L 1 KR 265/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 2282/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 265/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Kostenerstattung für eine Behandlung mit einer Kopforthese.

Der 2013 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Familienangehöriger krankenversichert. Am 8. August 2013 ging bei der Beklagten das Kostenübernahmegesuch für eine Kopforthesentherapie ein. Vorgelegt wurde ein Arztbericht des Arztes für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. B vom 26. Juli 2013, wonach beim Kläger eine nichtsynostotische Plagiocephalie (asymmetrische Abflachung rechts mit frontaler Beteiligung links) vorliegen würde. Damit sei die Indikation zur Kopforthesentherapie gestellt. Die Kosten für die ambulant durchzuführende Kopforthesentherapie betrügen insgesamt 1.819,00 EUR.

Bereits zuvor, am 25. Juli 2013, bestellten die Eltern für den Kläger die Kopforthese.

Die Beklagte befragte den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK). Dieser befand in seiner von Dr. K erstellten sozialmedizinischen Stellungnahme vom 16. August 2013, dass der Krankheitswert eines nichtsynostotischen Lagerungs-Plagiocephalus ohne Einengung von Hirnnerven–Durchtrittspunkten bislang nicht geklärt sei. Auch stelle die Gesamtstrategie einer neuropädiatrisch supervidierten Kopforthesenversorgung eine konzeptionelle neue ärztliche Behandlungsmethode dar. Diese sei keineswegs auf eine orthopädie-technische Intervention zu reduzieren. Aufgrund klinischer Untersuchungen bestünde die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich der Befund des Plagiocephalus während der nächsten Monate und dem weiteren Verlauf normalisieren werde. Die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung seien nicht erfüllt.

Die C stellte den Eltern des Klägers unter dem 19. August 2013 1.819,00 EUR in Rechnung. Als Lieferdatum ist der 7. August 2013 angegeben.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20. August 2013 die Kostenübernahme ab.

Den Widerspruch hiergegen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2013 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 4. November 2013 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Klagebegründung hat er vorgetragen, die Kopforthesenbehandlung sei ein zur Sicherung der Krankenbehandlung erforderliches Hilfsmittel gewesen. Eine Lagerungsbehandlung sei zuvor erfolglos versucht worden. Es sei auch nicht damit zu rechnen gewesen, dass es zu einer Spontankorrektur komme, da eine solche nur bis zum 4. oder 5. Lebensmonat eintrete. Um Spätfolgen zu vermeiden, sei eine Helmtherapie medizinisch indiziert gewesen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 7. Juli 2014 abgewiesen. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) als einziger Anspruchsgrundlage auf Kostenerstattung wie Freistellung von Kosten scheitere daran, dass der Kläger die Kopftorthese bereits verbindlich bestellt habe, bevor der Kostenübernahmeantrag gestellt worden sei. Im Übrigen gehöre die Kopforthesentherapie nicht zu den Leistungen der Beklagten, da der GBA in seinen Richtlinien die Kopforthesentherapie nicht positiv als ärztliche Behandlungsmethode und auch nicht als Hilfsmittel aufführe.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 21. Juli 2014. Die Mutter des Klägers habe vor Bestellung der Kopforthese bei der Beklagten angerufen und nachgefragt, ob die Kosten übernommen würden. Der das Telefonat führende Mitarbeiter habe dies bejaht und mitgeteilt, hinterher solle einfach die Rechnung geschickt werden. Er hat ergänzend auf das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 7. Januar 2013 (S 13 KR 676/11) hingewiesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 7. Juli 2014 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2013 zu verurteilen, die Kosten für die Heilbehandlung in Höhe von 1.819,00 EUR zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ihre Mitarbeiter hätten keine Zusage erteilt.

Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin am 26. Juni 2015 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Es konnte im Einverständnis aller Beteiligten im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine entschieden werden, §§ 155 Abs. 3, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des SG ist rechtmäßig. Der Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erstattung bzw. Freistellung von den durch die Kopforthesenbehandlung entstandenen Kosten.

Ein solcher Anspruch ist zunächst nicht aufgrund einer Zusicherung entstanden. Eine solche setzt nach § 34 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) voraus, dass sie schriftlich erfolgt ist. Daran fehlt es hier, so dass dahingestellt bleiben kann, ob eine mündliche Zusage erfolgt ist.

Ein Anspruch aus § 13 Abs. 3 SGB V scheidet aus. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angegriffenen Gerichtsbescheid wird zur Vermeidung bloßer Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

Ergänzend ist nur noch anzumerken:

Nach § 13 Abs. 3 SGB V dieser Vorschrift sind Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 SGB V) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V).

Aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 SGB V ergibt sich vorliegend kein Kostenerstattungsanspruch. Die Behandlung mit der Kopforthese war schon nach dem Vorbringen des Klägers kein Notfall einer unaufschiebbaren Leistung, bei der selbst ein Zuwarten um wenige Tage nicht möglich gewesen wäre.

Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V liegen ebenfalls nicht vor. Die Beklagte hat mit ihrem Bescheid vom 28. Juli 2010 nicht eine Leistung zu Unrecht abgelehnt. Der Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V geht nicht weiter als der entsprechende Sachleistungsanspruch. Nur wenn die selbstbeschaffte Behandlung zu denjenigen Leistungen gehört, welche von den Krankenkassen grundsätzlich als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen gewesen wären, kann ein Kostenerstattungsanspruch bestehen (vergleiche BSG vom 27. März 2007 – B 1 KR 17/06 R - juris-Rdnr. 12). Die Kopfprothese nach Maß gehört aber nicht zu den von der Beklagten zu erbringenden Sachleistungen.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 SGB V die ärztliche Behandlung sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln. Als Hilfsmittel nach § 33 SGB V sind die Gegenstände anzusehen, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder einer Behinderung vorzubeugen oder sie auszugleichen, soweit sie nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen sind. Eine Kopforthese wird zwar zu medizinischen Zwecken eingesetzt und ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die Voraussetzungen des Sachleistungsanspruchs für eine Kopforthese bestimmen sich aber entgegen dem Sozialgericht Dresden (Urt. v. 8. Juni 2011 – S 15 KR 286/10) nicht allein nach § 33 SGB V. Denn der Kläger hat vorliegend sich nicht nur ein Hilfsmittel selbst beschafft, sondern bei der Verwendung des Hilfsmittels auch Leistungen der ärztlichen Behandlung in Anspruch genommen. Die Helmtherapie von Kindern mittels einer Kopfprothese erschöpft sich nämlich nicht in der Überlassung eines Hilfsmittels. Die Verwendung der Kopfprothese ist vielmehr untrennbar mit ärztlichen Behandlungsleistungen verbunden (Urteil des Senats vom 12. Juni 2015 - L 1 KR 261/13- mit weiteren Nachweisen der Entscheidungen anderer LSG; so bereits auch Urt. v. 19. Oktober 2012 – L 1 KR 140/12 – juris Rdnr.-25). Während der Therapiedauer müssen regelmäßige Kontrollen und gegebenenfalls Anpassungen erfolgen. Insoweit lag kein isolierter Einsatz eines Hilfsmittels vor, das dem Ausgleich einer Behinderung diente, sondern wurde das Hilfsmittel Kopforthese im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingesetzt, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern. Entsprechend formulierte auch der behandelnde Arzt Dr. B in seinem Abschlussbericht vom 24. Januar 2011, dass nach neun Wochen Behandlungszeit die konservative Kopforthesentherapie beendet werde und ein (stabiles) Ergebnis der Behandlung vorliege.

Da der Einsatz der Kopforthese damit Teil eines ärztlichen Behandlungsplans und verfahrens ist, müssen auch in Bezug auf die ärztliche Behandlung die Voraussetzungen einer Leistungspflicht der Beklagten gegeben sein, damit das Hilfsmittel übernommen werden kann. Es fehlt aber an einer Leistungspflicht für die der Verwendung des Hilfsmittels zugrunde liegenden ärztlichen Behandlung. Die Helmtherapie ist eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V, für die es keine Anwendungsempfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses gibt und die deswegen nach § 135 Abs. 1 Satz 3 SGB V von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden kann. Ist ein Hilfsmittel Teil einer (neuen) Behandlungsmethode im Rahmen einer Krankenbehandlung, kann es nur zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, wenn die ärztliche Behandlungsmethode in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses positiv gelistet ist. Neu im Sinne des § 135 SGB V ist die Helmtherapie deswegen, weil sie zum Zeitpunkt der Behandlung nicht als abrechenbare ärztliche Leistung im EBM-Ä aufgeführt war (vgl. BSG v. 26. September 2006 – B 1 KR 3/06 R – juris Rn 17). Die bei der Behandlung als Hilfsmittel eingesetzte Kopforthese ist von dem zugrunde liegenden Behandlungskonzept und den dafür geltenden Anforderungen nicht zu trennen. Die Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst demgemäß auch das im Rahmen der Behandlung im Wege der Helmtherapie eingesetzte Hilfsmittel selbst (LSG Baden-Württemberg v. 24. Februar 2015 – L 11 KR 329/14 – juris Rn 24; Sächsisches LSG v. 11. Oktober 2013 – L 1 KR 132/11 – juris Rn 56/57; LSG Berlin-Brandenburg v. 19. Oktober 2012 – L 1 KR 140//12 – juris Rn 25).

Es liegt schließlich auch kein Fall des Systemversagens vor, in dem die Krankenkassen ausnahmsweise auch ohne Anwendungsempfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses verpflichtet wären, die betroffenen Behandlungsleistungen zu erbringen. Ein Systemversagen setzt voraus, dass das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß betrieben worden ist (BSG v. 26. September 2006 – B 1 KR 3/06 R - juris Rn 24) oder dass eine sehr seltene Krankheit vorliegt, die sich einer systematischen Erforschung entzieht (BSG v. 19. Oktober 2004 – B 1 KR 27/02 R – juris Rn 29). Nach § 2 Abs. 1a SGB V kann daneben noch - in Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss v. 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98) Anspruch auf Leistungen bestehen, wenn Versicherte an einer lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung leiden, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht. Diese Voraussetzungen liegen hier sämtlich nicht vor. Dem Gemeinsamen Bundesausschuss kann nicht vorgeworfen werden, dass er zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistung durch den Kläger in Bezug auf die Bewertung der Helmtherapie untätig geblieben war oder das Verfahren sonst fehlerhaft betrieben hätte. Ein Antrag auf Bewertung der Helmtherapie lag nämlich jedenfalls damals nicht vor – woran sich bis heute nichts geändert hat (vgl. www.g-ba.de). Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf das Vorliegen eines sogenannten Seltenheitsfalles berufen. Insoweit knüpft die zu erwägende Erweiterung der Leistungspflicht gerade an den Umstand an, dass bestimmte Krankheiten im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden können. So liegt es hier aber nicht. Wie sich aus der Stellungnahme des MDK ergibt, sind das Erkrankungsbild und mögliche Behandlungsmaßnahmen bei Vorliegen einer nicht-synostotischen Schädelasymmetrie der medizinischen Fachwelt durchaus bekannt. Auch eine notstandsähnliche Situation im Sinne von § 2 Abs. 1 a SGB V lag nicht vor. Es fehlt insoweit bereits an dem Vorliegen einer lebensbedrohlichen bzw. gleichstehenden Erkrankung. Soweit das Sozialgericht Koblenz dies in dem dort am 7. Januar 2013 entschiedenen Fall zum Az. S 13 KR 676/11 anders gesehen hat, vermag sich der Senat dieser Beurteilung jedenfalls für den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuschließen (so auch bereits Urteil vom 12. Juni 2015). Auch der behandelnde Arzt Dr. B hat für den Fall des Ausbleibens einer Behandlung des Klägers im Wege der Helmtherapie keine Folgeerkrankungen in Aussicht gestellt, deren Ausmaß und Intensität mit dem Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbar wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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