L 11 KR 4624/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 1891/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4624/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 06.10.2014 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin auch für die Zeit vom 15.01.2014 bis 03.08.2014 Krankengeld zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt 9/10 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld über den 14.01.2014 hinaus.

Die 1965 geborene Klägerin war bei der C. U. Spritzgießtechnik GmbH als Produktionshelferin beschäftigt und bei der Beklagten pflichtversichert. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 30.09.2013 gekündigt.

Ab 02.09.2013 war die Klägerin arbeitsunfähig. Bis zum Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses erhielt sie Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber. Ab 01.10.2013 zahlte die Beklagte Krankengeld. Seit 01.10.2014 bezieht die Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Am 14.11.2013 wurde zwischen der Beklagten und dem behandelnden Arzt Dr. L. besprochen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder ein hinreichendes Leistungsvermögen bestünde und deshalb die Arbeitsunfähigkeit (AU) beendet werde. Am 19.11.2013 stellte Dr. L. einen Auszahlschein für Krankengeld aus, der ein Ende der AU am 18.11.2013 und eine fehlende Behandlungsbedürftigkeit bescheinigte. Am 02.12.2013 ging bei der Beklagten ein korrigierter Auszahlschein vom 28.11.2013 ein. Darin wurde bescheinigt, dass die Klägerin sich zuletzt am 18.11.2013 vorgestellt habe und noch arbeitsunfähig bis auf weiteres sei. Dr. L. vermerkte: "aktualisierte Version! AZ vom 18.11. hinfällig!"

Mit Auszahlschein vom 12.12.2013 bescheinigte Dr. L. einen Besuch am 12.12.2013 und weitere AU "aW". Der nächste Praxisbesuch sei am 14.01.2014 (Dienstag) vorgesehen. Telefonisch teilte der Arzt mit, dass sich die Klägerin zwischen dem 18.11. und 29.11. nicht bei ihm vorgestellt habe.

In der Folgezeit stellte Dr. L. folgende Auszahlscheine aus: AU festgestellt am Au voraussichtlich bis noch arbeits- unfähig Nächster Termin 16.01.2014 keine Angabe Ja 28.01.2014 28.01.2014 b.a.w. Ja 10.02.2014 11.02.2014 b.a.w. Ja 25.02.2014 24.02.2014 a.w. Ja 13.03.2014 13.03.2014 a.w. Ja 27.03.2014 27.03.2014 b.a.w. Ja 11.04.2014 11.04.2014 a.w. Ja 05.05.2014 06.05.2014 a.w. Ja 03.06.2014 03.06.2014 a.w. Ja 13.06.2014 16.06.2014 b.a.w. Ja 30.06.2014 01.07.2014 a.w. Ja 15.07.2014 15.07.2014 keine Angabe Ja 29.07.2014 29.07.2014 keine Angabe Ja 14.08.2014

Mit Bescheid vom 17.12.2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine AU zunächst nur bis 18.11.2013 bescheinigt sei und an diesem Tag der Versicherungsschutz geendet habe. Erst am 28.11.2013 habe der Arzt eine erneute AU festgestellt. An diesem Tag sei sie nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Deshalb könne kein Krankengeld ausgezahlt werden.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie führte auch unter Bezugnahme auf ein Attest von Dr. L. vom 24.03.2014 aus, dass sie ununterbrochen krankgeschrieben sei. Der Auszahlschein vom 19.11.2013 sei versehentlich falsch ausgefüllt worden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.5.2014 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 04.06.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben.

Ab dem 04.08.2014 hat sich die Klägerin im Urlaub in der Türkei befunden. Zuvor hatte sie sich am 21.07.2014 an die Beklagte gewandt und mitgeteilt, dass der Urlaub geplant sei. Die Beklagte hatte erwidert, für den Fall der Genehmigung des Krankengelds werde keine Zahlung ab Ortsabwesenheit erfolgen.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 06.10.2014 verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheids vom 17.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2013 der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 19.11.2013 bis 14.01.2014 zu zahlen. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, auch über den 18.11.2013 hinaus habe AU vorlag. Maßstab hierfür sei die letzte Tätigkeit und nicht der allgemeine Arbeitsmarkt. Dr. L. habe aufgrund des telefonischen Hinweises der Beklagten im Telefonat vom 14.11.2013 eine unrichtige Bescheinigung ausgestellt. Die Klägerin habe sich umgehend um eine Korrektur des Fehlers bemüht und Dr. L. habe einen korrigierten Auszahlschein vorgelegt. Allerdings ende der Anspruch mit dem 14.01.2014. Dr. L. habe AU befristet bis zu diesem Tag bescheinigt. Die nächste Bescheinigung datiere erst auf den 16.01.2014. Die Klägerin habe nicht alles ihr Mögliche unternommen, um rechtzeitig vor Fristablauf eine erneute ärztliche Feststellung ihrer AU zu erreichen. Maßgeblich sei deshalb das Versicherungsverhältnis am nächsten Tag, also am 17.01.2014. Ab dem 15.01.2014 sei die Klägerin über ihren Ehemann familienversichert gewesen. Dieser Versicherungsschutz umfasse keinen Anspruch auf Krankengeld.

Das Urteil ist den Klägerbevollmächtigten am 16.10.2014 zugestellt worden. Diese haben am 07.11.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die verspätete Feststellung der AU am 16.01.2014 im Verantwortungsbereich der Beklagten liege. Sie habe einen Termin bei Dr. L. für den 14.01.2014 vereinbart. Das Praxispersonal habe sie dann am 14.01.2014 angerufen und mitgeteilt, dass der ursprünglich vereinbarte Termin auf den 16.01.2014 verschoben werden solle. Die Vereinbarung eines früheren Termins wäre also gar nicht möglich gewesen. Dies gelte auch für den ärztlichen Notdienst, der sie an den behandelnden Arzt zurückverwiesen hätte, eben weil kein medizinischer Notfall vorgelegen habe. Die Klägerin meint, sie habe sich darauf verlassen dürfen, dass der Arzt schon alles richtig machen werde. Das Verhalten des an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztes sei der Beklagten zuzurechnen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 06.10.2014 unter Aufrechterhaltung im Übrigen insoweit abzuändern, dass die Beklagte ihr Krankengeld auch für die Zeit ab dem 15.01.2014 bis zum Ende Ihrer Arbeitsunfähigkeit zu zahlen hat, längstens entsprechend § 48 SGB V.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, selbst wenn die verspätete Feststellung der AU auf das Verhalten des behandelnden Arztes zurückzuführen gewesen sein sollte, müsse sie sich dieses Verhalten nicht anrechnen lassen. Es obliege dem Versicherten, rechtzeitig eine fortdauernde AU feststellen zu lassen. Es seien keine Gründe ersichtlich, wonach die Klägerin ihre AU nicht hätte rechtzeitig feststellen lassen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und überwiegend begründet.

Der Bescheid vom 17.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, auch soweit die Zahlung von Krankengeld für die Zeit ab 15.01.2014 bis 03.08.2014 abgelehnt worden ist. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 19.11.2013 bis 14.01.2014 zu zahlen. Die Klägerin hat aber auch über den 14.01.2014 hinaus bis zum Tag vor ihrer Abreise in die Türkei, also bis 03.08.2014, einen Anspruch auf Krankengeld.

Nach § 44 Abs 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt werden. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (AU) folgt (§ 46 Satz 1 Nr 2 SGB V). Die ab dem 23.07.2015 geltende Regelung in § 46 Abs 1 Satz 2 SGB V ist auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbar. Grundsätzlich setzt der Anspruch auf Krankengeld die vorherige ärztliche Feststellung der AU voraus. Dem Attest des behandelnden Arztes mit der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kommt lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet, ohne dass Krankenkasse und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind (BSG 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 7). Die Voraussetzungen eines Krankengeldanspruchs, also nicht nur die AU, sondern auch die ärztliche Feststellung der AU, müssen bei zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krankengeldgewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (BSG 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 12). Zudem muss der Versicherte die AU und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bestimmt allein das bei Entstehen eines Krankengeldanspruchs bestehende Versicherungsverhältnis, wer in welchem Umfang als Versicherter Anspruch auf Krankengeld hat (BSG 05.05.2009, B 1 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 4; BSG 02.11.2007, B 1 KR 38/06 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 14). Die Klägerin war beim erstmaligen Entstehen des Krankengeldanspruchs gemäß § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert. Zwar endete die versicherungspflichtige Beschäftigung durch die Kündigung des Arbeitgebers zum 30.09.2013. Die durch das Beschäftigungsverhältnis begründete Mitgliedschaft der Klägerin blieb jedoch gemäß § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V erhalten, da sie bis zum 03.08.2014 Anspruch auf Krankengeld hatte.

Bei Versicherten, die im Zeitpunkt der Beurteilung der AU in einem Arbeitsverhältnis stehen und einen Arbeitsplatz innehaben, liegt AU vor, wenn diese Versicherten die an ihren Arbeitsplatz gestellten beruflichen Anforderungen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erfüllen können. Die Krankenkasse darf diese Versicherten, solange das Arbeitsverhältnis besteht, nicht auf Tätigkeiten bei einem anderen Arbeitgeber "verweisen", die sie gesundheitlich noch ausüben könnten. Dem krankenversicherten Arbeitnehmer soll durch die Krankengeldgewährung nämlich gerade die Möglichkeit offen gehalten werden, nach Beseitigung des Leistungshindernisses seine bisherige Arbeit wieder aufzunehmen (BSG 07.12.2004, B 1 KR 5/03 R, BSGE 94, 19 mwN). Danach war bei Entstehen des Krankengeldanspruchs der Arbeitsplatz der Klägerin als Produktionshelferin maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 15.01.2014 bis mindestens 03.08.2014 ist zur Überzeugung des Senats nachgewiesen und wird von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt. Diesbezüglich wird auf die zutreffenden Gründe im Urteil des Sozialgerichts verwiesen. Die dortigen Ausführungen gelten auch für die Zeit über den 14.01.2014 hinaus bis zur Abreise in die Türkei.

Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin war auch für die Zeit über den 14.01.2014 hinaus ärztlich festgestellt. Der Grundsatz, dass die leistungsrechtlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Krankengeld für jeden Bewilligungsabschnitt neu zu prüfen ist, schließt es nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R, BSGE 111, 18) nicht aus, eine ärztliche Feststellung aus vorangegangener Zeit, die den weiteren Bewilligungsabschnitt mit umfasst, als ausreichend anzusehen. Dies hat zur Folge, dass bei einer Krankschreibung "auf nicht absehbare Zeit" oder "bis auf Weiteres" für eine ärztliche Feststellung iSd § 46 Satz 1 Nr 1 SGB V keine neuen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr vorgelegt werden müssen, unabhängig davon, ob die Krankenkasse dieser Beurteilung folgt oder nicht (ebenso LSG Rhld-Pf 23.12.2011, L 5 KR 309/11 B, juris; LSG Nds-Bremen 11. 01. 2011, L 4 KR 446/09, NZS 2011,942 = Breith 2011, 412; SG Oldenburg 27. 5. 2011, S 61 KR 239/10, juris). Wenn die Krankenkasse nicht förmlich über die Dauer der Krankengeldgewährung entscheidet, sondern sich auf den Auszahlschein eines Arztes stützt, gehen Unklarheiten über die Dauer der Krankengeldbewilligung zu Lasten der Krankenkasse.

Im vorliegenden Fall beruht die Zahlung von Krankengeld über den 18.11.2013 hinaus auf dem korrigierten von Dr. L. ausgestellten Auszahlschein vom 28.11.2013. Dieser Auszahlschein enthält folgende Aussagen: zuletzt vorgestellt am 18.11.2013, noch arbeitsunfähig. voraussichtlich bis "aW!", nächster Praxisbesuch "nVb!", letzter Tag der Arbeitsunfähigkeit "aW!". Mit diesem Auszahlschein wurde AU bis auf weiteres bestätigt. Die Vorlage neuer Bescheinigungen über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit war deshalb nicht mehr notwendig. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in den nachfolgenden Auszahlscheinen jeweils ein Termin für den nächsten Praxisbesuch eingetragen war. Denn auch in diesen Auszahlscheinen war AU bis auf Weiteres bescheinigt. Erst im Auszahlschein vom 15.07.2014 wurde keine Angabe mehr zur voraussichtlichen Dauer der AU gemacht. Jedoch hat die Klägerin den festgelegten Folgetermin am 29.07.2014 wahrgenommen.

Obwohl das Leistungsende bzgl des Krankengeldanspruchs gem § 48 SGB V erst am 06.09.2014 wäre (siehe Bl 54 der Verwaltungsakte), endet der Leistungsanspruch im vorliegenden Fall bereits am 03.08.2014. Denn am 04.08.2014 trat die Klägerin einen Heimaturlaub in der Türkei an. Nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten. Eine Zustimmung zum Auslandsaufenthalt gem § 16 Abs 4 SGB V liegt nicht vor. Vielmehr hat die Beklagte am 21.07.2014 explizit eine Zustimmung für den Fall ihrer Zahlungspflicht verweigert.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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