Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
173
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 173 AS 23394/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II erlaubt bei mehreren Darlehen nicht die Tilgung durch Aufrechnung gegenüber dem Leistungsberechtigten in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs je Darlehen. Die Tilgung für mehrere Darlehen ist insgesamt auf 10 Prozent begrenzt. § 43 Abs. 3 SGB II kann nicht analog angewandt werden.
Die Aufrechnungsverfügung des Beklagten im Darlehensbescheid vom 12.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2014 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Aufrechnung seitens des Beklagten betreffend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Klägerin bezieht seit Oktober 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II von dem Beklagten. Mit Schreiben vom 16.01.2014 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Übernahme einer Nachforderung ihres Stromlieferanten. Sie gab dabei an, 40,00 EUR monatlich zurückzuzahlen. Mit Bescheid vom 21.01.2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin ein Darlehen zur Bewältigung der Nachforderung in Höhe von 654,42 EUR. Zugleich bestimmte der Beklagte in diesem Bescheid, dass die Rückzahlung des Darlehens durch Aufrechnung mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 40,00 EUR monatlich erfolgen sollte. Seit Februar 2014 behält die Klägerin dementsprechend Leistungen in Höhe von 40,00 EUR ein. Der Beklagte bewilligte der Klägerin aufgrund deren Antrags vom 09.05.2014 mit Bescheid vom 12.05.2014 ein weiteres Darlehen in Höhe von 312,00 EUR zur Überbrückung wegen unterschiedlicher Auszahlungszeitpunkte von Arbeitslosengeld II und Arbeitslosengeld. Zugleich bestimmte der Beklagte in diesem Bescheid, dass die Darlehensschuld ab dem 01.06.2014 in Höhe von 39,10 EUR monatlich gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werde. Mit Bewilligungsbescheid vom 13.05.2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 818,00 EUR für April 2014 sowie in Höhe von 516,30 EUR monatlich für die Zeit vom 01.05. bis zum 30.09.2014. Der Bescheid enthielt auf Seite 5 als Bestandteil des Berechnungsbogens eine Auflistung, wie die Leistungen erbracht werden sollten. In Höhe von 79,10 EUR erfolge dies durch "Aufrechnung/Tilgung", im Übrigen durch Überweisung an die Klägerin (397,20 EUR) und an Vattenfall (60,00 EUR). Die Klägerin erhob Widerspruch gegen die Aufrechnungsverfügung vom 12.05.2014 sowie die Bestimmung der Aufrechnung in dem Bewilligungsbescheid vom 13.05.2014 in 40,00 EUR übersteigender Höhe. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2014 wies der Beklagte den Widerspruch gegen die Aufrechnungsverfügung als unbegründet zurück. Bei mehreren Darlehen nach § 42a SGB II ergebe sich eine Gesamtbegrenzung der Aufrechnung entsprechend § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB II auf 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs. Es sei lediglich die Höhe der Tilgungsrate je Darlehen auf 10 % begrenzt.
Mit der am 30.09.2014 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, dass § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II eine über 10 % hinausgehende Aufrechnung nicht zulasse. § 43 Abs. 2 SGB II sei weder direkt noch entsprechend anwendbar. Es fehle sowohl an einer Regelungslücke als auch einer vergleichbaren Interessenlage. Im Unterschied zu den Fällen des § 43 SGB II finde bei Darlehen nach § 42a SGB II keine ungerechtfertigte Überzahlung des Leistungsempfängers statt, sondern die Darlehensbeträge seien zur Deckung konkreter Bedarfe erforderlich. Sofern der Beklagte an das Angebot einer Zahlung von Raten von 40,00 EUR in dem Antrag vom 16.01.2014 negative Rechtswirkungen knüpfe, widerrufe sie dieses. Auch bei einer vertraglichen Rückzahlungsvereinbarung dürfe im Übrigen die 10-%-Grenze nicht überschritten werden.
Die Klägerin beantragt, 1. die Aufrechnungsanordnung des Beklagten im Darlehensbescheid vom 12.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2014 aufzuheben, 2. die Bestimmung der Leistungsart im Bewilligungsbescheid vom 13.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2014 im Hinblick auf die 40,00 EUR übersteigende Aufrechnung aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den ohne diese Aufrechnung bestehenden Leistungsanspruch durch vollständige Auszahlung an die Klägerin zu erbringen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er führt ergänzend an, dass der Betrag in Höhe von 40,00 EUR auf eigenen Wunsch der Klägerin zur Tilgung des Darlehens in Höhe von 654,42 EUR an die BA-SH/Zentralkasse weitergeleitet werde.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 22.10.2014 im Rechtsstreit zum Aktenzeichen S 173 AS 23394/13 ER die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Aufrechnungsverfügung festgestellt und dem Beklagten aufgegeben, die bewilligten, aber bislang nicht ausgezahlten Leistungen in Höhe von 39,10 EUR monatlich für Juni bis September 2014 an die Klägerin zu zahlen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorlagen, Bezug genommen.
Die Klägerin und der Beklagte haben sich mit ihren Schriftsätzen vom 11.11.2014 bzw. 12.11.2014 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
I. Die Klage ist unzulässig, soweit die Klägerin sich gegen die "Bestimmung der Leistungsart" im Bewilligungsbescheid vom 13.05.2014 im Hinblick auf die 40,00 EUR übersteigende Aufrechnung wendet. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei der Erklärung, dass von den der Klägerin bewilligten Leistungen ein Betrag in Höhe von 79,10 EUR durch "Aufrechnung / Tilgung" erbracht werde, d.h. im Ergebnis nicht ausgezahlt wird, nicht um einen anfechtbaren Verwaltungsakt im Sinne der §§ 54 Abs. 1 SGG, 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Verwaltungsakt ist gemäß § 31 Satz 1 SGB X jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Regelung ist eine Entscheidung, die auf die Herbeiführung einer unmittelbaren Rechtsfolge gerichtet ist. Sie ist insbesondere gegeben, wenn und soweit Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt werden oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt wird (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.12.2009 – L 19 B 346/09 AS). Mit der Angabe, wie die bewilligte Leistung erbracht wird, sollte vom maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont keine derartige Entscheidung getroffen werden, sondern eine bloße Mitteilung über die Umsetzung der Aufrechnungsverfügungen erfolgen. Die Entscheidung über den Eingriff in die Rechte der Klägerin war bereits in diesen Aufrechnungsverfügungen getroffen worden. Soweit mit einer (isolierten) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG die Auszahlung bereits aufgerechneter Beträge begehrt wird, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses ebenfalls unzulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung und muss bei jeder Rechtsverfolgung, d.h. jedem an ein Gericht adressierten Antrag, vorliegen. Demnach hat nur derjenige einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt (vgl. LSG Sachsen, Beschluss vom 10.01.2013 – L 3 AS 44/11 B PKH). Das Klageziel kann jedoch bereits mit einer reinen Anfechtungsklage gegen die Aufrechnungsverfügung erreicht werden (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 38a; BSG, Urteil vom 15.02.1979 – 7 RAr 69/78). Die begehrte Aufhebung der Aufrechnungsverfügung hätte zur Folge, dass der Beklagte zur Auszahlung der mit dem Bescheid vom 13.05.2013 bewilligten Leistungen ohne die Berücksichtigung einer Aufrechnung in Höhe von 39,10 EUR verpflichtet wäre. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte sich an ein Aufhebungsurteil betreffend die Aufrechnungsverfügung im Darlehensbescheid nicht halten wird.
II. Im Übrigen ist die Klage als Anfechtungsklage zulässig und begründet. Die Aufrechnungsverfügung des Beklagten im Darlehensbescheid vom 12.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Nach Auffassung der Kammer erlaubt § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II bei mehreren Darlehen nicht die Tilgung durch Aufrechnung in Höhe von 10 % je Darlehen, sondern ist die Tilgung für mehrere Darlehen insgesamt auf 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt, d.h. im Falle der Klägerin 39,10 EUR (dazu 1.). § 43 Abs. 3 SGB II kann nicht analog angewandt werden (so aber die Fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 42a SGB II, Stand: 20.03.2013, Rn. 42a.13; Bender, in: Gagel, SGB II / SGB III, Stand: 56. Ergänzungslieferung Dezember 2014, § 42a SGB II Rn. 24). Die 10-%-Grenze wird vorliegend überschritten (dazu 2.).
1. Gemäß § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II werden, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs getilgt. Die Aufrechnung ist gegenüber den Darlehensnehmern schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären (§ 42a Abs. 2 Satz 2 SGB II). § 43 Abs. 1 SGB II erlaubt dem Grundsicherungsträger, gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Erstattungsansprüchen nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB II, § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB I, § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III oder § 50 SGB X und mit Ersatzansprüchen nach den §§ 34 oder 34a SGB II aufzurechnen. Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II beträgt die zulässige Aufrechnungshöhe entweder 10 % oder 30 %. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB II bestimmt, dass die Höhe der monatlichen Aufrechnung auf insgesamt 30 % des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt ist. Soweit die Erklärung einer späteren Aufrechnung zu einem höheren monatlichen Aufrechnungsbetrag als 30 % führen würde, erledigen sich die vorherigen Aufrechnungserklärungen (Satz 3). Gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB II gilt, wenn in einem Monat Aufrechnungen nach § 43 Abs. 1 SGB II und § 42a Abs. 2 zu vollziehen sind, § 43 Abs. 2 Satz 2 entsprechend. Würden die Aufrechnungen nach § 42a Abs. 2 SGB II und nach § 43 Abs. 1 SGB II den in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB II genannten Betrag übersteigen, erledigt sich die nach § 42a Abs. 2 SGB II erklärte Aufrechnung, soweit sie der Aufrechnung nach § 43 Absatz 1 entgegensteht (§ 43 Abs. 3 Satz 2 SGB II). Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, Rn. 66). § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II enthält keine eindeutige Regelung für den Fall des gleichzeitigen Bestehens mehrerer Darlehensschulden, insbesondere auch keinen Verweis auf § 43 Abs. 2 oder 3 SGB II. Es ist die Rede von "Rückzahlungsansprüchen", also dem Plural, nicht aber von "Aufrechnungen" oder "jeweils 10 Prozent". Dies ist ein Hinweis auf die Begrenzung auch bei mehreren Darlehen auf nur eine Aufrechnung in Höhe von insgesamt 10 % des maßgebenden Regelbedarfs (Greiser, in: Eicher, SGB II, § 42a Rn. 30). Bender (a.a.O.) ist freilich der nicht ganz von der Hand zu weisenden Auffassung, dass aus dem Wortlaut aufgrund der "Formulierungsfähigkeiten des (modernen) Gesetzgebers" kein so weitreichender Begrenzungswillen abgeleitet werden könne. Diese Formulierungsfähigkeit zeigt sich tatsächlich etwa in § 43 Abs. 3 Satz 2 SGB II: Beim Zusammentreffen von Aufrechnungen nach § 43 Abs. 1 SGB II und § 42a Abs. 2 SGB II erledigt sich die nach § 42a Absatz 2 erklärte Aufrechnung, soweit sie der Aufrechnung nach § 43 Abs. 1 SGB II entgegensteht. Insoweit ist das Gesetz sprachlich ungenau, denn es können auch mehrere Aufrechnungen nach § 43 Abs. 1 SGB II mit einer Aufrechnungshöhe von jeweils 10 % und insgesamt 30 % bestehen, die einer Aufrechnung nach § 42a SGB II entgegenstehen. Dementsprechend ist in der Entwurfsbegründung (BR-Drucks. 663/10, S. 66) von dem "Vorrang der Aufrechnungen" nach § 43 Abs. 1 SGB II die Rede. Es ist jedenfalls festzustellen, dass die Annahme einer Begrenzung der Aufrechnungshöhe auf insgesamt 10 % bei mehreren Darlehen mit dem Wortlaut als äußerster Grenze der Auslegung (BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1985 – 1 BvR 1053/82) zu vereinbaren ist. Diese Begrenzung entspricht auch – entgegen der Auffassung Benders – dem Willen des Gesetzgebers, d.h. den Vorstellungen der gesetzgebenden Körperschaft. Es darf angenommen werden, dass zu diesen Vorstellungen die amtliche Begründung eines Regierungsentwurfs zählt, soweit sie im Parlament keinen Widerspruch erfahren hat, obwohl sie bei den Beratungen vorlag. Das "Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch", mit dem § 42a SGB II eingeführt wurde, beruht auf dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21.10.2010 (BR-Drucks. 661/10). Die Bundesregierung äußerte sich in einer Gegenäußerung vom 30.11.2010 zum Vorschlag des Bundesrats, die Aufrechnungshöhe weiter flexibel zu halten und Ansparungen zu ermöglichen (vgl. Beschluss des Bundesrates vom 26.11.2010, BR-Drucks. 661/10 [Beschluss], S. 26 f., BT-Drucks. 17/3958, S. 19), ausdrücklich dahingehend, dass die Tilgung für mehrere Darlehen insgesamt auf 10 % des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt sei, um dem Betroffenen ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu belassen (BT-Drucks 17/3982, S. 10). Diese Gegenäußerung lag vor den Beratungen des Bundestages vor (vgl. Plenarprotokoll 17/77). Sie ist unwidersprochen geblieben und somit vom Willen der gesetzgebenden Körperschaft erfasst. Die Regelung des § 43 Abs. 3 SGB II verdeutlicht diesen Willen und spricht auch in systematischer Hinsicht für eine Aufrechnungshöhe von nicht mehr als 10 % bei mehreren Darlehen. Hier wird deutlich, dass Gesetzgeber nicht davon ausging, es könne mehrere Darlehenstilgungen durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2 SGB II gleichzeitig geben: Er ordnet nämlich lediglich die Erledigung "der" Aufrechnung nach § 42a SGB II an, ohne (wie in § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB II, auf den nicht Bezug genommen wird) eine Kollisionsregelung unter etwaigen Aufrechnungen nach § 42a SGB II zu treffen (z.B. Erledigung der früheren Aufrechnung). Lägen etwa drei Aufrechnungen gemäß § 42a Abs. 2 SGB II in Höhe von jeweils 10 % vor und käme eine Aufrechnung in Höhe von 10 % gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II hinzu, wäre unklar, welche Aufrechnungen nach § 42a Abs. 2 SGB II erledigt wären. Der Gesetzgeber hat offenbar ein höheres Schutzbedürfnis des Leistungsberechtigten erkannt bei der Gewährung mehrerer Darlehen als in den Fällen des § 43 Abs. 1 SGB II. In diesen Fällen hat typischerweise eine Überzahlung des Leistungsempfängers stattgefunden: Er hat mehr erhalten, als ihm eigentlich zugestanden hätte. Es kann hier typischerweise von einer fortbestehenden Bereicherung durch die Überzahlung ausgegangen werden, die abgeschöpft werden soll. Darlehen werden hingegen nur erbracht, wenn ein konkreter Bedarf nicht gedeckt werden kann. Eine Überzahlung findet gerade nicht statt. Die Auslegung des § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II ergibt eine Begrenzung der Tilgungshöhe bei mehreren Darlehen auf insgesamt 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des § 43 Abs. 2 oder 3 SGB II rechtfertigen könnte, liegt demgemäß nicht vor.
2. Der Beklagte hatte bereits mit Schreiben vom 21.01.2014 eine Aufrechnung in Höhe von 40,00 EUR monatlich wegen eines anderen Darlehens erklärt. Eine weitere Aufrechnung überschreitet die Grenze von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs der Klägerin (391,00 EUR). Dass die Klägerin mit Schreiben vom 16.01.2014 erklärt hatte, sie würde 40,00 EUR monatlich zurückzahlen, führt nicht dazu, dass die Aufrechnung vom 21.01.2014 nicht zu beachten wäre. Die Aufrechnung (in Höhe von freilich nur 39,10 EUR) wäre auch erfolgt, wenn die Klägerin eine solche Erklärung nicht abgegeben hätte. Mit der weiteren Aufrechnung hat sie sich gerade nicht einverstanden erklärt. Die Grenze von 10 % soll dem Betroffenen ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes belassen (siehe oben). Dann kann es nicht erheblich sein, dass eine erste Darlehenstilgung während des Leistungsbezugs, die diese Grenze bereits erreicht, hingenommen wurde.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Klage in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgreich war, da die Klägerin nicht mit über 40,00 EUR hinausgehenden monatlichen Tilgungsraten belastet wird. Das Unterliegen hinsichtlich des Klageantrags zu 2. fällt deshalb nicht ins Gewicht.
IV. Da der Wert des Beschwerdegegenstands nicht über 750,00 EUR liegt und die Klage einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt betrifft, war eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung zu treffen (§ 144 Abs. 1 SGG). Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da die Frage der Aufrechnungshöhe bei mehreren Darlehen im Sinne des § 42a SGB II grundsätzliche Bedeutung hat.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Aufrechnung seitens des Beklagten betreffend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Klägerin bezieht seit Oktober 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II von dem Beklagten. Mit Schreiben vom 16.01.2014 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Übernahme einer Nachforderung ihres Stromlieferanten. Sie gab dabei an, 40,00 EUR monatlich zurückzuzahlen. Mit Bescheid vom 21.01.2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin ein Darlehen zur Bewältigung der Nachforderung in Höhe von 654,42 EUR. Zugleich bestimmte der Beklagte in diesem Bescheid, dass die Rückzahlung des Darlehens durch Aufrechnung mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 40,00 EUR monatlich erfolgen sollte. Seit Februar 2014 behält die Klägerin dementsprechend Leistungen in Höhe von 40,00 EUR ein. Der Beklagte bewilligte der Klägerin aufgrund deren Antrags vom 09.05.2014 mit Bescheid vom 12.05.2014 ein weiteres Darlehen in Höhe von 312,00 EUR zur Überbrückung wegen unterschiedlicher Auszahlungszeitpunkte von Arbeitslosengeld II und Arbeitslosengeld. Zugleich bestimmte der Beklagte in diesem Bescheid, dass die Darlehensschuld ab dem 01.06.2014 in Höhe von 39,10 EUR monatlich gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werde. Mit Bewilligungsbescheid vom 13.05.2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 818,00 EUR für April 2014 sowie in Höhe von 516,30 EUR monatlich für die Zeit vom 01.05. bis zum 30.09.2014. Der Bescheid enthielt auf Seite 5 als Bestandteil des Berechnungsbogens eine Auflistung, wie die Leistungen erbracht werden sollten. In Höhe von 79,10 EUR erfolge dies durch "Aufrechnung/Tilgung", im Übrigen durch Überweisung an die Klägerin (397,20 EUR) und an Vattenfall (60,00 EUR). Die Klägerin erhob Widerspruch gegen die Aufrechnungsverfügung vom 12.05.2014 sowie die Bestimmung der Aufrechnung in dem Bewilligungsbescheid vom 13.05.2014 in 40,00 EUR übersteigender Höhe. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2014 wies der Beklagte den Widerspruch gegen die Aufrechnungsverfügung als unbegründet zurück. Bei mehreren Darlehen nach § 42a SGB II ergebe sich eine Gesamtbegrenzung der Aufrechnung entsprechend § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB II auf 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs. Es sei lediglich die Höhe der Tilgungsrate je Darlehen auf 10 % begrenzt.
Mit der am 30.09.2014 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, dass § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II eine über 10 % hinausgehende Aufrechnung nicht zulasse. § 43 Abs. 2 SGB II sei weder direkt noch entsprechend anwendbar. Es fehle sowohl an einer Regelungslücke als auch einer vergleichbaren Interessenlage. Im Unterschied zu den Fällen des § 43 SGB II finde bei Darlehen nach § 42a SGB II keine ungerechtfertigte Überzahlung des Leistungsempfängers statt, sondern die Darlehensbeträge seien zur Deckung konkreter Bedarfe erforderlich. Sofern der Beklagte an das Angebot einer Zahlung von Raten von 40,00 EUR in dem Antrag vom 16.01.2014 negative Rechtswirkungen knüpfe, widerrufe sie dieses. Auch bei einer vertraglichen Rückzahlungsvereinbarung dürfe im Übrigen die 10-%-Grenze nicht überschritten werden.
Die Klägerin beantragt, 1. die Aufrechnungsanordnung des Beklagten im Darlehensbescheid vom 12.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2014 aufzuheben, 2. die Bestimmung der Leistungsart im Bewilligungsbescheid vom 13.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2014 im Hinblick auf die 40,00 EUR übersteigende Aufrechnung aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den ohne diese Aufrechnung bestehenden Leistungsanspruch durch vollständige Auszahlung an die Klägerin zu erbringen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er führt ergänzend an, dass der Betrag in Höhe von 40,00 EUR auf eigenen Wunsch der Klägerin zur Tilgung des Darlehens in Höhe von 654,42 EUR an die BA-SH/Zentralkasse weitergeleitet werde.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 22.10.2014 im Rechtsstreit zum Aktenzeichen S 173 AS 23394/13 ER die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Aufrechnungsverfügung festgestellt und dem Beklagten aufgegeben, die bewilligten, aber bislang nicht ausgezahlten Leistungen in Höhe von 39,10 EUR monatlich für Juni bis September 2014 an die Klägerin zu zahlen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorlagen, Bezug genommen.
Die Klägerin und der Beklagte haben sich mit ihren Schriftsätzen vom 11.11.2014 bzw. 12.11.2014 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
I. Die Klage ist unzulässig, soweit die Klägerin sich gegen die "Bestimmung der Leistungsart" im Bewilligungsbescheid vom 13.05.2014 im Hinblick auf die 40,00 EUR übersteigende Aufrechnung wendet. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei der Erklärung, dass von den der Klägerin bewilligten Leistungen ein Betrag in Höhe von 79,10 EUR durch "Aufrechnung / Tilgung" erbracht werde, d.h. im Ergebnis nicht ausgezahlt wird, nicht um einen anfechtbaren Verwaltungsakt im Sinne der §§ 54 Abs. 1 SGG, 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Verwaltungsakt ist gemäß § 31 Satz 1 SGB X jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Regelung ist eine Entscheidung, die auf die Herbeiführung einer unmittelbaren Rechtsfolge gerichtet ist. Sie ist insbesondere gegeben, wenn und soweit Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt werden oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt wird (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.12.2009 – L 19 B 346/09 AS). Mit der Angabe, wie die bewilligte Leistung erbracht wird, sollte vom maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont keine derartige Entscheidung getroffen werden, sondern eine bloße Mitteilung über die Umsetzung der Aufrechnungsverfügungen erfolgen. Die Entscheidung über den Eingriff in die Rechte der Klägerin war bereits in diesen Aufrechnungsverfügungen getroffen worden. Soweit mit einer (isolierten) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG die Auszahlung bereits aufgerechneter Beträge begehrt wird, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses ebenfalls unzulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung und muss bei jeder Rechtsverfolgung, d.h. jedem an ein Gericht adressierten Antrag, vorliegen. Demnach hat nur derjenige einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt (vgl. LSG Sachsen, Beschluss vom 10.01.2013 – L 3 AS 44/11 B PKH). Das Klageziel kann jedoch bereits mit einer reinen Anfechtungsklage gegen die Aufrechnungsverfügung erreicht werden (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 38a; BSG, Urteil vom 15.02.1979 – 7 RAr 69/78). Die begehrte Aufhebung der Aufrechnungsverfügung hätte zur Folge, dass der Beklagte zur Auszahlung der mit dem Bescheid vom 13.05.2013 bewilligten Leistungen ohne die Berücksichtigung einer Aufrechnung in Höhe von 39,10 EUR verpflichtet wäre. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte sich an ein Aufhebungsurteil betreffend die Aufrechnungsverfügung im Darlehensbescheid nicht halten wird.
II. Im Übrigen ist die Klage als Anfechtungsklage zulässig und begründet. Die Aufrechnungsverfügung des Beklagten im Darlehensbescheid vom 12.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Nach Auffassung der Kammer erlaubt § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II bei mehreren Darlehen nicht die Tilgung durch Aufrechnung in Höhe von 10 % je Darlehen, sondern ist die Tilgung für mehrere Darlehen insgesamt auf 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt, d.h. im Falle der Klägerin 39,10 EUR (dazu 1.). § 43 Abs. 3 SGB II kann nicht analog angewandt werden (so aber die Fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 42a SGB II, Stand: 20.03.2013, Rn. 42a.13; Bender, in: Gagel, SGB II / SGB III, Stand: 56. Ergänzungslieferung Dezember 2014, § 42a SGB II Rn. 24). Die 10-%-Grenze wird vorliegend überschritten (dazu 2.).
1. Gemäß § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II werden, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs getilgt. Die Aufrechnung ist gegenüber den Darlehensnehmern schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären (§ 42a Abs. 2 Satz 2 SGB II). § 43 Abs. 1 SGB II erlaubt dem Grundsicherungsträger, gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Erstattungsansprüchen nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB II, § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB I, § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III oder § 50 SGB X und mit Ersatzansprüchen nach den §§ 34 oder 34a SGB II aufzurechnen. Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II beträgt die zulässige Aufrechnungshöhe entweder 10 % oder 30 %. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB II bestimmt, dass die Höhe der monatlichen Aufrechnung auf insgesamt 30 % des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt ist. Soweit die Erklärung einer späteren Aufrechnung zu einem höheren monatlichen Aufrechnungsbetrag als 30 % führen würde, erledigen sich die vorherigen Aufrechnungserklärungen (Satz 3). Gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB II gilt, wenn in einem Monat Aufrechnungen nach § 43 Abs. 1 SGB II und § 42a Abs. 2 zu vollziehen sind, § 43 Abs. 2 Satz 2 entsprechend. Würden die Aufrechnungen nach § 42a Abs. 2 SGB II und nach § 43 Abs. 1 SGB II den in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB II genannten Betrag übersteigen, erledigt sich die nach § 42a Abs. 2 SGB II erklärte Aufrechnung, soweit sie der Aufrechnung nach § 43 Absatz 1 entgegensteht (§ 43 Abs. 3 Satz 2 SGB II). Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, Rn. 66). § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II enthält keine eindeutige Regelung für den Fall des gleichzeitigen Bestehens mehrerer Darlehensschulden, insbesondere auch keinen Verweis auf § 43 Abs. 2 oder 3 SGB II. Es ist die Rede von "Rückzahlungsansprüchen", also dem Plural, nicht aber von "Aufrechnungen" oder "jeweils 10 Prozent". Dies ist ein Hinweis auf die Begrenzung auch bei mehreren Darlehen auf nur eine Aufrechnung in Höhe von insgesamt 10 % des maßgebenden Regelbedarfs (Greiser, in: Eicher, SGB II, § 42a Rn. 30). Bender (a.a.O.) ist freilich der nicht ganz von der Hand zu weisenden Auffassung, dass aus dem Wortlaut aufgrund der "Formulierungsfähigkeiten des (modernen) Gesetzgebers" kein so weitreichender Begrenzungswillen abgeleitet werden könne. Diese Formulierungsfähigkeit zeigt sich tatsächlich etwa in § 43 Abs. 3 Satz 2 SGB II: Beim Zusammentreffen von Aufrechnungen nach § 43 Abs. 1 SGB II und § 42a Abs. 2 SGB II erledigt sich die nach § 42a Absatz 2 erklärte Aufrechnung, soweit sie der Aufrechnung nach § 43 Abs. 1 SGB II entgegensteht. Insoweit ist das Gesetz sprachlich ungenau, denn es können auch mehrere Aufrechnungen nach § 43 Abs. 1 SGB II mit einer Aufrechnungshöhe von jeweils 10 % und insgesamt 30 % bestehen, die einer Aufrechnung nach § 42a SGB II entgegenstehen. Dementsprechend ist in der Entwurfsbegründung (BR-Drucks. 663/10, S. 66) von dem "Vorrang der Aufrechnungen" nach § 43 Abs. 1 SGB II die Rede. Es ist jedenfalls festzustellen, dass die Annahme einer Begrenzung der Aufrechnungshöhe auf insgesamt 10 % bei mehreren Darlehen mit dem Wortlaut als äußerster Grenze der Auslegung (BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1985 – 1 BvR 1053/82) zu vereinbaren ist. Diese Begrenzung entspricht auch – entgegen der Auffassung Benders – dem Willen des Gesetzgebers, d.h. den Vorstellungen der gesetzgebenden Körperschaft. Es darf angenommen werden, dass zu diesen Vorstellungen die amtliche Begründung eines Regierungsentwurfs zählt, soweit sie im Parlament keinen Widerspruch erfahren hat, obwohl sie bei den Beratungen vorlag. Das "Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch", mit dem § 42a SGB II eingeführt wurde, beruht auf dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21.10.2010 (BR-Drucks. 661/10). Die Bundesregierung äußerte sich in einer Gegenäußerung vom 30.11.2010 zum Vorschlag des Bundesrats, die Aufrechnungshöhe weiter flexibel zu halten und Ansparungen zu ermöglichen (vgl. Beschluss des Bundesrates vom 26.11.2010, BR-Drucks. 661/10 [Beschluss], S. 26 f., BT-Drucks. 17/3958, S. 19), ausdrücklich dahingehend, dass die Tilgung für mehrere Darlehen insgesamt auf 10 % des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt sei, um dem Betroffenen ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu belassen (BT-Drucks 17/3982, S. 10). Diese Gegenäußerung lag vor den Beratungen des Bundestages vor (vgl. Plenarprotokoll 17/77). Sie ist unwidersprochen geblieben und somit vom Willen der gesetzgebenden Körperschaft erfasst. Die Regelung des § 43 Abs. 3 SGB II verdeutlicht diesen Willen und spricht auch in systematischer Hinsicht für eine Aufrechnungshöhe von nicht mehr als 10 % bei mehreren Darlehen. Hier wird deutlich, dass Gesetzgeber nicht davon ausging, es könne mehrere Darlehenstilgungen durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2 SGB II gleichzeitig geben: Er ordnet nämlich lediglich die Erledigung "der" Aufrechnung nach § 42a SGB II an, ohne (wie in § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB II, auf den nicht Bezug genommen wird) eine Kollisionsregelung unter etwaigen Aufrechnungen nach § 42a SGB II zu treffen (z.B. Erledigung der früheren Aufrechnung). Lägen etwa drei Aufrechnungen gemäß § 42a Abs. 2 SGB II in Höhe von jeweils 10 % vor und käme eine Aufrechnung in Höhe von 10 % gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II hinzu, wäre unklar, welche Aufrechnungen nach § 42a Abs. 2 SGB II erledigt wären. Der Gesetzgeber hat offenbar ein höheres Schutzbedürfnis des Leistungsberechtigten erkannt bei der Gewährung mehrerer Darlehen als in den Fällen des § 43 Abs. 1 SGB II. In diesen Fällen hat typischerweise eine Überzahlung des Leistungsempfängers stattgefunden: Er hat mehr erhalten, als ihm eigentlich zugestanden hätte. Es kann hier typischerweise von einer fortbestehenden Bereicherung durch die Überzahlung ausgegangen werden, die abgeschöpft werden soll. Darlehen werden hingegen nur erbracht, wenn ein konkreter Bedarf nicht gedeckt werden kann. Eine Überzahlung findet gerade nicht statt. Die Auslegung des § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II ergibt eine Begrenzung der Tilgungshöhe bei mehreren Darlehen auf insgesamt 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des § 43 Abs. 2 oder 3 SGB II rechtfertigen könnte, liegt demgemäß nicht vor.
2. Der Beklagte hatte bereits mit Schreiben vom 21.01.2014 eine Aufrechnung in Höhe von 40,00 EUR monatlich wegen eines anderen Darlehens erklärt. Eine weitere Aufrechnung überschreitet die Grenze von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs der Klägerin (391,00 EUR). Dass die Klägerin mit Schreiben vom 16.01.2014 erklärt hatte, sie würde 40,00 EUR monatlich zurückzahlen, führt nicht dazu, dass die Aufrechnung vom 21.01.2014 nicht zu beachten wäre. Die Aufrechnung (in Höhe von freilich nur 39,10 EUR) wäre auch erfolgt, wenn die Klägerin eine solche Erklärung nicht abgegeben hätte. Mit der weiteren Aufrechnung hat sie sich gerade nicht einverstanden erklärt. Die Grenze von 10 % soll dem Betroffenen ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes belassen (siehe oben). Dann kann es nicht erheblich sein, dass eine erste Darlehenstilgung während des Leistungsbezugs, die diese Grenze bereits erreicht, hingenommen wurde.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Klage in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgreich war, da die Klägerin nicht mit über 40,00 EUR hinausgehenden monatlichen Tilgungsraten belastet wird. Das Unterliegen hinsichtlich des Klageantrags zu 2. fällt deshalb nicht ins Gewicht.
IV. Da der Wert des Beschwerdegegenstands nicht über 750,00 EUR liegt und die Klage einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt betrifft, war eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung zu treffen (§ 144 Abs. 1 SGG). Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da die Frage der Aufrechnungshöhe bei mehreren Darlehen im Sinne des § 42a SGB II grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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