird ein insgesamt altersentsprechender, unauffälliger Herz-Lungen-Befund beschrieben. Der vom Kläger vorgelegte Arztbrief dieser radiologischen Praxis über eine Kernspintomographie des rechten Kniegelenks datiert vom 3. Mai 2005, der vorgelegte Operationsbericht über die arthroskopische Resektion des Innenmeniskushinterhorns vom 13. November 2003, mithin aus Zeiten vor dem streitgegenständlichen Antrag auf Pflegeleistungen.
c) Dass der Kläger zu den Terminen für die Chemotherapie teilweise begleitet werden musste, wie dies Dr. E. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 16. Februar 2015 angab, begründet keinen Hilfebedarf bei der Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung. Ein solcher Hilfebedarf ist nur berücksichtigungsfähig, wenn ein Arzt regelmäßig einmal in der Woche aufgesucht wird (vgl. hierzu z.B. BSG, Urteil vom 29. April 1999 - B 3 P 7/98 R - in juris). Dies war nicht der Fall. Wie sich der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. E. entnehmen lässt, waren in der Zeit vom 26. Februar bis 14. August 2014 nicht jede Woche Behandlungstermine. Zwischen dem 26. Februar und dem 14. August 2014 (24 Wochen) erfolgten insgesamt 15 Termine.
d) Auch die vom Kläger mit seinem Widerspruch geltend gemachten Verrichtungen begründen keinen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege.
Bei der Verrichtung des Verlassens und des Wiederaufsuchens der Wohnung ergibt sich kein Hilfebedarf, weil der Kläger bei Spaziergängen begleitet wird. Ein solcher Hilfebedarf ist nicht zu berücksichtigen (hierzu BSG, Urteile vom 10. Oktober 2000 - B 3 P 15/99 R - und vom 12. November 2003 - B 3 P 5/02 R -, beide in juris).
Soweit der Kläger auf eine ständige Überwachung auch nachts verwies, lässt sich daraus ein berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf nicht ableiten. Für die Ermittlung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen kommt es allein auf den Hilfebedarf bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen an. Die Beaufsichtigung zur Vermeidung einer Selbst- oder Fremdgefährdung kann ebenso wenig in Ansatz gebracht werden (BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 13/97 R - in juris) wie eine allgemeine Ruf- oder Einsatzbereitschaft einer Pflegeperson (BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 7/97 R - und BSG, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - B 3 P 23/08 B - beide in juris).
Das Besorgen und die Gabe von Medikamenten ist der so genannten Behandlungspflege zuzuordnen. Es ist nicht erkennbar, dass in unmittelbarem Zusammenhang mit einer der in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen Medikamente zu geben sind, so dass ein berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf (§ 15 Abs. 3 Satz 2 SGB XI) im Betracht käme.
Hinsichtlich der weiteren vom Kläger im Widerspruch geltend gemachten Verrichtungen sind diese - wie Dr. H. in seinem Gutachten vom 3. Juni 2014 zutreffend ausführte - dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen.
3. Weitere Ermittlungen sind - unabhängig davon, dass der Kläger eine Begutachtung durch einen Sachverständigen ablehnt - bei dieser Sachlage sowie dem Umstand, dass der Kläger die zeitliche Mindestgrenze für einen Anspruch auf Pflegegeld bei Weitem verfehlt, nicht erforderlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Pflegegeld.
Der 1941 geborene Kläger ist versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Pflegekasse. Als Folge eines Arbeitsunfalls vom 8. Juli 1996 sind von der zuständigen Berufsgenossenschaft als Unfallfolgen am rechten Arm eine Bewegungseinschränkung des Ellenbogen- und des Handgelenks sowie bei der Unterarmdrehung, belastungsbedingte Beschwerden im Bereich des Unterarms und des Handgelenks, eine reizlose Narbe, eine deutliche Verhärtung der Weichteile der Muskulatur im Bereich des Unterarms, nächtliche Parästhesien und Taubheitsgefühle im distalen Versorgungsgebiet des Ellennerves, eine Minderung der groben Kraft des Armes und der Hand nach knöchern verheiltem Ellenschaftbruch und knöchern verheilter Absprengung am Epicodylus radialis humeri sowie eine Teilschädigung des Ellennerves anerkannt. Ferner liegen ein Diabetes mellitus Typ II sowie eine arterielle Hypertonie vor. Wegen eines stenosierenden Coloncarcinoms befand er sich vom 21. Januar bis 17. Februar 2014 in stationärer Krankenhausbehandlung, in deren Verlauf am 29. Januar 2014 eine Hemikolektomie rechts erfolgte (Bericht des Dr. L. vom 22. Februar 2014), sowie anschließend in ambulanter chemotherapeutischer Behandlung.
Der Kläger beantragte am 14. Februar 2014 Pflegegeld und verwies auf die Darmkrebserkrankung mit den notwendigen weiteren Behandlungen (Chemotherapien). Er erklärte, keinen Hausbesuch durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu wünschen. Der Hilfebedarf könne durch die behandelnden Ärzte des Krankenhauses angegeben werden. Deswegen erfolgte am 28. April 2014 in den Räumen einer Beratungsstelle des MDK die Untersuchung des Klägers durch Pflegefachkraft Kn ... In ihrem Gutachten vom selben Tag kam sie zum Ergebnis, im Bereich der Grundpflege sei der Kläger trotz bestehender derzeitiger Minderbelastbarkeit selbstständig. Hilfe benötige er im Bereich der gesamten hauswirtschaftlichen Versorgung (30 Minuten). Der Kläger bewege sich ohne Hilfsmittel und ohne fremde Hilfe fort. Das Gangbild sei etwas verlangsamt und breitbasig. Freies Stehen sei möglich. Er komme etwas verlangsamt ohne Hilfe vom Sitzen und Liegen zum Stehen. Nacken-, Pinzetten- und Schürzengriff sowie Faustschluss könnten durchgeführt werden. Der Kläger erreiche beim Bücken im Sitzen die Füße. Er könne selbstständig sich morgens anziehen, nach eigenen Angaben auch die Kompressionsstrümpfe, die er wegen Neigung zu Ödemen im Bereich der Beine bis zur Leiste trage sowie sich waschen und den Transfer ins Bad bewältigen. Seit Beginn der Chemotherapie sei er im Bereich der Hände sehr kälteempfindlich und die Atmung bei Belastung etwas erschwert. Manchmal erreiche er nicht rechtzeitig die Toilette, weshalb er sich dann waschen und umkleiden müsse. Die Sehkraft habe in letzter Zeit nachgelassen. Die Beklagte lehnte es ab, Pflegeleistungen zu zahlen (Bescheid vom 29. April 2014).
Der Kläger erhob Widerspruch. Ohne Hilfe rund um die Uhr könne er nicht überleben. Seine Angehörigen müssten unter anderem wegen der Darmkrebserkrankung täglich mehrere Stunden Pflege aufwenden (Einkauf, Nahrungszubereitung, Hilfe beim Essen und Trinken, Kontrolle der Mundhygiene und der Frisur, ständiges Überwachen auch nachts, Medikamente besorgen und verabreichen, Richten und Waschen der Kleidung, wöchentliche Arztbesuche wegen Blutabnahme und Chemotherapie, Reinigung von Bad, Toilette und Zimmer sowie Spaziergänge).
Im von der Beklagten veranlassten weiteren Gutachten bestätigte Dr. H., MDK, in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 3. Juni 2014 das Ergebnis des Vorgutachtens. Nach der Anamnese und der Befunderhebung des vorangegangenen Gutachtens könne der Kläger die grundpflegerischen Verrichtungen trotz der kräftemäßigen Einschränkungen (aufgrund der derzeit voraussichtlich noch bis Herbst oder Winter 2014 andauernden Chemotherapie) nachvollziehbar selbst durchführen. Ein Hilfebedarf beim Essen oder Trinken, der Mundhygiene, beim Kämmen oder regelmäßig nachts sei aus den Einschränkungen und Fähigkeitsstörungen nicht ableitbar. Der im Widerspruch überwiegend geltend gemachte hauswirtschaftliche Hilfebedarf könne aufgrund der Kräfteminderung mit 60 Minuten täglich berücksichtigt werden. Das Verabreichen der Medikamente sei der Behandlungspflege zuzurechnen. Arztbesuche erfolgten derzeit weniger als einmal wöchentlich. Spaziergänge gehörte nicht zu den im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) genannten Verrichtungen.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2014). Unter Berücksichtigung der Gutachten der Pflegefachkraft Kn. und des Dr. H. und des festgestellten Hilfebedarf könnten Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht zur Verfügung gestellt werden.
Der Kläger erhob am 30. Juni 2014 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Die Voraussetzungen der Pflegestufe I seien erfüllt. Er sei pflegebedürftig, weil er an einem bösartigem Darmkrebs erkrankt sei. Die Begutachtungen durch den MDK seien fehlerhaft. Ferner sei er als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt. Er lehne eine Begutachtung ab. Über die Einstufung in eine Pflegestufe sei nach Aktenlage zu entscheiden. Der Kläger legte Arztbriefe vor.
Die Beklagte verwies auf die von ihr erhobenen Gutachten des MDK. Zu den sachverständigen Zeugenauskünften (dazu sogleich) legte sie die sozialmedizinischen Fallberatung des Dr. H. vom 1. April 2015 vor, der beim Ergebnis seines Gutachtens vom 3. Juni 2014 verblieb.
Das SG zog den Bericht des Dr. L. vom 22. Februar 2014 über den stationären Aufenthalt vom 21. Januar bis 17. Februar 2014 bei und hörte den Kläger behandelnde Ärzte als sachverständige Zeugen. Arzt für Allgemeinmedizin W. nannte in seiner Auskunft vom 18. August 2014 als dauerhafte Gesundheitsstörungen des Klägers eine Hypertonie, eine Varikosis mit wiederholten Venenentzündungen, einen Diabetes mellitus mit Verdacht auf diabetische Polyneuropathie, ein stenosierendes Coloncarcinom, eine rezidivierende Lumbalgie sowie eine Gonarthrose rechts mehr als links. Inwieweit der Kläger bedingt durch die Folgen der Darmoperation und der Chemotherapie pflegebedürftig gewesen sei, entziehe sich seiner Kenntnis. Arzt für Innere Medizin Dr. E. (Auskunft vom 16. Februar 2015) berichtete über die vom 26. Februar bis 14. August 2014 erfolgten Behandlungen mit insgesamt 15 Terminen zu Chemotherapie-Infusionen sowie zur Terminplanung und Verlaufskontrolle. Der Kläger habe teilweise zu den Terminen krankheits- und therapiebedingt begleitet werden müssen. Er habe nach der operativen Entfernung des Darmtumors einen deutlich verzögerten Aufbau der körperlichen Leistungsfähigkeit und des Körpergewichts gezeigt. Erst ab August 2014 sei eine anhaltende Stabilisierung zu dokumentieren.
Das SG ernannte Dr. M. zum gerichtlichen Sachverständigen, hob diese Erkennung wieder auf, weil der Kläger eine Begutachtung ablehnte.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2015 ab. Der Kläger habe den eingeholten Gutachten des MDK zufolge im Bereich der Verrichtungen der Grundpflege keinen Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten am Tag. Ob dies zutreffe oder ob nicht im Hinblick auf den deutlich verzögerten Aufbau der körperlichen Leistungsfähigkeit und des Körpergewichts nach der Tumoroperation von Januar bis August 2014 ein gewisser Hilfebedarf bei anstrengenden Verrichtungen der Grundpflege wie Baden oder Duschen bestanden haben könnte, habe ohne ein Sachverständigengutachten, das der Kläger verweigert habe, nicht definitiv aufgeklärt werden können. Im Gutachten der Pflegefachkraft Kn. vom 28. April 2014 sei jedenfalls die eingeschränkte Belastbarkeit eingehend beschrieben und auch ein Hilfebedarf bei allen hauswirtschaftlichen Verrichtungen, die in der Regel auch relativ anstrengend seien (z.B. Wäsche waschen, Wohnung reinigen), bestätigt worden. Ein Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege sei aber nicht gesehen worden. Auch der Kläger selbst habe im Widerspruchs- und im Klageverfahren überwiegend auf Hilfen im Bereich der Hauswirtschaft abgestellt. Selbst wenn bei einzelnen Verrichtungen der Grundpflege im Zeitraum von Januar/Februar bis August 2014 ein gewisser Hilfebedarf vorhanden gewesen sein sollte, spreche nichts Greifbares dafür, dass dieser über 45 Minuten am Tag betragen haben sollte. Soweit der Kläger auf verschiedene bei ihm diagnostizierte Krankheitsbilder abstelle, bewiesen diese keine erhebliche Pflegebedürftigkeit.
Gegen den ihm am 21. Juni 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 6. Juli 2015 beim SG Berufung eingelegt. Er hat seine bisherige Auffassung wiederholt.
Der Kläger beantragt, (sachgerecht gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 29. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Februar 2014 Pflegegeld mindestens nach der Pflegestufe I zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Gutachten des MDK und die Ausführungen im Gerichtsbescheid des SG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Der Kläger hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung. Denn der Kläger begehrt Leistungen (Pflegegeld) für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 29. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Pflegegeld.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI anstelle der Pflegesachleistungen ein Pflegegeld erhalten. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Maßgebend für den zeitlichen Aufwand ist grundsätzlich die tatsächlich bestehende Pflegesituation unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des zu Pflegenden, allerdings am Maßstab des allgemein Üblichen. § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die im Einzelfall unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs oder die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - und 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R -, beide in juris). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinie der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinie) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 Begutachtungs-Richtlinie; vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R -, in juris, m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R -, in juris).
Die Voraussetzungen für die Pflegestufe I sind bereits nicht erfüllt, so dass auch die Voraussetzungen für die Pflegestufen II und III nicht erfüllt sind.
a) Beim Kläger steht im Vordergrund die Erkrankung an einem stenosierenden Coloncarcinom, die zunächst am 29. Januar 2014 operativ mittels Hemikolektomie (chirurgisches Verfahren zur Teilentfernung eines Dickdarmabschnitts) und anschließend mit Chemotherapie bis 6. August 2014 behandelt wurde. Aufgrund der Operation und der nachfolgenden Chemotherapie war der Kläger wegen längeren Episode mit Durchfall körperlich geschwächt. Der Aufbau der körperlichen Leistungsfähigkeit und des Körpergewichts verzögerte sich. Dies entnimmt der Senat der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. E ... Die eingeschränkte Belastbarkeit bei der laufenden Chemotherapie beschrieben auch Pflegefachkraft Kn. in ihrem Gutachten vom 28. April 2014 aufgrund der am selben Tag erfolgten ambulanten Untersuchung des Klägers sowie Dr. H. in seinem Gutachten vom 3. Juni 2014. Ein Hilfebedarf bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI abschließend genannten Verrichtungen der Grundpflege ergibt sich hieraus nicht. Der Senat entnimmt dies den Gutachten der Pflegefachkraft Kn. vom 28. April 2014 und des Dr. H. vom 3. Juni 2014. Sie haben schlüssig und nachvollziehbar aufgrund der erhobenen Befunde und der Angaben des Klägers einen fehlenden Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege angenommen. Der Kläger gab insbesondere gegenüber der Pflegefachkraft Kn. an, selbstständig sich morgens zu waschen und anzuziehen, einschließlich der Kompressionsstrümpfe. Auch der Gang zur Toilette erfolgt selbstständig. Im Hinblick auf die erhobenen Befunde ist dies schlüssig. Denn der Kläger konnte die üblichen Griffformen (Nacken-, Schürzen- und Pinzettengriff) durchführen. Auch konnte er sich ohne Hilfsmittel und ohne fremde Hilfe in seiner Wohnung bewegen. Soweit aufgrund des Arbeitsunfalls vom 8. Juli 1996 Bewegungseinschränkungen am rechten Arm bestehen, sind diese geringfügig und der Kläger hatte in der Zeit vor Stellung des Antrags auf Pflegegeld am 13. Februar 2014 deswegen keinen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege.
b) Der Gesundheitszustand des Klägers verschlechterte sich seit den Begutachtungen durch Pflegefachkraft Kn. und Dr. H. nicht. Vielmehr trat bei der Erkrankung des Coloncarcinoms ab August 2014 eine anhaltende Stabilisierung ein (sachverständige Zeugenauskunft des Dr. E. vom 16. Februar 2015). Auch aus den vom Kläger dem SG vorgelegten Arztbriefen ergeben sich keine Gesundheitsstörungen, die zu solchen Funktionseinschränkungen führten, die einen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege bedingten. Die computertomografischen Untersuchungen des Thorax im Juli 2014 und März 2015 zeigten keine Metastasen (Arztbriefe der Radiologen Dr. Ba. und andere vom 7. Juli 2014 und 30. März 2015). Im Arztbrief vom 30. März 2015 wird ein insgesamt altersentsprechender, unauffälliger Herz-Lungen-Befund beschrieben. Der vom Kläger vorgelegte Arztbrief dieser radiologischen Praxis über eine Kernspintomographie des rechten Kniegelenks datiert vom 3. Mai 2005, der vorgelegte Operationsbericht über die arthroskopische Resektion des Innenmeniskushinterhorns vom 13. November 2003, mithin aus Zeiten vor dem streitgegenständlichen Antrag auf Pflegeleistungen.
c) Dass der Kläger zu den Terminen für die Chemotherapie teilweise begleitet werden musste, wie dies Dr. E. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 16. Februar 2015 angab, begründet keinen Hilfebedarf bei der Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung. Ein solcher Hilfebedarf ist nur berücksichtigungsfähig, wenn ein Arzt regelmäßig einmal in der Woche aufgesucht wird (vgl. hierzu z.B. BSG, Urteil vom 29. April 1999 - B 3 P 7/98 R - in juris). Dies war nicht der Fall. Wie sich der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. E. entnehmen lässt, waren in der Zeit vom 26. Februar bis 14. August 2014 nicht jede Woche Behandlungstermine. Zwischen dem 26. Februar und dem 14. August 2014 (24 Wochen) erfolgten insgesamt 15 Termine.
d) Auch die vom Kläger mit seinem Widerspruch geltend gemachten Verrichtungen begründen keinen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege.
Bei der Verrichtung des Verlassens und des Wiederaufsuchens der Wohnung ergibt sich kein Hilfebedarf, weil der Kläger bei Spaziergängen begleitet wird. Ein solcher Hilfebedarf ist nicht zu berücksichtigen (hierzu BSG, Urteile vom 10. Oktober 2000 - B 3 P 15/99 R - und vom 12. November 2003 - B 3 P 5/02 R -, beide in juris).
Soweit der Kläger auf eine ständige Überwachung auch nachts verwies, lässt sich daraus ein berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf nicht ableiten. Für die Ermittlung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen kommt es allein auf den Hilfebedarf bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen an. Die Beaufsichtigung zur Vermeidung einer Selbst- oder Fremdgefährdung kann ebenso wenig in Ansatz gebracht werden (BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 13/97 R - in juris) wie eine allgemeine Ruf- oder Einsatzbereitschaft einer Pflegeperson (BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 7/97 R - und BSG, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - B 3 P 23/08 B - beide in juris).
Das Besorgen und die Gabe von Medikamenten ist der so genannten Behandlungspflege zuzuordnen. Es ist nicht erkennbar, dass in unmittelbarem Zusammenhang mit einer der in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen Medikamente zu geben sind, so dass ein berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf (§ 15 Abs. 3 Satz 2 SGB XI) im Betracht käme.
Hinsichtlich der weiteren vom Kläger im Widerspruch geltend gemachten Verrichtungen sind diese - wie Dr. H. in seinem Gutachten vom 3. Juni 2014 zutreffend ausführte - dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen.
3. Weitere Ermittlungen sind - unabhängig davon, dass der Kläger eine Begutachtung durch einen Sachverständigen ablehnt - bei dieser Sachlage sowie dem Umstand, dass der Kläger die zeitliche Mindestgrenze für einen Anspruch auf Pflegegeld bei Weitem verfehlt, nicht erforderlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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