Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 22 KA 545/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 81/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
(wie LSG Nds.-Bremen, L 3 KA 103/08): Einem in Praxisgemeinschaft mit einem anderen Arzt zusammenarbeitenden Vertragsarzt kann nicht vorgeworfen werden, er führe in Wirklichkeit mit diesem zusammen eine Gemeinschaftspraxis, wenn zwar das Aufgreifkriterium einer Patientenidentität von 20 Prozent erreicht wird, diese bei Berücksichtigung berechtigter Vertreterfälle aber unter 20 Prozent sinkt.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozial-gerichts Berlin vom 28. August 2013 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Richtigstellung ihres Honorars und eine damit verbundene Honorarrückforderung in Höhe von 2.153,80 Euro.
Die Klägerin ist Fachärztin für Chirurgie. Sie ist seit dem 1. Januar 1992 zur vertragsärztlichen Versorgung in B im fachärztlichen Versorgungsbereich zugelassen. Von 1992 bis zum 30. September 2010 bildete sie eine Praxisgemeinschaft mit dem Facharzt für Chirurgie Dr. M H.
Mit Schreiben vom 17. August 2009 hörte die Beklagte die Klägerin im Zuge einer Abrechnungsprüfung dazu an, dass sie im Quartal II/2007 mit der Praxis von Dr. M H 178 Patienten gemeinsam behandelt habe. Es sei der Eindruck der Tätigkeit in nicht genehmigter Gemeinschaftspraxis entstanden. Die Abrechnung der Klägerin für das Quartal II/2007 könne daher fehlerhaft und rechtswidrig sein.
In ihrem Stellungnahmeschreiben teilte die Klägerin hierauf mit: Im Quartal II/2007 habe Dr. H sich im Mai und Juni für zwei Wochen im Urlaub befunden. Leider habe er es versäumt, diesen Urlaub bei der Beklagten anzumelden. Zusätzlich sei er an fünf weiteren Arbeitstagen nicht in der Praxis gewesen. Auch sie, die Klägerin, sei zweimal vier Tage wegen Urlaubs abwesend gewesen (11. bis 14. Juni 2007 sowie 19. bis 26. Juni 2007), außerdem habe sie einen weiteren Tag gefehlt. Als Beweis übersende sie ihren Schwesterndienstplan für das Quartal II/2007. Seit Beginn der Zusammenarbeit im Jahre 1992 hätten sie und Dr. H sich selbstverständlich immer vertreten; Urlaub sei seit 1992 der Beklagten indes nie angemeldet worden. Sie seien als Einzelkämpfer trotz guter kollegialer Zusammenarbeit in der Praxisgemeinschaft doch Konkurrenten und hätten nie durch konkrete Praxisgestaltung eine Doppelbehandlung provoziert. Keinesfalls habe man sich Patienten wechselseitig zugeschanzt. Bei Abwesenheit des jeweils anderen und in den Sonnabendsprechstunden habe man sich natürlich die medizinisch notwendigen Verbandswechsel bei infizierten Wunden überwiesen; leider sei dies bei den Abrechnungen seit 1992 aber nicht als "Vertreter- bzw. Notfallschein" kodiert worden. Aus Unwissenheit seien zudem die Patientenscheine nicht als Urlaubsvertretung kodiert worden, was leider auch noch 2008 und zu Beginn des Jahres 2009 passiert sei, bis die Beklagte in einem Schreiben von Mitte August 2009 erklärt habe, wie die Abrechnung korrekt erfolgen müsse.
Mit Bescheid vom 5. Januar 2010 hob die Beklagte den Honorarbescheid der Klägerin für das Quartal II/2007 teilweise auf, nahm eine sachlich-rechnerische Berichtigung für dieses Quartal vor und kürzte das Honorar um 2.200,00 Euro brutto bzw. - nach Abzug von 2,1 Prozent Verwaltungskosten - um 2.153,80 Euro netto. Die Behandlung von 178 Patienten gemeinsam mit Dr. M H stelle sich als gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit im Sinne von § 33 Abs. 2 Ärzte ZV dar. Diese dürfe aber nur nach vorheriger Genehmigung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis erfolgen. Die hohe Zahl der identischen Behandlungsfälle sei auf die wechselseitigen Sprechzeiten in der Praxisgemeinschaft zurückzuführen. Abwesenheitszeiten seien dem Arztregister der Beklagten nie gemeldet worden; auch sei in keinem einzigen Doppelbehandlungsfall ein Vertreter- bzw. Notfallschein angelegt worden. Die Verteilung der Sprechstundenzeit habe dazu geführt, dass zu den jeweils sprechstundenfreien Zeiten des einen Arztes Behandlungsfälle des anderen entstanden seien. Sofern man sich regelmäßig gegenseitig vertreten habe, hätte dies der Genehmigung durch die Beklagte bedurft, weil es sich tatsächlich um eine Art von Dauervertretung gehandelt habe. Anhand der Überprüfung von zehn einzelnen, stichprobenhaft ausgewählten Doppelbehandlungsfällen habe festgestellt werden können, dass die Behandlungen der gemeinsamen Patienten bedingt durch wechselseitige Sprechstundenzeiten sowohl durch die Klägerin als auch durch Herrn Dr. H aufgrund identischer, zumindest ähnlicher Diagnosestellungen stattgefunden hätten. Danach habe die Klägerin zusammen mit Dr. H die Kooperationsform der Praxisgemeinschaft missbräuchlich dazu genutzt, die Fallzahlen in der jeweils eigenen Praxis zu erhöhen und so eine Steigerung des Honorars herbeizuführen. Ihr Schätzungsermessen übe die Beklagte dahingehend aus, dass die Anzahl der nicht gerechtfertigten Doppelbehandlungsfälle zu gleichen Teilen auf beide Praxen verteilt werde. Ausgehend von einem Sicherheitsabschlag in Höhe von zehn Prozent werde die verbleibende Anzahl der zu Unrecht abgerechneten Doppelbehandlungsfälle mit dem quartalsbezogenen Fallwert der Klägerin multipliziert, was den Rückforderungsbetrag von 2.200,00 Euro brutto (80 ungerechtfertigt abgerechnete Behandlungsfälle x 27,50 Euro Fallwert) ergebe.
Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs führte die Klägerin im Wesentlichen an: Dass sie ihre Urlaube seit 1992 nie gemeldet und auch keine Vertreter- bzw. Notfallscheine gekennzeichnet habe, sei lediglich auf ihre Unwissenheit zurückzuführen. Die Anzahl der Doppelbehandlungen liege nur 1,37 Prozent über dem Aufgreifkriterium von 20 Prozent. Zu Unrecht lasse die Beklagte unberücksichtigt, dass sowohl sie als auch ihr Kollege sich im Quartal II/2007 jeweils mehrere Wochen im Urlaub befunden hätten. In beiden Praxen würden vorwiegend Unfallfolgen behandelt; Unfälle richteten sich aber nicht nach Sprechstundenzeiten, so dass es oft dazu gekommen sei, dass der eine Arzt Patienten des anderen in dessen jeweils sprechstundenfreien Zeiten behandelt habe.
Mit Bescheid vom 28. September 2010 (ausgefertigt am 27. Oktober 2010) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Eine Abrechnungsauffälligkeit sei zu vermuten, wenn bei versorgungsbereichsidentischen Praxisgemeinschaften eine Patientenidentität in Höhe von 20 Prozent bestehe. Dieses Aufgreifkriterium sei im Prüfquartal II/2007 überschritten, weil Herr Dr. H mit einem Anteil von 21,37 Prozent an gemeinsamen Patienten zwischen seiner Praxis und der Praxis der Klägerin aufgefallen sei. Im streitigen Quartal habe die Klägerin insgesamt 73 Patienten von Dr. H überwiesen bekommen, dieser habe 71 Patienten an die Klägerin zur Mit- bzw. Weiterbehandlung überwiesen. Von einer "Vertretung" könne erst dann die Rede sein, wenn der vertretende Arzt krank sei, sich in Urlaub befinde oder an einer ärztlichen Fortbildung teilnehme. Entsprechende Abwesenheitsmeldungen seien nie bei der Beklagten eingegangen.
Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren vertieft. Zudem sei nicht erwiesen, dass für die Praxis der Klägerin das Aufgreifkriterium von 20 Prozent Patientenidentität erreicht sei. Der Kollege Dr. H habe erheblich weniger Patienten behandelt als sie; nur bei ihm übersteige der Anteil der gemeinsamen Patienten mit 21,37 Prozent die 20 Prozent Marke. Bezogen auf ihre Patientenanzahl (908 im Quartal II/2007) betrage der Anteil der gemeinsamen Patienten 19,60 Prozent.
Mit Urteil vom 28. August 2013 hat das Sozialgericht Berlin der Klage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt: Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin fehle es nicht an einer tragfähigen Rechtsgrundlage. Das Rechtsinstitut der sachlich-rechnerischen Richtigstellung sei auch auf einen Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen anzuwenden. Der Vorwurf des Gestaltungsmissbrauchs sei noch nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil die Klägerin im streitigen Quartal das in den Abrechnungsprüfungsrichtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen definierte Aufgreifkriterium überschritten habe. Rechtmäßig habe die Beklagte hierfür auf die (kleinere) Praxis des Arztes Dr. H abstellen dürfen. Allerdings seien im Falle der Klägerin Besonderheiten zu berücksichtigen, die gegen einen Missbrauch der Gestaltungsform einer Praxisgemeinschaft sprächen. Zu berücksichtigen seien bei Behandlungen gemeinsamer Patienten insbesondere Vertreterfälle gemäß Muster 19 der Vordruckvereinbarung, Überweisungen zur Auftragsleistung sowie Notfälle. So reiche es für den Vorwurf eines Gestaltungsmissbrauchs nicht aus, wenn zwar das Aufgreifkriterium einer Patientenidentität von 20 Prozent erreicht sei, diese bei Berücksichtigung berechtigter Vertreterfälle aber unter 20 Prozent sinke. Hier habe die Klägerin dargelegt, dass sie im streitigen Quartal tatsächlich an insgesamt mindestens elf Tagen und Dr. H an mindestens zwölf Tagen abwesend gewesen sei. Hiervon seien jeweils zirka zwei Wochen auf Urlaub entfallen. Bezogen auf die Quartalsarbeitszeit sei damit für etwa ein Drittel aller Arbeitstage ein echter Vertretungsfall gegeben gewesen. Zu Unrecht habe die Beklagte sich hiermit nicht auseinandergesetzt. Zwar habe die Klägerin ebenso wie Dr. H die Vertretungsfälle nicht entsprechend kodiert. Tatsächlich müsse aber ein Vertretungsfall angenommen werden, wenn der Vertragsarzt - wie hier - aus einem besonderen Grund an der Ausübung seiner Praxis gehindert sei. Dies sei bei den von der Klägerin eingeräumten Abwesenheitstagen der Fall. Die Klägerin habe schon in ihrer ersten Anhörung auf diese Umstände hingewiesen und auch eingeräumt, wohl über Jahre hinweg die Behandlung von Patienten falsch kodiert zu haben und auch dem Erfordernis einer Vertretungsanzeige nicht nachgekommen zu sein. Zwar erscheine der sachkundig besetzten Kammer das Verhalten der Klägerin als in besonderer Weise pflichtwidrig, aber nicht jenseits jeder Lebenserfahrung. Die Beklagte hätte die Möglichkeit gehabt, die Quartalsabrechnung wegen der genannten Abrechnungsfehler sachlich-rechnerisch richtigzustellen. Der Vorwurf des Missbrauchs der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft lasse sich damit jedoch nicht begründen. Weiter fehle es etwa an einer regelhaften Doppeleinlesung von Patientenkarten unter denselben Daten, zudem gebe es eine streng getrennte Patientenkartei. Bestätigt werde das Gesamtbild durch den von der Klägerin eingereichten Schwesterndienstplan. Aus diesem lasse sich auch auf die jeweilige Arztpräsenz schließen. Zudem lägen wesentlich umfangreichere und vor allem andere Sprechstundenzeiten beider Ärzte vor als noch im Widerspruchsbescheid angenommen. Es verbleibe damit für den Vorwurf des Gestaltungsmissbrauchs vor allem die im Wesentlichen abwechselnd gestaltete Samstagssprechstunde und die teilweise zeitversetzten Sprechstundenzeiten. Dass dies auch zu unberechtigten Vertretungsfällen führen könne, habe die Klägerin selbst eingeräumt. Es sei jedoch nicht erkennbar, dass sich die Praxisgemeinschaftspartner gezielt "freie Tage" organisiert hätten, um zugunsten der übrigen Mitglieder der Praxisgemeinschaft Vertretungsfälle abrechnen zu können. Die konkrete Gestaltung der Sprechstunden bei einer Patientenidentität von deutlich unter 20 Prozent (bei Herausrechnung der berechtigten, aber falsch gekennzeichneten Vertretungsfälle) sowie die tatsächlichen Präsenzzeiten beider Ärzte in einer unfallchirurgischen Praxis begründeten nicht den Vorwurf des Missbrauchs der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft.
Gegen das ihr am 12. September 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Oktober 2013 (Montag) Berufung eingelegt. Zu deren Begründung führt sie im Wesentlichen an: Das Sozialgericht berücksichtige nicht, dass die Klägerin neben der falschen Kodierung der Behandlungsscheine auch einen Gestaltungsmissbrauch eingeräumt habe. Die von der Klägerin im Verwaltungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen belegten, dass sie bestimmte Grundsätze der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht berücksichtigt habe, insbesondere Vertretungsregelungen auf nicht vertretbare Weise durchgeführt habe. Für die Patienten habe die Praxis, die nach dem Vorbringen der Klägerin nie einen Patienten weggeschickt habe, wie eine Gemeinschaftspraxis wirken müssen. Das Verfahren der Klägerin und ihres Kollegen habe zu ungerechtfertigten Abrechnungsvorteilen geführt. Mit dem von ihr angestrebten Versorgungsmodell hätte die Klägerin letztlich die Rechtsform einer Gemeinschaftspraxis wählen müssen. Unerheblich sei insoweit, ob im Einzelfall die Behandlung eines Patienten des Praxisgemeinschaftspartners medizinisch sinnvoll gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das mit der Berufung angegriffene Urteil des Sozialgerichts Berlin für zutreffend. Von einem Missbrauch der Kooperationsform "Praxisgemeinschaft" könne nicht die Rede sein. Zwar sei das Aufgreifkriterium von 20 Prozent überschritten, doch sinke die Anzahl gemeinsam behandelter Patienten erheblich, wenn man – was geboten sei – die Vertreterfälle herausrechne.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben, denn die auf der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs beruhende sachlich-rechnerische Richtigstellung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach eigener Sachprüfung Bezug auf die überzeugende Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Zu ergänzen und zu betonen bleibt:
Das Bundessozialgericht hat in seiner Leitentscheidung vom 22. März 2006 (B 6 KA 76/04 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 18 f.; bestätigend: Beschluss vom 11. Mai 2011, B 6 KA 1/11 B, zitiert nach juris, dort Rdnr.11; Beschluss vom 6. Februar 2013, B 6 KA 43/12 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 6; Beschluss vom 2. Juli 2014, B 6 KA 2/14 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 8) ausgeführt, dass bei missbräuchlicher Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft im Sinne des § 33 Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte bzw. Vertragszahnärzte Honorarbescheide korrigiert werden können. Ein derartiger Formenmissbrauch liegt vor, wenn Ärzte oder Zahnärzte ihre Zusammenarbeit im Innen- und Außenverhältnis so gestalten, wie dies für eine Gemeinschaftspraxis (heute: Berufsausübungsgemeinschaft) typisch ist. Eine solche Form der Kooperation kann zu einem sehr hohen Anteil an Patienten führen, an deren Behandlung sowohl der betroffene Arzt als auch der bzw. die Kollege(n) gemeinsam beteiligt sind. Ein hoher gemeinsamer Patientenanteil spricht stets dafür, dass die Rechtsform der Praxisgemeinschaft im Praxisalltag nicht transparent realisiert wurde. Zur Frage, ab welcher Größenordnung ein in diesem Sinne auffälliger Anteil gemeinsam behandelter Patienten vorliegt, wird in dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 22. März 2006 zwar nicht abschließend Stellung genommen. Es wird aber auf die Richtlinien hingewiesen, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen vereinbart haben und nach denen bereits bei 20 Prozent Patientenidentität - bzw. bei 30 Prozent im Falle gebiets-/versorgungsübergreifender Praxisgemeinschaften - eine Abrechnungsauffälligkeit anzunehmen ist. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts liegt jedenfalls dann, wenn zwei kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebiets mehr als 50 Prozent der Patienten gemeinsam behandeln, eine für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende gemeinschaftliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit mit Behandlung eines gemeinsamen Patientenstamms vor (Bundessozialgericht, Beschluss vom 11. Mai 2011, B 6 KA 1/11 B, zitiert nach juris, dort Rdnr.11; ebenso: Beschluss vom 6. Februar 2013, B 6 KA 43/12 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 6; Urteil des Senats vom 25. März 2015, L 7 KA 5/12, dort Patientenidentität über sieben Quartale von durchschnittlich 72,7 Prozent); eine Patientenidentität von so großem Ausmaß ist nur vorstellbar mit Hilfe der Koordinierung des Patientenaufkommens in einer für Gemeinschaftspraxen typischen einheitlichen Praxisorganisation.
Im Falle der Klägerin betrug das gemeinsame Patientenaufkommen im streitigen Quartal II/2007 21,37 Prozent, ausgehend auch nur vom (kleineren) Patientenkollektiv des Arztes Dr. Hahn; bezogen auf die Praxis der Klägerin lag die Patientenidentität mit 19,3 Prozent sogar unter 20 Prozent (178 von 923Fällen). Das "Aufgreifkriterium", das nicht mit der automatischen Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs gleichgesetzt werden darf, mag damit erfüllt sein; zugleich ist der Fall aber weit entfernt von der 50 Prozent-Grenze, bei deren Überschreiten von einem Gestaltungsmissbrauch auszugehen ist. Grundsätzlich ist auch dann von einer missbräuchlichen Nutzung der Kooperationsform Praxisgemeinschaft auszugehen, wenn die Praxisgemeinschaftspartner nur zwischen 20 Prozent und 50 Prozent der Patienten gemeinsam behandelt haben, sich aber anhand weiterer Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die Ärzte tatsächlich wie die Mitglieder einer Gemeinschaftspraxis zusammenarbeiten (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. März 2012, L 3 KA 103/08, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24). An solchen ins Gewicht fallenden "weiteren Umständen" fehlt es vorliegend zur Überzeugung des Senats. Im Gegenteil hat das Sozialgericht zutreffend herausgearbeitet, dass die Quote der Patientenidentität sicher unter 20 Prozent sinkt, sofern man die im Quartal II/2007 unstreitig angefallenen Vertreterfälle herausrechnet. Eine solche Herausrechnung ist indessen geboten, weil im Wege von Praxisvertretung gewonnene Patientenidentität nicht auf einen Missbrauch der Gestaltungsform "Praxisgemeinschaft" schließen lässt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O., Rdnr. 27). Zugleich ist nicht erkennbar, dass die Vertretungsleistungen im maßgeblichen Abrechnungsquartal so verteilt waren, dass diese überwiegend an den zwischen den Praxisgemeinschaftspartnern abgestimmten Abwesenheitszeiten stattgefunden haben. Erst die periodisch stetig wiederkehrende Anhäufung derartiger "Vertreterfälle" kann als Beleg für einen rechtswidrigen Gestaltungsmissbrauch herangezogen werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O., Rdnr. 30). Hier ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die Praxisgemeinschaftspartner gezielt "freie Tage" (beispielsweise zur Durchführung von Hausbesuchen) organisiert haben, um zugunsten des weiteren Mitglieds der Praxisgemeinschaft Vertreterfälle abrechnen zu können. Zu Recht hat das Sozialgericht insoweit darauf hingewiesen, dass beide Praxisgemeinschaftspartner im streitigen Quartal zusammen gut 20 Tage Urlaub hatten, an denen es zu Vertreterfällen kam. Dies macht etwa ein Drittel der Quartalsarbeitstage aus. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner detaillierten Analyse auf der Basis konkreter Fallzahlen, dass die Quote gemeinsam behandelter Patienten weit unter 20 Prozent sinkt, wenn die Vertreterfälle herausgerechnet werden. Dass die Vertretungen der Beklagten jeweils nicht angezeigt wurden und es auch sonst zu unrichtigen Abrechnungen kam, darf der Klägerin im vorliegenden Zusammenhang nicht angelastet werden; hierauf hätte die Beklagte anderweitig reagieren können bzw. müssen, aber nicht mit einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung wegen angenommenen Gestaltungsmissbrauchs.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Gründe für eine Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG, bestehen nicht.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Richtigstellung ihres Honorars und eine damit verbundene Honorarrückforderung in Höhe von 2.153,80 Euro.
Die Klägerin ist Fachärztin für Chirurgie. Sie ist seit dem 1. Januar 1992 zur vertragsärztlichen Versorgung in B im fachärztlichen Versorgungsbereich zugelassen. Von 1992 bis zum 30. September 2010 bildete sie eine Praxisgemeinschaft mit dem Facharzt für Chirurgie Dr. M H.
Mit Schreiben vom 17. August 2009 hörte die Beklagte die Klägerin im Zuge einer Abrechnungsprüfung dazu an, dass sie im Quartal II/2007 mit der Praxis von Dr. M H 178 Patienten gemeinsam behandelt habe. Es sei der Eindruck der Tätigkeit in nicht genehmigter Gemeinschaftspraxis entstanden. Die Abrechnung der Klägerin für das Quartal II/2007 könne daher fehlerhaft und rechtswidrig sein.
In ihrem Stellungnahmeschreiben teilte die Klägerin hierauf mit: Im Quartal II/2007 habe Dr. H sich im Mai und Juni für zwei Wochen im Urlaub befunden. Leider habe er es versäumt, diesen Urlaub bei der Beklagten anzumelden. Zusätzlich sei er an fünf weiteren Arbeitstagen nicht in der Praxis gewesen. Auch sie, die Klägerin, sei zweimal vier Tage wegen Urlaubs abwesend gewesen (11. bis 14. Juni 2007 sowie 19. bis 26. Juni 2007), außerdem habe sie einen weiteren Tag gefehlt. Als Beweis übersende sie ihren Schwesterndienstplan für das Quartal II/2007. Seit Beginn der Zusammenarbeit im Jahre 1992 hätten sie und Dr. H sich selbstverständlich immer vertreten; Urlaub sei seit 1992 der Beklagten indes nie angemeldet worden. Sie seien als Einzelkämpfer trotz guter kollegialer Zusammenarbeit in der Praxisgemeinschaft doch Konkurrenten und hätten nie durch konkrete Praxisgestaltung eine Doppelbehandlung provoziert. Keinesfalls habe man sich Patienten wechselseitig zugeschanzt. Bei Abwesenheit des jeweils anderen und in den Sonnabendsprechstunden habe man sich natürlich die medizinisch notwendigen Verbandswechsel bei infizierten Wunden überwiesen; leider sei dies bei den Abrechnungen seit 1992 aber nicht als "Vertreter- bzw. Notfallschein" kodiert worden. Aus Unwissenheit seien zudem die Patientenscheine nicht als Urlaubsvertretung kodiert worden, was leider auch noch 2008 und zu Beginn des Jahres 2009 passiert sei, bis die Beklagte in einem Schreiben von Mitte August 2009 erklärt habe, wie die Abrechnung korrekt erfolgen müsse.
Mit Bescheid vom 5. Januar 2010 hob die Beklagte den Honorarbescheid der Klägerin für das Quartal II/2007 teilweise auf, nahm eine sachlich-rechnerische Berichtigung für dieses Quartal vor und kürzte das Honorar um 2.200,00 Euro brutto bzw. - nach Abzug von 2,1 Prozent Verwaltungskosten - um 2.153,80 Euro netto. Die Behandlung von 178 Patienten gemeinsam mit Dr. M H stelle sich als gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit im Sinne von § 33 Abs. 2 Ärzte ZV dar. Diese dürfe aber nur nach vorheriger Genehmigung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis erfolgen. Die hohe Zahl der identischen Behandlungsfälle sei auf die wechselseitigen Sprechzeiten in der Praxisgemeinschaft zurückzuführen. Abwesenheitszeiten seien dem Arztregister der Beklagten nie gemeldet worden; auch sei in keinem einzigen Doppelbehandlungsfall ein Vertreter- bzw. Notfallschein angelegt worden. Die Verteilung der Sprechstundenzeit habe dazu geführt, dass zu den jeweils sprechstundenfreien Zeiten des einen Arztes Behandlungsfälle des anderen entstanden seien. Sofern man sich regelmäßig gegenseitig vertreten habe, hätte dies der Genehmigung durch die Beklagte bedurft, weil es sich tatsächlich um eine Art von Dauervertretung gehandelt habe. Anhand der Überprüfung von zehn einzelnen, stichprobenhaft ausgewählten Doppelbehandlungsfällen habe festgestellt werden können, dass die Behandlungen der gemeinsamen Patienten bedingt durch wechselseitige Sprechstundenzeiten sowohl durch die Klägerin als auch durch Herrn Dr. H aufgrund identischer, zumindest ähnlicher Diagnosestellungen stattgefunden hätten. Danach habe die Klägerin zusammen mit Dr. H die Kooperationsform der Praxisgemeinschaft missbräuchlich dazu genutzt, die Fallzahlen in der jeweils eigenen Praxis zu erhöhen und so eine Steigerung des Honorars herbeizuführen. Ihr Schätzungsermessen übe die Beklagte dahingehend aus, dass die Anzahl der nicht gerechtfertigten Doppelbehandlungsfälle zu gleichen Teilen auf beide Praxen verteilt werde. Ausgehend von einem Sicherheitsabschlag in Höhe von zehn Prozent werde die verbleibende Anzahl der zu Unrecht abgerechneten Doppelbehandlungsfälle mit dem quartalsbezogenen Fallwert der Klägerin multipliziert, was den Rückforderungsbetrag von 2.200,00 Euro brutto (80 ungerechtfertigt abgerechnete Behandlungsfälle x 27,50 Euro Fallwert) ergebe.
Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs führte die Klägerin im Wesentlichen an: Dass sie ihre Urlaube seit 1992 nie gemeldet und auch keine Vertreter- bzw. Notfallscheine gekennzeichnet habe, sei lediglich auf ihre Unwissenheit zurückzuführen. Die Anzahl der Doppelbehandlungen liege nur 1,37 Prozent über dem Aufgreifkriterium von 20 Prozent. Zu Unrecht lasse die Beklagte unberücksichtigt, dass sowohl sie als auch ihr Kollege sich im Quartal II/2007 jeweils mehrere Wochen im Urlaub befunden hätten. In beiden Praxen würden vorwiegend Unfallfolgen behandelt; Unfälle richteten sich aber nicht nach Sprechstundenzeiten, so dass es oft dazu gekommen sei, dass der eine Arzt Patienten des anderen in dessen jeweils sprechstundenfreien Zeiten behandelt habe.
Mit Bescheid vom 28. September 2010 (ausgefertigt am 27. Oktober 2010) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Eine Abrechnungsauffälligkeit sei zu vermuten, wenn bei versorgungsbereichsidentischen Praxisgemeinschaften eine Patientenidentität in Höhe von 20 Prozent bestehe. Dieses Aufgreifkriterium sei im Prüfquartal II/2007 überschritten, weil Herr Dr. H mit einem Anteil von 21,37 Prozent an gemeinsamen Patienten zwischen seiner Praxis und der Praxis der Klägerin aufgefallen sei. Im streitigen Quartal habe die Klägerin insgesamt 73 Patienten von Dr. H überwiesen bekommen, dieser habe 71 Patienten an die Klägerin zur Mit- bzw. Weiterbehandlung überwiesen. Von einer "Vertretung" könne erst dann die Rede sein, wenn der vertretende Arzt krank sei, sich in Urlaub befinde oder an einer ärztlichen Fortbildung teilnehme. Entsprechende Abwesenheitsmeldungen seien nie bei der Beklagten eingegangen.
Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren vertieft. Zudem sei nicht erwiesen, dass für die Praxis der Klägerin das Aufgreifkriterium von 20 Prozent Patientenidentität erreicht sei. Der Kollege Dr. H habe erheblich weniger Patienten behandelt als sie; nur bei ihm übersteige der Anteil der gemeinsamen Patienten mit 21,37 Prozent die 20 Prozent Marke. Bezogen auf ihre Patientenanzahl (908 im Quartal II/2007) betrage der Anteil der gemeinsamen Patienten 19,60 Prozent.
Mit Urteil vom 28. August 2013 hat das Sozialgericht Berlin der Klage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt: Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin fehle es nicht an einer tragfähigen Rechtsgrundlage. Das Rechtsinstitut der sachlich-rechnerischen Richtigstellung sei auch auf einen Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen anzuwenden. Der Vorwurf des Gestaltungsmissbrauchs sei noch nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil die Klägerin im streitigen Quartal das in den Abrechnungsprüfungsrichtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen definierte Aufgreifkriterium überschritten habe. Rechtmäßig habe die Beklagte hierfür auf die (kleinere) Praxis des Arztes Dr. H abstellen dürfen. Allerdings seien im Falle der Klägerin Besonderheiten zu berücksichtigen, die gegen einen Missbrauch der Gestaltungsform einer Praxisgemeinschaft sprächen. Zu berücksichtigen seien bei Behandlungen gemeinsamer Patienten insbesondere Vertreterfälle gemäß Muster 19 der Vordruckvereinbarung, Überweisungen zur Auftragsleistung sowie Notfälle. So reiche es für den Vorwurf eines Gestaltungsmissbrauchs nicht aus, wenn zwar das Aufgreifkriterium einer Patientenidentität von 20 Prozent erreicht sei, diese bei Berücksichtigung berechtigter Vertreterfälle aber unter 20 Prozent sinke. Hier habe die Klägerin dargelegt, dass sie im streitigen Quartal tatsächlich an insgesamt mindestens elf Tagen und Dr. H an mindestens zwölf Tagen abwesend gewesen sei. Hiervon seien jeweils zirka zwei Wochen auf Urlaub entfallen. Bezogen auf die Quartalsarbeitszeit sei damit für etwa ein Drittel aller Arbeitstage ein echter Vertretungsfall gegeben gewesen. Zu Unrecht habe die Beklagte sich hiermit nicht auseinandergesetzt. Zwar habe die Klägerin ebenso wie Dr. H die Vertretungsfälle nicht entsprechend kodiert. Tatsächlich müsse aber ein Vertretungsfall angenommen werden, wenn der Vertragsarzt - wie hier - aus einem besonderen Grund an der Ausübung seiner Praxis gehindert sei. Dies sei bei den von der Klägerin eingeräumten Abwesenheitstagen der Fall. Die Klägerin habe schon in ihrer ersten Anhörung auf diese Umstände hingewiesen und auch eingeräumt, wohl über Jahre hinweg die Behandlung von Patienten falsch kodiert zu haben und auch dem Erfordernis einer Vertretungsanzeige nicht nachgekommen zu sein. Zwar erscheine der sachkundig besetzten Kammer das Verhalten der Klägerin als in besonderer Weise pflichtwidrig, aber nicht jenseits jeder Lebenserfahrung. Die Beklagte hätte die Möglichkeit gehabt, die Quartalsabrechnung wegen der genannten Abrechnungsfehler sachlich-rechnerisch richtigzustellen. Der Vorwurf des Missbrauchs der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft lasse sich damit jedoch nicht begründen. Weiter fehle es etwa an einer regelhaften Doppeleinlesung von Patientenkarten unter denselben Daten, zudem gebe es eine streng getrennte Patientenkartei. Bestätigt werde das Gesamtbild durch den von der Klägerin eingereichten Schwesterndienstplan. Aus diesem lasse sich auch auf die jeweilige Arztpräsenz schließen. Zudem lägen wesentlich umfangreichere und vor allem andere Sprechstundenzeiten beider Ärzte vor als noch im Widerspruchsbescheid angenommen. Es verbleibe damit für den Vorwurf des Gestaltungsmissbrauchs vor allem die im Wesentlichen abwechselnd gestaltete Samstagssprechstunde und die teilweise zeitversetzten Sprechstundenzeiten. Dass dies auch zu unberechtigten Vertretungsfällen führen könne, habe die Klägerin selbst eingeräumt. Es sei jedoch nicht erkennbar, dass sich die Praxisgemeinschaftspartner gezielt "freie Tage" organisiert hätten, um zugunsten der übrigen Mitglieder der Praxisgemeinschaft Vertretungsfälle abrechnen zu können. Die konkrete Gestaltung der Sprechstunden bei einer Patientenidentität von deutlich unter 20 Prozent (bei Herausrechnung der berechtigten, aber falsch gekennzeichneten Vertretungsfälle) sowie die tatsächlichen Präsenzzeiten beider Ärzte in einer unfallchirurgischen Praxis begründeten nicht den Vorwurf des Missbrauchs der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft.
Gegen das ihr am 12. September 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Oktober 2013 (Montag) Berufung eingelegt. Zu deren Begründung führt sie im Wesentlichen an: Das Sozialgericht berücksichtige nicht, dass die Klägerin neben der falschen Kodierung der Behandlungsscheine auch einen Gestaltungsmissbrauch eingeräumt habe. Die von der Klägerin im Verwaltungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen belegten, dass sie bestimmte Grundsätze der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht berücksichtigt habe, insbesondere Vertretungsregelungen auf nicht vertretbare Weise durchgeführt habe. Für die Patienten habe die Praxis, die nach dem Vorbringen der Klägerin nie einen Patienten weggeschickt habe, wie eine Gemeinschaftspraxis wirken müssen. Das Verfahren der Klägerin und ihres Kollegen habe zu ungerechtfertigten Abrechnungsvorteilen geführt. Mit dem von ihr angestrebten Versorgungsmodell hätte die Klägerin letztlich die Rechtsform einer Gemeinschaftspraxis wählen müssen. Unerheblich sei insoweit, ob im Einzelfall die Behandlung eines Patienten des Praxisgemeinschaftspartners medizinisch sinnvoll gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das mit der Berufung angegriffene Urteil des Sozialgerichts Berlin für zutreffend. Von einem Missbrauch der Kooperationsform "Praxisgemeinschaft" könne nicht die Rede sein. Zwar sei das Aufgreifkriterium von 20 Prozent überschritten, doch sinke die Anzahl gemeinsam behandelter Patienten erheblich, wenn man – was geboten sei – die Vertreterfälle herausrechne.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben, denn die auf der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs beruhende sachlich-rechnerische Richtigstellung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach eigener Sachprüfung Bezug auf die überzeugende Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Zu ergänzen und zu betonen bleibt:
Das Bundessozialgericht hat in seiner Leitentscheidung vom 22. März 2006 (B 6 KA 76/04 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 18 f.; bestätigend: Beschluss vom 11. Mai 2011, B 6 KA 1/11 B, zitiert nach juris, dort Rdnr.11; Beschluss vom 6. Februar 2013, B 6 KA 43/12 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 6; Beschluss vom 2. Juli 2014, B 6 KA 2/14 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 8) ausgeführt, dass bei missbräuchlicher Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft im Sinne des § 33 Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte bzw. Vertragszahnärzte Honorarbescheide korrigiert werden können. Ein derartiger Formenmissbrauch liegt vor, wenn Ärzte oder Zahnärzte ihre Zusammenarbeit im Innen- und Außenverhältnis so gestalten, wie dies für eine Gemeinschaftspraxis (heute: Berufsausübungsgemeinschaft) typisch ist. Eine solche Form der Kooperation kann zu einem sehr hohen Anteil an Patienten führen, an deren Behandlung sowohl der betroffene Arzt als auch der bzw. die Kollege(n) gemeinsam beteiligt sind. Ein hoher gemeinsamer Patientenanteil spricht stets dafür, dass die Rechtsform der Praxisgemeinschaft im Praxisalltag nicht transparent realisiert wurde. Zur Frage, ab welcher Größenordnung ein in diesem Sinne auffälliger Anteil gemeinsam behandelter Patienten vorliegt, wird in dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 22. März 2006 zwar nicht abschließend Stellung genommen. Es wird aber auf die Richtlinien hingewiesen, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen vereinbart haben und nach denen bereits bei 20 Prozent Patientenidentität - bzw. bei 30 Prozent im Falle gebiets-/versorgungsübergreifender Praxisgemeinschaften - eine Abrechnungsauffälligkeit anzunehmen ist. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts liegt jedenfalls dann, wenn zwei kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebiets mehr als 50 Prozent der Patienten gemeinsam behandeln, eine für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende gemeinschaftliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit mit Behandlung eines gemeinsamen Patientenstamms vor (Bundessozialgericht, Beschluss vom 11. Mai 2011, B 6 KA 1/11 B, zitiert nach juris, dort Rdnr.11; ebenso: Beschluss vom 6. Februar 2013, B 6 KA 43/12 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 6; Urteil des Senats vom 25. März 2015, L 7 KA 5/12, dort Patientenidentität über sieben Quartale von durchschnittlich 72,7 Prozent); eine Patientenidentität von so großem Ausmaß ist nur vorstellbar mit Hilfe der Koordinierung des Patientenaufkommens in einer für Gemeinschaftspraxen typischen einheitlichen Praxisorganisation.
Im Falle der Klägerin betrug das gemeinsame Patientenaufkommen im streitigen Quartal II/2007 21,37 Prozent, ausgehend auch nur vom (kleineren) Patientenkollektiv des Arztes Dr. Hahn; bezogen auf die Praxis der Klägerin lag die Patientenidentität mit 19,3 Prozent sogar unter 20 Prozent (178 von 923Fällen). Das "Aufgreifkriterium", das nicht mit der automatischen Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs gleichgesetzt werden darf, mag damit erfüllt sein; zugleich ist der Fall aber weit entfernt von der 50 Prozent-Grenze, bei deren Überschreiten von einem Gestaltungsmissbrauch auszugehen ist. Grundsätzlich ist auch dann von einer missbräuchlichen Nutzung der Kooperationsform Praxisgemeinschaft auszugehen, wenn die Praxisgemeinschaftspartner nur zwischen 20 Prozent und 50 Prozent der Patienten gemeinsam behandelt haben, sich aber anhand weiterer Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die Ärzte tatsächlich wie die Mitglieder einer Gemeinschaftspraxis zusammenarbeiten (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. März 2012, L 3 KA 103/08, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24). An solchen ins Gewicht fallenden "weiteren Umständen" fehlt es vorliegend zur Überzeugung des Senats. Im Gegenteil hat das Sozialgericht zutreffend herausgearbeitet, dass die Quote der Patientenidentität sicher unter 20 Prozent sinkt, sofern man die im Quartal II/2007 unstreitig angefallenen Vertreterfälle herausrechnet. Eine solche Herausrechnung ist indessen geboten, weil im Wege von Praxisvertretung gewonnene Patientenidentität nicht auf einen Missbrauch der Gestaltungsform "Praxisgemeinschaft" schließen lässt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O., Rdnr. 27). Zugleich ist nicht erkennbar, dass die Vertretungsleistungen im maßgeblichen Abrechnungsquartal so verteilt waren, dass diese überwiegend an den zwischen den Praxisgemeinschaftspartnern abgestimmten Abwesenheitszeiten stattgefunden haben. Erst die periodisch stetig wiederkehrende Anhäufung derartiger "Vertreterfälle" kann als Beleg für einen rechtswidrigen Gestaltungsmissbrauch herangezogen werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O., Rdnr. 30). Hier ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die Praxisgemeinschaftspartner gezielt "freie Tage" (beispielsweise zur Durchführung von Hausbesuchen) organisiert haben, um zugunsten des weiteren Mitglieds der Praxisgemeinschaft Vertreterfälle abrechnen zu können. Zu Recht hat das Sozialgericht insoweit darauf hingewiesen, dass beide Praxisgemeinschaftspartner im streitigen Quartal zusammen gut 20 Tage Urlaub hatten, an denen es zu Vertreterfällen kam. Dies macht etwa ein Drittel der Quartalsarbeitstage aus. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner detaillierten Analyse auf der Basis konkreter Fallzahlen, dass die Quote gemeinsam behandelter Patienten weit unter 20 Prozent sinkt, wenn die Vertreterfälle herausgerechnet werden. Dass die Vertretungen der Beklagten jeweils nicht angezeigt wurden und es auch sonst zu unrichtigen Abrechnungen kam, darf der Klägerin im vorliegenden Zusammenhang nicht angelastet werden; hierauf hätte die Beklagte anderweitig reagieren können bzw. müssen, aber nicht mit einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung wegen angenommenen Gestaltungsmissbrauchs.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Gründe für eine Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG, bestehen nicht.
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