L 4 AS 561/15 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 14 AS 343/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 561/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 31. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, Beschwerdeführer und Kläger (im Folgenden: Kläger) wendet sich gegen die Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe in einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau.

Der 1953 geborene Kläger stand beim Beklagten im Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Mit Bescheid vom 5. März 2013 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2013 bis 13. Juni 2014 Arbeitslosengeld I in Höhe von 392,10 EUR. Am 16. Mai 2013 gelangte eine Vereinbarung des Klägers mit der Bundesrepublik Deutschland zur Ableistung des Freiwilligendienstes nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetzes (BFDG) zur Verwaltungsakte. Hiernach leistete der Kläger vom 1. August 2013 bis zum 31. Juli 2014 Freiwilligendienste bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 21 Stunden unter Gewährung eines Taschengeldes in Höhe von 176,40 EUR. Mit vorläufigem Bescheid vom 23. Juli 2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom August 2013 bis Januar 2014 in monatlicher Höhe von 300,30 EUR. Dabei errechnete der Beklagte einen Gesamtbedarf in Höhe von 692,40 EUR (Regelbedarf: 382,00 EUR; Miete: 192,40 EUR; Nebenkosten: 52,00 EUR; Heizkosten: 66,00 EUR). Als einsetzbares Einkommen zog der Beklagte hiervon 392,10 EUR ab. Dabei wurde das Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst in Höhe von 176,40 EUR nicht berücksichtigt. Nach einem Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Beklagte vorläufig für die Monate Februar bis Mai 2015 monatlich 309,30 EUR (Regelbedarf: 391,00 EUR; Miete: 192,40 EUR; Nebenkosten: 52,00 EUR; Heizkosten: 66,00 EUR abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von 392,10 EUR). Für Juni 2014 bewilligte der Beklagte 531,49 EUR (Regelbedarf: 391,00 EUR; Miete: 192,40 EUR; Nebenkosten: 52,00 EUR; Heizkosten: 66,00 EUR abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von 169,91 EUR) und für Juli 2014 701,40 EUR (kein Einkommen mehr).

Am 14. April 2014 legte der Kläger einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 10. April 2014 über die Aufhebung der Leistungsbewilligung ab 1. August 2013 wegen des abgeleisteten Bundesfreiwilligendienstes vor. Dies führte zu einem vorläufigen Änderungsbescheid des Beklagten vom 15. April 2014, in dem nach Wegfall des Arbeitslosengeldes I die monatlichen Bewilligungen von April bis Juni 2014 jeweils auf monatlich 701,40 EUR festgesetzt worden sind.

Am 17. September 2014 beantragte der Kläger eine Überprüfung der Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 1. August 2013 bis zum 31. März 2014 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) und führte zur Begründung aus: Nach dem Erstattungsbescheid vom 14. Mai 2014 verlange die Bundesagentur für Arbeit vom Kläger die Rückzahlung von 3.136,80 EUR (Bl. 747 VA), da er wegen des durchgeführten Bundesfreiwilligendienstes keinen Anspruch auf das Arbeitslosengeld I gehabt habe. Die Bewilligungsbescheide des Beklagten seien daher anzupassen.

Mit Bescheid vom 18. September 2014 lehnte der Beklagte eine Überprüfung ab und führte zur Begründung aus: Nach dem sog. Zuflussprinzip sei entscheidend, dass der Kläger Arbeitslosengeld I während der geltend gemachten Bewilligungszeiträume bezogen habe (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23. August 2011, B 14 AS 165/10 R). Die angegriffenen Bescheide seien daher rechtmäßig. Hiergegen legte der Kläger am 10. Oktober 2014 Widerspruch ein und mache geltend: Der Beklagte habe es fehlerhaft unterlassen, seinen Beratungs- und Informationspflichten gemäß § 15 ff Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) nachzukommen. Hierdurch sei ihm ein Schaden entstanden, der nach dem sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruch zu ersetzen sei. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2015 zurück. Entgegen der Ansicht des Klägers sei eine Verletzung der Beratungs- und Auskunftspflicht nicht erkennbar. Eine Beratungspflicht könne nur angenommen werden, wenn dem Behördenmitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich gewesen wäre, die ein verständiger Leistungsberechtigter hätte wahrnehmen können. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Auch bestehe keine Beratungspflicht gegenüber der Agentur für Arbeit, sondern nur gegenüber dem Leistungsberechtigten. Gestaltungsmöglichkeiten des Klägers hätten jedoch nicht bestanden. Auch wäre eine Verletzung der Beratungspflicht nicht kausal für die eingetretene Überzahlung gewesen. Sollte der Kläger von Seiten der Agentur für Arbeit nicht hinreichend informiert worden sein, läge keine Verletzung seiner Mitwirkungspflichten vor. Der Erstattungsbescheid der Agentur für Arbeit wäre dann rechtswidrig. Falls der Kläger jedoch selbst seine Mitwirkungspflichten gegenüber der Agentur für Arbeit verletzt habe, wäre die Überzahlung auf sein fehlerhaftes Verhalten des Klägers kausal zurückzuführen. Die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch seien daher nicht gegeben.

Der Kläger hat am 23. Februar 2015 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben, die Aufhebung der Bescheide sowie die Verurteilung des Beklagten begehrt, ihm den aus dem Rückforderungsbescheid der Agentur für Arbeit entstandenen Schaden in Höhe von 3.136,80 EUR zu erstatten. Gleichzeitig hat der Kläger auch einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren gestellt. Der Beklagte sei über die Aufnahme des Bundesfreiwilligendienstes sowie über die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit informiert gewesen. Er habe seine Beratungs- und Auskunftspflichten verletzt, indem er weder den Kläger noch die Bundesagentur über die Bedeutung dieses Umstandes aufgeklärt habe. Hierdurch habe der Beklage Gelder in Höhe des Arbeitslosengeldes I zu Unrecht eingespart, wodurch dem Kläger ein Schaden in Gestalt des Rückforderungsanspruchs der Agentur für Arbeit entstanden sei.

Die Kammervorsitzende hat mit Schreiben vom 17. Juni 2015 darauf hingewiesen, dass eine Rechtsgrundlage für eine Pflicht des Beklagten, die Agentur für Arbeit über die Einkommensverhältnisse des Klägers zu informieren, nicht erkennbar sei.

Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 31. Juli 2015 ablehnt. Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Beklagte habe zu Recht auf das im SGB II geltende Zuflussprinzip hingewiesen. Von August 2013 bis März 2014 habe der Kläger monatlich 392,10 EUR erhalten. Die Aufhebung dieser Alg I-Leistungsgewährung sei erst mit Bescheid vom 10. April 2014, d.h. nach Ablauf der Zuflussmonate erfolgt. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X seien daher nicht gegeben, da der Beklagte weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei. Auch ein Anspruch auf Erstattung von 3.136,80 EUR nach dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch bestehe nicht. Hierbei gehe es um die Behebung eines Nachteils aus einer rechtmäßigen Amtshandlung. Das Verlangen würde auf eine rechtswidrige Nachzahlung von SGB II-Leistungen hinauslaufen. Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei eine Verletzung der Beratungs- und Auskunftspflichten. Ferner sei erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Schließlich müsse der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung wieder beseitigt werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch dürfe dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (u.a. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007, B 14/11b AS 63/06 R, Urteil vom 18. Januar 2011, B 4 AS 99/10 R, juris). Im vorliegenden Fall sei bereits nicht ersichtlich, welche Pflicht der Beklagte verletzt haben soll. §§ 14, 15 SGB I regeln Beratungs- und Auskunftspflichten gegenüber dem Leistungsberechtigten. Die Beratungspflicht treffe den Leistungsträger, demgegenüber der Hilfebedürftige seine Rechte geltend mache. Über die Pflicht, alle Änderungen der Einkommensverhältnisse gegenüber dem SGB II-Träger mitzuteilen, habe der Beklagte den Kläger nach den vorliegenden Antragsformularen informiert. Die Beratung über die Rechte erstrecke sich auf diejenigen Gestaltungsmöglichkeiten, die jeder verständige Sozialleistungsberechtigte mutmaßlich nutzen würde. Selbst bei Zugrundlegung einer derartigen Pflicht des Beklagten wäre diese vermeintliche Pflichtwidrigkeit nicht ursächlich für den geltend gemachten Schaden. Wesentliche Ursache für die nachträgliche Aufhebung der Bewilligung durch die Agentur für Arbeit seien die unzureichenden Angaben des Klägers gegenüber diesem Leistungsträger gewesen. Dies habe dem Kläger aus dem gerichtsbekannten Merkblatt zum ALG I auch bekannt sein müssen. Die Auskunfts- und Beratungspflicht beschränke sich auf diejenigen Sach- und Rechtsfragen des eigenen Zuständigkeitsbereichs der Behörde. Eine Informationspflicht des Beklagten gegenüber der Bundesagentur für Arbeit ergebe sich auch nicht aus den Datenübermittlungsvorschriften gemäß §§ 67 ff. SGB X bzw. §§ 50 ff. SGB II. Diese Vorschriften schützten gerade den Leistungsberechtigten vor einer unkontrollierten Weitergabe von persönlichen Daten an Dritte. Letztlich könnte der Beklagte den "Nachteil" aus dem eingetretenen Rückforderungsanspruch der Bundesagentur für Arbeit auch nicht durch eine rechtmäßige Amtshandlung beheben. Ein zivilrechtlicher Amtshaftungsanspruch sei zudem nicht geltend gemacht.

Der Kläger gegen den am 4. August 2015 zugestellten Beschluss am 25. August 2015 Beschwerde beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und auf die bisherige Begründung verwiesen.

Der Antragsgegner hat keine Ausführungen gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen. Die Gerichtsakte S 14 AS 343/15 B hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

1. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht erhoben gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie ist auch statthaft gemäß § 172 Abs. 1, 3 Nr. 1 SGG. Denn in der Hauptsache wäre eine Berufung zulässig. Alleine der geltend gemachte Erstattungsanspruch in Höhe von 3.136,80 EUR übersteigen den Wert des Beschwerdegegenstands von 750,00 EUR gemäß § 144 Abs. 1 SGG. Da das SG Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt hat, bleibt für den Ausschlusstatbestand des § 172 Abs. 3 Nr. 2.a) kein Raum.

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Als hinreichend sind die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels einzuschätzen, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gewiss, eine Erfolgschance jedoch nicht unwahrscheinlich ist (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. März 1990, 1 BvR 94/88). Prozesskostenhilfe kommt hingegen nicht in Betracht, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. Februar 1998, B 13 RJ/83/97 R).

Unter Anwendung dieses Maßstabs hat die Klage vor dem Sozialgericht keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Sozialgericht hat daher zu Recht die beantragte Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung im dem angefochtenen Beschluss (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG) und macht sich diese nach eigener Prüfung zu Eigen. Ergänzend weist der Senat noch auf Folgendes hin:

Vorliegend hatte der Beklagte dem Kläger nur vorläufige Leistungen bewilligt (§ 40 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 330 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung [SGB III]). In diesem Fall hat der Leistungsbezieher vorrangig den Anspruch auf eine "abschließende Entscheidung" (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 31/14 R, juris). Es fehlt damit am Tatbestandsmerkmal des § 44 Abs. 1 SGB X "auch nachdem er unanfechtbar geworden ist". Tatsächlich waren die zur Überprüfung gestellten Bescheide noch nicht bestandskräftig geworden, sondern bedurften noch der endgültigen Leistungsfestsetzung durch den Beklagten. Statt eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X hätte daher der anwaltlich vertretene Kläger einen Antrag auf endgültige Leistungsbewilligung stellen müssen (§ 328 Abs. 3 SGB III). Es besteht daher auch kein Rechtsschutzbedürfnis für ein Verfahren nach § 44 SGB X.

Auch die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs liegen nicht vor. Ein Herstellungsanspruch setzt voraus, dass ein Sozialleistungsträger seine gegenüber einem Berechtigten obliegende Nebenpflicht aus dem Sozialversicherungsverhältnis verletzt, dem Berechtigten ein unmittelbarer (sozialrechtlicher) Nachteil entsteht und zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil ein Ursachenzusammenhang vorliegt. Der Herstellungsanspruch ist grundsätzlich auf die Vornahme der Amtshandlung gerichtet, die den möglichen und rechtlich zulässigen Zustand erreicht, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre (stRspr; statt vieler BSG, Urteil vom 19. Dezember 2013, B 2 U 17/12 R, juris).

Selbst wenn zu Gunsten des Klägers eine Beratungspflicht unterstellt werden würde, scheiterte der sozialrechtliche Herstellungsanspruch in jedem Fall daran, dass der Kläger vom Beklagten keine rechtswidrige Verwaltungshandlung verlangen darf. Würde – wie beantragt – ihm ein Leistungsanspruch tatsächlich zugesprochen werden, wäre dies rechtswidrig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss ist nach § 177 SGG nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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