L 9 R 4332/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 4340/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4332/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. September 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1965 geborene Klägerin schloss 1984 die Ausbildung zur Rechtsanwalts-Fachgehilfin ab. Im Anschluss daran war sie in diesem Beruf 3½ Jahre beschäftigt. Anschließend war sie - mit einer Unterbrechung durch eine dreijährige Elternzeit - bis November 2001 als kaufmännische Angestellte/Bürofachkraft in einem Bauunternehmen tätig. Am 28.12.2001 wurde ihr zweites Kind geboren. Nach der Elternzeit war eine Weiterbeschäftigung nicht mehr möglich, nachdem ihr Arbeitgeber Insolvenz angemeldet hatte. Seit Januar 2005 bezieht die Klägerin Arbeitslosengeld II. Nach der Bescheinigung des Jobcenters H. vom 21.04.2010 ist sie seit dem 08.10.2007 fortlaufend arbeitsunfähig.

Am 20.01.2010 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Der Orthopäde Dipl.-Med. A. stellte in dem für die F.-AG am 10.01.2009 erstellten Befundbericht aufgrund wiederholter Behandlungen seit Juni 1999 folgende Diagnosen: Nukleus-pulposus-Prolaps L5-S1 links, HWS-Syndrom, BWS-Syndrom und chronisches Schmerzsyndrom. In dem daraufhin von der Beklagten beim Orthopäden Dr. S. in Auftrag gegebenen Gutachten stellte dieser nach einer Untersuchung der Klägerin am 07.04.2010 degenerative Veränderungen im Bereich des Achsenskeletts fest, die den Befund einer in Alter, Körpergröße, Gewicht und Konstitution vergleichbaren Patientin nicht wesentlich überstiegen. Darüber hinaus bestünden keine Funktionseinschränkungen. Auf orthopädischem Fachgebiet könne die Klägerin leichte körperliche Arbeiten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen vollschichtig ausüben.

Mit Bescheid vom 27.05.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch erhob die Klägerin Einwendungen gegen das Gutachten von Dr. S. und verwies auf die Ausführungen von Dipl.-Med. A. sowie auf ein Gutachten der Bundesagentur für Arbeit vom 11.05.2008. In Letzterem wird wegen eines LWS-Syndroms bei degenerativen Veränderungen und Bandscheibenvorfall L5/S1 sowie eines HWS-/BWS-Syndroms bei Blockierung eine Leistungsfähigkeit von täglich drei bis unter sechs Stunden angenommen. Die Beklagte zog hierauf einen weiteren Befundbericht beim Dipl.-Med. A. bei und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2010 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 14.12.2010 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben.

Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch das Einholen einer sachverständigen Zeugenaussage beim Dipl.-Med. A. Dieser hat unter dem 25.07.2011 über Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule berichtet und ausgeführt, dass sich die Klägerin bis dato wegen des chronifizierten Schmerzsyndroms bei Funktionsstörungen der Wirbelsäule im Krankenstand befinde. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien leichte Wechseltätigkeiten sechs Stunden täglich zumutbar.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15.09.2011 haben sich die Beteiligten vergleichsweise darauf geeinigt, dass die Beklagte der Klägerin eine berufliche Belastungserprobung bewilligt. Diesen Vergleich haben die Beteiligten fristgerecht widerrufen.

Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat das SG daraufhin Dr. K., Oberarzt der orthopädischen Universitätsklinik U., sowie den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Privatdozent Dr. W. mit der Erstellung von Sachverständigengutachten beauftragt.

Dr. K. hat im Gutachten vom 15.03.2012 ein chronisches Cervicalsyndrom bei plurisegmentaler degenerativer Osteochondrose mit Unkarthrose HWK 4 bis 7 sowie ein chronisches Lumbalsyndrom bei rechtskonvexer Seitausbiegung der Lendenwirbelsäule mit Osteochondrose L5/S1 größer L4/5 und eine Schmerzchronifizierung (Stadium 1 nach Gerbershagen) festgestellt. Die Klägerin sei bedingt durch die chronifizierten Wirbelsäulenbeschwerden bei plurisegmentalen degenerativen Veränderungen im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich, welche deutlich über das altersentsprechende Maß hinausgingen, nur noch in eingeschränktem Maße dazu in der Lage, ihrer Tätigkeit als Rechtsanwaltsgehilfin bzw. als Büroangestellte nachzugehen. Privatdozent Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 19.06.2012 aufgrund chronischer Nacken- und Rückenschmerzen die Auffassung vertreten, die Klägerin sei nicht in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten. Im Falle darüber hinausgehender Arbeit würden sich vermehrte Schmerzen von gesundheitsschädigendem Ausmaß entwickeln, zumal eine 2001 geborene Tochter zu versorgen und zu erziehen sei.

Mit Urteil vom 07.09.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Gericht schloss sich dem Gutachten des Orthopäden Dr. S. an, der zwar Einschränkungen am Bewegungsapparat beschrieben, jedoch nachvollziehbar ausgeführt habe, dass das quantitative Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht beeinträchtigt sei. Eine andere Beurteilung rechtfertige sich nicht aufgrund der Gutachten von Dr. K. und von Dr. W. Ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit scheide bei der erst 1965 geborenen Klägerin aus.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 20.09.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.10.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sie hauptsächlich unter chronischen Schmerzen leide, die das erstinstanzliche Gericht nicht gewürdigt habe.

Der Senat hat Beweis erhoben durch das Einholen eines orthopädischen Fachgutachtens von Dr. H. und eines nervenärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. S.

Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 12.02.2013 die Diagnosen fortgeschrittene degenerative Bandscheibenschäden in der unteren Halsregion und in der unteren Lendenregion ohne neurologische Begleiterscheinung sowie funktionelle belastungs- und witterungsabhängige chronische Rückenschmerzen in allen Wirbelsäulenabschnitten gestellt. Er hat die Auffassung vertreten, dass die Klägerin in der Lage sei, eine leichte Tätigkeit vollschichtig zu verrichten, ohne dass sich die degenerativen Strukturschäden im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule richtungsweisend verschlimmern, die Klägerin sich selbst oder andere einer unzumutbaren Gefahr aussetzt oder sich physisch überfordert. Aus orthopädischer somatischer Sicht seien arbeitsübliche Bedingungen ausreichend. Die Gehfähigkeit der Klägerin sei nicht so gravierend beeinträchtigt, dass die sozialmedizinisch relevanten Wegstrecken nicht in dem dafür vorgesehenen Zeitraum zu Fuß zurückgelegt werden könnten. Die Einschätzung in beiden Vorgutachten sei mit Blick auf die Annahme eines untervollschichtigen Leistungsvermögens nicht ganz schlüssig. Denn beide versuchten, aufgrund des aktuellen medizinischen Befundes theoretisch das Leistungsvermögen der Klägerin abzuschätzen. Sie ignorierten dabei z. B., dass die Klägerin im privaten Umfeld nicht nur leichte, sondern auch mittelschwere Hausarbeiten regelmäßig verrichte.

Auf die Einwendungen der Klägerin mit Schriftsatz vom 26.03.2013 hat Dr. H. unter dem 29.04.2013 ergänzend Stellung genommen und an seiner Auffassung festgehalten.

Die Klägerin hat das Gutachten von Prof. Dr. W. für das Oberlandesgericht S. vom 26.04.2013 sowie das Urteil des Oberlandesgerichtes S. vom 10.10.2013 über Leistungen aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung vorgelegt.

In seinem Gutachten vom 20.02.2015 hat Prof. Dr. S. ausgeführt, dass die degenerativen Wirbelsäulenveränderungen im LWS- und HWS-Bereich zu schmerzhaften Funktionsbeeinträchtigungen mittelgradigen Ausmaßes, insbesondere was das Bücken, Rotationsbewegungen, längeres Verharren in fixierten Haltungen und größere Kraftaufwendungen anbelange, führten. Durch die chronische Schmerzverarbeitungsstörung komme es zu einer Beschwerdeverstärkung mit psychischen Sekundärreaktionen, insbesondere ängstlicher Anspannung. Insgesamt sei davon auszugehen, dass von einer mittelschweren Ausprägung der genannten Funktionsstörungen auszugehen sei. Die zumutbaren Arbeiten könnten nicht mehr vollschichtig verrichtet werden. Im Einklang mit mehreren Vorgutachten bestehe eine zeitliche Beschränkung in einem Bereich von drei bis unter sechs Stunden. Die zeitliche Einschränkung ergebe sich vor allem aus den psychischen Beeinträchtigungen und der Leistungsinsuffizienz aufgrund der chronischen Schmerzstörung.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. September 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Februar 2010 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte erwidert, dass das nervenärztliche Gutachten von Prof. Dr. S. nicht deutlich genug Anhaltspunkte aufzeige, die eine quantitative Leistungsminderung im Umfang von drei bis unter sechs Stunden nachvollziehbar machte. Der von ihm etwas eindrucksvoller beschriebene psychopathologische Befund bedinge noch keine quantitative Leistungsminderung. Zudem habe er eine deutliche Aggravationsneigung festgestellt. Soweit über den Sohn mitgeteilt werde, dass die Klägerin Schwierigkeiten bei der Haushaltsbewältigung habe, wirkten die anamnestischen Angaben zu den Hobbys und dem Tagesablauf nicht so, als dass man von einem wirklich schweren quantitativ leistungsmindernden Schmerzsyndrom ausgehen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten 1. und 2. Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand April 2015, § 43 SGB VI, Rn. 58 und 30 ff.). Die Klägerin ist, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats nicht voll erwerbsgemindert. Ihr steht daher keine Rente zu.

Eine Erwerbsminderung der Klägerin, das heißt ein Absinken ihrer beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere des Gutachtens von Dr. S., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, sowie des Gutachtens von Dr. H. Soweit Dr. K., Dr. W. und Prof. Dr. S. eine andere Leistungsbeurteilung vertreten, vermochte sich der Senat dieser nicht anzuschließen. Der Senat sieht es nicht für nachgewiesen an, dass die Klägerin aufgrund der Schmerzsymptomatik nicht mehr zumutbar sechs Stunden am Tag im Rahmen einer Fünftagewoche beschäftigt werden kann.

Die Einschränkungen der Leistungsfähigkeit der Klägerin beruhen im Wesentlichen auf Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und einer sich hieraus entwickelten anhaltenden Schmerzstörung. Diese führen zwar zu qualitativen Leistungseinschränkungen, eine zeitliche Leistungsminderung vermögen sie aber nicht zu begründen. Die gehörten Sachverständigen sind sich darüber einig, dass fortgeschrittene degenerative Bandscheibenschäden der unteren Halsregion und der unteren Lendenregion ohne neurologische Begleiterscheinungen sowie funktionelle belastungs- und witterungsabhängige chronische Rückenschmerzen in allen Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Somatisch ist kernspintomographisch ein mittig links betonter Bandscheibenvorfall L5/S1 nachgewiesen, der sich bei Kontrollaufnahmen im Jahr 2007 wieder deutlich zurückgebildet hatte, bei allerdings gleichzeitig fortschreitender Bandscheibendegeneration in diesem Bereich in Form des Verlustes an Höhe und Flüssigkeit sowie beginnender sekundärer Knochenreaktionen in den benachbarten Wirbelkörpern. Im Bereich der HWS findet sich ein mäßiger Bandscheibenschaden zwischen dem 5. und 6. Halswirbel und ein etwas ausgeprägterer im Bereich C6/7 in Form eines kleinen Bandscheibenvorfalles. Auf orthopädischem Fachgebiet liegt weder eine massive Einschränkung der Wirbelsäulenbeweglichkeit vor, wie Dr. H. (und zuletzt auch Prof. Dr. S.) überzeugend und nachvollziehbar in seinem Gutachten ausgeführt hat, noch bestehen dauerhafte Gefühlsstörungen oder Lähmungen in den oberen und unteren Extremitäten. Es kommt jedoch zu fast permanenten Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule sowie ausstrahlend in Richtung Hinterhaupt und in die Schultergelenke, außerdem zu kurzfristig immer wieder auftretenden Taubheitsgefühlen und kribbelnden Missempfindungen in den oberen und unteren Gliedmaßen, welche sich rasch unter Bewegung ohne Belastung wieder zurückbilden, was der Sachverständige unter Berücksichtigung der Schilderungen der Klägerin seiner Beurteilung ebenfalls zugrunde gelegt hat. Dr. H. hat die von der Klägerin gemachten Angaben über Art und Umfang der Rückenbeschwerden nicht prinzipiell infrage gestellt, auch wenn er sie medizinisch gesehen nicht eindeutig begründen kann. Deshalb würdigte er diese als funktionelles Schmerzsyndrom, vergleichbar z. B. mit einer Fibromyalgie. Diese Erkrankungen, die Einschränkungen vonseiten der Wirbelsäule und die damit verbundenen Schmerzen führen zu qualitativen Einschränkungen. Eine Tätigkeit, die der Klägerin schwere oder überwiegend mittelschwere Arbeiten abverlangt, ist demnach nicht mehr zumutbar. Auch längerfristige Zwangshaltungen der Wirbelsäule müssen ebenso wie Akkord- und Fließbandarbeit vermieden werden, für Tätigkeiten in Nässe, Zugluft und mit Erschütterungen gilt dasselbe, auch diesbezüglich sind sich die gehörten Sachverständigen einig. Der Klägerin ist somit noch gelegentliches Heben und Tragen von Lasten bis zu 15 kg in stabilisierter aufrechter Rumpfhaltung oder bis 8 kg in Rumpfvor- oder Rumpfseitneigung und auch gelegentliches Bücken möglich; ferner sollte die Körperhaltung ein- bis zweimal stündlich verändert werden können, was der Senat ebenfalls den Ausführungen von Dr. H. entnimmt. Die einzelnen Körperhaltungen können nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. H. durchaus 30-45 Minuten lang eingehalten werden. Mit den Ausführungen von Dr. H. ist der Senat der Überzeugung, dass der Klägerin unter Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch weiterhin zumindest sechs Stunden im Rahmen einer Fünftagewoche zugemutet werden können. Der Senat hält die Schlussfolgerung von Dr. H. für schlüssig und überzeugend, zumal der Sachverständige dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist und aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Rehabilitationsarzt der Federseeklinik Bad B. über sehr große Erfahrung bei der Einschätzung einer beruflichen Leistungsminderung verfügt. Seine Einschätzung mit Bezug auf die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wird gestützt durch den von ihm erhobenen Tagesablauf, der durch die Betreuung der Kinder und die Führung des 3-Personen-Haushalts geprägt ist. Auch Prof. Dr. S. hat in seinem Gutachten einen entsprechenden Tagesablauf festgestellt, der nach dem Aufstehen um 6:00 Uhr und Kind versorgen sowie zur Schule bringen, mit Küche versorgen (denn kurz hinlegen), dann Wohnung versorgen, Lüften, Betten- und Wäschemachen, mittags Tochter versorgen, Hausaufgaben kontrollieren, Erledigungen machen, Freizeittätigkeiten verrichten, Kochen, Abendessen und "alles Aufräumen" keinen Anhalt für eine sich quantitativ auswirkende Leistungsminderung bietet. Nichts anderes ergibt sich, wenn man berücksichtigt, dass der Sohn im Rahmen der Begutachtung von Prof. Dr. S. angegeben hat, die Mutter brauche Hilfe beim Einkaufen, könne keine Kisten tragen, sich nur begrenzt bewegen. Denn damit werden nur die bereits bekannten Einschränkungen bestätigt. Die Auffassung von Dr. H. sieht der Senat auch dadurch gestützt, dass die Klägerin bislang keine adäquate nervenärztliche oder schmerztherapeutische Behandlung in Anspruch nimmt. Nach den Angaben von Dr. W. nimmt die Klägerin bedarfsweise Aspirin, etwa 2-3 Tabletten in der Woche und bei starken Schmerzen 2-3 Ibuprofen 800 wöchentlich; nach den Angaben von Prof. Dr. S. Ibuprofen 400 mg/d bzw. 600mg/d nach Bedarf. Damit besteht nur ein vergleichsweise geringer Bedarf an Schmerzmitteln bzw. nur die unregelmäßige Notwendigkeit einer medikamentösen Intervention. Sowohl Dr. W. als auch Prof. Dr. S. haben insoweit auf die bislang unausgeschöpft gebliebenen Behandlungsalternativen und -möglichkeiten hingewiesen

Es besteht auch unter Berücksichtigung des nachfolgenden Gutachtens von Prof. Dr. S. kein Anlass, an den Feststellungen und Schlussfolgerungen von Dr. H. zu zweifeln. Eine Objektivierung der Angaben zum Ausmaß der Schmerzen findet sich weder in diesem noch in den Gutachten von Dr. W. und Dr. K ... Prof. Dr. S. bestätigt indes die Auffassung von Dr. H., dass die Beschwerdesymptomatik nur zum Teil durch körperliche Defizite erklärbar ist. Seine über die orthopädischen Diagnosen hinausgehenden Feststellungen - neben der von Dr. H. bereits beschriebenen chronischen Schmerzkrankheit (Chronifizierungsgrad II nach Gerbershagen) ein Schmerzsyndrom mit psychischen und körperlichen Faktoren und eine Angststörung - vermögen den Senat nicht vom Vorliegen einer quantitativen Leistungsminderung zu überzeugen. Mit dem von ihm erhobenen Tagesablauf setzt sich der Sachverständige nicht auseinander. Festzuhalten ist, dass die Klägerin bereits ohne adäquate nervenärztliche und schmerztherapeutische Begleitung in der Lage ist, Kinder und Haushalt zu versorgen. Dabei zeigte sie sich bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. - wie schon bei Dr. W. - psychopathologisch schwingungsfähig, unterschwellig aber angespannt, mit der Gesamtsituation unzufrieden, mürbe, antriebsgemindert, mit leichten Anzeichen einer Anhedonie, ohne formale oder inhaltliche Denkstörungen und ohne Störungen des Ich-Erlebens. Eine manifeste Depression mit psychischen und mentalen Einschränkungen konnten weder Prof. Dr. S. noch Dr. W. feststellen. Damit bleibt nicht nachvollziehbar, weshalb die Klägerin nicht wenigstens leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der von beiden Gutachtern beschriebenen qualitativen Einschränkungen wenigstens sechs Stunden ausüben können sollte. Soweit Dr. W. und Prof. Dr. S. geltend machen, eine über drei- bis sechsstündig hinausgehende Tätigkeit führe zu vermehrten Schmerzen von gesundheitsschädigendem Ausmaß, bleiben beide Gutachter die Erläuterung schuldig, worin die eintretende Gesundheitsschädigung zu sehen wäre. Sie erläutern dies auch nicht im Kontext des von der Klägerin bereits im Rahmen der Kinderbetreuung und Führung des Haushaltes Geleisteten. Dr. W. argumentiert insoweit auch widersprüchlich. Bei der Beantwortung der Beweisfrage 2 hat er angeben, (nur) bei anhaltend mittelschwerer oder gar schwerer Arbeit würden sich die chronischen Schmerzen auf ein gesundheitsschädigendes Maß verstärken. Unter 2 c), der Frage nach den noch möglichen Tätigkeiten, gab er diese Differenzierung zumindest für den "aktuellen" Zustand der Klägerin aber auf.

Soweit Prof. Dr. S. auf die bei der Klägerin bestehenden Ängste hinweist, sind diese für die zur Prüfung stehenden leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht relevant. Denn diese Ängste betreffen nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht Umstände, die mit der Aufnahme oder Fortführung einer Tätigkeit in Zusammenhang stehen, sondern es handelt sich um Ängste mit Bezug auf kardiale Erkrankungen. So hat die Klägerin nach Herzinfarkten des Vaters mehrfach internistische Untersuchungen durchführen lassen, die ohne pathologischen Befund geblieben sind. Darüber hinaus hat der Sachverständige keine weiteren psychiatrischen Diagnosen gestellt, die eine Beeinträchtigung der Aufnahme einer Tätigkeit oder des Durchhaltevermögens während der Ausübung einer Tätigkeit plausibel machen könnten. Soweit er auf schmerzverstärkende psychische Belastungen (Trennung vom 1. Partner, Alleinerziehung des 1. Kindes, als mangelnd empfundene Unterstützung der Eltern) sowie ein hohes Selbstbild mit Anforderungen, welches die Klägerin hemme, hinweist, vermögen diese, als weitere nicht organische Ursache der bestehenden Schmerzen, die Annahme einer zeitlichen Leistungsminderung nicht zu rechtfertigen, da sie über das Ausmaß und eine Unzumutbarkeit einer wenigstens sechsstündigen Tätigkeit unter Berücksichtigung der bereits genannten qualitativen Einschränkungen keinen Aufschluss geben. Der Sachverständige hat gerade nicht dargelegt, inwieweit diese psychischen Belastungen der Aufnahme einer Tätigkeit entgegenstehen oder die Ausübung selbst leichter Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von wenigstens sechs Stunden täglich unmöglich machen. Vielmehr wies er darauf hin, dass gravierende psychotraumatische Erlebnisse in der Biografie, Mobbing am Arbeitsplatz, multiple Jobwechsel, die als prognostisch negative Faktoren zu bewerten seien, gerade nicht festzustellen waren. Dementsprechend fehlt es an einer psychiatrischen Diagnose, die eine zeitliche Leistungsminderung rechtfertigen könnte. Dies gilt umso mehr, als in der testpsychologischen Untersuchung eine ausgeprägte Aggravationsneigung zum Ausdruck gekommen ist, die im Rahmen der hier zu beurteilenden Leistungsfähigkeit für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu berücksichtigen ist. Ferner hat Prof. Dr. S. ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin über ausreichende Resilienzfaktoren verfüge, um die gesundheitliche Situation zu stabilisieren und eventuell zu bessern. Er geht insoweit von einem klaren therapeutischen Potenzial aus. Unter Berücksichtigung dessen ist die von Prof. Dr. S. beschriebene Fixierung der Klägerin auf die Schmerzen und die von ihr vorgenommene rigide Zuordnung von psychosozialen Problemen auf diese Schmerzen, auf die sie mit Rückzugsverhalten, Schonung und Ängsten reagiere im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und der Annahme eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens widersprüchlich. Nicht schlüssig ist zudem, dass der Sachverständige der chronischen Schmerzverarbeitungsstörung neben einer Beschwerdeverstärkung auch psychische Sekundärreaktionen wie eine ängstliche Anspannung zuschreibt. Denn dass es unter Belastung zu einem Konzentrationsdefizit, einem mangelnden Durchhaltevermögen, einer Somatisierungsneigung und Ängsten kommt, lässt sich dem von ihm erhobenen psychischen Befund nicht entnehmen, da er die Klägerin dort als offen, kommunikativ, belastet, etwas mürbe, jedoch ohne offensichtliche Aggravationsneigung, beschrieben hat. Sie zeige sich schwingungsfähig, unterschwellig aber angespannt, mit der Gesamtsituation unzufrieden, mürbe, antriebsgemindert, mit leichten Zeichen einer Anhedonie ohne formale oder inhaltliche Denkstörungen und ohne Störungen des Ich-Erlebens. Dem Gutachten kann gerade nicht entnommen werden, dass die Klägerin überfordert sein könnte, sich auf neue Anforderungen einzustellen oder gehindert sein könnte, leichten Tätigkeiten wenigstens sechs Stunden am Tag im Rahmen einer Fünftagewoche nachgehen zu können. Neben den von Prof. Dr. S. genannten Büroarbeiten, Beratungs- und Betreuungstätigkeiten kommen vor allem auch überwachende Tätigkeiten (Maschinen, Parkraumanlagen, Museum, Pförtner) in Betracht, die im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ausgeübt werden können. Die Einlassungen von Prof. Dr. S. in Bezug auf eine Vollzeittätigkeit in den von ihm genannten Bereichen (Büroarbeiten, Beratungs- und Betreuungstätigkeiten) gehen an der Fragestellung vorbei, da nicht nur Tätigkeiten im Bereich der gemachten Ausbildung und des beruflichen Werdeganges der 1965 geborenen Klägerin in Betracht zu ziehen sind, sondern sämtliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die die qualitativen Einschränkungen berücksichtigen. Die Einlassungen lassen zudem den Schluss zu, dass der Sachverständige nicht hinreichend zwischen den gesetzlichen Vorgaben, die lediglich auf eine wenigstens sechsstündige Leistungsfähigkeit abstellen und der von ihm mehrmals zugrunde gelegten Vollzeittätigkeit differenziert.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Chronifizierungsgrad nach Gerbershagen keinen Rückschluss auf eine quantitative Leistungsminderung zulässt. Allein aus der Chronifizierung eines Leidens kann nicht auf die Qualität oder Quantität einer Leistungseinbuße geschlossen werden (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 25.02.2014 – L 6 R 1059/12 –, juris, m.w.N.; LSG Berlin, Urteil vom 22.07.2004 – L 3 RJ 15/03 –, juris).

Der Arbeitsmarkt ist auch nicht deshalb verschlossen, weil die Klägerin nur unter arbeitsunüblichen Arbeitsbedingungen arbeiten könnte. Die von Dr. K. vertretene Auffassung, die Klägerin benötige vermehrte Arbeitspausen und müsse Gelegenheit haben, sich hinzulegen, sieht der Senat durch die Gutachten von Dr. W., Dr. H. und Prof. Dr. S. als widerlegt an. Die Wegefähigkeit der Klägerin ist nach den Einlassungen aller gehörten Gutachter nicht in rentenrelevantem Ausmaß beeinträchtigt, sodass auch aus diesem Grund keine volle Erwerbsminderung resultiert.

Der Einschätzung des Leistungsvermögens von Dr. W. konnte, wie bereits oben erwähnt, deshalb nicht gefolgt werden, weil widersprüchlich bleibt und er nicht erläutert, worauf er sich bei der Annahme stützt, die Schmerzen würden sich - sollte man eine wenigstens sechsstündige Tätigkeit fordern - in einem gesundheitsschädigenden Ausmaß entwickeln. Soweit er in dem Gutachten mehrmals auf die Notwendigkeit der Versorgung einer 2001 geborenen Tochter hingewiesen hat, sind solche Umstände im Rahmen des § 43 SGB VI nicht zu berücksichtigen, da dieser allein auf krankheits- oder behinderungsbedingte Einschränkungen abstellt.

Die Gutachten von Dr. K. und Prof. Dr. W. nehmen lediglich zur Zumutbarkeit einer Bürotätigkeit Stellung und vermögen daher für das vorliegende Verfahren zu keinem zusätzlichen Erkenntnisgewinn beizutragen. Grundlage für die Beurteilung durch Prof. Dr. W. war die zuletzt von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit, die zu 90 % eine sitzende Tätigkeit und mit Zwangshaltung für die Wirbelsäule verbunden war. Eine solche Tätigkeit wird auch von Dr. H. und den anderen gehörten Sachverständigen nicht mehr als leidensgerecht angesehen. Eine festgestellte zumindest 50%ige Berufsunfähigkeit im Beruf der kaufmännischen Angestellten vermag daher eine hier streitige Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu rechtfertigen, zumal ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI wegen des Alters der 1965 geborenen Kläger schon tatbestandlich nicht in Betracht kommt.

Die Einlassungen von Dr. W. im Gutachten für die Agentur für Arbeit vom 11.05.2008 - vor Antragstellung im Januar 2010 - sieht der Senat durch die nachfolgenden Gutachten von Dr. S. und Dr. H. als widerlegt. Der behandelnde Orthopäde Dipl. med. A. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 25.07.2011 leichte Wechseltätigkeiten für sechs Stunden täglich ebenfalls für zumutbar erachtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren unterlegen ist.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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