L 12 AS 2640/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 2360/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2640/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23.05.2014 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von April 2013 bis September 2013 in Form der vom Beklagten zu übernehmenden Kosten der Unterkunft.

Die 1990 geborene Klägerin sprach am 05.11.2012 beim Beklagten (Mitarbeiterin Frau R.) vor. Zuvor stand sie letztmals im September 2007 über die Bedarfsgemeinschaft ihrer Mutter im Leistungsbezug des Beklagten. Bei ihrer Vorsprache am 05.11.2012 gab die Klägerin an, dass sie aus ihrem Elternhaus ausziehen wolle und berichtete von psychischen Problemen und deswegen erfolgter stationärer Behandlung. In einem zu dieser Vorsprache erstellten Aktenvermerk wird ausgeführt: "Kdin mit Bescheinigung an das Jugendamt verwiesen. MOG-Tabelle und Mietbescheinigung ausgehändigt + Umzugsverfahren erläutert".

Am 15.11.2012 sprach die Klägerin erneut beim Beklagten (Mitarbeiterin Frau R.) vor und beantragte Leistungen nach dem SGB II. Anlässlich dieser Vorsprache legte die Klägerin eine Bescheinigung des Kreisjugendamtes vom 07.11.2012 vor, mit der bestätigt wurde, dass sie dort nicht aktenkundig sei. Weiterhin legte sie ein ärztliches Attest der Dres. C. / R.-A., Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie, vom 31.10.2012 vor, wonach es aus fachärztlicher Sicht zwingend erforderlich sei, dass die Klägerin in eine eigene Wohnung ziehe. In einem zu dieser Vorsprache am 15.11.2012 erstellten Aktenvermerk wird u.a. ausgeführt: "Kdin möchte ALG II beantragen Frau V. hat bereits Wohnung ab 01.01.13 in Aussicht Keine Zusicherung KDU ausgehändigt. Die Zusicherung kann nur vom SB erfolgen". Ausweislich des Aktenvermerks wurden zudem Termine zum Erstgespräch und zur Antragsabgabe beim Sachbearbeiter für den 22.11.2012 und 26.11.2012 vereinbart.

Mit E-Mail vom 20.11.2012 sagte die Klägerin die vereinbarten Termine beim Beklagten ab. Der Grund hierfür sei, dass es (bei den Terminen) um die Antragstellung gegangen sei, die jetzt aber nicht sofort möglich sei, da der Vermieter die in Aussicht gestellte Wohnung abgesagt habe. Ihr sei erklärt worden, dass eine Antragstellung nur möglich sei, wenn sie auch eine Wohnung in Aussicht habe. Daraufhin teilte der Beklagte der Klägerin mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 22.11.2012 mit, dem Antrag auf Gewährung von Leistungen vom 15.11.2012 könne nicht entsprochen werden.

Am 18.03.2013 schloss die Klägerin, ohne zuvor nochmals beim Beklagten vorgesprochen zu haben, einen am 01.04.2013 beginnenden Mietvertrag über eine Dreizimmerwohnung (61 m²) in der N. Straße, R. mit einer Kaltmiete von 300 EUR zzgl. 100 EUR Nebenkostenvorauszahlung. Am Folgetag, dem 19.03.2013 sprach die Klägerin erneut beim Beklagten vor und beantragte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Am 01.04.2012 zog die Klägerin in die Wohnung in der N. Straße, R. um.

Mit Bescheid vom 16.05.2013 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2013 bis 30.09.2013 in Höhe von monatlich 228 EUR für den Regelbedarf (unter Berücksichtigung von Einkommen aus Kindergeld abzüglich der Pauschale von 30 EUR). Kosten der Unterkunft könnten nicht berücksichtigt werden, da die Klägerin ohne eine zwingend notwendige vorherige Zusicherung des Beklagten die Wohnung angemietet habe. Ferner sei die Übernahme der Kosten der Unterkunft ausgeschlossen, wenn der Umzug in der Absicht erfolge, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 12.06.2013 Widerspruch und führte zur Begründung u.a. aus, nachdem ihr im Herbst 2012 von Frau R. aus der Antragsberatung das "O.K." gegeben worden sei, eine Wohnung zu suchen, habe sie dies getan. Ihr sei erklärt worden, dass aufgrund des fachärztlichen Attestes bei ihr ein Ausnahmefall vorliege. Nach Absage der ersten Wohnung habe sie weitergesucht, da ihr zum 01.04.2013 Obdachlosigkeit gedroht habe. In dieser akuten Wohnungsnot habe sie am 18.03.2013 die Möglichkeit erhalten, die Wohnung in der N. Straße anzumieten, was sie dann auch sofort getan habe (bei mehreren Interessenten für die Wohnung). Am 19.03.2013 habe sie erneut bei Frau R. vorgesprochen, um einen Antrag zu stellen. Von einer weiteren Zusicherung des J.-C. sei nie die Rede gewesen, weder in diesem noch in vorherigen Gesprächen. Ihr sei zu keinem Zeitpunkt gesagt worden, dass sie einen Fehler gemacht habe. Im Gegenteil habe sich Frau R. positiv gegeben und erklärt, auch die etwas zu große Wohnung sei kein Problem, da sie ja preislich weit unter der Mietobergrenze liege. Sie habe ihr direkt einen Termin zur Antragstellung Anfang April gegeben und sie aufgefordert, bis dahin umzuziehen und sich beim Einwohnermeldeamt umzumelden. Sie habe ihr auch empfohlen, ein formloses Schreiben bezüglich einer Erstausstattung aufzusetzen, lediglich die Kaution könne nicht vom J.-C. übernommen werden. Es ginge alles in Ordnung. Hätte Frau R. seinerzeit irgendwelche Bedenken geäußert, hätte sie den am Vorabend unterschriebenen Mietvertrag sofort wieder annullieren können. Frau R. habe eindeutig gegen ihre Auskunfts- und Beratungspflicht verstoßen. Erst mit dem angefochtenen Bescheid habe sie zu hören bekommen, dass es nie eine Kostenzusage gegeben habe bzw. dass sie sich nochmals hätte melden müssen. Dies alles könne auch von einer Begleitperson bezeugt werden, die sie zu den Terminen begleitet habe. Außerdem sei nicht richtig, dass sie in der Absicht umgezogen sei, um die Bedingungen für Leistungen herbeizuführen. Sie sei psychisch krank und seit mehreren Jahren in fachärztlicher Behandlung. Anfang 2012 sei sie zudem beim Psychologischen Dienst des Beklagten gewesen. Durch die unzureichenden bzw. falschen Aussagen der Mitarbeiter des Beklagten habe sie sich hoch verschuldet.

Nach Wegfall des Kindergeldes zum 31.03.2013 wurden der Klägerin mit Änderungsbescheid des Beklagten vom 15.08.2013 für die Zeit vom 01.04.2013 bis 30.09.2013 Leistungen für den Regelbedarf in Höhe von monatlich 382 EUR bewilligt.

Ebenfalls am 15.08.2013 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mittels Widerspruchsbescheid nach Erteilung des Änderungsbescheides vom 15.08.2013 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Klägerin hätte vor Unterzeichnung des Mietvertrages zum konkret beabsichtigten Auszug bzw. zum konkreten Mietverhältnis eine schriftliche Zusicherung zum Umzug bei dem Beklagten einholen müssen. Vorliegend habe die Klägerin erst nach Abschluss des Mietvertrages am 18.03.2013 für die neue Wohnung in R. am 19.03.2013 einen Antrag auf Gewährung der Unterkunftskosten nach dem SGB II gestellt. Eine schriftliche Zusicherung des Beklagten zum Umzug sei nicht erteilt worden. Die Vorsprache der Klägerin im November 2012 könne zu keinem anderen Ergebnis führen, da auch hier keine Zusicherung seitens des Beklagten zum Umzug erteilt worden sei. Da die Klägerin ohne Zusicherung in ihre jetzige Wohnung gezogen sei, betrage der für sie maßgebende Regelbedarf (eigentlich) 306 EUR monatlich. Durch die (tatsächliche) Bewilligung des ungekürzten Regelbedarfs von monatlich 382 EUR sei die Klägerin erheblich begünstigt worden.

Hiergegen hat die Klägerin am 05.09.2013 Klage beim Sozialgericht R. (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie auf ihren Vortrag im Widerspruchsverfahren verwiesen. Sie hat insbesondere ihren Vortrag vertieft und wiederholt, dass sie von keiner Seite auf die Notwendigkeit einer Zustimmung (des Beklagten) hingewiesen worden sei. Hiervon habe sie im Bescheid erstmals erfahren. Die Mitarbeiter des J.-C. hätten sich nicht an ihre Beratungspflicht gehalten. Ergänzend hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG vorgetragen, ihre Mutter sei zum 01.04.2013 in eine neu, kleinere Wohnung eingezogen, deshalb sei sie sehr glücklich gewesen, als sie selbst eine Wohnung gefunden habe, da sie ansonsten obdachlos geworden wäre.

Der Beklagte hat in der Klageerwiderung an seiner Auffassung festgehalten und im Übrigen eine Stellungnahme der Sachbearbeiterin Frau R. vom 31.10.2013 vorgelegt, in der diese u.a. ausführte, sie habe die Klägerin bei der Vorsprache am 05.11.2012 darauf hingewiesen, dass eine Wohnung vor Unterzeichnung des Mietvertrages vom J.-C. genehmigt werden müsse.

Nach mündlicher Verhandlung vom 23.05.2014, in der das SG die Zeuginnen K. R. und L. F. W. uneidlich vernommen hat, hat das SG den Beklagten mit Urteil vom 23.05.2014 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01.04.2013 bis 30.09.2013 auch Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung einer monatlichen Kaltmiete von 300 EUR zuzüglich 100 EUR Nebenkostenpauschale zu zahlen. Zur Begründung hat das SG unter Darstellung der rechtlichen Voraussetzung des § 22 Abs. 5 SGB II ausgeführt, die Sätze 1 bis 3 des § 22 Abs. 5 SGB II seien nicht auf Personen - wie die Klägerin - anwendbar, die zum Zeitpunkt ihres (erstmaligen) Auszuges aus dem elterlichen Haushalt nicht Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II gewesen seien und Leistungen bezogen hätten. Aus dem Wortlaut des Satzes 1, der auf die Leistungen "für die Zeit nach dem Umzug" abstelle, folge diese Einschränkung nicht ausdrücklich; die einschränkende Auslegung ergebe sich jedoch aus dem Willen des Gesetzgebers und dem Sinn und Zweck der Norm. Mit der Einführung dieser Regelung sei beabsichtigt gewesen, hohen Kosten zu begegnen, die u.a. durch den Erstbezug einer eigenen Wohnung durch Personen entstehen, die entweder bislang wegen Unterstützung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft keinen Anspruch hatten oder als Teil der Bedarfsgemeinschaft niedrigere Leistungen bezogen haben. Junge Leistungsberechtigte sollten grundsätzlich und unabhängig von bestehenden Unterhaltspflichten in der elterlichen Wohnung verbleiben. Ihr Auszug aus dem Elternhaus solle nicht aus öffentlichen Mitteln finanziert und außer in Sonderfällen nur anerkannt werden, wenn sie finanziell "auf eigenen Füßen stehen". Das SGB II mit seinen Rechtsfolgen entfalte jedoch nur Wirkung für Personen, die bereits Leistungen beantragt hätten oder solche beziehen. Die Entstehungsgeschichte der hier maßgebenden Regelung spreche ebenfalls für die vorgenommene restriktive Auslegung. Der Gesetzgeber habe mit dem Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.03.2006 (BGBl. I S. 558) zunächst nur die Sätze 1 bis 3 des Abs. 2a eingeführt. Erst durch das nachfolgende Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706) sei Satz 4 in Abs. 2a (- der mit der Neufassung des § 22 SGB II ab 01.01.2011 zu Abs. 5 geworden sei -) angefügt worden. Nach dem Willen des Gesetzgebers habe diese Ergänzung sicherstellen sollen, dass Jugendliche die notwendige Zusicherung des Leistungsträgers für eine Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung nicht dadurch umgingen, indem sie bereits vor Beginn des Leistungsbezuges eine Wohnung bezögen. Die Regelung des § 22 Abs. 2a Satz 4 SGB II wäre jedoch überflüssig gewesen, wenn der Gesetzgeber alle erwerbsfähigen Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, dem Zustimmungserfordernis des § 22 Abs. 2a SGB II hätte unterwerfen und damit ein für alle unter 25-Jährigen umfassendes Zusicherungserfordernis normiert gewollt hätte. Die Klägerin habe die Gewährung von Arbeitslosengeld II erst am 19.03.2013 und damit nach Abschluss des Mietvertrages am 18.03.2013 beantragt. Erst durch diese Antragstellung habe die Klägerin sich in das System des SGB II begeben, weshalb sie auch erst ab diesem Zeitpunkt und dem Zeitpunkt des Leistungsbeginns dessen Regeln unterliege. Der zuvor von der Klägerin gestellte Antrag vom 15.11.2012 entfaltete nach sinngemäßer Rücknahme des Antrages (durch E-Mail der Klägerin vom 20.11.2012) und ablehnendem Bescheid des Beklagen vom 22.11.2012 keine Rechtswirkungen mehr. In der Folgezeit seien von der Klägerin keine Leistungen beantragt oder bezogen worden (auch nicht als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft). Der Anspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung sei auch nicht nach § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II ausgeschlossen. Die Ausschlussregelung in dieser Bestimmung setze in subjektiver Hinsicht Absicht voraus, die ein finales, auf den Erfolg gerichtetes Verhalten erfordere. Die Herbeiführung der Leistungsgewährung müsse ein für den Umzug prägendes Motiv gewesen sein. Dabei genüge es nicht, wenn der Leistungsbezug lediglich beiläufig verfolgt oder anderen Umzugszwecken untergeordnet und in diesem Sinne nur billigend in Kauf genommen werde. Nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen gehe es zu Lasten des Leistungsträgers, wenn dem Betroffenen keine Absicht nachgewiesen werden könne. Eine über die vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit hinausgehende Absicht (als prägendes Motiv), durch den Umzug in den Leistungsbezug nach dem SGB II zu gelangen, sei hier nicht nachzuweisen. In diesem Zusammenhang sei auf die von der Klägerin geschilderten Gründe für ihren Umzug hinzuweisen (psychische Probleme, Schwierigkeiten im Zusammenleben mit der Mutter). Auch das vorgelegte ärztliche Attest des Dr. C. vom 31.10.2012, der aus fachärztlicher Sicht einen Auszug der Klägerin aus der elterlichen Wohnung für zwingend erforderlich erachtet habe, sei in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen. Anhaltspunkte dafür, dass die Mietzahlungen von dritten Personen nicht als sogenannte Nothilfe, sondern als Zuwendung ohne Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin erfolgt seien, würden sich weder aus den Akten noch aus dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ergeben. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Zusicherung des Beklagten hier deshalb entbehrlich gewesen sei, weil die Klägerin möglicherweise unzureichend beraten worden sei. Dies könnte zur Folge haben, dass sich der Beklagte nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht auf die fehlende Zusicherung berufen könnte. Nach dem Ergebnis der Anhörung der Klägerin und Vernehmung der Zeuginnen in der mündlichen Verhandlung spreche einiges dafür, dass die Klägerin nicht in für sie verständlicher und eindeutiger Weise beraten worden sei. Die Klägerin habe somit Anspruch auf Übernahme ihrer Kosten der Unterkunft nach den Vorschriften des § 22 Abs. 1 SGB II wie ein Betroffener, der erstmalig hilfebedürftig werde. Sofern der Beklagte zu dem Ergebnis gelangen sollte, die Kosten für Unterkunft wären nicht angemessen, wofür es nach Auffassung des Gerichts allerdings in Anbetracht der zu zahlenden Kaltmiete (trotz der für eine Person relativ großen Wohnung) keine Anhaltspunkte gebe, könnte er nach Aufforderung zur Kostensenkung eine Begrenzung der zu erbringenden Leistungen durchführen.

Gegen das dem Beklagten am 28.05.2014 zugestellte Urteil hat dieser am 20.06.2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung seiner Berufung hat der Beklagte u.a. vorgetragen, die Klägerin habe bereits am 10.06.2010 gemeinsam mit ihrer Mutter vorgesprochen und es sei damals die Problematik des Auszugs von unter 25-Jährigen aus dem elterlichen Haushalt besprochen worden. Da sich kein Leistungsanspruch errechnet habe, sei damals auf eine Antragstellung verzichtet worden. Entgegen der Auffassung des SG sei § 22 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 SGB II nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass dieser nur dann greife, wenn die unter 25-Jährigen bereits zum Zeitpunkt ihres (erstmaligen) Auszuges aus dem elterlichen Haus Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft gewesen seien und Leistungen bezogen hätten. Der Anwendungsbereich des § 22 Abs. 5 SGG II sei nicht auf Leistungsberechtigte nach dem SGB II beschränkt, sondern erfasse alle Personen unter 25 Jahren; auch diejenigen, welche unmittelbar vor ihrem Einzug in die eigene Wohnung nicht im Leistungsbezug nach dem SGB II standen. Hierfür spreche die Gesetzesbegründung sowie der Sinn und Zweck des Zusicherungsvorbehalts des § 22 Abs. 5 SGB II. Auch der Wortlaut der Regelung spreche für diese Auslegung. Im Gegensatz zu § 22 Abs. 4 SGB II, der den Umzug bei über 25 Jährigen regele und ausdrücklich nur erwerbsfähige "Leistungsberechtigte" erfasse, spreche § 22 Abs. 5 SGB II von "Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben". Es werde somit hinsichtlich des Zustimmungserfordernisses klar differenziert und § 22 Abs. 5 SGB II erfasse gerade auch diejenigen, die bislang nicht im Bezug von Leistungen nach dem SGB II gestanden hätten. Dem möge auch der Gedanke zugrunde liegen, dass seitens der Eltern unterhaltsrechtlich eine Erstausbildung geschuldet werde und Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres bzw. bis zum Abschluss ihrer Ausbildung und erst recht ohne Abschluss einer Ausbildung gewöhnlich im elterlichen Haushalt wohnhaft blieben. Dementsprechend spreche die Gesetzesbegründung auch von Personen, die entweder bislang wegen der Unterstützung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft und damit ohne Vorliegen eines Leistungsbezuges keinen Anspruch hatten oder als Teil der Bedarfsgemeinschaft (bei Vorliegen eines Leistungsbezuges) niedrigere Leistungen bezogen hätten. Entgegen den Ausführungen des SG vermöge auch ein Blick auf die zum 01.08.2006 eingeführte Regelung des § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II zu keiner anderen Entscheidung führen. Dieser Regelung verbleibe nämlich durchaus ein eigenständiger Regelungsgehalt. § 22 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 SGB II setze eine zeitliche Nähe des Bezugs einer eigenen Wohnung zum Leistungsbezug bzw. der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II voraus und das Zusicherungserfordernis für Personen unter 25 Jahren gelte nur dann, wenn der Auszug aus dem elterlichen Haushalt erfolge, obwohl der Lebensunterhalt absehbar nicht dauerhaft aus eigenem Einkommen oder Vermögen bestritten werden könne. Dagegen greife das Zusicherungserfordernis nicht für Personen unter 25 Jahren, die weder vor, noch dauerhaft nach ihrem Auszug auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II angewiesen seien. § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II solle gerade diejenigen Fälle erfassen, die keine zeitliche Nähe im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 1 bis 3 SGB II zum Leistungsbezug aufweisen, jedoch der Umzug gerade in der Absicht stattfand, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen erst herbeizuführen. Die Rechtsauffassung des SG führe dazu, dass sich Nichtleistungsbezieher nach dem Auszug aus dem elterlichen Haushalt selbst eine überteuerte Wohnung anmieten könnten, für welche - wenigstens für sechs Monate - die Aufwendungen im Rahmen einer Leistungsberechnung nach dem SGB II zu berücksichtigen wären. Dies selbst für den Fall, dass diesen Personen von vornherein klar war, dass sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf die sofortige Beantragung von Grundsicherungsleistungen angewiesen seien. Demgegenüber dürften diejenigen, welche bereits vor ihrem Umzug im Leistungsbezug standen, nur unter den strengen Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 SGB II überhaupt aus dem elterlichen Haushalt ausziehen und darüber hinaus "nur‘ in eine angemessen teure Wohnung. Eine solche Ungleichbehandlung sei vom Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung nicht gewollt und sei auch nicht zu vertreten. Der Anwendungsbereich des § 22 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 SGB II sei damit eröffnet und die Klägerin habe auch gewusst, dass sie ihren Lebensunterhalt und ihre Wohnung nicht ohne staatliche Hilfe würde finanzieren können. Der Klägerin sei aufgrund ihrer vorherigen Vorsprachen beim Beklagten in den Jahren 2010 und 2012 auch bekannt gewesen, dass sie zur Vermeidung von (Rechts-)Nachteilen eine vorherige Zusicherung zur Übernahme ihrer Unterkunftskosten einholen hätte sollen. Da die Klägerin dennoch keine vorherige Zusicherung zum Umzug einholt habe, seien die Unterkunftskosten nicht zu berücksichtigen. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, da es bereits an einer entsprechenden Pflichtverletzung des Beklagten mangele, er habe weder keine Auskunfts- oder Beratungspflicht verletzt. Die Klägerin sei im Rahmen einer jeden Vorsprache über die Vorgehensweise im Falle eines Umzuges belehrt worden und es sei zu keinem Zeitpunkt eine Zusicherung erteilt worden. Darüber hinaus könne der eingetretene Nachteil auch nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden, da die Entscheidung über die Erteilung einer Zusicherung im Ermessen des Beklagte stehe, so dass dieser allenfalls zum Treffen einer Ermessensentscheidung zu verurteilen wäre. Zuletzt wäre zu prüfen, ob die Klägerin ihre Unterkunftskosten nicht aus eigenem Einkommen habe decken können, weshalb eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen ür erforderlich gehalten werde.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtes Reutlingen vom 23.05.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die Entscheidung des SG für zutreffend und hat zur Berufungserwiderung ergänzend vorgetragen, die Auffassung des Beklagten verkenne, dass es sich bei § 22 Abs. 5 SGB II um die lex specialis zu § 22 Abs. 4 SGB II handle. Gerade diese Systematik spreche gegen die Gesetzesauslegung des Beklagten. Folge man der Auffassung des Beklagten, so wäre der Anwendungsbereich der Spezialregelung des § 22 Abs. 5 SGB II wesentlich weiter als der der allgemeinen Regelung des § 22 Abs. 4 SGB II. Der Gesetzgeber bezwecke mit § 22 Abs. 5 SGB II keine "präventive Lebensführungskontrolle", so dass der Zusicherungsvorbehalt nicht für Personen gelte, die zum Zeitpunkt des Auszugs keine Leistungen nach dem SGB II erhalten hätten. Da der Anwendungsbereich des § 22 Abs. 5 SGB II nicht eröffnet sei und der Klägerin ohnehin ein Herstellungsanspruch zustünde, sei eine weitere Beweiserhebung nicht notwendig. Es sei bedenklich, wenn die Beklagte zunächst rechtswidrig einen Anspruch versage, um dann der Klägerin vorzuwerfen, sie hätte sich - anstatt durch die Gewährung von Darlehen in Schulden zu stürzen - lieber durch eine Zwangsräumung in Obdachlosigkeit begeben sollen. Die Klägerin hat zudem verschiedene Darlehensverträge vorgelegt, die als Darlehenszweck "Mietzahlung Mittelstadt" nennen. Mit Bezug auf den streitigen Zeitraum hat die Klägerin insbesondere einen Darlehensvertrag vom 30.04.2013 über 600 EUR mit S. V., einen weiteren Vertrag über 400 EUR mit M. M. vom 03.07.2013 sowie einen Darlehensvertrag über 800 EUR vom 31.07.2013 mit S. B. vorgelegt.

In einem am 22.10.2014 mit den Beteiligten geführten Erörterungstermin konnte keine Einigung erzielt werden. Auf Nachfrage gab die Klägerin dort u.a. an, dass ihre Mutter ebenfalls zum 01.04.2013 umgezogen sei. Die Wohnung sei zwar deutlich kleiner gewesen (ca. 65 m², 3 Zimmer), es hätte aber bestimmt Platz gegeben. Sie habe aber schon vorher mehr bei Freunden gewohnt, da es mit ihrer Mutter nicht mehr funktioniert habe.

Zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts hat der Senat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.

Der Nervenarzt Dr. M. sowie die Dipl. Psychologin U.-G. (Station für Depressionsbehandlung R.) haben mit Schreiben vom 04.12.2014 mitgeteilt, die Klägerin sei bis Oktober 2011 in dortiger Behandlung gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Klägerin ein Zusammenleben mit ihrer Mutter gesundheitlich zumutbar gewesen. Eine Aussage wie dies nach Oktober 2011 gewesen sei, sei ihnen nicht möglich.

Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. T. hat mit Schreiben vom 05.12.2014 mitgeteilt, inwieweit der Klägerin ein Zusammenleben mit ihrer Mutter gesundheitlich zumutbar sei, könne sie nicht beurteilen.

Der Nervenarzt Dr. C. hat mit Schreiben vom 10.12.2014 mitgeteilt, er behandle die Klägerin seit Februar 2010. Bei ihr bestehe eine ängstlich-depressive Störung mit stark reaktiven Anteilen (anhaltender Konflikt mit der Mutter). Aus ärztlicher Sicht sei der Klägerin ein Zusammenleben mit ihrer Mutter nicht zumutbar, da es hierdurch immer wieder zu einer Verstärkung der Symptomatik gekommen sei. Alle Behandlungsversuche seien ohne stabile Besserung geblieben. Erst seit die Klägerin von zu Hause ausgezogen sei, scheine sich eine Besserung anzubahnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist statthaft, da Berufungsausschließungsgründe nicht eingreifen (vgl. §§ 143, 144 Absatz 1 Nummer 1 des Sozialgerichtsgesetztes - SGG -).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zur Überprüfung steht der Bescheid des Beklagten vom 16.05.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 15.08.2013 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2013, mit dem der Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2013 bis 30.09.2013 bewilligt hat, ohne hierbei Kosten der Unterkunft als Bedarf zu berücksichtigen. Das SG hat den Beklagten zu Recht dazu verurteilt, an die Klägerin höhere Leistungen nach dem SGB II, unter Berücksichtigung einer monatliche Kaltmiete von 300 EUR zzgl. 100 EUR Nebenkostenvorauszahlung als Kosten der Unterkunft, zu zahlen.

Streitig sind - worauf das SG zutreffend abgestellt hat - allein die Ansprüche der Klägerin auf Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung. Die Klägerin hat den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Leistungen der Unterkunft und Heizung beschränkt. Bei diesen handelt es sich um abtrennbare Verfügungen des Gesamtbescheids, ohne dass eine weitere Aufspaltung in die Leistungen für Unterkunft und Heizung rechtlich möglich ist (stRspr seit BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1, Rn. 18 f.; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - juris Rn. 12).

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Übernahme der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II).

Die Klägerin hat am 18.03.2013 einen am 01.04.2013 beginnenden Mietvertrag über eine Dreizimmerwohnung (61 m²) in der N. Straße, R. mit einer Kaltmiete von 300 EUR zzgl. 100 EUR Nebenkostenvorauszahlung abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt stand die Klägerin nicht im Leistungsbezug des Beklagten und hat erst nach Abschluss des Mietvertrages am 19.03.2013 für die Zeit nach dem Umzug ab dem 01.04.2013 Leistungen beim Beklagten beantragt. Die Angemessenheit der tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft ist zwischen den Beteiligten unstreitig und steht zur Überzeugung des Senats fest. Diese Kosten der Unterkunft sind im nachgewiesenen und vom SG tenorierten Umfang vom Beklagten zu übernehmen.

Soweit der Beklagte in der Berufung die Frage aufgeworfen hat, ob die Klägerin ihre Unterkunftskosten durch Zuwendungen von Verwandten und Freunden aus eigenem Einkommen (gem. § 11 SGB II) habe decken können, sieht der Senat diese Vermutung des Beklagten durch die zwischenzeitlich vorgelegten schriftlichen Darlehensverträge als widerlegt an. Ein Geldzufluss aus einem Darlehen, das mit einer zivilrechtlich wirksamen Rückzahlungsverpflichtung belastet ist, ist nicht als Einkommen zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 46/09 R -, BSGE 106, 185-190 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 30). Obwohl an den Nachweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit eines Darlehensvertrages unter Verwandten und Freunden grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen sind, hat der Senat im konkreten Fall keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den vorgelegten Darlehensverträgen, die in unterschiedlicher Form und Höhe jeweils mit verschiedenen Darlehensgebern geschlossen wurden, um reine "Gefälligkeitsbescheinigungen" handeln könnte und die Klägerin tatsächlich keine Rückzahlungsverpflichtung trifft.

Dem Leistungsanspruch der Klägerin steht schließlich auch nicht die Regelung des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II entgegen. Danach werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug von Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn (1.) die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann, (2.) der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder (3.) ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt (Satz 2). Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen (Satz 3). Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen (Satz 4).

Die Klägerin bedurfte hier weder einer vorherigen Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II (hierzu unter 1.) noch liegen die Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses gem. § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II vor (hierzu unter 2.)

1.) Zwar hat der Beklagte der Klägerin vor Abschluss des Mietvertrages keine Zusicherung erteilt, hierauf kommt es jedoch nicht entscheidungserheblich an, da es einer solchen Zusicherung nicht bedurfte. Der Senat schließt sich zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst den zutreffenden Ausführungen des SG an (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend ist mit Blick auf den Vortrag des Beklagten in der Berufung auf folgendes hinzuweisen:

Das in § 22 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 SGB II geregelte Zusicherungserfordernis greift nicht ein, wenn - wie vorliegend - ein unter 25-jähriger im Zeitpunkt des Auszugs aus dem Haushalt seiner Eltern keine Leistungen nach dem SGB II beantragt oder bezogen hat, sondern ist ausschließlich bei unter 25-jährigen Personen anwendbar, die im Zeitpunkt des Auszuges bereits Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II gewesen sind und Leistungen nach dem SGB II erhalten haben oder doch, ohne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu sein, einem solchen Haushalt angehört haben (im Ergebnis wie hier: SG Karlsruhe, Urteil vom 06.08.2013 - S 12 AS 601/13 -; SG Heilbronn, Beschluss vom 23.03.2011 - S 13 AS 105/11 ER -; Sächsisches LSG, Beschluss vom 14.07.2010 - L 7 AS 175/10 B ER -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.06.2010 - L 5 AS 155/10 B ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06.11.2007 - L 7 AS 626/07 ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.08.2007 - L 5 AS 29/06 -, alle juris; Berlit in LPK-SGB II, 4. Auflage, § 22 Rn. 137; Krauß in: Hauck/Noftz, SGB, 10/12, § 22 SGB II, Rn. 266; Adolph in Adolph, SGB II, SGB XII AsylbLG, 44. Update 08/15, § 22 Rn. 128; Luik in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 22, Rn. 173). Maßgebend für die Auslegung der hier im Streit stehenden Regelung des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II ist der in der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck kommende Wille. Dem Ziel, den im Gesetz objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erfassen, dienen die nebeneinander zulässigen, sich gegenseitig ergänzenden Methoden der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus ihrem Zusammenhang (Gesetzessystematik), aus ihrem Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte. Vorliegend sprechen in erster Linie gesetzessystematische Erwägungen für die vom Senat vertretene Auslegung.

Zwar ist zunächst zutreffend, dass der Wortlaut des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II von "Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben" spricht, wohingegen beispielsweise in § 22 Abs. 4 SGB II die Formulierung der "leistungsberechtigten Person" verwendet wird, so dass eine reine Wortlautauslegung durchaus im Sinne des Beklagten möglich erscheint, dass es auf das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit zum Zeitpunkt des Abschluss des Mietvertrags nicht ankommt.

Die Gesetzesmaterialien zu § 22 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 SGB II liefern keine eindeutigen Auslegungsgesichtspunkte, da hierin einerseits zwar klargestellt wird, dass die Zielsetzung des Gesetzgebers darin bestand, der Entstehung hoher Kosten entgegenzuwirken, die vor der Neuregelung unter anderem durch den Erstbezug einer eigenen Wohnung durch Personen, die entweder bislang wegen Unterstützung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft keinen Anspruch hatten oder als Teil der Bedarfsgemeinschaft niedrige Leistungen bezogen hatten, entstanden sind (vgl. Bundestags-Drucksache 16/688, S. 14), andererseits aber auch keine Anhaltspunkte dafür enthält, dass der Gesetzgeber tatsächliche eine "präventive Lebensführungskontrolle" für alle unter 25 Jährige einführen wollte (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06.11.2007, a.a.O.; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. Juli 2010, a.a.O.; Berlit, a.a.O.). Eben letzteres wäre jedoch der Fall, wenn man das Zustimmungserfordernis tatsächlich auf jeden Umzug von jungen Menschen vor Vollendung des 25. Lebensjahres anwenden wollte. Gegen ein Zustimmungserfordernis spricht gesetzeshistorisch aber vor allen Dingen, dass Satz 4 der Regelung erst durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706) eingeführt worden ist (damals noch zu § 22 Abs. 2a SGB II). In der Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 31.05.2006 (BT-Drucks. 16/1696) heißt es insoweit: "Die Ergänzung des Absatzes 2a soll sicherstellen, dass Jugendliche die notwendige Zusicherung des Leistungsträgers für eine Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung nicht dadurch umgehen können, dass sie bereits vor Beginn des Leistungsbezuges eine Wohnung beziehen." Für diese Ergänzung hätte indes keinerlei Notwendigkeit bestanden, wenn der Gesetzgeber selbst davon ausgegangen wäre, dass sich bereits aus den Sätzen 1 bis 3 ein umfassendes Zusicherungserfordernis ergibt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.08.2007 - L 5 AS 29/06 -, juris).

Gegen die Auffassung des Beklagten, § 22 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 SGB II gelte für alle unter 25 Jährigen, unabhängig davon, ob vor dem beabsichtigten Auszug ein Leistungsanspruch nach dem SGB II bestand, sprechen aber primär gesetzessystematische Gesichtspunkte. Die Gesetzessystematik des § 22 Abs. 5 SGB II, der zwischen dem Anwendungsbereich der Sätze 1 bis 3 einerseits und des Satzes 4 andererseits differenziert, sowie der systematische Zusammenhang des § 22 Abs. 5 SGB II mit § 22 Abs. 4 SGB II, belegen aus Sicht des Senats zwingend, dass das Zustimmungserfordernis des § 25 Abs. 5 Satz 1 SGB II nur erwerbsfähige Leistungsberechtigte erfasst, die zum Zeitpunkt der notwendigen Einholung einer Zustimmung bereits Leistungen nach dem SGB II bezogen haben.

§ 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II betrifft ausdrücklich Personen vor Vollendung des 25. Lebensjahres, die beim Umzug nicht im Leistungsbezug stehen und auch noch keinen Leistungsantrag gestellt haben, bei denen aber in Folge des Bezugs einer Wohnung und Begründung eines eigenen Haushalts Hilfebedürftigkeit eintreten würde (Lauterbach in Gagel, SGB II, § 22, Rn. 116). Dieser Regelung verbliebe kein sinnvoller Anwendungsbereich, wenn der Gesetzgeber den Personenkreis, der unter 25-Jährigen, die beim Umzug nicht im Leistungsbezug stehen und auch noch keinen Leistungsantrag gestellt haben, bereits in § 22 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 SGB II hätte erfassen wollen (Sächsisches LSG, Beschluss vom 14.07.2010, a.a.O.). Hiergegen kann insbesondere nicht überzeugend eingewandt werden, Abs. 5 verbleibe insoweit ein Anwendungsbereich, als nach dieser Regelung selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 SGB II keine Leistungen für Unterkunft und Heizung gewährt werden könnten (vgl. SG Reutlingen, Urteil vom 18.12.2007 - S 2 AS 2399/07 -, juris). Liegt einer der in § 22 Abs. 5 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 SGB II genannten Gründe für einen Umzug vor (schwerwiegende soziale Gründe [Nr. 1], Erforderlichkeit des Umzugs zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt [Nr. 2] oder sonstige, ähnlich schwerwiegende Gründe [Nr. 3]) die den Grundsicherungsträger zu einer Zusicherung verpflichten, so ist keine Fallkonstellation denkbar, in der gleichzeitig eine Absicht Leistungen zu erlangen im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II, als für den Umzug prägendes Motiv vorliegt (im Ergebnis wie hier: Berlit a.a.O.; Rn. 137, 151). Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber nicht für denselben Sachverhalt zwei inhaltlich übereinstimmende Regelungen trifft, folgt aus § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II im Umkehrschluss, dass der Fall des Umzugs vor Bezug und Beantragung von Leistungen nicht auch von § 22 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 SGB II erfasst wird.

Im Übrigen hat die Klägerin zutreffend darauf hingewiesen, dass § 22 Abs. 5 SGB II lex specialis zu § 22 Abs. 4 SGB II ist (Luik a.a.O., § 22, Rn. 173) und die vom Beklagten vertretene Auslegung zu dem systematisch unstimmigen Ergebnis führen würde, dass § 22 Abs. 4 SGB II als allgemeine Regelung einen erheblich eingeschränkteren Anwendungsbereich hätte, als die Spezialregelung des § 22 Abs. 5 SGB II. Für die Regelung des § 22 Abs. 4 SGB II hat das BSG nämlich bereits entschieden, dass eine Zusicherung entbehrlich ist, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages keine Hilfebedürftigkeit bestand (vgl. BSG, Urteil vom 30.08.2010 - B 4 AS 10/10 R -, juris; vgl. auch schon Urteil des erkennenden Senats vom 27. Februar 2009 - L 12 AS 3990/08 -, juris).

Soweit der Beklagte argumentiert, § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II wolle Fallgestaltungen erfassen, die keine zeitliche Nähe zum Leistungsbezug aufweisen, wohingegen die Sätze 1 bis 3 des § 22 Abs. 5 SGB II eine zeitliche Nähe des Umzug zum Leistungsbezug erfordern würden, jede andere Auslegung würde eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Leistungsbeziehern und sonstigen jungen Erwachsenen darstellen, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen. Das gesamte SGB II beinhaltet Regelungen und Obliegenheiten, die ausschließlich Leistungsberechtigte im Sinne des SGB II betreffen, für Nichtleistungsbezieher jedoch nicht gelten. Dies stellt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Sinne des Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) dar, sondern beruht darauf, dass der Gesetzgeber mit dem SGB II nur einen bestimmten Lebensbereich (Bezug von steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen) regeln wollte. Die hier streitige Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II muss grundsätzlich vor Abschluss des Mietvertrages eingeholt werden (Berlit a.a.O., Rn. 140; Lauterbach a.a.O., Rn. 112; Krauß a.a.O., Rn. 273). Ist jedoch ein unter 25-Jähriger zu diesem Zeitpunkt nicht hilfebedürftig und damit auch nicht leistungsberechtigt, so beinhaltet § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II auch keine ihn treffende Obliegenheit. Das vom Beklagten postulierte Kriterium einer zeitlichen Nähe zwischen Umzug und Leistungsbezug im Sinne einer subjektiven Erwartungshaltung des baldigen Eintritts der Hilfebedürftigkeit, entspricht der auch vom Beklagten auf der Basis seiner Auffassung gesehenen Notwendigkeit, den Anwendungsbereich des § 22 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 SGB II einzuschränken, um nicht jedweden Umzug eines unter 25-Jährigen zu erfassen. Der vom Beklagten hierfür als maßgeblich herangezogene Zeitfaktor zwischen Umzug und Leistungsbezug mag zwar trotz einer gewissen Unbestimmtheit ein abstrakt taugliches Differenzierungskriterium darstellen und zu vernünftigen Ergebnissen führen, ist jedoch im Gesetz selbst nicht angelegt. Die Regelung des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II knüpft auch nicht daran an, ob für die Zeit nach dem Auszug bereits ein Antrag gestellt ist (wie hier: Krauß, a.a.O., Rn. 266; Berlit, a.a.O, § 22 Rn. 137 und 151; a.A. Lauterbach a.a.O., Rn. 107; wohl auch Luik, a.a.O. Rn. 197, allerdings jeweils ohne darauf einzugehen, ob der Leistungsantrag noch für die Zeit im Elternhaus oder erst nach dem Umzug Wirkung entfalten soll). Tatsächlich lässt sich keines der genannten Kriterien als einschränkendes Tatbestandsmerkmal den Sätzen 1 bis 3 des § 22 Abs. 5 SGB II entnehmen, so dass allein das Bestehen einer zeitlichen Kohärenz zwischen Umzug bzw. Mietvertragsabschluss und Leistungsbezug kein Kriterium darstellen kann, um eine Anwendungsdifferenzierung zwischen den Sätzen 1 bis 3 einerseits und Satz 4 andererseits zu begründen. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die Formulierung "in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen" in § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II eindeutig vorgegeben, dass diese Regelung solche unter 25-Jährigen umfasst, die vor dem maßgeblichen Umzug keinen Leistungsanspruch hatten. Ein Leistungsanspruch wiederum besteht erst ab Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen des § 7 SGB II. Damit scheidet aber eine Anwendung der § 22 Absatz 5 Sätze 1 bis 3 SGB II vor Eintritt der Leistungsberechtigung aus. Zur Zeit des Abschlusses des Mietvertrages hatte die Klägerin weder einen Leistungsantrag beim Beklagten gestellt, noch war sie hilfebedürftig, so dass hier nicht die Sätze 1 bis 3 des § 22 Abs. 5 SGB II einschlägig sind, sondern die Frage, ob der Klägerin Leistungen nach § 22 Abs. 1 SGB II zustehen, auf Basis der Kriterien des § 22 Absatz 5 Satz 4 SGB II zu klären ist.

2.) Das SG hat weiterhin zutreffend entschieden, dass im vorliegenden Fall auch die Regelung des § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II einer Gewährung von Kosten der Unterkunft nicht im Wege steht. Die Anwendung von § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II erfordert die Absicht, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen. Absicht in diesem Sinne erfordert ein auf den Erfolg gerichtetes Verhalten derart, dass die Schaffung der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung das für den Umzug prägende Motiv gewesen ist. Der mit dem Umzug nur beiläufig verfolgte Leistungsbezug reicht hingegen nicht aus (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 02.07.2009 - L 3 AS 128/08 - juris; Berlit, a.a.O., Rn. 152). Der Auszugswillige muss mithin vom Eintreten der Hilfebedürftigkeit durch den Umzug nicht nur Kenntnis haben, sondern der Umzug muss gerade auf dieses Ziel gerichtet sein; es genügt nicht, wenn der Leistungsbezug anderen Umzugszwecken untergeordnet und in diesem Sinne nur billigend in Kauf genommen wird. Eine solche Absicht liegt nach Überzeugung der Kammer im Falle der Klägerin nicht vor. Die Klägerin ist nach eigenen Angaben wegen psychisch bedingter Gesundheitsstörungen, die durch das Zusammenleben mit ihrer Mutter verstärkt wurden, aus dem mütterlichen Haushalt ausgezogen. Bestätigt wird dies durch die Aussage des Nervenarztes Dr. C. vom 10.12.2014, wonach die Klägerin an einer ängstlich-depressiven Störung mit stark reaktiven Anteilen (anhaltender Konflikt mit der Mutter) leidet. Dr. C. hat vor diesem Hintergrund die Auffassung vertreten, der Klägerin sei aus ärztlicher Sicht ein Zusammenleben mit ihrer Mutter nicht zumutbar, da es hierdurch immer wieder zu einer Verstärkung der Symptomatik gekommen sei. Der Senat misst der Aussage Dr. C. insbesondere deshalb besonders Gewicht bei, da allein Dr. C. die Klägerin in zeitlicher Nähe zu dem erfolgtem Umzug im März 2013 nervenärztlich behandelt hat. Ungeachtet der Frage, ob die Aussage des Dr. C. nicht sogar schwerwiegende soziale Gründe und damit einen Anspruch auf Zustimmung zum Umzug im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II belegt, kann bei dieser Sachlage ausgeschlossen werden, dass die Leistungserlangung nach dem SGB II das prägende Motiv für den Umzug der Klägerin war.

Soweit der Beklagte darauf abstellt, der Nervenarzt Dr. M. sowie die Dipl. Psychologin U.-G. (Station für Depressionsbehandlung R.) hätten bestätigt, dass der Klägerin auf Basis der dortigen Behandlung bis Oktober 2011 ein Zusammenleben mit ihrer Mutter gesundheitlich zumutbar gewesen sei, verkennt dies, dass die genannten Zeugen diese Bewertung ausdrücklich auf die Zeit bis Oktober 2011 eingeschränkt haben und nochmals explizit betont haben, dass ihnen eine Aussage für die Zeit nach Oktober 2011 nicht möglich sei. Ein ausschlaggebender Beweiswert für die Motivation des Umzugs im Frühjahr 2013 kommt diesen Zeugenaussagen daher von vornherein nicht zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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