S 6 R 324/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 R 324/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 R 62/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger. Der Streitwert wird auf 145.173,04 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Summenbeitragsbescheid der Beklagten.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist Inhaber des Q. in X. Nachdem er in der Vergangenheit Schwarzlöhne an verschiedene Angestellte gezahlt hatte, leitete zunächst die Steuerfahndung L., Finanzamt für Steuerstrafsachen, ein Ermittlungsverfahren ein. Im Verlauf dieses Ermittlungsverfahrens wurde u.a. die ehemalige Prokuristin des Klägers, Frau N., als Zeugin zu den geleisteten Schwarzlohnzahlungen vernommen. Nach Einleitung eines Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft N. (Az.: 602 Js 064/04) trafen der Kläger und das Finanzamt F. unter dem 11.10.2004 eine verbindliche Einigung über die tatsächliche und rechtliche Bewertung des steuerlich relevanten Sachverhalts ("tatsächliche Verständigung"). Im Rahmen dieser Vereinbarung räumte der Kläger u.a. Schwarzlohnzahlungen in den Jahren 1995 bis Oktober 2003 an nicht näher bezeichnete Angestellte ein. Die tatsächliche Verständigung geht insoweit von folgenden Nettolohnbeträgen aus: Für das Wirtschaftsjahr 1995/96 von 52.000,- DM, für das Wirtschaftsjahr 1996/97 von 52.000,- DM, für das Wirtschaftsjahr 1997/98 von 104.000,- DM, für das Wirtschaftsjahr 1998/99 von 104.000,- DM, für das Wirtschaftsjahr 1999/00 von 106.000,- DM, für das Wirtschaftsjahr 2000/01 von 106.000,- DM, für das Wirtschaftsjahr 2001/02 von 65.790,- Euro, für das Wirtschaftsjahr 2002/03 von 65.000,- Euro und für die Zeit von Juli bis Oktober 2003 von 12.000,- Euro. Der Kläger unterwarf sich in Höhe dieser Nettobeträge als Haftungsschuldner der Lohnsteuer mit einem Bruttosteuersatz von 21,55%. Auf der Grundlage der tatsächlichen Verständigung erließ das Finanzamt F. am 06.01.2005 für den Zeitraum vom 01.01.1995 bis 31.12.2003 einen mittlerweile bestandskräftigen Haftungsbescheid in Höhe von 99.923,47 Euro. Nach erneuter Vernehmung des Klägers setzte das Amtsgerichts N. am 19.10.2004 den gegen den Kläger ergangenen Haftbefehl außer Vollzug.

Unter dem 04.04.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beabsichtige, für die Zeit vom 01.07.1995 bis 31.10.2003 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 361.975,- Euro (darin enthalten Säumniszuschläge in Höhe von 130.904,02 Euro) nachzufordern und forderte ihn auf, für sämtliche Arbeitnehmer prüffähige Unterlagen vorzulegen. Anderenfalls werde sie Sozialversicherungsbeiträge nachberechnen und in Form eines Summenbeitragsbescheides festsetzen.

Mit Schreiben vom 15.06.2005 räumte der Kläger für die Zeit von 1996 bis 2003 Schwarzlohnzahlungen an fünf namentlich benannte Arbeitnehmer in Höhe von insgesamt 69.908,01 Euro ein und führte aus, weitere Schwarzlohnzahlungen seien nicht erfolgt. Hierzu verwies er auf schriftliche Bestätigungen weiterer Arbeitnehmer, die ausgeführt hatten, keine Schwarzlohnzahlungen erhalten zu haben. Mit Summenbescheid vom 28.12.2005 forderte die Beklagte vom Kläger für den Zeitraum vom 01.07.1995 bis 31.10.2003 Sozialversicherungs- und Umlagebeiträge in Höhe von 184.887,36 Euro nach und berechnete Säumniszuschläge hieraus in Höhe von 104.738,47 Euro (insgesamt 289.625,83 Euro). Zur Begründung führte sie aus, die vom Kläger eingeräumten Schwarzlohnzahlungen entsprächen nicht den von den vernommenen Zeugen eingeräumten Schwarzlohnzahlungen. Zutreffend seien hingegen die im Rahmen der tatsächlichen Verständigung festgestellten Lohnsummen. Dies zeige auch der Umstand, dass der Kläger den daraufhin ergangenen Haftungsbescheid des Finanzamtes F. vom 06.01.2005 habe bestandskräftig werden lassen. Die Beklagte habe indessen unter Berücksichtigung aller Unwägbarkeiten des Einzelfalles (z.B. der Beschäftigung von Personen, die möglicherweise nicht der Versicherungspflicht unterlegen haben können) lediglich 80% der im Rahmen der tatsächlichen Verständigung festgestellten Lohnsummen angesetzt und hieraus die nachgeforderten Sozialversicherungsbeiträge berechnet. Dabei habe sie berücksichtigt, dass für die Zeit bis zum 31.07.2002 die Sozialversicherungsbeiträge aus dem gezahlten Arbeitsentgelt zzgl. der zu zahlenden Steuern zu berechnen seien. Für die Zeit ab dem 01.08.2002 habe sie in Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV einen geschätzten Nettolohn zu Grunde gelegt, diesen auf den Bruttolohn hochgerechnet und hieraus die nachgeforderten Beiträge berechnet. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Anlagen zum Beitragsbescheid vom 28.12.2005 verwiesen. Der Kläger legte am 23.01.2005 Widerspruch ein und führte aus, die tatsächliche Verständigung vom 11.10.2004 binde die Beteiligten des sozialverwaltungsrechtlichen Verfahrens nicht. Auf der Grundlage der vorgelegten Erklärungen der Arbeitnehmer und der eingeräumten Schwarzlohnzahlungen hätte die Beklagte weitere Ermittlungen durchführen müssen. Mit Urteil vom 05.10.2005 verurteilte das Amtsgericht N. den Kläger wegen Steuerhinterziehung, wobei Schwarzlohnzahlungen des Klägers (mit Ausnahme eines Falles) ausgeklammert wurden. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen zurück.

Hiergegen richtet sich die am 08.12.2006 erhobene Klage.

Der Kläger ist der Ansicht, die Voraussetzungen für einen Summenbescheid lägen nicht vor. Angesichts der vom Kläger im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorgelegten Bescheinigungen weiterer Arbeitnehmer, über die eingeräumten 69.908,01 Euro hinaus keine Schwarzlohnzahlungen erhalten zu haben, hätte die Beklagte eine weitere Sachverhaltsaufklärung vornehmen und die (früheren) Beschäftigten selbst befragen müssen, zumal erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugin N. bestünden. Da es - ggf. nach Durchführung weiterer Ermittlungen - möglich gewesen sei, eine individuelle Zuordnung von Arbeitsentgelt vorzunehmen, sei der erlassene Summenbescheid rechtswidrig. Überdies sei der Summenbescheid auch deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte das darin zu Grunde gelegte Arbeitsentgelt geschätzt habe. Angesichts der vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen hätte die Beklagte das gezahlte Arbeitsentgelt ohne unverhältnismäßig großen Aufwand ermitteln können. Überdies seien die tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen, unter denen die tatsächliche Verständigung zu Stande gekommen sei. Diese sei in erster Linie geschlossen worden, damit der - seinerzeit gesundheitlich angeschlagene - Kläger habe aus der Haft entlassen werden können. Erst nach Entlassung aus der Haft und Besserung seines Gesundheitszustandes sei der Kläger in der Lage gewesen, die Vorgänge aufzuarbeiten und die geleisteten Schwarzlohnzahlungen zu rekonstruieren.

Das Gericht hat nach Durchführung eines Erörterungstermins am 04.04.2008 eine Probeberechnung der Beklagten unter Zugrundelegung der vom Kläger eingeräumten Schwarzlohnzahlungen in Höhe von 69.908,01 Euro veranlasst. Die Beklagte hat hieraus unter dem 08.04.2008 für die vom Kläger namentlich benannten Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 39.714,32 Euro sowie Säumnizuschläge in Höhe von 19.406,08 Euro (insgesamt 59.120,40 Euro) ermittelt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 28.12.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2006 in Höhe von 230.505,43 Euro aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.

Die Beigeladenen zu 1) bis 5) stellen keinen eigenen Antrag.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten und auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte in Abwesenheit von Vertretern der Beigeladenen zu 1) bis 4) aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, weil die Beigeladenen in der schriftlichen Terminsladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind, §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 124 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), zumal die Beigeladenen zu 1) bis 4) mitgeteilt haben, einen Vertreter nicht entsenden zu wollen.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind.

Rechtsgrundlagen für die angefochtenen Beitragsbescheide sind die §§ 28p Abs. 1 Satz 5, 28f Abs. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV).

Die formell-rechtlichen Anforderungen sind gewahrt. Insbesondere hat die Beklagte § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) dadurch Rechnung getragen, dass sie dem Kläger unter dem 04.04.2005 mitgeteilt hat, dass sie beabsichtigt, einen entsprechenden Summenbescheid zu erlassen und ihm Gelegenheit gegeben hat, sich innerhalb von drei Wochen nach Zugang des Anhörungsschreibens hierzu zu äußern.

Die angefochtenen Bescheide erweisen sich auch materiell rechtmäßig. Insbesondere liegen die Voraussetzungen für den Erlass eines Summenbeitragsbescheides nach § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV vor. Denn die konkrete Beitragshöhe konnte nicht festgestellt werden, weil der Kläger die ihm nach § 28f Abs. 1 Satz 1 SGB IV obliegende Aufzeichnungspflicht verletzt hat, was auch vom Kläger selbst nicht in Zweifel gezogen wird.

Entgegen der Auffassung des Klägers steht dem auch nicht § 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV entgegen. Nach dieser Vorschrift gilt § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Der prüfende Rentenversicherungsträger hat also vor Erlass des Summenbescheides trotz Verletzung der Aufzeichnungspflicht durch den Arbeitgeber entsprechend den Grundsätzen der §§ 20, 21 SGB X Ermittlungen anzustellen, soweit diese das Gebot der Verhältnismäßigkeit des Verwaltungshandelns nicht verletzen (Sehnert, in: Hauck/Noftz, Stand: 2008, § 28 SGB IV Rdnr. 7). Maßstab für die Verhältnismäßigkeit ist das Verhältnis von Aufwand und Ertrag; dabei können die Zahl der zu ermittelnden Fälle, der im Einzelfall geringe Betrag und dessen geringe Bedeutung für den einzelnen Versicherten, aber auch aufwändige Feststellungen die Unverhältnismäßigkeit begründen. Die personenbezogene Zuordnung der Entgelte für den einzelnen Beschäftigten hat erhebliche Bedeutung, wenn die Beschäftigung "schwarz" erfolgte, d.h. Sozialversicherungsbeiträge nicht entrichtet worden sind. Denn damit geht es um die Versicherungs- und Beitragspflicht der Beschäftigten überhaupt und somit um wesentliche Belange für jeden von ihnen. Auch ist zu berücksichtigen, dass die in § 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV geforderten Ermittlungen nicht zuletzt dazu dienen sollen, den aus der Beitragserhebung Begünstigten zu ermitteln (LSG Berlin, Urteil vom 09.07.2003, L 9 KR 373/01, juris). Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben hätte im vorliegenden Fall eine personenbezogene Zuordnung ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand nicht erfolgen können. Die Kammer hat für die Beurteilung der (Un-)Verhältnismäßigkeit im Sinne von § 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV die Interessen der vom Kläger noch im Verwaltungsverfahren namentlich benannten Empfänger von Schwarzlohnzahlungen von vornherein außer Betracht gelassen. Zwar wäre eine personenbezogene Beitragserhebung (notfalls aufgrund geschätzter Bemessungsgrundlage) namentlich in ihrem Interesse, weil sich dadurch ihre Rentenanwartschaften erhöhen würden. Jedoch hat der Kläger insoweit ausdrücklich erklärt, dass er die Beitragsforderung der Beklagten (und zwar auch, soweit diese durch Summenbescheid festgesetzt worden ist) auf der Grundlage einer Lohnsumme von 69.908,01 Euro akzeptiert und seine Klage insoweit beschränkt. Bedenken gegen eine derartige "Teilung" des Summenbescheides bestehen nicht. Wie der Wortlaut von § 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV ("soweit") zeigt, ist selbst eine Teilung in einen personenbezogenen Bescheid und einen Summenbescheid denkbar, wenn die Interessen der durch die Beitragserhebung Begünstigten dies gebieten. Als Maßstab für die Verhältnismäßigkeit war im vorliegenden Fall allerdings das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu berücksichtigen. Zwar ging es um nicht unerhebliche Summen und zudem um Schwarzlohnzahlungen, so dass - gemessen hieran - auch ein erheblich größerer Aufwand an Ermittlungsarbeit, §§ 20, 21 SGB X, zu betreiben war. Indessen führt selbst diese Erwägung nicht dazu, dass eine personenbezogene Zuordnung mit verhältnismäßigem Aufwand hätte erfolgen können. Denn unter Berücksichtigung des Ergebnisses der bisherigen von der Staatsanwaltschaft bzw. den Finanzbehörden durchgeführten Ermittlungen hätten für eine personenbezogene Zuordnung derart aufwändige Feststellungen erfolgen müssen, dass von einer Unverhältnismäßigkeit auszugehen ist. Soweit der Kläger auf seine Beteuerungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren verweist, über die eingeräumte Gesamtlohnsumme in Höhe von 69.908,01 Euro hinaus seien keine weiteren Schwarzlöhne gezahlt worden, so steht dem die mit dem Finanzamt F. vereinbarte tatsächliche Verständigung vom 11.10.2004 entgegen. Zwar entfaltet diese keine normative Bindungswirkung für die Beteiligten des sozialverwaltungsrechtlichen Verfahrens. Indessen sind die der tatsächlichen Verständigung zu Grunde gelegten Sachverhalte und damit auch die dort festgelegte Lohnsumme für die Beurteilung der (Un-)Verhältnismäßigkeit im Sinne des § 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV heranzuziehen. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die aus der tatsächlichen Verständigung gewonnenen Erkenntnisse in die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 2 SGB IV mit hat einfließen lassen. Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben durfte die Beklagte auch den Umstand in ihre Verhältnismäßigkeitserwägungen miteinbeziehen, dass die im Rahmen der tatsächlichen Verständigung zu Grunde gelegte Lohnsumme weit über die vom Kläger eingeräumten Schwarzlohnzahlungen in Höhe von 69.908,01 Euro hinausging. Dann aber sprach vieles dafür, dass entweder für bislang namentlich nicht bekannte weitere Beschäftigte Schwarzlöhne gezahlt worden waren oder die namentlich benannten Empfänger von Schwarzlohnzahlungen entgegen den Beteuerungen des Klägers weitaus höhere Zahlungen erhalten hatten. In beiden Fällen aber hätte eine personenbezogen Zuordnung von der Beklagten nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erfolgen können. Denn es hätte für eine Sachverhaltsaufklärung, die eine personenbezogene Zuordnung erlaubt, keineswegs ausgereicht, die vom Kläger namentlich benannten Empfänger von Schwarzlohnzahlungen zu vernehmen. Vielmehr hätten praktisch für den gesamten streitgegenständlichen Raum Ermittlungen des Inhalts durchgeführt werden müssen, welche Arbeitnehmer zu welcher Zeit ebenfalls beim Kläger angestellt waren und es hätten weiter Ermittlungen durchgeführt werden müssen, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang diese weiteren Beschäftigten Schwarzlohnzahlungen erhalten haben. Durfte die Beklagte aber bereits aufgrund der vom Kläger im Rahmen der tatsächlichen Verständigung eingeräumten Lohnsummen von einer Unverhältnismäßigkeit im Sinne von § 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV ausgehen, so spielt es keine Rolle, dass sich Diskrepanzen zwischen der Aussage der Zeugin N. im Ermittlungsverfahren und den schriftlichen Bestätigungen weiterer Arbeitnehmer des Klägers ergaben, die bekundet haben, keine Schwarzlohnzahlungen erhalten zu haben.

Es steht weiter mit materiellem Recht in Einklang, dass die Beklagte die im Beitragsbescheid zu Grunde gelegten Arbeitsentgelte unter Berücksichtigung der in der tatsächlichen Verständigung zu Grunde gelegten Schwarzlohnzahlungen (abzüglich eines "Sicherheitsabschlags" von 20%) geschätzt hat. Nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV hat der prüfende Rentenversicherungsträger die Höhe der Arbeitsentgelte zu schätzen, soweit er diese nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann. Für den Begriff der Unverhältnismäßigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist sinngemäß der gleiche Maßstab anzulegen, wie für den gleichen Begriff in § 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV (vgl. nur LSG Berlin, Urteil vom 25.08.2004, L 9 KR 63/02, juris). Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben hätte eine Ermittlung der Höhe der vom Kläger gezahlten Arbeitsentgelte nur mit unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand erfolgen können. Die Kammer hat auch hier die Interessen der vom Kläger namentlich benannten Empfänger von Schwarzlohnzahlungen außer Betracht gelassen, weil der Kläger den von der Beklagten erlassenen Summenbescheid insoweit nicht angefochten hat. Unter Berücksichtigung des Ermittlungsaufwands aber, den die Beklagte hätte betreiben müssen, um die Höhe der gezahlten Arbeitsentgelte zu ermitteln, erschiene dies unverhältnismäßig. Zu diesem Ergebnis kommt die Kammer angesichts der erheblichen Diskrepanz zwischen den vom Kläger eingeräumten Lohnsummen und den im Rahmen der tatsächlichen Verständigung festgelegten Lohnsummen. Da zwischen beiden Summen ein so gravierender Unterschied besteht, hätte es für eine Ermittlung der Höhe des gezahlten Arbeitsentgeltes nicht - wie der Kläger meint - ausgereicht, die benannten Empfänger zu weiteren Schwarzlohnzahlungen zu vernehmen. Vielmehr hätte die Beklagte auch hier zunächst für den gesamten Zeitraum sämtliche Personen ermitteln müssen, die für weitere Schwarzlohnzahlungen überhaupt in Betracht kommen und diese Personen weiter dazu vernehmen müssen, ob und ggf. in welchem Umfang sie Schwarzlohnzahlungen vom Kläger erhalten haben. Dann aber wäre das Verhältnis von Aufwand und Ertrag selbst in Anbetracht der erheblichen in Rede stehenden Summen nicht mehr gewahrt gewesen. Soweit der Kläger demgegenüber ausführt, die in der tatsächlichen Verständigung festgelegte Lohnsumme habe im sozialverwaltungsrechtlichen Verfahren auch deshalb keine Berücksichtigung finden dürfen, weil die tatsächliche Verständigung seinerzeit abgeschlossen worden sei, damit er habe aus der Haft entlassen werden können, so vermag die Kammer diese Argumentation bereits deshalb nicht nachzuvollziehen, weil der Kläger immerhin auch den auf der tatsächlichen Verständigung fußenden Haftungsbescheid des Finanzamtes F. vom 06.01.2005 hat bestandskräftig werden lassen, der deutlich nach Außervollzugsetzung des Haftbefehls durch Beschluss des Amtsgerichts N. vom 19.10.2004 ergangen ist.

Auch was die Höhe der Sozialversicherungs- und Umlagebeiträge aus den von der Beklagten in Einklang mit § 28f Abs. 2 SGB IV zu Grunde gelegten Lohnsummen angeht, ist die Berechnung der Beklagten nicht zu beanstanden. Der Umfang der Beitragspflicht bemisst sich für alle Zweige der Sozialversicherung nach dem Arbeitsentgelt (für die gesetzliche Krankenversicherung § 226 Abs. 1 Nr.1 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), für die gesetzliche Rentenversicherung § 162 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI), für die gesetzliche Pflegeversicherung § 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) und für die Arbeitslosenversicherung § 342 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch – Arbeitsförderung, SGB III [bzw. bis 31.12.1997 § 175 Abs. 1 Nr. 1 AFG]). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Die Beklagte hat insoweit zutreffend berücksichtigt, dass für die Zeit vom 01.07.1995 bis 31.07.2002 die zugrunde gelegten Lohnsummen (unter Berücksichtigung der Steuern, die von den Arbeitnehmern zu zahlen gewesen wären) in beitragspflichtiges Arbeitsentgelt umzurechnen waren (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1988, 12 RK 36/86, BSGE 64, 110 ff.). Für die Zeit ab 01.08.2002 hat die Beklagte in Einklang mit § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV von der dort normierten Nettolohnvereinbarungsfiktion Gebrauch gemacht. Was die Höhe der einzelnen Beitragssätze sowie die Einzelheiten der Berechnung angeht, so verweist die Kammer auf die Anlagen zum Beitragsbescheid vom 28.12.2005 sowie auf die umfangreiche Berechnung der Beklagten vom 08.04.2008, die sich sich nach Prüfung zu eigen macht.

Die nach alldem auch in der von der Beklagten zu Grunde gelegten Höhe bestehenden Beitragsansprüche sind auch nicht verjährt. Denn es handelt sich unzweifelhaft um Ansprüche auf vorenthaltene Beiträge, die nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV erst dreißig Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres verjähren, in dem sie fällig geworden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1, Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Sie berücksichtigt, dass der Beitragsbescheid lediglich in Höhe von 230.505,43 Euro angegriffen worden ist und dass außerdem analog § 43 Abs. 1 GKG die (aus der Summe von 230.505,43 Euro) berechneten Säumniszuschläge außer Betracht bleiben. Dies zu Grunde gelegt, errechnet sich der aus dem Tenor ersichtliche Streitwert (184.887,36 Euro abzüglich 39.714,32 Euro).
Rechtskraft
Aus
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