L 9 KR 343/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1385/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 343/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Injektionen mit dem Medizinprodukt Sculptra stellen eine einheitliche ärztliche Behandlung im Sinne des § 28 Abs. 1 SGB V dar und sind auch dann keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie der Behandlung einer Krankheit (hier: Lipoatrophie bei HIV-Infektion) dienen (wie schon Urteil vom 18. Februar 2010, L 9 KR 10/08).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Versorgung mit Poly-Milchsäure in Form des Medizinprodukts Sculptra zur Behandlung einer Fettverteilungsstörung im Bindegewebe der Wangenknochen.

Der 1953 geborene Kläger, der bei der Beklagten krankenversichert ist, leidet an einer HIV-Infektion. Zur Therapie dieser Infektion erhält er seit 1997 verschiedene antiretroviral wirksame Substanzen. Im Zuge dieser Therapie trat ab dem Jahre 1999 eine Lipoatrophie (Fettschwund) bzw. Lipodystrophie (Fettverteilungsstörung) auf, die insbesondere zu einem Schwund des Bindegewebes im Wangenbereich führte.

Sculptra ist am 11. Februar 2002 von der Europäischen Zulassungsbehörde für Medizinprodukte mit der CE-Nr. 0459 zugelassen worden. Sein Anwendungsgebiet erstreckt sich auf die Erhöhung des Volumens von eingesunkenen Hautzonen zur Korrektur von Falten, Furchen und Narben. Es wird unter die betreffenden Hautpartien injiziert.

Im Januar 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten erstmals die Gewährung von Injektionen von Poly-Milchsäure für ca. vier Sitzungen bei Kosten von 200,00 Euro pro Sitzung (inklusive Material und Medikamentenkosten). Dadurch solle geschwundenes Gewebe im Gesicht unterspritzt bzw. aufgefüllt werden, um eine Verletzungsgefahr beim Essen und der Körperpflege zu minimieren.

Nach Ablehnung des Antrags erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Berlin Klage (S 86 KR 979/02), welche mit Gerichtsbescheid vom 23. Juni 2005 abgewiesen wurde. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass es sich bei der begehrten Behandlung um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handele, für die Wirksamkeitsnachweise fehlten. Die hiergegen zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erhobene Berufung (L 24 KR 1037/05) wurde am 31. Januar 2006 zurückgewiesen. Die Entscheidung des Landessozialgerichts hob das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 14. Dezember 2006 wegen eines Verfahrensfehlers auf (B 1 KR 113/06 B). Nach Zurückverweisung erhob das Landessozialgericht Beweis durch Einholung eines Gutachtens vom 5. Oktober 2007 des Sachverständigen Dr. T, Facharzt für Innere Medizin, nebst ergänzender Stellungnahme vom 13. November 2007 und wies die Berufung mit Urteil vom 17. Juli 2008 zurück (L 24 KR 149/07). Zur Begründung führte es aus, dass die Versorgung mit Sculptra nicht beansprucht werden könne, da es sich um ein Medizinprodukt handele, welches nicht apothekenpflichtig und daher vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst sei. Insbesondere vermochte der Senat keinen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98) zu erkennen. Denn nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung sei erforderlich, dass sich ohne die Behandlung ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit zu verwirklichen drohe. Es sei aber nicht feststellbar, dass es bei dem Kläger ohne Behandlung der Lipoatrophie im Wangenbereich mittels Poly-Milchsäure zu einem solchen Krankheitsverlauf kommen werde. Die zum Bundessozialgericht erhobene Nichtzulassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg (B 1 KR 68/08 B).

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 20. Februar 2009 erneut die Versorgung mit Sculptra unter Verweis auf die Änderung des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V mit Wirkung vom 1. Juli 2008. Nach der Neufassung der Vorschrift kommt es auf die Apothekenpflichtigkeit eines Medizinprodukts für seine Verordnungsfähigkeit nicht mehr an. Mit Bescheid vom 23. April 2009 wies die Beklagte den Antrag zurück. Zur Begründung führte sie aus, das Medizinprodukt Sculptra könne auch weiterhin nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden, da es in der Übersicht der verordnungsfähigen Medizinprodukte in der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nicht aufgezählt sei.

Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs führte der Kläger im Wesentlichen an, aufgrund seiner HIV-Infektion sei er auf die regelmäßige Einnahme antiretroviraler Substanzen angewiesen. Um eine optimale Aufnahme der Wirkstoffe zu erzielen und so eine Resistenzbildung zu vermeiden und um erhebliche Reizungen der Schleimhäute zu verhindern, sei eine magenschonende Einnahme zusammen mit der Nahrung notwendig. Aufgrund der Lipoatrophie sei dies indes nicht möglich, denn es entstünden beim Kauen Bissverletzungen am Wangenfleisch, die ein sorgsames Zerkauen der Speisen verhinderten. Die Folge seien Durchfall und Erbrechen und im Ergebnis eine verminderte Aufnahme der Wirkstoffe der antiretroviralen Medikamente. Die Unwirksamkeit dieser Medikamente wegen Resistenzbildungen sei bei ihm bereits sechsmal eingetreten. Durch die beantragte Behandlung der Lipoatrophie könne die Wirksamkeit der für ihn lebensnotwendigen antiretroviralen Therapie erhalten werden. Ohne die begehrte Behandlung sei mit einem erneuten Wirksamkeitsverlust zu rechnen, wie sich aus den vorangegangenen sechs Therapien ergebe. Da keine weiteren Medikamente mehr zur Verfügung stünden, führe dies im Ergebnis unweigerlich innerhalb eines kurzen Zeitraums zu seinem Tode.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, dass er nach Abschaffung der Apothekenpflichtigkeit einen Anspruch auf die Versorgung mit Sculptra habe.

Das Sozialgericht hat durch Einholung eines erneuten Gutachtens des Sachverständigen Dr. T vom 23. Juni 2011 Beweis erhoben. Wegen des Inhalts wird auf Bl. 24 bis 32 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Urteil vom 18. Oktober 2013 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Versorgung mit Sculptra. Es sei als Medizinprodukt auch weiterhin nicht vom Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen erfasst, da es vom GBA nicht in die Ausnahmeliste der verordnungsfähigen Medizinprodukte (Anlage V zum Abschnitt J der Arzneimittel-Richtlinie) aufgenommen worden sei. Auch im Rahmen einer ärztlichen Behandlung könne Sculptra nicht auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung angewandt werden. Die Injektionsbehandlung mit Sculptra stelle eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar, die mangels positiver Empfehlung des GBA von der Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen sei. Ein Systemversagen sei nicht erkennbar, da dies voraussetze, dass die Wirksamkeit der Methode festgestellt sei oder, wenn dies nicht möglich sei, sich die fragliche Methode in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion durchgesetzt habe. Dies sei hier nicht der Fall, da nur eine unzureichende Studienlage bestehe, die Methode wegen unerwünschter Nebenwirkungen kaum noch angewandt werde und das Hauptanwendungsgebiet im kosmetischen Bereich liege. Es bestehe auch kein Anspruch auf Abweichung vom Regelsystem des SGB V, da die gegenständliche Lipoatrophie keine lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende Erkrankung, sondern eine an sich nicht lebensbedrohliche Nebenfolge der HIV-Infektion des Klägers sei.

Gegen das am 26. Oktober 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. November 2013 Berufung eingelegt, mit der er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Der Gutachter Dr. T habe vernachlässigt, dass er, der Kläger, bereits gegen sechs antiretrovirale HIV-Kombinationsmedikamententherapien bestehend aus insgesamt 18 Substanzen Resistenzbildungen entwickelt habe und neben der gegenwärtigen Therapie keine weiteren Medikamente mehr zur Verfügung stünden. Der Sachverständige sei offensichtlich davon ausgegangen, dass er sich nicht der siebten, sondern erst der ersten antiretroviralen Therapie unterziehe, da er angegeben habe, bislang sei noch keine Resorptionsstörung anzunehmen. Tatsächlich werde die Resistenzbildung dadurch beschleunigt, dass er aufgrund seiner Lipoatrophie die Einnahmevorschriften nicht genau einhalten könne. Dies sei durch den Sachverständigen und auch sonst im Verfahren nicht ausreichend untersucht worden. Die Annahme des Sozialgerichts, Sculptra werde wegen unerwünschter Nebenwirkungen kaum noch angewandt und das Hauptanwendungsgebiet liege im kosmetischen Bereich, vermittle den Eindruck, er - der Kläger - wolle den Einsatz einer gefahrträchtigen Methode erreichen, die rein kosmetischer Natur sei und keinen therapeutischen Nutzen habe. Das missachte, dass die von ihm eingenommenen antiretroviralen Medikamente ebenfalls mit einer Vielzahl unerwünschter Nebenwirkungen behaftet und wegen ihrer lebensverlängernden Wirkung trotzdem notwendig seien. Im Übrigen handele es sich bei der begehrten Therapie nicht, wie im Urteil dargelegt, um die Behandlung der Nebenfolge einer lebensbedrohlichen Erkrankung Die Behandlung mit Sculptra biete vielmehr die Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Verlauf einer lebensbedrohlichen Erkrankung.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn mit dem Medikament Sculptra zur Behandlung des Bindegewebsschwunds der Wangenknochen zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die mit der Berufung angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, ferner auf die Gerichtsakten zum Verfahren S 86 KR 979/02, L 24 KR 1037/05 bzw. L 24 KR 149/07, die dem Senat bei der Entscheidung vorlagen und Gegenstand der Beratung waren.

II.

Der Senat konnte die Berufung gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet sowie eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält und die Beteiligten vorher angehört worden sind.

Die Berufung hat keinen Erfolg.

1. Offen lassen kann der Senat, ob die Klage deshalb unzulässig ist, weil über den Streitgegenstand schon rechtskräftig entschieden ist. Immerhin begehrte der Kläger in dem mit Beschluss des Bundessozialgerichts vom 9. Januar 2009 (B 1 KR 68/08 B) abgeschlossenen vorangegangenen Verfahren dasselbe wie vorliegend, nämlich die Versorgung mit Sculptra auf Kosten der Beklagten. Das Fehlen einer rechtskräftigen Entscheidung über den Streitgegenstand ist nach deutschem Prozessrecht allgemein Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage. Rechtskräftig wird grundsätzlich die Feststellung der Rechtsfolge als Ergebnis der Subsumtion des Sachverhalts unter das Gesetz; die Rechtskraft ist damit auf den unmittelbaren Gegenstand des Urteils beschränkt, nämlich die im Entscheidungssatz des Urteils sich verkörpernde Schlussfolgerung aus Rechtsnorm und Lebenssachverhalt (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. Mai 1994, 9 C 501/93). Die Rechtskraft des im Jahre 2009 abgeschlossenen sozialgerichtlichen Streitverfahrens könnte hier nur deshalb einer erneuten Sachentscheidung nicht entgegen stehen, weil das zugrunde liegende Recht sich mit § 31 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) dergestalt geändert hat, dass für den Leistungsanspruch eines Versicherten nicht mehr auf die Apothekenpflichtigkeit von Medizinprodukten abzustellen ist. Allerdings entfaltet die Rechtsänderung für den konkreten Fall keine relevanten Auswirkungen. Was daraus für die Zulässigkeit der neuerlichen Klage folgt, muss der Senat jedoch nicht abschließend klären.

2. Denn jedenfalls ist die Sachentscheidung des Sozialgerichts rechtlich nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 23. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die Versorgung und ärztliche Behandlung mit Sculptra; eine solche Behandlung gehört (nach wie vor) nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen (so der Senat bereits im Urteil vom 18. Februar 2010, L 9 KR 10/08, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26ff.; Bayerisches LSG, Urteil vom 23. Oktober 2007, L 5 KR 54/07).

a) aa) Als gesetzliche Anspruchsgrundlage kommt insoweit einzig § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Betracht. Danach haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern; die Krankenbehandlung umfasst auch eine ärztliche Behandlung. Krankheit in diesem Sinne ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder zugleich oder allein Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Regelwidrig ist ein solcher Zustand, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht mit der Folge, dass der Versicherte zur Ausübung der normalen psychophysischen Funktionen nicht in der Lage ist. Körperliche Auffälligkeiten im Sinne anatomischer Abweichungen haben nur dann Krankheitswert im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie erheblich entstellend wirken (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07 R). Behandlungsbedürftigkeit liegt vor, wenn der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, mindestens aber gebessert oder vor Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn eine ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu.

Dass die Lipoatrophie für den Kläger subjektiv eine starke Belastung darstellt, steht außer Frage. Das ergibt sich nicht nur aus den von ihm beschriebenen Bissverletzungen und Schwierigkeiten beim Essen, die aus seiner Sicht mit dem Schwund des Wangengewebes einhergehen. Auch der Sachverständige Dr. T hat in seinem Gutachten dargelegt, dass die psychische Situation des Klägers durch die Lipoatrophie stark beeinträchtigt ist und der Kläger glaubhaft versichert habe, die Möglichkeit, hierdurch als HIV-Infizierter erkannt zu werden, lasse ihn gesellschaftlichen Umgang meiden.

bb) Letztlich kann aber dahinstehen, ob es sich bei der Lipoatrophie des Klägers um eine behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V handelt. Denn der Senat hat in seinem Urteil vom 18. Februar 2010 (L 9 KR 10/08) rechtskräftig entschieden, dass die Behandlung durch Injektion mit Sculptra eine einheitliche ärztliche Behandlung im Sinne des § 28 Abs. 1 SGB V darstellt und als solche nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung ist. Anhaltspunkte, hiervon abzuweichen, liegen nicht vor; insbesondere hat sich die zugrundeliegende Rechtslage seither nicht entscheidend geändert.

Die streitige Behandlung mit Sculptra stellt eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dar. Neu ist eine Methode, wenn sie (bisher) nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 27. September 2005, B 1 KR 28/03 R). Das ist hier der Fall.

Nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur er¬bracht werden, wenn der GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzen der neuen Methode sowie deren Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden – nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung (Nr. 1), über die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern (Nr. 2), und über die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung (Nr. 3). Dieses notwendige Verfahren dient der Qualitätssicherung der vertragsärztlichen Versorgung insgesamt. Das hat zur Folge, dass die gesetzlichen Krankenkassen nicht schon dann leistungspflichtig sind, falls eine streitige Therapie im konkreten Fall nach Einschätzung des Versicherten oder seiner behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder wenn einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. Oktober 2007, L 5 KR 54/07). Vielmehr ist zwingende Voraussetzung für eine Leistungspflicht die positive Empfehlung des GBA zum diagnostischen und therapeutischen Nutzen der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). An einer solchen Empfehlung fehlt es für die begehrte Behandlung mit Sculptra, da sie in den Richtlinien zu den Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung nicht enthalten ist.

b) Es besteht auch kein Versorgungsanspruch unter dem Gesichtspunkt eines Systemversagens. Zwar kann ausnahmsweise eine Leistungspflicht bestehen, wenn die Verwehrung einer nicht nach § 135 SGB V anerkannten neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (Bundessozialgericht, Urteil vom 26. September 2006, B 1 KR 3/06 R). Ein Leistungsanspruch auf Grund eines Systemversagens setzt aber weiterhin voraus, dass die Wirksamkeit der Methode festgestellt ist; lässt sich die Wirksamkeit aus medizinischen Gründen nur begrenzt objektivieren, hängt die Einstandspflicht der Krankenkassen davon ab, dass sich die fragliche Methode in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion durchgesetzt hat (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Februar 2010, L 9 KR 10/08).

Diese Voraussetzungen sind nach wie vor nicht erfüllt. Bereits in seinem Urteil vom 18. Februar 2010 hat der Senat dargelegt, dass für die Behandlung mit Sculptra eine unzureichende Studienlage besteht, aufgrund derer eine Empfehlung im Sinne des § 135 SGB V nicht möglich ist. Dies hat der Sachverständige Dr. T in seinem Gutachten vom 23. Juni 2011 bestätigt. Er hat festgestellt, dass nach wie vor keine wissenschaftliche Literatur zu dieser Fragestellung vorliegt und auch nicht zu erwarten ist, dass wissenschaftliche Studien hierzu veröffentlicht werden. Dies hat er glaubhaft unter Verweis auf sein Gutachten vom 15. Oktober 2007, dass eine umfassende Zusammenstellung medizinischer Studien enthält, dargelegt. Für die vom Kläger geltend gemachte Voreingenommenheit des Sachverständigen gibt es keinen Anhaltspunkt. Das zeigt sich insbesondere daran, dass der Gutachter umfassend auch auf das Vorbringen des Klägers eingeht und sich im Rahmen einer persönlichen Stellungnahme sogar für die begehrte Behandlung ausspricht. Hinweise darauf, dass sich seit dem Gutachten vom 23. Juni 2011 wesentliche Änderungen ergeben haben und neue medizinische Studien zu dieser Fragestellung veröffentlicht worden sind, liegen nicht vor. Auch der Kläger hat hierzu nichts Neues vorgetragen.

Hinzu kommt, dass die Methode wegen unerwünschter Nebenwirkungen, nämlich Granulombildungen, kaum noch eingesetzt wird. Das hat der Senat im oben erwähnten Verfahren durch Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin vom 18. April 2007 in Erfahrung gebracht. Gegenteiliges lässt sich auch hier nicht erkennen. Soweit der Kläger anführt, alle von ihm eingenommenen Medikamente zur HIV-Therapie hätten unerwünschte Nebenwirkungen, was die Anwendung nicht weniger notwendig mache, verkennt er, dass die Behandlung mit diesen Medikamenten von der vertragsärztlichen Leistung umfasst ist, mithin Risiken und Nutzen von den zuständigen Gremien unter Beachtung der wissenschaftlichen Erkenntnisse umfassend abgewogen worden sind. Eine solch umfassende Entscheidung kann und darf das Gericht nicht anstelle des GBA fällen – eine Leistungserweiterung durch das Gericht wegen eines Systemversagens kommt daher nur unter den dargelegten, eng begrenzten Voraussetzungen in Betracht und verbietet sich im vorliegenden Fall.

c) Schließlich ergibt sich ein Leistungsanspruch des Klägers auch nicht aus einer grundrechtskonformen Auslegung des SGB V. Bei der Versorgung durch die gesetzlichen Krankenkassen sind gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen daraufhin zu prüfen, ob sie im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gerechtfertigt sind (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Dezember 2005, 1 BVR 347/98). Denn mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung aus den Krankheitsverlauf besteht (§ 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V).

Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor, denn während seine HIV-Infektion unzweifelhaft eine lebensbedrohliche Krankheit ist, ist dies bei der Lipoatrophie, die allein Streitgegenstand ist, nicht der Fall. Das ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. T. Er hat klargestellt, dass die Lipoatrophie selbst keine lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende Erkrankung sei und in allernächster Zeit durch eine Nichtbehandlung keine akuten Folgen drohten.

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es bei der begehrten Behandlung auch allein auf die Lipoatrophie und deren Krankheitsverlauf an. Soweit der Kläger vorträgt, er sei durch das fehlende Wangengewebe an der ordnungsgemäßen Einnahme der antiretroviralen Medikamente gehindert, was maßgeblich die Gefahr der Resistenzbildung erhöhe, kann dies keine andere Bewertung rechtfertigen.

Zwar mag eine Resistenzbildung und damit eine Unwirksamkeit der antiretroviralen Medikamente für den Kläger tödlich verlaufen. Das hat auch der Sachverständige Dr. T berücksichtigt. Er hat dargelegt, dass für den Kläger die regelmäßige Einnahme der HIV-wirksamen Medikamente lebensnotwendig sei, da es bei einem potentiellen Versagen der HIV-Therapie jederzeit dazu kommen könne, dass das Immunsystem zusammenbreche, was lebensbedrohliche Folgen haben könne. Der Sachverständige hat bei der Bewertung auch berücksichtigt, dass es bei dem Kläger bereits zu Resistenzbildung gekommen ist mit der Folge der Unwirksamkeit verschiedener antiretroviraler Substanzen. Dem Vorbringen des Klägers, der Sachverständige habe verkannt, dass bei ihm bereits sechs von nur sieben möglichen HIV-Therapien nicht mehr wirkten, vermag der Senat nicht zu folgen. Hierauf geht der Sachverständige in seinem Gutachten vom 23. Juni 2011 explizit ein, denn dort heißt es (S. 5): "Wenn HIV-Medikamente unregelmäßig eingenommen werden oder unterschiedlich resorbiert werden, also unterschiedliche Wirkspiegel im Blut erreichen, ist das Risiko erhöht, dass HI-Viren resistent werden. Also auch hier ist die Argumentation des Herrn H stimmig, dass für ihn bei einem eventuellen Versagen der (derzeitigen) HIV-Therapie wegen einer verringerten Resorption alle weiteren Versuche mit weiteren denkbaren HIV-Therapie-Regimes für ein Versagen risikobehaftet sind, da eventuell schon Resistenzen gegen die neu eingesetzten Medikamente entstanden sind oder schnell entstehen können (innerhalb weniger Wochen)." Dass der Sachverständige auf die bislang durchgeführten Therapien des Klägers nicht mit genauer Anzahl unter Nennung der Wirkstoffe eingeht, ändert nichts an der Tatsache, dass dem Sachverständigen die Situation des Klägers bekannt war und er sie bei der Erstellung des Gutachtens berücksichtigt hat.

Die unstreitig vorliegende lebensbedrohliche Gefahr der Resistenzbildung und damit der Unwirksamkeit der aktuellen HIV-Therapie ändert aber nichts an der Einschätzung, dass die Lipoatrophie für sich genommen keine lebensbedrohliche Erkrankung darstellt. Insoweit fehlt es an wissenschaftlichem Beleg dafür, dass - wie der Kläger vorträgt - die Behandlung mit Sculptra unmittelbar dem Erhalt der lebensverlängernden Therapie mit antiretroviralen Medikamenten dient und eine Nichtbehandlung der Lipoatrophie regelmäßig tödlich verlaufen wird. Der Sachverständige Dr. T wurde zu diesem Punkt gezielt befragt. Er hat angegeben, das fehlende Wangenfett habe bisher nicht wissenschaftlich überprüfbar mit einer verminderten Resorption von Medikamenten in Zusammenhang gebracht werden können. Aus seinem Gutachten ergibt sich auch, dass viele verschiedene Ursachen zur Bildung von Resistenzen führen können; die Vorschriften zu Zeitpunkt und Art der Einnahme bilden dabei nur einen möglichen Faktor. Auch ist nicht belegt, dass die Schwierigkeiten des Klägers beim Verzehren von Speisen und deren Verträglichkeit allein auf die Lipoatrophie zurückzuführen sind. Der Sachverständige konnte insoweit nur feststellen, dass die psychische Situation des Klägers durch die Lipoatrohpie stark beeinträchtigt sei, sowohl aufgrund der äußerlichen Veränderung als auch aufgrund des subjektiven Empfindens beim Essen. Die psychische Belastung des Klägers kann aber nicht zu einer Erweiterung des Leistungskatalogs führen. Zum einen stehen für psychische Erkrankungen ausschließlich psychische Behandlungen zur Verfügung (vgl. grundlegend Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Februar 1993, 1 RK 14/92). Zum anderen lässt sich, wie sich auch aus dem Gutachten vom 23. Juni 2011 ergibt, nur mutmaßen, ob die begehrte Behandlung überhaupt einen positiven Effekt auf den Kläger haben wird, da hierzu die wissenschaftliche Datenlage fehlt. Auch fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass die psychische Situation des Klägers zu einer Störung der Einnahmekonstanz führen wird. Hinzu kommen die Risiken der begehrten Behandlung aus den beschriebenen Nebenwirkungen.

d) Eine weitere Sachaufklärung ist nicht geboten. Das Gericht konnte nach der Beschlussanhörung ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da der Kläger nach deren Erhalt keine neuen Tatsachen vorgetragen und keine vom Senat zu berücksichtigenden Beweisanträge gestellt hat; er hat weder verdeutlicht, zu welchem Thema Beweis erhoben werden soll, noch hat er umrissen, was die Beweisaufnahme ergeben soll. Soweit er nach Erhalt der Beschlussanhörung auf weitere Beweiserhebung gedrängt hat, ist dies nur als unbeachtliches Beweisermittlungsbegehren anzusehen. Betroffen sind ausschließlich Fragen, die nicht entscheidungserheblich sind und mit denen der Kläger sein früheres Vorbringen im Wesentlichen nur wiederholt. Soweit er sich etwa ohne nähere Erläuterungen auf Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts bezieht, handelt es sich hierbei um Vorbringen aus dem gerichtlichen Verfahren vor dem Landessozialgericht im Jahre 2007, auf das bereits in dem Urteil vom 17. Juli 2008 (L 24 KR149/07) umfassend eingegangen worden ist.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch eine weitere Befragung des Sachverständigen nicht geboten. Dr. T hat zu den vom Gericht aufgeworfenen, entscheidungserheblichen Fragen in seinem Gutachten vom 23. Juni 2011 umfassend Stellung bezogen. Auch erscheint die Einholung weiterer Sachverständigengutachten nicht geboten. Denn es steht fest, dass die Lipoatrophie keine lebensbedrohliche Krankheit ist und die Studienlage in Bezug auf die Behandlung mit Sculptra sich als unzureichend erweist. Der Kläger hat diesbezüglich auch keine Studien oder Sachverständige benannt, von denen eine weitere Aufklärung zu erwarten wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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