L 9 U 996/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 770/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 996/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12.05.2011.

Der am 1968 geborene Kläger arbeitete an diesem Tag in seinem Beruf als Kraftfahrer. Gegen 13:00 Uhr fiel er von der Hebebühne seines LKW ca. 1,5 m rücklings nach unten auf den Boden. Er beendete die Arbeit umgehend und begab sich in durchgangsärztliche Behandlung. Dr. M.-B. befundete unter dem 17.05.2011 keine offenen Verletzungen, kein Hämatom, aber Schmerzen in der rechten Schulter. Die Beweglichkeit in der Schulter war endgradig schmerzhaft. Das drop arm sign war positiv. Das Röntgenbild zeigte keine knöchernen Verletzungen. Die Durchgangsärztin diagnostizierte eine Schulterprellung rechts und den Verdacht auf eine Supraspinatussehnenruptur rechts.

In einer Unfallanzeige des Arbeitgebers des Klägers an die Beklagte vom 12.05.2011 ist ausgeführt, der Kläger sei mit dem rechten Fuß von der Hebebühne abgerutscht und rückwärts "auf Schulter und Rücken" gefallen. In dem ihm übersandten Fragebogen zum Unfallablauf gab der Kläger unter dem 11.06.2011 an, er sei nach hinten zur rechten Schulter gefallen. Auf die weitere Formularfrage, mit welchem Teil des Armes er zuerst aufgekommen sei, gab der Kläger an, es seien keine genauen Angaben möglich und kreuzte die Antwortoptionen Schulter außen, Schulter hinten, Ellenbogen, Oberarm an.

Am 18.05.2011 erfolgte eine MRT-Untersuchung der rechten Schulter des Klägers durch die Radiologin Dr. D., die eine mittelgradige Supraspinatussehnenruptur (kompletter Riss i.S.e. "full thickness tear" ohne Sehnenretraktion i.S.e. mittelgradigen Ruptur) diagnostizierte.

Am 29.06.2011 wurde der Kläger in der B. Unfallklinik T. arthroskopisch an der rechten Schulter operiert. Der Operateur Dr. L. befundete im Operationsbericht vom 30.06.2011 eine vollständige Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne, eine ausgeprägte Synovialitis und eine Bewegungseinschränkung der rechten Schulter. Im Zwischen- und Entlassbericht der Klinik vom 12.07.2011 wird ergänzend ausgeführt, intraoperativ habe sich eine vollständige Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne auf einer Länge von 3 bis 3,5 cm gezeigt. Weiterhin sei eine U-förmige Retraktion bis etwa Acromionmitte darstellbar gewesen. Die Ausdünnung der Sehnenränder mit teilweise grobflusigen silbrigen Veränderungen sei vereinbar und typisch für eine frische Verletzung.

In einem Zwischenbericht der BG K. T. vom 12.10.2011 führen Prof. Dr. S., Dr. H. und Dr. T. aus, der Kläger habe sich wegen einer Stagnation der Schulterbeweglichkeit vorgestellt. Die Beweglichkeit der rechten Schulter im Bereich Ante-/Retroversion sei bei 120-0-40 Grad gelegen, im Bereich Ab-/Adduktion bei 90-0-40 Grad und bei der Außen-/Innenrotation bei 20-0-90 Grad, jeweils mit hartem Anschlag und deutlicher Scapula-Mitbewegung. Dieselben Bewegungsparameter wurden im Rahmen eines weiteren stationären Aufenthalts des Klägers in der BG K. ermittelt (Befund- und Entlassbericht vom 22.11.2011).

Im Auftrag der Beklagten erstellte Prof. Dr. G. (BG K. L.) unter dem 21.05.2012 ein unfallchirurgisches Gutachten zur Zusammenhangsfrage und führte darin aus, der Kläger habe auf Nachfragen angegeben, dass der genaue Sturzmechanismus nicht klar sei. Er könne sich nur noch erinnern, dass er rückwärts von der Hebebühne gefallen und dann wohl unter anderem auf dem Rücken und vielleicht auch auf der Schulter aufgekommen sei. Bei der Untersuchung durch ihn habe der Nackengriff beidseits vollständig demonstriert werden können, ebenso der Schürzengriff. Die aktive Abduktion sei rechts eingeschränkt und nur bis 110 Grad möglich gewesen, passiv bis 140 Grad. Die Abduktion links sei frei, aktiv und passiv bis 180 Grad möglich gewesen. Auch die Anteversion sei rechts eingeschränkt, aktiv mit 120 Grad, passiv 160 Grad; links aktiv und passiv 170 Grad. Die Außenrotation bei anliegendem Oberarm sei rechts ebenfalls reduziert mit 10 Grad, links 40 Grad. Zusammenfassend werde eine Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne als gegeben angesehen. Der Unfallzusammenhang werde angenommen, da direkt nach dem Unfall eine Funktionseinschränkung der Schulter rechts mit drop arm sign aufgetreten sei. Eine unfallnahe Kernspintomographie, die diese Verletzung beschreibe und wonach keine Sehnenretraktion stattgefunden habe, spreche für eine frische Verletzung, was auch der OP-Bericht bestätige, wo ebenfalls von einer frischen Verletzung gesprochen werde. Zudem hätten vor dem Unfall keine Beschwerden im Bereich der rechten Schulter bestanden, und es seien auch keine Verschleißerscheinungen im Sinne einer Arthrose oder Einengung im Subacromialraum nachgewiesen worden. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 14.03.2012 bestanden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) seit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 15.03.2012 werde mit 10 v. H. angenommen.

Mit Bescheid vom 06.09.2012 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls ab. Der Unfall vom 12.05.2011 habe zwar zu folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt: Nach Prellung der rechten Schulter mit Riss der Supraspinatussehne: Bewegungseinschränkungen und Belastungsschmerzen im Bereich der Schulter. Die MdE sei jedoch nicht um wenigstens 20 v. H. gemindert. Zur Begründung stützte sich die Beklagte auf das Gutachten von Prof. Dr. G.

Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, der nicht begründet wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 06.03.2013 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, das Gutachten von Prof. Dr. G. gehe von zu günstigen Bewegungsausmaßen aus. Die Abduktion gehe nicht bis 140 Grad, auch nicht bis 110 Grad, sondern nur und bei extrem optimalen Begleitumständen bis maximal 90 Grad. Der Nackengriff gehe ebenso wenig wie der Schürzengriff beidseitig. Der Kläger sei weiter in ärztlicher Behandlung und bekomme manuelle Therapie. Er nehme außerdem Schmerzmedikamente ein. Als weitere Unfallfolge sei er extrem wetterfühlig und wegen Knie- und Rückenschmerzen in seiner Lebensqualität deutlich beeinträchtigt. Er könne zum Beispiel nicht mehr kegeln und habe sehr große Probleme beim Tanzen.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens beim Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. T ... In dessen Gutachten vom 20.11.2013 wird ausgeführt, der Kläger habe angegeben, er wisse nicht mehr, ob er bei dem Sturz nach hinten noch versucht habe, mit dem ausgestreckten Arm den Sturz abzufangen. Es sei daher am ehesten von einer direkten Krafteinwirkung durch eine Prellung auf das rechte Schultergelenk auszugehen oder von einem Sturz auf den ausgestreckten Arm. Beide biomechanische Abläufe seien als untypische Unfallmechanismen eher als ein Argument gegen einen Kausalzusammenhang anzusehen. Insgesamt sprächen der biomechanische Ablauf des Unfallereignisses, die fehlenden äußeren Verletzungen beim klinischen Erstbefund sowie die nicht vorhandenen Unfallfolgen der Kernspintomographie sowie die Ausdehnung der Sehnenstümpfe in der Arthroskopie gegen einen Kausalzusammenhang. Demgegenüber sprächen der unmittelbare Funktionsverlust des rechten Armes nach dem Unfallereignis, das Aufsuchen des Arztes noch am Unfalltag sowie die Tatsache, dass vor dem Unfallereignis von dem Untersuchten keine Beschwerden am rechten Schultergelenk angegeben wurden, für einen Kausalzusammenhang. Dieser lasse sich aber insgesamt nicht mit der notwendigen Sicherheit herstellen. Unabhängig vom Kausalzusammenhang bestehe beim Kläger eine endgradige Funktionseinschränkung im rechten Schultergelenk in der Art, dass der Arm bis 130 Grad seitwärts und 140 Grad vorwärts gehoben werden könne. Eine solche geringe Funktionseinschränkung rechtfertige nach der Einschätzungsempfehlung von Rompe/Erlenkämper (Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 5. Aufl.) eine MdE von unter 10 v. H ...

Der Kläger ist diesem Gutachten entgegengetreten. Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG sodann ein weiteres Gutachten beim Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. K. (F. B. B.) eingeholt. Dieser hat im Gutachten vom 05.07.2014 eine subtotale Ruptur der Supraspinatussehne diagnostiziert, wofür der Unfall wesentliche Teilursache sei; konkurrierende Ursachen seien nicht erkennbar. Es sprächen diverse Aspekte eher für eine traumatische Genese der Rotatorenmanschettenruptur. Hierzu gehörten "leere" Schulteranamnese, klinischer Erstbefund mit drop arm sign, radiologischer Erstbefund mit vollständiger Durchtrennung der Sehne ohne Retraktion und ohne Atrophie, zeitlicher Zusammenhang zwischen Arbeitsniederlegung, Schmerzeintritt und angeschuldigtem Ereignis, OP-Bericht vom 29.06.2011 mit U-förmig verlaufender, kompletter Rissbildung der Supraspinatussehne, gute Adaptierbarkeit der Sehne bei fehlender Retraktion, Atrophie oder Degeneration, Begleitverletzung i.S. einer Einblutung der Bursa subacromialis, keine Schadensanlage, vor allem fehlende Degeneration des Acromioclaviculargelenks oder Schultergelenks sowie Alter des Klägers zum Unfallzeitpunkt. Aspekte eher gegen einen traumatischen und für eine degenerative Ursache einer Rotatorenmanschettenschädigung fänden sich dagegen nicht. Insbesondere spreche der nicht im Detail erinnerliche Unfallmechanismus weder für noch gegen eine traumatische/degenerative Ursache; ein relevanter Sturz nach hinten habe allerdings vorgelegen. Bei der Untersuchung sei der Nackengriff unvollständig, der Schürzengriff aber vollständig gewesen. Die Beweglichkeit der rechten Schulter sei deutlich eingeschränkt. Die aktive Beweglichkeit betrage für das Führen des Armes zur Seite/körperwärts 100-0-30, nach hinten/vorwärts 40-0-110, die Rotation nach außen/innen bei anliegendem Oberarm betrage 15-0-95 Grad. Er halte die Bewertung der MdE mit 15 v.H. für gerechfertigt. Damit verbunden sei die Beeinträchtigung der Überkopffunktion mit erheblicher Einschränkung des Nackengriffs. Die Verletzungsfolgen entsprächen damit nicht der Bemessungsgrundlage einer MdE von 10 v.H., welche zwar eine Bewegungseinschränkung vorwärts/seitwärts bis 120 Grad erfasse, jedoch bei freier Rotation, vergleichbar einer Funktionseinschränkung der Rotatorenmanschette im Sinne eines Impingementsyndroms. Tatsächlich übersteige die Verletzungsfolge diesen Grad der Gesundheitseinschränkung der rechten Schulter, so dass eine MdE von 15 v. H. auch unter diesem Gesichtspunkt gerechtfertigt erscheine. Die Voraussetzungen für eine MdE von 20 v. H. halte er jedoch aufgrund der konsistent erhobenen Seitwärts- und Anhebebeweglichkeit von über 90 Grad für nicht erreicht.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.02.2015 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12.05.2011, da seine Erwerbsfähigkeit nach Ende des Verletztengeldanspruchs nicht um wenigstens 20 v. H. gemindert sei (§ 56 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 72 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII)).

Zur Feststellung der verbliebenen Erwerbsfähigkeit nach dem Eintritt der maßgeblichen Gesundheitsbeeinträchtigung sei von der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor diesem Ereignis auszugehen. Diese sei der vollen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor der eingetretenen Schädigung gleichzusetzen. Danach sei durch entsprechende Untersuchung festzustellen, ob diese Erwerbsfähigkeit durch den Körperschaden auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens eingeschränkt worden ist. Dabei sei in der gesetzlichen Unfallversicherung der Grad der durch Unfallfolgen verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich nach dem Umfang der verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu beurteilen. Hiernach zögen die Erkrankungen des Klägers an der Schulter jedenfalls keine MdE von wenigstens 20 v. H. nach sich. Es könne daher offen bleiben, ob der Riss der Supraspinatussehne Folge des Arbeitsunfalls war. Das wesentliche funktionelle Defizit durch den Riss der Supraspinatussehne sei die Bewegungseinschränkung. Hier hätten die drei mit dem Fall befassten Gutachter unterschiedliche Bewegungsausmaße erhoben. Prof. Dr. G. habe die Armseitwärts-/ Körperseitwärtsbewegung bei 140-0-40 und die Armrückwärts-/ Vorwärtsbewegung bei 30-0-120 Grad gemessen, bei Dr. T. hätten die Werte 130-0-40 bzw. 40-0-140 Grad betragen und zuletzt bei Prof. Dr. K. 100-0-30 und 40-0-110 Grad. Das Gericht schließe sich der Einschätzung sämtlicher Gutachter an, dass hieraus keine MdE von wenigstens 20 v. H. resultiere. Selbst wenn man die schlechtesten Bewegungsausmaße von Prof. Dr. K. zu Grunde lege, sei dem Kläger noch eine Armhebung über 90 Grad möglich. Nach den Vorgaben der Rentenliteratur liege erst bei einer Armhebung bis 90 Grad eine MdE von 20 v. H. vor (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 523). Demgegenüber wiege das funktionelle Defizit des Klägers weniger schwer.

Gegen den am 20.02.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.03.2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ein privatärztliches Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. R. (Klinikum C.) vom 04.05.2015 vorgelegt. Dieser berichtet, der Kläger habe fortbestehende Schmerzen, Kraftlosigkeit im Bereich der rechten Schulter und daraus folgende Einschränkungen bei seiner Tätigkeit als LKW-Fahrer angegeben. Bei der Prüfung der aktiven und passiven Schultergelenksbeweglichkeit sei eine deutliche Einschränkung im Bereich der Abduktion, Anteversion und Außenrotation aufgefallen. Er schließe sich der Auffassung von Prof. Dr. K. an, wonach das Unfallereignis vom 12.05.2011 wesentliche Teilursache für die komplette Ruptur der Supraspinatussehne rechts sei. Die aktive Abduktion der rechten Schulter sei bis 85 Grad möglich gewesen, die Anteversion sei bei 100 Grad gelegen. Passiv könne das Bewegungsausmaß bis jeweils um 15 bis 20 Grad gesteigert werden. Ebenfalls auffällig sei die deutlich eingeschränkte Außenrotationsfähigkeit mit 5 Grad bei anliegendem Oberarm. Lege man nun die aktive Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks der Beurteilung der MdE zugrunde, sei auch die MdE von 15 v. H., wie sie Prof. Dr. K. angesetzt habe, zu niedrig. Die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtenstätigkeit (Teil 2 SGB IX) sähen bei Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks 10 % vor, wenn der Arm nur um 120 Grad zu erheben sei, mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit bzw. 20 %, wenn der Arm nur um 90 Grad zu erheben sei, mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Entsprechend der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) komme man zu einer MdE von 20 v. H ...

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Februar 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. September 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Das Privatgutachten von Dr. R. rechtfertige keine abweichende Beurteilung. Insbesondere stütze sich der Gutachter bei seiner Einschätzung auf die Anhaltspunkte für die Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht bzw. dem Schwerbehindertenrecht. Derartige Einschätzungen könnten aber nicht auf das Gebiet der Unfallversicherung übertragen werden, weil es hier um die funktionellen Beeinträchtigungen bezogen auf das Erwerbsleben gehe. Ferner wichen die angegebenen Bewegungsmaße von denen in den bisherigen drei Gutachten ab, die über einen Zeitraum von zwei Jahren festgestellt wurden.

Der Vorsitzende des Senats hat mit den Beteiligten am 07.07.2015 einen Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstandes durchgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente hat.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Gesundheitsstörung bzw. Funktionseinschränkung als Unfallfolge bei der Bemessung der MdE ist grundsätzlich u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. dem dadurch eingetretenen Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Gesundheitserstschaden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. die zusammenfassende Darstellung der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung im Urteil des BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196-209 und Juris).

Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nach dem Urteil des BSG vom 09.05.2006 (a.a.O. Rdnr. 15) nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zur Überzeugung gelangt, dass die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente zu Recht abgelehnt hat.

Der Senat teilt die im - urkundsbeweislich verwertbaren - Gutachten von Prof. Dr. G. sowie dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K. vertretene Auffassung, wonach der wesentliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. dem dadurch eingetretenen Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität) zu bejahen ist. Insbesondere geht der Senat aufgrund der von Prof. Dr. K. detailliert aufgelisteten und überzeugend gewürdigten Anhaltspunkte davon aus, dass die erlittene Rotatorenmanschettenschädigung an der rechten Schulter mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit durch das streitige Unfallereignis (mit-)verursacht wurde. Der Umstand, dass der Unfallmechanismus beim Sturz von der Hebebühne des LKW nicht mehr im Detail zu klären ist, weil der Kläger hieran keine klare Erinnerung hat und sonstige Beweismittel hierzu nicht vorliegen, vermag mit Blick auf die diversen anderen Umstände, die für einen solchen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Schulterverletzungen sprechen, die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs nicht in Frage zu stellen. Diese Verursachungskausalität hat die Beklagte im Bescheid vom 06.09.2012 auch anerkannt.

Allerdings rechtfertigen die in den Gutachten von Prof. Dr. G., Dr. T. und Prof. Dr. K. insoweit im Wesentlichen übereinstimmend festgehaltenen funktionellen Beeinträchtigungen zur Überzeugung des Senats nicht die Gewährung einer Verletztenrente. Insbesondere reichen die gemessenen schmerzhaften Bewegungseinschränkungen des rechten Schultergelenkes dafür nicht aus, worauf bereits das SG zutreffend hingewiesen hat. Nach den Messungen von Prof. Dr. G. lag die (aktive) Armseitwärts-/ Körperseitwärtsbewegung bei 110-0-40 Grad und die Armrückwärts-/Vorwärtsbewegung bei 30-0-120 Grad, bei Dr. T. betrugen die Werte 130-0-40 bzw. 40-0-140 Grad und zuletzt im Juli 2014 bei Prof. Dr. K. 100-0-30 und 40-0-110 Grad.

Legt man diese Werte zugrunde und berücksichtigt insoweit die Vorgaben der Rentenliteratur, dann kann festgehalten werden, dass funktionelle Einschränkungen im Bereich der rechten Schulter beim Kläger im Wesentlichen im Bereich der für die MdE-Einschätzung weniger relevanten seitwärtigen Abspreizung des Armes und für die Auswärtsdrehfähigkeit des Armes bestanden. Weder nach Schönberger/Mehrtens/Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 419, 523) noch nach Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich (Unfallbegutachtung, 13. Aufl. 2012, S. 169) wird unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen eine MdE in rentenberechtigenden Grad erreicht. Denn zum Zeitpunkt aller gutachterlicher Untersuchungen war ein Anheben des Armes sowohl nach vorne als auch seitwärts von mehr als 90 Grad möglich. Die aktive Beweglichkeit lag damit jeweils über der Horizontalen, ab der eine MdE um 20 v. H. bei zumindest gleichzeitiger und dementsprechender Einschränkung der Vorhebung erst erreicht wird.

Nichts anderes folgt aus der in den Gutachten dokumentierten Rotationseinschränkung vor allem auswärts. Diese ist in ihrer Wertigkeit nicht gleichbedeutend mit der Fähigkeit, den Arm sowohl vorwärts als auch seitwärts über die Horizontale hinaus bewegen zu können, um die Hand in diesem Umfang als Gebrauchshand einsetzen zu können. Die Rotation des Armes ist schließlich auch nicht vollständig aufgehoben, sondern ‚nur‘ für die Auswärtsdrehfähigkeit eingeschränkt, wobei die Einwärtsdrehfähigkeit im Seitenvergleich uneingeschränkt erhalten geblieben ist. Damit ist auch die Fähigkeit, die (Arbeits-)Hand einzusetzen, nicht zusätzlich wesentlich eingeschränkt, weil der Kläger auch weiterhin in der Lage ist, notwendige rotierende Bewegungen des Armes und der Hand auszuführen. Damit vermag die hier vorliegende Ausprägung der Einschränkungen in Bezug auf die Rotation eine MdE um 20 v. H. nicht zu rechtfertigen.

Nicht zu überzeugen vermag das vom Kläger vorgelegte privatärztliche Gutachten des Dr. R. vom 04.05.2015, der bei seiner Untersuchung abweichende Beweglichkeitsparameter erhoben hat (aktive Abduktion bis 85 Grad, Anteversion bis 100 Grad, Außenrotation bis 5 Grad bei anliegendem Oberarm) und daraus auf eine MdE von 20 v. H. geschlossen hat. Abgesehen davon, dass die (plötzliche) Verschlechterung der Beweglichkeitsparameter gegenüber den drei Vorgutachten nicht durch hinreichende (verschlechterte) medizinische Befunde erklärt wird, folgt hieraus auch deswegen zur Überzeugung des Senats keine abweichende Beurteilung der Erwerbsminderung, weil jedenfalls die für die Erwerbstätigkeit relevantere Vorhebung von über 90 Grad erhalten geblieben ist (Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, a.a.O., stellen allein auf die Vorhebung ab). Hinzu kommt, dass Dr. R. seine MdE-Bewertung offenbar auf Gesichtspunkte und Materialien (Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtenstätigkeit im Entschädigungsrecht und Schwerbehindertenrecht etc.) stützt, die für die Beurteilung der MdE nach dem SGB VII keine Rolle spielen, wo es gerade nicht - wie im SGB IX - um Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen geht, sondern allein um verminderte Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Eine abweichende Beurteilung folgt schließlich auch nicht aus den vom Kläger geltend gemachten Beschwerden. Die mit den Schäden üblicherweise verbundenen Schmerzen oder subjektiven Beschwerden sind in den anerkannten MdE-Werten enthalten und können daher nur bei nachweisbaren Besonderheiten berücksichtigt werden, die sie objektivierbar machen. Subjektive Angaben genügen daher nicht (Ricke, Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB VII, § 56 Rn. 41, Stand: Juni 2015). Subjektive Beschwerden sind mithin nur dann - zusätzlich - zu berücksichtigen, wenn sie zu objektivierbaren Funktionsdefiziten führen (Scholz, in: jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 56 Rdnr. 57). Solche Umstände sind jedoch nicht erwiesen. Denn eine länger bestehende, relevante schmerzbedingte Minderbelastbarkeit führt im Bereich des Bewegungsapparates zu objektiven Zeichen der Schonung, die sich im Rahmen der klinischen Untersuchung und der Röntgenuntersuchung feststellen oder ausschließen lassen, z. B. eine Muskelminderung oder eine Kalksalzminderung (Thomann/Schröter/Grosser, Orthopädische-unfallchirurgische Begutachtung, 1. Aufl. 2009, S. 21 f.). Solche Einschränkungen sind in dem vorliegenden Gutachten aber nicht beschrieben worden. So hat Prof. Dr. K. bei seiner Untersuchung im Jahr 2014 im Schultergürtelbereich eine beidseits regelgerecht ausgebildete Muskulatur ohne sichtbare Atrophien festgestellt. Auch Dr. R. berichtet von seitengleich ausgebildeter Ober- und Unterarmmuskulatur. Damit lagen objektive Zeichen einer schonungsbedingten Minderbelastbarkeit, die über die funktionell bereits berücksichtigten Einschränkungen hinausgeht, nicht vor.

Damit hat das SG zu Recht die Klage abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen des Klägers auch im Berufungsverfahren.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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