S 19 AY 10/15 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AY 10/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller auch für die Zeit vom 05.10.2015 bis 18.10.2015 Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen. Die Beigeladene wird weiter verpflichtet, dem Antragsteller eine Reisebeihilfe für eine Fahrt in das Gebiet der Stadt Köln zu bewilligen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dem Grunde nach.

Gründe:

I.

Der am 00.00.0000 geborene Antragsteller ist albanischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 15.08.2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte Asylantrag. Mit Bescheid vom 29.08.2013 wies ihn die Bezirksre-gierung Arnsberg im Rahmen einer ausländerrechtlichen Zuweisungsentscheidung der Stadt Köln zu. In der Folgezeit hatte der Antragsteller seinen Wohnsitz in Köln. Er bezog von der Antragsgegnerin zunächst Grundleistungen und seit dem 01.03.2015 Leistungen nach § 2 Abs. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) in Höhe der Regelbedarfsstufe 1. Nachdem sein Asylantrag mit Bescheid vom 24.03.2014 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden war und das Verwaltungsgericht Köln den gegen die Abschiebungsandrohung vom 24.03.2014 gerichteten Eilantrag mit rechtskräftigem Beschluss vom 02.05.2014 (Az. 22 L 659/14 A) abgelehnt hatte, erteilte das Amt für öffentliche Ordnung – Ausländerabteilung – der Antragsgegnerin dem Antragsteller in der Folgezeit auf einen Zeitraum von zwei Monaten beschränkte Duldungen nach § 60a Abs. 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), die nach Ablauf des Zweimonatszeitraums jeweils verlängert wurden. Im Rahmen dieser Duldungen wurde dem Antragsteller im Wege einer Auflage die Wohnsitznahme nur in Köln gestattet. Am 06.11.2014 heiratete der Antragsteller vor dem Standesamt in 52477 Alsdorf die in Alsdorf lebende Frau J. Q.i und stellte bei der Antragsgegnerin am 10.12.2014 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sowie einen Antrag auf Umverteilung nach Alsdorf, über die bislang noch nicht entschieden wurde. Die von der Antragsgegnerin in der Folgezeit weiterhin erteilten Duldungen enthielten keine Beschränkung mehr auf eine Wohnsitznahme in Köln (zuletzt Duldung vom 08.07.2015, gültig ab 08.07.2015 und befristet bis 22.10.2015). Nachdem der Vermieter des Antragstellers von dessen Heirat erfahren hatte, meldete er diesen im Mai 2015 in der Unterkunft in Köln ab. Die Antragsgegnerin stellte die Asylbewerberleistungen mit Ablauf des 31.08.2015 ein und führte zur Begründung aus, der Antragsteller halte sich in Alsdorf auf. Am 10.09.2015 hat sich der zu diesem Zeitpunkt in Alsdorf bei seiner Ehefrau wohnhafte Antragsteller an das Sozialgericht Köln gewandt und unter Hinweis auf seine Mittellosigkeit Eilrechtsschutz begehrt. Mit Beschluss vom 22.09.2015 hat das Sozialgericht Köln den Rechtsstreit an das erkennende Gericht verwiesen.

Nachdem die Meldebehörde der Beigeladenen eine Ummeldung des Antragstellers mündlich abgelehnt hatte, bewilligte die Beigeladene dem Antragsteller ab dem 19.10.2015 bis (zunächst) 31.10.2015 Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG. Am 23.10.2015 hat Amt für öffentliche Ordnung – Ausländerabteilung – der Antragsgegnerin dem Antragsteller erneut eine befristete Duldung erteilt, welche wieder eine Beschränkung der Wohnsitznahme auf das Gebiet der Stadt Köln vorsieht. Daraufhin hat die Beigeladene mitgeteilt, sie sehe sich außerstande, für den Monat November 2015 Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu erbringen.

Der Antragsteller beantragt seinem Vorbringen nach sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab November 2015 Asylbewerberleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu erbringen,

hilfsweise,

die Beigeladene zu im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm auch weiterhin Asylbewerberleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu erbringen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.

Das Gericht hat die Ausländerakte und die Leistungsakte der Antragsgegnerin beigezogen sowie eine Leistungsübersicht der Beigeladenen angefordert.

Hinsichtlich der weiteren wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Ausländer- und Leistungsakte der Antragsgegnerin sowie auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Das Gericht konnte die Beigeladene analog § 75 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichten (zur analogen Anwendung in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes siehe etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2006 – L 7 AY 3106/06 ER-B = juris, Rdnr. 10), weil sie nach § 75 Abs. 2, 2. Alt. mit Beschluss vom 29.09.2015 notwendig beigeladen worden ist.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch gegen die Beigeladene für die Zeit vom 05.10.2015 bis 18.10.2015 und ab November 2015 einen Anordnungsanspruch gegen die Beigeladene betreffend eine Reisebeihilfe in das Gebiet der Stadt Köln glaubhaft gemacht. Im Übrigen ist ein Anordnungsanspruch nicht (mehr) glaubhaft gemacht. Soweit ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist, ist auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller hat gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Asylbewerberleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG für die Zeit vom 05.10.2015 bis 18.10.2015. Ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG dem Grunde nach steht nicht in Zweifel, weil die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG vorliegen. Der Antragsteller unterfällt dem Personenkreis nach § 1 Abs. 1 Nr. 4a AsylbLG, er hält sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet auf und er hat auch die Dauer seines Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Eine Anspruchsberechtigung dem Grunde nach haben sowohl die Antragsgegnerin als auch die Beigeladene jedenfalls unter Geltung der bis zum 22.10.2015 befristeten Duldung angenommen.

Der Anspruch bestand nicht gegen die Antragsgegnerin, weil diese nicht nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG für die Erbringung der Leistungen örtlich zuständig war. Nach dieser Vorschrift ist für Asylbewerberleistungen die nach § 10 bestimmte Behörde zuständig, in deren Bereich der Leistungsberechtigte nach dem Asylgesetz oder Aufenthaltsgesetz verteilt oder zugewiesen worden ist oder für deren Bereich für den Leistungsberechtigten eine Wohnsitzauflage besteht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lagen bis zum 23.10.2015 – dem Zeitpunkt der erneut erteilten Duldung durch die Antragsgegnerin – nicht vor. Zwar war der Antragsteller mit Zuweisungsentscheidung der Bezirksregierung Arnsberg vom 29.08.2013 der Stadt Köln zugewiesen worden. Diese Zuweisungsentscheidung war jedoch mit Abschluss des Asylverfahrens des Antragstellers erloschen. Denn eine Zuweisungsentscheidung erlischt, wenn dem Ausländer nach Beendigung des Asylverfahrens ein Bleiberecht eingeräumt wird, das auch in einer Duldung bestehen kann, wenn die Duldung nicht nur der Abwicklung des vorangegangenen Asylverfahrens dient (OVG Münster, Beschluss vom 30.01.1997 – 25 B 2973/96 = juris, Rdnr. 6, mit umfangreichen Nachweisen; VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 04.02.2013 – RN 6 K 12.30278 = juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2002 –´7 L 3644/01 = juris). Diese Voraussetzungen liegen in der Person des Antragstellers vor. Sein Asylverfahren war rechtskräftig abgeschlossen und ihm ist eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilt worden (also, weil seine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird) und damit nicht lediglich zur Abwicklung des vorangegangenen Asylverfahrens. Die Zuweisungsentscheidung vom 29.08.2013 ist damit gegenstandslos. Die Zuständigkeit für Asylbewerberleistungen richtet sich nach § 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG (so ausdrücklich LSG Niedersachsen, Beschluss vom 27.05.2011 – L 8 AY 31/11 B ER = juris).

Zum Zeitpunkt der bis zum 22.10.2015 erteilten Duldung lag auch keine Wohnsitzauflage auf das Gebiet der Stadt Köln vor, denn diese war vom Amt für öffentliche Ordnung – Ausländerabteilung – der Antragsgegnerin "vergessen worden".

Der Anspruch des Antragstellers bestand damit nach § 10a Abs. 1 Satz 3 AsylbLG gegen die Beigeladene, weil er sich in ihrem Gebiet tatsächlich aufhielt.

Der Anspruch des Antragstellers bestand jedoch nach Auffassung der Kammer lediglich für die Zeit ab Zustellung des Beiladungsbeschlusses (05.10.2015) und nur bis 18.10.2015, weil die Beigeladene ab dem 19.10.2015 bis 31.10.2015 mittlerweile Asylbewerberleistungen bewilligt und auch erbracht hat. Über den 31.10.2015 hinaus indessen besteht kein Anspruch des Antragstellers gegen die Beigeladene auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, weil ab dem 23.10.2015 eine neue Duldung mit einer Wohnsitzauflage für die Stadt Köln erteilt ist. Die Beigeladene ist für die Zeit ab dem 01.11.2015 auch nicht nach § 10a Abs. 1 Satz 4 AsylbLG zuständig. Denn sie hat im Oktober 2015 keine Leistungen "außerhalb ihre Bereichs" erbracht.

Ab dem 01.11.2015 besteht auch kein Anspruch des Antragstellers gegen die An-tragsgegnerin auf Leistungen nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, weil er sich derzeit im Gebiet der Beigeladenen aufhält und damit § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG als Spezialregelung für die örtliche Zuständigkeit vorgeht. Nach dieser Vorschrift darf Leis-tungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu ihrem rechtmäßigen Aufenthaltsort gewährt werden. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass es für den Antragsteller schwer nachvoll-ziehbar sein mag, nachdem er bereits AsylbLG von der Beigeladenen bezogen hat, nunmehr wieder darauf verwiesen zu werden, dass er, um weiterhin Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu erhalten, seinen Wohnsitz zunächst im Gebiet der Stadt Köln nehmen muss. Indessen ist dies eine Folge des gesetzlichen Regelwerks des AsylbLG, das sich hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit an die ausländerrechtlichen Beschränkungen anlehnt. Angesichts dieser Akzessorietät muss der Antragsteller zunächst gegen die erneute Wohnsitzauflage in der ab der 23.10.2015 geltenden Duldung vorgehen. Solange er dies nicht tut, ist diese als Verwaltungsakt selbst bei unterstellter Rechtswidrigkeit als wirksam anzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Ein sofortiges (Teil-)Anerkenntnis der Beigeladenen, das nach dem Rechtsgedanken von § 202 SGG i.V.m. § 93 ZPO im Rahmen der Kosten zu berücksichtigen wäre, liegt nicht vor. Die Beigeladene hat keine prozessuale Erklärung des Inhalts abgegeben, dass sie den (Teil-)Anspruch des Antragstellers "uneingeschränkt zugesteht" (zu dieser Voraussetzung etwa Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufll. 2014, § 101 Rdnr. 20). Sie hat vielmehr lediglich für die Zeit vom 19.10. bis 31.10.2015 lediglich tatsächlich Leistungen erbracht. Dass der Eilantrag "im Übrigen" abgelehnt worden ist, ist für die Kostenentscheidung ohne Belang. Denn die ausländerrechtliche Beschränkung der Wohnsitznahme auf das Gebiet der Stadt Köln ist erst im Laufe des Eilverfahrens (mit erneuter Duldung ab 23.10.2015) eingetreten. Der Antragsteller hat damit auch nicht teilweise zur Erhebung des Eilantrags Anlass gegeben.
Rechtskraft
Aus
Saved