L 5 R 4816/14 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 2199/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 4816/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 21.10.2014 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 80.102,15 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Nachforderung von Sozialabgaben.

Der Antragsteller ist Inhaber eines als Einzelunternehmen verfassten Autohandelbetriebs (A.-C. e.K.). Der Bruder des Antragstellers - A. H. - ist im Unternehmen des Antragstellers ab 01.02.1997 als kaufmännischer Leiter tätig, zum 09.11.2005 wurde ihm Prokura erteilt. A. H. wurde bei der A. angemeldet und es wurden für seine Tätigkeit die Sozialabgaben abgeführt.

Auf einen Statusantrag vom 18.06.2002 stellte die A. mit Bescheid vom 24.07.2002 fest, dass A. H. die im Unternehmen des Antragstellers verrichtete Tätigkeit (kaufmännischer Leiter) im Rahmen eines zu allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 19.09.2002) erhob A. H. am 18.10.2002 Klage beim Sozialgericht Reutlingen - SG - (Verfahren S 10 KR 2644/02). Zum Klageverfahren wurden u.a. der Antragsteller und die Antragsgegnerin des vorliegenden Verfahrens sowie die G. Verkehr und Dienstleistungen (G.) - jetzt: D. (Rechtsnachfolgerin der G.) - beigeladen. Die Gerichtsakte des Klageverfahrens S 10 KR 2644/02 ist nach Mitteilung des SG vom 05.03.2015 nicht mehr auffindbar.

Am 30.08.2002 kündigte A. H. die Mitgliedschaft bei der A. und gab unter dem 24.09.2002 gegenüber der G. eine Mitgliedschaftserklärung (Beitritt zur freiwilligen Versicherung) ab. Er gab an, sein Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung betrage 2.050,00 EUR monatlich. Mit an A. H. gerichtetem Schreiben vom 22.10.2002 bestätigte die G. den Beginn der freiwilligen Mitgliedschaft zum 01.11.2002. Mit weiterem Schreiben vom 30.10.2002 (gerichtet an den A. H. vertretenden Versicherungsmakler) führte die G. ergänzend aus, für A. H. bestehe mangels abhängigen Beschäftigungsverhältnisses keine Sozialversicherungspflicht. Seit 01.06.2012 ist A. H. Mitglied bei der Sch ...

Die G. stellte mit an A. H. gerichtetem Bescheid vom 02.10.2003 fest, dass A. H. die im Unternehmen des Antragstellers seit 01.02.1997 verrichtete Tätigkeit als Geschäftsführer nicht im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, sondern im Rahmen einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ausübt. Zur Begründung führte sie aus, der (an Hand des gezahlten monatlichen Arbeitsentgelts und der Arbeitszeit errechnete) Stundenlohn des A. H. betrage nach dessen Angaben nur 7,57 EUR und liege daher unter dem Durchschnitt eines entsprechenden Geschäftsführergehalts. Man habe zwar Lohnsteuer abgeführt und das Arbeitsentgelt des A. H. als Betriebsausgabe gebucht; das sei aber in Unkenntnis der Rechtslage geschehen und für die Statusbeurteilung daher unerheblich. Es bestehe keine Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Im Statusverfahren vor der G. war (u.a.) angegeben worden, A. H. habe nach Beendigung seiner Ausbildung zum Kaufmann ab 01.02.1997 die kaufmännische Leitung im Unternehmen des Antragstellers übernommen und arbeite weisungsfrei und eigenverantwortlich. Er vertrete das Unternehmen nach außen, dürfe Mitarbeiter einstellen und unterliege hinsichtlich Zeit, Ort und Art seiner Tätigkeit keinen Vorgaben. Das Arbeitsentgelt (ab 01.02.1997: 2.050,00 DM/brutto im Monat bei 60 bis 65 Arbeitsstunden) liege unter dem für vergleichbare Tätigkeiten gezahlten ortsüblichen Gehalt. Eine mündliche Tantiemenregelung habe man bislang nicht angewandt. Auf dem Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen hatten der Antragsteller und A. H. unter dem 31.05.2002 angegeben, A. H. übe die Tätigkeit im Unternehmen des Antragstellers nicht aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung aus. Er sei nicht wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert, könne seine Tätigkeit vielmehr frei bestimmen und gestalten. Urlaubsanspruch und Kündigungsfrist seien nicht vereinbart. Bei Arbeitsunfähigkeit werde das Arbeitsentgelt für mindestens sechs Wochen fortgezahlt. Lohnsteuer werde abgeführt und das Arbeitsentgelt werde als Betriebsausgabe gebucht. Ergänzend war angegeben worden, da es sich bei dem Unternehmen des Antragstellers um einen Familienbetrieb handele, habe man keine Veranlassung zum Abschluss eines Arbeitsvertrags gesehen. A. H. sei de facto als Geschäftsführer angestellt; er sei der einzige im Unternehmen, der über eine kaufmännische Ausbildung verfüge und habe deshalb auch als einziger die notwendigen Branchenkenntnisse.

Mit Schriftsatz vom 03.05.2005 teilte A. H. dem SG im Klageverfahren S 10 KR 2644/02 mit, anders als bisher angegeben existiere (doch) ein mit dem Antragsteller geschlossener Arbeitsvertrag.

Mit Urteil vom 20.10.2005 (- S 10 KR 2644/02 -) wies das SG die Klage des A. H. ab. Das Urteil ist rechtskräftig. Zur Begründung führte das SG u.a. aus, entgegen den Angaben des A. H. im Verwaltungs- und im Klageverfahren, wonach ein Arbeitsvertrag nicht geschlossen worden sei, weil man wegen der familiären Beziehungen an eine arbeitsvertragliche Regelung nicht gedacht habe, sei offenbar doch ein Arbeitsvertrag abgeschlossen worden. Aus diesem gehe hervor, dass A. H. im Unternehmen des Antragstellers ab 01.02.1997 als Fahrer/Verkäufer eingestellt worden sei. Die Arbeitszeit habe 40 Wochenstunden, der Urlaubsanspruch 30 Arbeitstage im Jahr, das monatliche Arbeitsentgelt habe 2.000,00 DM netto betragen. In einer Ergänzung zum Arbeitsvertrag vom 30.01.1998, in der der Antragsteller als Arbeitgeber und A. H. als Arbeitnehmer bezeichnet worden seien, habe man vereinbart, dass A. H. ab Juni 2000 ein Firmenfahrzeug zur betrieblichen Nutzung (nicht zur privaten Nutzung) erhalten solle. Daraus und aus weiteren Umständen ergebe sich das Gesamtbild einer abhängigen Beschäftigung des A. H. im Unternehmen des Antragstellers während der streitigen Zeit vom 01.02.1997 bis 31.10.2002. Unerheblich sei, dass die G. den A. H. ab 01.11.2002 als freiwilliges Mitglied aufgenommen und das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses verneint habe; daran seien weder die Beklagte des vorliegenden Verfahrens noch das Gericht gebunden.

Nach Ergehen des Urteils des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) wurden bis zum Jahr 2011 Verwaltungsverfahren zur Überprüfung des sozialversicherungsrechtlichen Status des A. H. für die Zeit ab 01.11.2002 (seitdem sind Sozialabgaben für A. H. nicht mehr abgeführt worden) bzw. des Statusbescheids der G. vom 02.10.2003 und zur Nachforderung von Sozialabgaben ab November 2002 nicht eingeleitet.

Die Antragsgegnerin führte im Jahr 2007 eine Betriebsprüfung (Stichprobenprüfung) im Unternehmen des Antragstellers durch und erließ einen Nachforderungsbescheid vom 11.05.2007 wegen geldwerter privater Nutzung eines Geschäftswagens (offenbar durch beim Antragsteller beschäftigte (andere) Familienangehörige (M. und H. H.)). Die Tätigkeit des A. H. im Unternehmen des Antragstellers wurde nicht zum Gegenstand der Betriebsprüfung gemacht.

Bei einer weiteren (turnusgemäßen) Betriebsprüfung im Jahr 2011 nahm die Antragsgegnerin erstmals im Hinblick auf das Urteil des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) die Prüfung des Bestehens von Abgabenforderungen für die Tätigkeit des A. H. im Unternehmen des Antragstellers ab November 2002 auf.

Mit an die D. gerichtetem Schreiben vom 05.10.2012 regte die Antragsgegnerin an, den Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 zurückzunehmen. Der Bescheid sei rechtswidrig und beruhe auf falschen Angaben zum Vorliegen eines Arbeitsvertrags und zum Arbeitsentgelt des A. H ...

Mit an den gem. § 12 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) Zehntes Buch (SGB X) zum Verfahren hinzugezogenen Antragsteller und an A. H. gerichtetem und ohne Anhörung Beteiligter (§ 24 SGB X) ergangenem Bescheid vom 22.10.2012 mit dem Betreff (u.a.): "Aufhebungsbescheid, Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes" hob die D. den Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 unter Hinweis auf § 45 SGB X auf und stellte fest, dass A. H. in der im Unternehmen des Antragstellers verrichteten Tätigkeit seit 01.11.2002 der Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung unterliegt. Zur Begründung führte sie aus, man habe die Statusbeurteilung an Hand der von der Antragsgegnerin am 05.10.2012 übersandten Unterlagen vorgenommen und komme zu dem Ergebnis, dass Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung bestehe. Die für eine abhängige Beschäftigung des A. H. sprechenden Merkmale überwögen. Somit bestehe ab 01.11.2002 Versicherungspflicht.

Am 15.11.2012 legte A. H. Widerspruch gegen den Bescheid der D. vom 22.10.2012 ein. Eine (nach gewährter Akteneinsicht unter dem 26.11.2012 angekündigte) Widerspruchsbegründung wurde auch nach Erinnerung der D. vom 22.05.2013 nicht vorgelegt. Offenbar bestand zwischen A. H. und seiner Verfahrensbevollmächtigten kein Kontakt mehr.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.2013 wies die D. den Widerspruch zurück. Der (zum Ausgangsverfahren hinzugezogene) Antragsteller wurde im Widerspruchsverfahren nicht angehört. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, das SG habe im Urteil vom 20.10.2005 (a. a. O.) das Bestehen von Versicherungspflicht für die von A. H. im Unternehmen des Antragstellers verrichtete Tätigkeit festgestellt und sich hierfür (u.a.) auf den im Gerichtsverfahren vorgelegten Arbeitsvertrag gestützt. Eine Widerspruchsbegründung sei nicht vorgelegt worden; auf telefonische Nachfrage habe die Verfahrensbevollmächtigte des Widerspruchsführers mitgeteilt, zu diesem keinen Kontakt mehr zu haben.

Am 24.01.2014 erhob A. H. Klage gegen die D. beim SG (zunächst geführt unter S 11 KR 183/14, zuletzt geführt unter S 11 KR 2408/14). Die D. solle unter Aufhebung des Bescheids vom 22.10.2012 (und des Widerspruchsbescheids vom 13.08.2013) verurteilt werden festzustellen, dass er (A. H.) in der im Unternehmen des Antragstellers während der Zeit vom 01.11.2002 bis 31.07.2013 verrichteten Tätigkeit nicht der Sozialversicherungspflicht unterlegen habe. Außerdem möge man ihm Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist für die Erhebung einer Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 13.08.2013 gewähren. Er habe seinerzeit wegen einer schweren Erkrankung (Bauchspeicheldrüsenentzündung, außerdem Harnleiter- und Nierenkrebs) nicht rechtzeitig Klage erheben können. Die D. hätte den Statusbescheid ihrer Rechtsvorgängerin (G.) vom 02.10.2002 nicht gemäß § 45 SGB X zurücknehmen dürfen. Die einjährige Rücknahmefrist seit Kenntnis sei verstrichen gewesen, da die Rechtsvorgängerin der D. zum Klageverfahren S 10 KR 2644/02 beigeladen worden sei und daher um das Urteil des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) gewusst habe.

Mit Anhörungsschreiben vom 09.12.2013 hatte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mitgeteilt, es sei beabsichtigt, für die Tätigkeit des A. H. in seinem Unternehmen während der Zeit vom 01.11.2002 bis 31.07.2013 Sozialabgaben i. H. v. 273.554,23 EUR (darin enthalten Säumniszuschläge i. H. v. 73.033,00 EUR) nachzufordern. Das SG habe im Urteil vom 20.10.2005 (a. a. O.) das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses festgestellt. Der gegenteilige Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 sei mittlerweile von der D. durch Bescheid vom 22.10.2012 (Widerspruchsbescheid vom 13.08.2013) unter Feststellung von Versicherungspflicht des A. H. rückwirkend zum 01.11.2002 aufgehoben worden. Die Verhältnisse hätten sich seit diesem Zeitpunkt bis zum 31.07.2013 (Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses) nicht geändert. Da wegen (bedingt) vorsätzlichen Handelns des Antragstellers die 30-jährige Verjährungsfrist maßgeblich sei, sei Verjährung nicht eingetreten.

Der Antragsteller trug hierauf vor, im Klageverfahren S 10 KR 2644/02 sei der Statusbescheid der G. vom 02.10.2002 (richtig: 2003) vorgelegt worden und der (zu diesem Verfahren beigeladenen) Antragsgegnerin daher bekannt gewesen. Der Rücknahme dieses Bescheids stehe die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X entgegen. Außerdem sei Verjährung eingetreten. A. H. sei seit 09.11.2005 zum Prokuristen bestellt. Ab diesem Zeitpunkt liege gegebenenfalls familienhafte Mitarbeit vor, da das Arbeitsentgelt im Jahr 2005 bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 60 bis 65 Stunden nur 2.747,66 EUR brutto betragen habe.

Nach erneuter Anhörung (Anhörungsschreiben vom 10.04.2014 und vom 22.04.2014: Neuberechnung der Abgabennachforderung wegen Vorliegens einer Nettolohnvereinbarung) gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 10.06.2014 auf, für die Tätigkeit des A. H. in seinem Unternehmen während der Zeit vom 01.11.2002 bis 31.07.2013 Sozialabgaben i. H. v. 320.408,58 EUR (darin enthalten Säumniszuschläge i. H. v. 85.813,50 EUR) nachzuzahlen. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, der nunmehr höhere Nachforderungsbetrag folge daraus, dass nach den Feststellungen des SG im Urteil vom 20.10.2005 (a. a. O.) eine Nettolohnvereinbarung getroffen worden sei und die Sozialabgaben deshalb nach den hochgerechneten Bruttoarbeitsentgelten festgesetzt werden müssten. Säumniszuschläge würden für die Zeit ab 01.12.2005 erhoben, da das genannte Urteil des SG am 24.11.2005 rechtskräftig geworden sei. Verjährung sei nicht eingetreten. Der Antragsteller habe im Hinblick auf das Urteil des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) um die Pflicht zur Abführung von Sozialabgaben gewusst und damit jedenfalls bedingt vorsätzlich gehandelt habe. Der Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 müsse nicht gesondert aufgehoben werden, weil die D. diesen Bescheid bereits mit Bescheid vom 22.10.2012 zurückgenommen habe; dieser Bescheid sei bestandskräftig geworden. Die Voraussetzungen des § 45 SGB X seien daher im vorliegenden Nachforderungsverfahren nicht zu prüfen. Die Erteilung von Prokura für A. H. zum 09.11.2005 ändere am Gesamtbild einer abhängigen Beschäftigung im Betrieb des Antragstellers nichts.

Am 09.07.2014 hat der Antragsteller Widerspruch gegen den Nachforderungsbescheid vom 10.06.2014 eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.

Mit Bescheid vom 07.08.2014 lehnte die Antragsgegnerin einen Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung des Nachforderungsbescheids ab, worauf der Antragsteller am 29.08.2014 beim SG um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchte (Verfahren S 11 R 2199/14 ER).

Der Antragsteller trug vor, man habe ihn vor Rücknahme des Statusbescheids vom 02.10.2003 nicht angehört und keine Gelegenheit gegeben, hierzu vorzutragen und Einwendungen zu erheben. Die Abgabenforderung der Antragsgegnerin sei verjährt. Er sei seinerzeit davon ausgegangen, die zuständigen Stellen würden sich nach Ergehen des Urteils des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) melden, was in der Folgezeit aber nicht geschehen sei, weshalb ihm (auch) bedingt vorsätzliches Verhalten hinsichtlich der Nichtabführung der Sozialabgaben nicht vorgeworfen werden könne. Außerdem habe er angenommen, dass A. H. mit der Bestellung zum Prokuristen ab 09.11.2005 nicht mehr der Sozialversicherungspflicht unterlegen habe. Die Antragsgegnerin treffe an der späten Nachforderung eine Mitschuld. Sie habe seit dem Urteil des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) gewusst, dass für die Tätigkeit des A. H. Sozialabgaben zu zahlen seien, habe die Abgabenforderung aber dennoch erst Ende 2013 geltend gemacht. Die Vollziehung des Nachforderungsbescheids würde seine wirtschaftliche Existenz vernichten.

Der Antragsteller legte betriebswirtschaftliche Auswertungen seines Steuerberaters für 2012 und 2013 vor. Daraus ergebe sich für 2012 ein negatives Ergebnis von minus 21.238,22 EUR und für 2013 ein positives Ergebnis von 52.379,91 EUR. Bei sofortiger Vollziehung des Nachforderungsbescheids und Nachforderung von über 320.000 EUR müsste er daher zwangsläufig Insolvenz anmelden.

Mit Beschluss vom 02.07.2014 (- S 11 KR 183/14/S 11 KR 2408/14 -) lehnte das SG den Antrag des A. H. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist für die Klage gegen den Widerspruchsbescheid der D. vom 13.08.2013 ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde des A. H. wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 10.09.2014 (- L 4 KR 3331/14 B -) zurück. Am 05.11.2014 nahm A. H. die im Verfahren S 11 KR 183/14/S 11 KR 2408/14 erhobene Klage gegen die D. zurück.

Am 25.09.2014 beantragte A. H. bei der D. gem. § 44 SGB X die Überprüfung des Bescheids vom 22.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.08.2013 sowie die Rücknahme dieser Bescheide. Er machte geltend, die D. habe mit den genannten Bescheiden den Statusbescheid der G. vom 02.10.2003, der als begünstigender Verwaltungsakt einzustufen sei, zurückgenommen, ohne dass die hierfür geltenden Anforderungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X erfüllt gewesen wären. Die G., Rechtsvorgängerin der D., sei als Beigeladene Beteiligte des Klageverfahrens S 10 KR 2644/02 gewesen und habe daher Kenntnis von dem in diesem Verfahren ergangenen Urteil des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) gehabt, in dem seine (des A. H.) Tätigkeit bis 31.10.2002 als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eingestuft worden sei. Der Statusbescheid der G. hätte daher gem. § 45 Abs. 4 SGB X binnen eines Jahres nach Ergehen des genannten Urteils zurückgenommen werden müssen, was freilich nicht geschehen sei. Außerdem sei Verwirkung eingetreten (vgl. dazu Bundessozialgericht (BSG), Urt. v. 03.07.2013, - B 12 KR 8/11 R -, in juris). Es verstoße gegen Treu und Glauben, den Statusbescheid 6 Jahre nach Ergehen des Urteils des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) zurückzunehmen. Bei rechtzeitigem Handeln wäre es nicht zu einem derart hohen Beitragsrückstand für den Antragsteller gekommen. Der Überprüfungsantrag wurde von der D. zunächst (bis zum Juni 2015) nicht bearbeitet.

Die Antragsgegnerin trug (im vorläufigen Rechtsschutzverfahren S 11 R 2199/14 ER) vor, es sei unerheblich, ob die D. bei Rücknahme des Statusbescheids der G. vom 02.10.2003 die Maßgaben des § 45 SGB X beachtet, insbesondere Rücknahmeermessen ausgeübt habe. Mit Rechtskraft des Urteils des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) habe festgestanden, dass A. H. im Unternehmen des Antragstellers sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Dennoch habe ihn der Antragsteller bei der zuständigen Einzugsstelle nicht angemeldet und stattdessen mit wahrheitswidrigen Angaben die rechtswidrige Statusentscheidung der G. (Vorliegen einer selbstständigen Erwerbstätigkeit des A. H.) erwirkt.

Mit Beschluss vom 21.10.2014 (- S 11 R 2199/14 ER -) ordnete das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Nachforderungsbescheid vom 10.06.2014 an. Zur Begründung führte es aus, die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen den Nachforderungsbescheid der Antragsgegnerin seien noch nicht abschätzbar. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren anzustellenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage könne nicht abschließend beurteilt werden, ob die von der D. im - zwar bestandskräftig gewordenen, aber gem. § 44 SGB X im deswegen noch anhängigen Verwaltungsverfahren zu überprüfenden - Bescheid vom 22.10.2012 (Widerspruchsbescheid vom 13.08.2013) getroffene Statusentscheidung hinsichtlich der streitigen Tätigkeit des A. H. im Unternehmen des Antragstellers (Aufhebung des eine selbstständige Erwerbstätigkeit feststellenden Statusbescheids der G. vom 02.10.2003 und Feststellung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung) rechtmäßig sei und damit die Voraussetzungen für die Abgabennachforderung vorlägen. Allerdings sei davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin zu Recht eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung des A. H. angenommen habe. Daran dürfte auch die Erteilung von Prokura ab November 2005 nichts ändern. Im Hauptsacheverfahren bleibe freilich zu klären, ob der den Antragsteller begünstigende Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 zu Recht aufgehoben worden sei; die entsprechende Prüfung durch die D. stehe noch aus. Insoweit sei fraglich, ob die D. das in § 45 SGB X eröffnete Rücknahmeermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt habe. Im Bescheid vom 22.10.2012 bzw. im Widerspruchsbescheid vom 13.08.2013 fänden sich keine Ausführungen zur Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf den Bestand des Statusbescheids der G. vom 02.10.2003 oder zu deswegen getätigten Vermögensdispositionen und zur Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen. Diese Fragen müssten im Hauptsacheverfahren geklärt werden, weshalb die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Nachforderungsbescheid der Antragsgegnerin offen seien.

Die sofortige Vollziehung des Nachforderungsbescheids würde für den Antragsteller außerdem eine unbillige Härte bewirken. Der Antragsteller habe mit den betriebswirtschaftlichen Auswertungen für 2012 und 2013 Unterlagen vorgelegt, die dafür sprächen, dass die erhebliche Nachforderung ohne Gefährdung seines Unternehmens nicht beglichen werden könne. Im Hinblick auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes müsse auch bedacht werden, dass sowohl die Antragsgegnerin wie die G. nach Ergehen des Urteils des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) bis zum Jahr 2012 nichts unternommen hätten, um den dem genannten Urteil widersprechenden Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 zu überprüfen, obwohl sie als Verfahrensbeteiligte (Beigeladene) Kenntnis von dem Urteil gehabt hätten. Im damaligen Klageverfahren sei zudem das Schreiben der G. vom 30.10.2002 über die Bestätigung der freiwilligen Mitgliedschaft des A. H. bei (vermeintlichem Nichtbestehen von Sozialversicherungspflicht) ab 01.11.2002 vorgelegt worden. Insgesamt gehe im vorliegenden Ausnahmefall das Aufschubinteresse des Antragstellers dem öffentlichen Vollziehungsinteresse daher vor.

Gegen den ihr am 28.10.2014 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 21.11.2014 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, das SG habe die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Nachforderungsbescheid als offen eingeschätzt und angenommen, die Vollziehung des Nachforderungsbescheids bewirke wegen der Höhe des Nachforderungsbetrags eine unbillige Härte für den Antragsteller. Man erachte die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen den Nachforderungsbescheid ebenfalls für zumindest offen, gehe jedoch weitergehend davon aus, dass mehr für als gegen die Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids spreche. Die G. habe den Zeitraum vor Beginn der Mitgliedschaft des A. H. bei ihr in die Statusbeurteilung einbezogen, was rechtswidrig gewesen sei, und sich dadurch ohne sachlichen Grund und ohne weitere Begründung gegen die Statusentscheidung der A. und des SG gestellt. Für den Antragsteller habe die Widersprüchlichkeit der ergangenen Entscheidungen, zumal sie weitgehend den gleichen Zeitraum betroffen hätten, offensichtlich sein müssen. Außerdem liege auf der Hand, dass eine Gerichtsentscheidung höheres Gewicht habe als der Verwaltungsakt einer Krankenkasse (Einzugsstelle). Da der Widerspruch des Antragstellers daher geringe Erfolgsaussichten habe, bedürfte die Aussetzung der Vollziehung des Nachforderungsbescheids gewichtiger Gründe. Die Höhe des Nachforderungsbetrags genüge insoweit nicht. Weder der Antragsteller noch A. H. hätten sich um die Aufklärung der offenkundigen Widersprüchlichkeit der ergangenen Statusentscheidungen gekümmert, sich vielmehr der ihnen günstigsten Auffassung angeschlossen, ohne zu fragen, wie es möglich sei, dass der gleiche Sachverhalt unterschiedlich beurteilt werde. Sie hätten auch gewusst, dass die G. ihre Statusentscheidung allein auf der Grundlage ihrer Angaben getroffen habe und der im Sozialgerichtsverfahren relevante Arbeitsvertrag seinerzeit, wohl bewusst, nicht vorgelegt worden sei. Die G. habe ihre Rechtsauffassung auch weder ausführlich dargestellt noch stichhaltig begründet. Die Höhe der Nachforderung für sich allein führe des Weiteren nicht zu einer unbilligen Härte für den Antragsteller. Dieser habe hierfür lediglich pauschal auf drohende Insolvenz verwiesen. Die angeführte betriebswirtschaftliche Auswertung für 2012 und 2013 liege nicht vor, so dass nicht ersichtlich sei, wie sich die jeweiligen Betriebsergebnisse zusammensetzten. Letztendlich beruhe die betriebswirtschaftliche Auswertung auf den laufenden Daten der Finanzbuchhaltung und treffe somit keine Aussagen über das Anlagevermögen des Unternehmens. Ihr Aussagewert hänge auch erheblich von der Art der Buchführung ab. Aus dem Internetauftritt des Antragstellers gehe schließlich hervor, dass ihm ein großer Verkaufsraum und eine große Anzahl von Fahrzeugen und damit auch eine große Grundstücksfläche zur Verfügung stünden. Die Eigentumsverhältnisse im Einzelnen seien nicht bekannt. Insgesamt fehle es daher für die Annahme einer unbilligen Härte infolge der Vollziehung des Nachforderungsbescheids an hinreichend substantiiertem Sachvortrag.

Mit Bescheid vom 17.06.2015 lehnte die D. den Antrag des A. H. auf Überprüfung bzw. Rücknahme des Statusbescheids vom 22.10.2012 (Widerspruchsbescheid vom 13.08.2012) ab. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen des § 44 SGB X seien nicht erfüllt; hierfür werde auf die Begründung des (A. H. betreffenden) Widerspruchsbescheids (vom 13.08.2012) Bezug genommen. Hinsichtlich des § 45 SGB X verweise man auf das Schreiben der Antragsgegnerin vom 05.10.2012 (Anregung, den Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 zurückzunehmen). Der Bescheid wurde dem A. H. am 24.06.2015 zugestellt.

Am 22.07.2015 hat A. H. Widerspruch gegen des Bescheid der D. vom 17.06.2015 eingelegt. Über den Widerspruch ist noch nicht entschieden.

Einen Vergleichsvorschlag des Berichterstatters vom 25.02.2015 (Aussetzung der Vollziehung des Nachforderungsbescheids gegen Gestellung einer Bankbürgschaft durch den Antragsteller) hat der Antragsteller abgelehnt.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 21.10.2014 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Nachforderungsbescheid des Antragsgegnerin vom 10.06.2014 zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Ergänzend trägt er vor, über den bei der D. am 24.09.2014 gestellten Antrag auf Überprüfung des Bescheids vom 22.10.2012 (Widerspruchsbescheid vom 13.08.2013) sei noch nicht (abschließend) entschieden worden. Die D. als Rechtsnachfolgerin der G. habe den Statusbescheid vom 02.10.2003 erst sechs Jahre nach Ergehen des Urteils des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) zurückgenommen, obwohl die G. seinerzeit zum Klageverfahren beigeladen worden sei. Deswegen sei die einjährige Rücknahmefrist verstrichen. Außerdem sei die verspätete Rücknahme des Statusbescheids vom 02.10.2003 treuwidrig und das Rücknahmerecht sei verwirkt. Im Hinblick auf das noch nicht abgeschlossene Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X müsse die abschließende Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Es liege schließlich eine unbillige Härte vor, da seinem Unternehmen bei Vollziehung der Nachforderung die Insolvenz drohe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Antragsgegnerin, des SG und des Senats sowie der D. Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gem. §§ 172 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere nicht gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, und auch sonst zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

1.) Vorläufiger Rechtsschutz ist hier gem. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG) des vom Antragsteller gegen den Nachforderungsbescheid vom 10.06.2014 erhobenen Widerspruchs ist gem. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfallen, weil dieser Bescheid die Anforderung von Beiträgen und Umlagen zum Gegenstand hat. Die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung setzt in der Sache voraus, dass das Aufschubinteresse des Betroffenen (Klägers bzw. Antragstellers) das Interesse der Allgemeinheit oder eines Beteiligten an der sofortigen Vollziehung überwiegt. In den Fällen, in denen, wie hier, die aufschiebende Wirkung gesetzlich ausgeschlossen ist (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG), geht der Gesetzgeber vom grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses aus. Soweit es um die Fälle des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG, namentlich die Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben geht, soll die Aussetzung der Vollziehung - gem. § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG durch die Verwaltung - daher nur dann erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese Maßstäbe gelten für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Gerichte entsprechend. Ernstliche Zweifel i. S. d. § 86a Abs. 3 Satz 2 1. Alt. SGG liegen vor, wenn der Erfolg des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 19.07.2010, - L 5 KR 1153/10 ER-B - m. w. N. n. V.). Die Härteklausel des § 86a Abs. 3 Satz 2 2. Alt. SGG stellt auf die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren nicht ab; bei ihr handelt es sich um eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen bzw. grundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das Gericht muss im Übrigen immer bedenken, welche nachteiligen Folgen dem Antragsteller aus der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts, vor allem für seine grundrechtlich geschützten Rechtspositionen erwachsen und ob bzw. wie diese ggf. rückgängig gemacht werden können. Der Rechtsschutzanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG) darf gegenüber dem (auch gesetzlich vorgegebenen) öffentlichen Interesse am Sofortvollzug einer Maßnahme umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.2009, - 1 BvR 1876/09 -, in juris).

2.) Danach kann die Beschwerde der Antragsgegnerin keinen Erfolg haben. Das SG hat dem Antragsteller im Ergebnis zu Recht vorläufigen Rechtsschutz gegen den Nachforderungsbescheid vom 10.06.2014 gewährt. Dafür sind folgende Erwägungen des Senats maßgeblich:

Im Ausgangspunkt hat das SG aller Voraussicht nach zutreffend angenommen, dass A. H. während der streitigen Zeit (01.11.2002 bis 31.07.2013) eine zu allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtige Beschäftigung im Unternehmen des Antragstellers ausgeübt hat. Das SG hat sich hierfür zu Recht auf sein im Verfahren S 10 KR 2644/02 ergangenes (rechtskräftiges) Urteil vom 20.10.2005 gestützt. Dieses Urteil hat zwar den Zeitraum vom 01.02.1997 bis 31.10.2002 zum Gegenstand. In der (hier streitigen) Folgezeit (ab 01.11.2002) haben sich die Verhältnisse, die für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung der von A. H. im Unternehmen des Antragstellers ausgeübten Tätigkeit maßgeblich sind, soweit ersichtlich aber nicht wesentlich geändert. Nach wie vor wird daher vom Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen sein. Daran wird es nichts ändern können, dass A. H. (kurze Zeit nach Ergehen des sozialgerichtlichen Urteils) am 09.11.2005 Prokura erteilt worden ist. Auch im Hinblick darauf wird es beim Gesamtbild einer abhängigen Beschäftigung bleiben müssen, zumal der Antragsteller als Inhaber des Unternehmens über die Rechtsmacht verfügt, die Geschicke des Betriebes zu bestimmen (vgl. dazu nur etwa BSG, Urt. v. 30.04.2013, - B 12 KR 19/11 R -, in juris). A. H. mag für die kaufmännische Betriebsführung zuständig gewesen sein und hierfür auch (möglicherweise als einziger) über die notwendigen Fachkenntnisse verfügt haben. Das macht ihn jedoch nicht zum Mitunternehmer neben dem Antragsteller, dem das Unternehmen gehört, lässt seinen sozialversicherungsrechtlichen Status als abhängig beschäftigter (leitender) Angestellter (angestellter Geschäftsführer) vielmehr unberührt. Unter den Beteiligten ist das - jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutzverfahren - im Kern nicht streitig.

Der Antragsteller wendet gegen die Nachforderung von Sozialabgaben (in erheblichem Umfang) neben dem Eintritt von Verjährung im Wesentlichen ein, die Bescheide der D., mit denen diese den ihm günstigen und der Abgabennachforderung im Wege stehenden Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 aufgehoben hat, seien rechtswidrig und müssten deshalb im anhängigen Überprüfungsverfahren gem. § 44 SGB X zurückgenommen werden. Im Hinblick darauf erweist sich der angefochtene Beschluss des SG im Ergebnis als richtig, auch wenn es für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Nachforderung von Sozialabgaben nach Maßgabe des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nicht genügt, wenn die Erfolgsaussichten eines dagegen eingelegten Rechtsbehelfs - wie das SG angenommen hat - offen sind. Wie eingangs dargelegt, sind dafür nämlich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen (Nachforderungs-)Bescheids erforderlich, die bei (bloß) offenen Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs noch nicht, sondern erst dann bestehen, wenn der Erfolg des gegen den Bescheid eingelegten Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Letzteres ist nach Auffassung des Senats bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Nachforderungsbescheid vom 10.06.2014 der Fall. Damit ist die im Hauptsacheverfahren zu treffende Entscheidung freilich nicht präjudiziert. Im noch offenen Widerspruchsverfahren bzw. in einem etwaigen Gerichtsverfahren wird daher ohne Bindung an die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Entscheidungen abschließend über die Rechtmäßigkeit der Abgabennachforderung zu befinden sein.

Nach Lage der Dinge ist für das vorläufige Rechtsschutzverfahren davon auszugehen, dass die Abgabennachforderung (Zeitraum 01.11.2002 bis 31.07.2013) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit an dem dem Antragsteller günstigen (an A. H. gerichteten) Statusbescheid, den die G. seinerzeit (als Einzugsstelle) unter dem 02.10.2003 erlassen hat, scheitern dürfte. In diesem Bescheid ist nämlich (antragsgemäß und daher mit begünstigender Wirkung) festgestellt worden, dass A. H. die im Unternehmen des Antragstellers seit 01.02.1997 verrichtete Tätigkeit als Geschäftsführer nicht im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, sondern im Rahmen einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ausübt, und dass deshalb Sozialabgaben nicht abzuführen sind. Der Statusbescheid (der Einzugsstelle) bindet, auch wenn er rechtswidrig sein dürfte, infolge der ihm zukommenden Tatbestandswirkung die Antragsgegnerin (als Prüfstelle), wobei es unerheblich ist, dass er an A. H. und nicht an den Antragsteller (als dessen potentiellen Arbeitgeber) gerichtet ist (zur Tatbestandwirkung von Verwaltungsakten nur etwa Maurer; Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rdnr. 8). Der genannte Bescheid ist durch das Urteil des SG vom 20.10.2005 (a. a. O.) nicht aufgehoben worden; er ist nicht Streitgegenstand des Verfahrens S 10 KR 2644/02 gewesen. Nichtigkeitsgründe (§ 40 SGB X) sind nicht ersichtlich.

Die D. hat den Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 zwar mit (an den gem. § 12 Abs. 2 SGB X zum Verfahren hinzugezogenen Antragsteller und an A. H. gerichtetem) Bescheid vom 22.10.2012 bzw. Widerspruchsbescheid vom 13.08.2013 zurückgenommen. Diese Bescheide, die unanfechtbar geworden sind, dürften sich aber überwiegend wahrscheinlich als rechtswidrig erweisen und dürften auf den am 25.09.2014 gestellten Überprüfungsantrag des A. H. daher gem. § 44 SGB X aufzuheben sein; die D. hat dies im jüngst ergangenen (mit dem Widerspruch angefochtenen) Bescheid vom 17.06.2015 wohl zu Unrecht abgelehnt.

Die D. hat den Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 auf die Anregung der Antragstellerin in deren Schreiben vom 05.10.2012 aufgehoben, ohne zuvor ein Anhörungsverfahren nach § 24 SGB X durchzuführen und ohne Feststellungen zur Frage des Vertrauensschutzes nach § 45 Abs. 2 SGB X zu treffen. Ausweislich der Begründung des Bescheids vom 22.10.2012 und des Widerspruchsbescheids vom 13.08.2013 hat sie in der Sache ausschließlich eine erneute Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status des A. H. in der im Unternehmen des Antragstellers ausgeübten Tätigkeit durchgeführt und - anders als die G. - (nunmehr) eine abhängige Beschäftigung angenommen. Dass damit zugleich ein begünstigender Verwaltungsakt, der Statusbescheid der G. vom 02.10.2003, aufgehoben wird, klingt letztendlich nur insoweit an, als im Betreff des Bescheids vom 22.10.2012 "Aufhebungsbescheid, Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts" vermerkt und in der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 13.08.2013 ausgeführt ist, die Antragsgegnerin habe gebeten, den Statusbescheid der G. "aufzuheben". Die Prüfung von Vertrauensschutz (insbesondere im Hinblick auf § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X) und - vor allem - die Ausübung des in § 45 SGB X eröffneten Rücknahmeermessens kann den genannten Bescheiden an keiner Stelle entnommen werden. Das mag für den Bescheid vom 22.10.2012 schon daran liegen, dass man es rechtswidrig unterlassen hat, ein Anhörungsverfahren nach § 24 SGB X durchzuführen, in dem der gem. § 12 Abs. 2 SGB X als Beteiligter zum Verfahren hinzugezogene Antragsteller oder A. H. (aus ihrer Sicht zur Statusfrage selbst) Gründe hätten vortragen können, die bei Ausübung des Rücknahmeermessens zu erwägen gewesen wären, und dass im Widerspruchsverfahren eine Widerspruchsbegründung für den Widerspruchsführer A. H. nicht vorgelegt worden ist. Letzteres entbindet die Behörde freilich nicht davon, zu bedenken und dies in der Begründung jedenfalls des Widerspruchsbescheids auch deutlich zu machen, dass Rücknahmeermessen eröffnet ist, und dass hierzu Erwägungen zumindest auf der Grundlage des bekannten Sachverhalts und der erkennbaren Interessen der Beteiligten anzustellen sind, zumal das Ausbleiben der Widerspruchsbegründung, was der Behörde ausweislich der Begründung des Widerspruchsbescheids bewusst gewesen ist, darauf beruht, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Widerspruchsführers zu diesem keinen Kontakt mehr gehabt hat. Bei dieser Sachlage wird es mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht angehen können, einen 10 Jahre zurückliegenden (begünstigenden) Statusbescheid mit der naheliegenden Folge (ganz) erheblicher Beitragsnachforderungen ohne aus den ergangenen Bescheiden auch nur ansatzweise erkennbare Ermessensbetätigung zurückzunehmen. Das der Rücknahmeentscheidung zugrundeliegende Verwaltungsverfahren der D. weist mit der unterlassenen Anhörung der Beteiligten im Ausgangsverfahren und mit dem nach Lage der Dinge unzureichenden Bemühen, den für eine rechtsfehlerfreie Ermessensbetätigung und die rechtsfehlerfreie Beurteilung der Frage des Vertrauensschutzes entscheidungserheblichen Sachverhalt (wenigstens) im Widerspruchsverfahren - etwa durch Anhörung des zum Ausgangsverfahren hinzugezogenen Antragstellers - hinreichend (vollständig) aufzuklären, schwerwiegende Mängel auf, die dazu führen dürften, dass die in diesem Verfahren (als belastende Verwaltungsakte) ergangenen Entscheidungen wegen eines rechtlich beachtlichen Ermessensfehlers (Ermessensdefizits) keinen Bestand werden behalten können.

Mit der Aufhebung des (Rücknahme-)Bescheids der D. vom 22.10.2012 bzw. des Widerspruchsbescheids vom 13.08.2013 hätte der - die Abgabennachforderung im Hinblick auf seine Tatbestandswirkung hindernde - Statusbescheid der G. vom 02.10.2003 seinerseits (wieder) Bestand. Die D. hat die Aufhebung der genannten Bescheide im von A. H. betriebenen Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X durch Bescheid vom 17.06.2015 zwar abgelehnt. Gegen diesen Bescheid ist aber fristgerecht Widerspruch eingelegt worden (Zustellung des Bescheids am 24.06.2015, Widerspruch am 22.07.2015), über den noch nicht entschieden ist. Bis zu einer endgültigen Aufhebung der Bescheide vom 22.10.2012/13.08.2013 - ggf. durch rechtskräftiges Urteil - wäre an sich von deren Fortbestand und damit zugleich von der Aufhebung des Statusbescheids der G. vom 02.10.2003 auszugehen. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Abgabennachforderung muss der Senat aber berücksichtigen, dass der in Rede stehende Statusbescheid der G. voraussichtlich zu Unrecht aufgehoben worden ist und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Zuge eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X wieder Bestand erlangen und ebenfalls mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Rechtswidrigkeit der (hier streitigen) Abgabennachforderung führen wird, auch wenn es sich bei dem Überprüfungs- und dem Nachforderungsverfahren um gesonderte Verwaltungsverfahren mit jeweils unterschiedlichen, freilich gleichlaufende Interessen verfolgenden Beteiligten handelt. Im Hinblick auf das Grundrecht des Antragstellers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG - namentlich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - wäre es bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht zulässig, etwa zunächst den (rechtskräftigen) Abschluss des Überprüfungsverfahrens zu verlangen oder dem Antragsteller entgegenzuhalten, dass das Überprüfungsverfahren von A. H. betrieben wird und dieser ggf. im Rahmen eines (weiteren) vorläufigen Rechtsschutzverfahrens - durch Erlass einer einstweiligen Anordnung - die (vorläufige) Aufhebung der voraussichtlich rechtswidrigen Rücknahmeentscheidung der D. erwirken solle.

Da dem Antragsteller vorläufiger Rechtsschutz wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids vom 10.06.2014 zu gewähren ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob dessen Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Maßgeblich ist ein Viertel des Nachforderungsbetrags (80.102,15 EUR; bei dem im angefochtenen Beschluss benannten Betrag von 8.102,15 EUR handelt es sich offenbar um ein Schreibversehen).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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