L 15 RF 24/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 RF 24/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Um den Entschädigungsanspruch für Verdienstausfall bei einem selbständig Tätigen nicht ins Leere laufen zu lassen, darf das Gericht an die Beweisführung eines selbständig tätigen Antragstellers und seine eigene Überzeugungsbildung keine zu hohen Anforderungen stellen.
2. Mit einer nur sporadisch ausgeübten selbständigen Tätigkeit lässt sich eine Entschädigung für Verdienstausfall nicht begründen.
3. Ist die Streckenangabe eines Antragstellers nicht nur geringfügig höher als die sich aus Routenplanern ergebende Entfernung, ist dem Fahrtkostenersatz grundsätzlich die dem Routenplaner entnehmbare Streckenlänge zur schnellsten Route zugrunde zu legen, wenn nicht die kürzeste Strecke mit einem nur geringen zeitlichen Mehraufwand verbunden ist.
Die Entschädigung der Antragstellerin wegen des Gerichtstermins am 22.04.2015 wird auf 43,75 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen der Teilnahme an einem Gerichtstermin.

In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen geführten Berufungsverfahren fand am 22.04.2015 ein Beweisaufnahmetermin statt, zu dem das persönliche Erscheinen der Antragstellerin angeordnet worden war.

Die Antragstellerin nahm am vorgenannten und auf 13.00 Uhr geladenen Gerichtstermin teil, der von 14.12 Uhr bis 15.31 Uhr dauerte.

Mit Entschädigungsantrag vom 22.04.2015, ergänzt durch ihr Schreiben vom 27.04.2015, beantragte die Antragstellerin die Entschädigung für den Gerichtstermin. Sie gab an, einen Verdienstausfall als selbständige Inhaberin eines Nachhilfeinstituts erlitten zu haben. Der Verdienstausfall betrage pro Stunde 32,- EUR netto. Als "Bestätigung" für ihre Selbständigkeit legte sie die erste Seite einer Kopie des Einkommensteuerbescheids für 2013 vor, auf der sämtliche Angaben zu Beträgen von Einkünften und Steuer abgedeckt waren. Sie gab an, um 10.30 Uhr mit dem PKW von zuhause weggefahren und um 17.30 Uhr wieder zurückgekommen zu sein. Sie habe 5,- EUR Parkgebühren gezahlt. Neben dem Ersatz von Fahrtkosten begehrte sie auch die Erstattung von Zehrkosten.

Mit Schreiben der Kostenbeamtin vom 22.05.2015 wurde der Antragstellerin eine Entschädigung in Höhe von 49,- EUR gewährt (Entschädigung für Zeitversäumnis von 10.30 Uhr bis 17.30 Uhr in Höhe von 24,50 EUR, Fahrtkosten für 78 km in Höhe von 19,50 EUR und eine Parkgebühr in Höhe von 5,- EUR). Ergänzend wies die Kostenbeamtin darauf hin, dass durch die vorgelegten Unterlagen eine selbständige Tätigkeit (Inhaberin eines Nachhilfeinstituts) nicht glaubhaft gemacht worden sei. Eine Entschädigung für Verdienstausfall könne daher nicht gewährt werden.

Mit Schreiben vom 28.05.2015 hat die Antragstellerin die gerichtliche Festsetzung der Entschädigung ihres Verdienstausfalls beantragt. Mit einem Stundensatz von 3,50 EUR sei sie keinesfalls einverstanden. Durch die Vorlage ihres Einkommenssteuerbescheids habe sie ihre selbständige Tätigkeit nachgewiesen. Die Beträge habe sie geschwärzt, weil das Gericht die Höhe des zu versteuernden Einkommens nicht wissen müsse. Als Inhaberin eines Nachhilfeinstituts habe sie einen Stundensatz von 32,- EUR netto. Auch mit einem Stundensatz von 17,- EUR sei sie nicht einverstanden. Es sei unzumutbar, dass sie sich wegen einer solchen Sache wieder hinsetzen und an das Gericht schreiben müsse.

Mit Schreiben des Kostensenats vom 10.08.2015 sind der Antragstellerin die Voraussetzungen für eine Entschädigung für Verdienstausfall auf drei Seiten äußerst ausführlich erläutert worden. In diesem Zusammenhang ist darauf hingewiesen worden, dass sich aus den Unterlagen des Hauptsacheverfahrens ergebe, dass die Antragstellerin ein sehr geringes Einkommen und Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezogen habe. Sofern sie einen Verdienstausfall anstrebe, müsse sie entsprechende Nachweise vorlegen. Zudem ist der Antragstellerin erläutert worden, dass im Rahmen der gerichtlichen Festsetzung der Entschädigung aller Voraussicht nach zu berücksichtigen sein werde, dass die gerichtsterminsbedingte Abwesenheit von insgesamt 7 Stunden als sehr großzügig erscheine und sie daher möglicherweise mit einer Rückforderung rechnen müsse.

Dazu hat sich die Antragstellerin mit Schreiben vom 17.08.2015 dahingehend geäußert, dass sie nicht wisse, woher das Gericht die "Weisheit" habe, dass sie Leistungen nach dem SGB II bezogen habe. Sie vermute, dass am "geistigen Auge" des Gerichts "aufgrund der heißen Temperaturen der letzten Wochen" "vorbeigewandert" sei, dass sie seit Mai 2013 Rentnerin sei. Zuvor sei sie jahrelang Bankerin, ebenso jahrelang pädagogische Fachfrau und anschließend jahrelang selbstständige Unternehmerin gewesen. Sie biete dem Gericht an, einen Schülervertrag zuzusenden, aus dem der Stundensatz ersichtlich sei. Dem Wunsch der Kostenbeamtin des LSG nach einer Steuererklärung sei sie nachgekommen. Ein Verdienstausfall von 32,- EUR pro Stunde entspreche lediglich den Tatsachen. Sie nehme nicht an, dass sich das Gericht "lächerlich machen" wolle.

Mit Schreiben vom 20.08.2015 hat der Kostensenat die Antragstellerin mit ihrer zuletzt gegebenen Auskunft konfrontiert, dass sie seit Mai 2013 Rentnerin sei. Daraus sei zu schließen, dass sie kein Einkommen aus beruflicher selbständiger Tätigkeit mehr erziele. Die Antragstellerin ist nochmals unter ausführlicher Erläuterung aufgefordert worden, eine ungeschwärzte Fassung des Einkommensteuerbescheids oder der Einkommensteuererklärung vorzulegen. Frist ist gesetzt worden bis Ende September 2015.

Eine Reaktion der Antragstellerin ist seither nicht mehr erfolgt.

Der Senat hat die Akten des Hauptsacheverfahrens beigezogen. Aus dem zu Grunde liegenden Gerichtsbescheid vom 30.07.2014 ist zu entnehmen, dass die Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II bezogen und daneben ein Nachhilfeinstitut betrieben hat.

II.

Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier die Berechtigte mit Schreiben vom 28.05.2015 die gerichtliche Festsetzung beantragt.

Die Entschädigung für die Wahrnehmung des Gerichtstermins am 22.04.2015 ist auf 43,75 EUR festzusetzen.

Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens sind gemäß § 191 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wie Zeugen zu entschädigen, sofern es sich wie hier um ein gerichtskostenfreies Verfahren im Sinn des § 183 SGG handelt. Die Entschädigung ergibt sich aus dem JVEG. Die Entschädigungstatbestände (für einen Zeugen) sind in § 19 JVEG aufgelistet.

1. Prüfungsumfang im Verfahren der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG

Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof - BGH -, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung oder Vergütung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (h.M., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.).

2. Fahrtkosten

Der Antragstellerin sind Fahrtkosten gemäß § 5 JVEG in Höhe von 19,50 EUR zu erstatten.

Der Gesetzgeber hat mit § 5 JVEG dem Zeugen bzw. Beteiligten ein Wahlrecht eröffnet, ob er mit öffentlichen Verkehrsmitteln (§ 5 Abs. 1 JVEG) oder mit dem Kraftfahrzeug (§ 5 Abs. 2 JVEG) zum gerichtlich festgesetzten Termin anreist. Der Fahrtkostenersatz folgt der getroffenen Wahl des Beförderungsmittels. Wählt der Beteiligte wie hier die Anreise mit dem Kraftfahrzeug, werden ihm gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG für jeden gefahrenen Kilometer 0,25 EUR ersetzt.

Zu entschädigen sind die objektiv erforderlichen Fahrtkosten. Was objektiv erforderlich ist, ist unter Berücksichtigung der im gesamten Kostenrecht geltenden Kostenminimierungspflicht zu ermitteln. Dabei geht der Senat in ständiger Rechtsprechung und in großzügigerer Auslegung, als sie teilweise von anderen Gerichten zugrunde gelegt wird, davon aus, dass nicht nur die Kosten für die kürzeste Strecke (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 27.09.2005, Az.: L 6 SF 408/05), sondern grundsätzlich auch die Kosten für die schnellste, obgleich längere Strecke zu ersetzen sind, wobei weitere Ausnahmen dann zu akzeptieren sind, wenn die höheren Kosten durch besondere Umstände gerechtfertigt sind (z.B. Unzumutbarkeit der kürzesten bzw. schnellsten Strecke oder Umwege durch Straßensperrungen) (vgl. Beschluss des Senats vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12).

Die Ermittlungen zur Streckenlänge können unter Zuhilfenahme der im Internet jedermann zugänglichen Routenplaner vorgenommen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 14.05.2014, Az.: L 15 SF 122/13).

Macht ein Antragsteller keine Angaben zur gefahrenen Strecke oder ist seine Streckenangabe nicht nur geringfügig höher als die Entfernung, wie sie sich bei Zuhilfenahme der Routenplaner im Internet ergibt, ist dem Fahrtkostenersatz grundsätzlich die dem Routenplaner entnehmbare Streckenlänge zur schnellsten Route ohne einen Toleranzaufschlag zugrunde zu legen (vgl. Beschluss des Senats vom 21.10.2015, Az.: L 15 RF 38/15). Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht die kürzeste Strecke mit einem nur geringen zeitlichen Mehraufwand verbunden ist, sodass ein wirtschaftlich denkender Reisender, der die Kosten selbst tragen müsste, wegen der Mehrkosten nicht die schnellste, sondern die kürzeste Strecke wählen würde.

Bei insgesamt 78 km Fahrtstrecke und einer Entschädigung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG in Höhe von 0,25 EUR für jeden gefahrenen Kilometer errechnet sich ein Fahrtkostenersatz von 19,50 EUR.

Neben der Entschädigung wegen der gefahrenen Kilometer ist gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 JVEG auch die von der Antragstellerin angegebene Parkgebühr in Höhe von 5,- EUR zu erstatten. Zwar hat die Antragstellerin die Parkkosten nicht wie üblich - die Übersendung von Belegen wird im Antragsformular ausdrücklich erbeten - durch die Vorlage des Parkbelegs nachgewiesen. Da aber im Bereich des Gerichts keine gebührenfreien Parkplätze zur Verfügung stehen, kann von der Vorlage eines Nachweises abgesehen werden (vgl. Beschluss des Senats vom 15.04.2015, Az.: L 15 SF 118/14). Ein Betrag von 5,- EUR ist angesichts der Anwesenheitsdauer bei Gericht realistisch.

3. Entschädigung für Verdienstausfall

Der Antragstellerin steht eine Entschädigung für Verdienstausfall gemäß § 22 JVEG nicht zu, da nicht nachgewiesen ist, dass sie infolge des Gerichtstermins überhaupt einen Verdienstausfall erlitten hat.

In seiner Grundsatzentscheidung vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11, hat sich der Senat umfassend mit der Frage der Entschädigung für Verdienstausfall auseinander gesetzt. Er hat dabei - kurz zusammen gefasst - folgende Kernaussagen getroffen:

* Um das Tatbestandsmerkmal des Verdienstausfalls im Sinn des § 22 JVEG bejahen zu können, bedarf es (nur) des Nachweises, dass überhaupt ein solcher Ausfall entstanden ist, nicht aber in welcher Höhe. * Dieser Nachweis ist im Vollbeweis zu führen, da das JVEG keine Beweiserleichterung enthält. * Dieser Beweismaßstab gilt sowohl bei abhängig beschäftigten als auch bei selbständig tätigen Anspruchstellern. Wegen der bei letzterer Berufsgruppe wesensmäßig vorliegenden Nachweisschwierigkeit ist durch das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden freien Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 SGG aber sicher zu stellen, dass der gesetzlich vorgesehene Anspruch auf Entschädigung für Verdienstausfall nicht faktisch leer läuft. * Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Verdienstausfall entstanden ist, ist die Beurteilung am Tag des Gerichtstermins, der den Entschädigungsanspruch nach dem JVEG zur Folge hat. Spätere Entwicklungen bleiben bei der Festsetzung der Entschädigung unberücksichtigt. * Zu entschädigen ist die nach objektiven Maßstäben zu ermittelnde "gesamte Dauer der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten", nicht mehr wie früher unter Geltung des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZuSEG) die "versäumte Arbeitszeit". Die konkret ausgefallene Arbeitszeit ist daher nicht zu ermitteln; eine fiktive Mittagspause kann nicht in Abzug gebracht werden (vgl. auch Beschluss des Senats vom 06.12.2013, Az.: L 15 SF 39/13).

An diesen Grundsätzen hat sich auch im hier zu entscheidenden Fall die Beantwortung der Frage zu orientieren, ob und wenn ja in welcher Höhe der Antragstellerin eine Entschädigung für Verdienstausfall zu gewähren ist.

Bei Würdigung sämtlicher Umstände ist der Nachweis, dass durch den Gerichtstermin überhaupt ein Verdienstausfall entstanden ist, nicht geführt.

Bei der Überzeugungsbildung, ob ein Verdienstausfall an sich, d.h. unabhängig von der konkreten Höhe, eingetreten ist, dürfen die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter nicht nur im Sinn der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie (Leitgedanke der Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Grundsatzbeschlüsse vom 14.05.2012, Az.: L 15 SF 276/10 B E, vom 18.05.2012, Az.: L 15 SF 104/11, vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11, vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11, vom 08.04.2013, Az.: L 15 SF 305/10, vom 08.10.2013, Az.: L 15 SF 157/12 B, vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11, vom 17.12.2013, Az.: L 15 SF 275/13, vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12, vom 03.06.2014, Az.: L 15 SF 402/13 E, vom 03.11.2014, Az.: L 15 SF 254/12, vom 04.11.2014, Az.: L 15 SF 198/14, vom 14.01.2015, Az.: L 15 SF 239/12 B, vom 10.03.2015, Az.: L 15 RF 5/15, vom 11.05.2015, Az.: L 15 RF 14/15, und vom 08.06.2015, Az.: L 15 SF 255/14 E), sondern insbesondere auch um zu vermeiden, dass die gesetzliche Regelung des § 22 JVEG für Selbständige ins Leere läuft, nicht überspannt werden (vgl. Beschluss des Senats vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11). Gleichwohl können unbelegte Angaben zu einer selbständigen Tätigkeit und einem behaupteten Verdienstausfall nicht völlig ungeprüft oder ohne Plausibilitätsprüfung einer Entschädigung zugrunde gelegt werden. Vielmehr muss - im Rahmen der niederschwelligen Prüfpflichten - nachgewiesen sein, dass die selbständige Tätigkeit von einer gewissen Nachhaltigkeit und Regelmäßigkeit ist (vgl. Landgericht - LG - Stendal, Beschluss vom 20.11.2008, Az.: 23 O 515/07). Denn wenn ein Selbständiger nur mit deutlich reduziertem zeitlichem Einsatz seiner Tätigkeit nachgeht, wird er oft in der Lage sein, sich die Arbeitszeit frei einzuteilen. Daraus ergibt sich die durchaus nicht fernliegende Möglichkeit, dass er durch den Gerichtstermin überhaupt keinen Verdienstausfall erleidet, weil er die von ihm im Rahmen der beruflichen Tätigkeit zu erbringenden Arbeiten an einem anderen Tag erledigen kann und wegen des Gerichtstermins überhaupt keinen Auftrag ablehnen muss (vgl. Beschluss des Senats vom 08.04.2015, Az.: L 15 SF 387/13; LG Rostock, Beschluss vom 15.11.2002, Az.: 2 T 23/01). Diese nicht fernliegende Möglichkeit, dass durch den Gerichtstermin überhaupt kein Verdienstausfall eingetreten ist, steht dem im Vollbeweis zu erbringenden Nachweis eines Verdienstausfalls entgegen. Denn Vollbeweis bedeutet, dass die zu beweisende Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein muss (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderliche Tatsache mit absoluter Gewissheit feststeht. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsache zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92).

Kann daher nur von einer nicht regelmäßig oder nur mit zeitlich reduziertem Aufwand ausgeübten selbständigen Tätigkeit ausgegangen werden, wird ein Anspruch auf Entschädigung für Verdienstausfall regelmäßig scheitern (vgl. Bayer. LSG, Beschluss vom 28.07.1998, Az.: L 19 RJ 257/95.Ko; Beschluss des Senats vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12). Daraus folgt beispielsweise, dass eine Entschädigung für Verdienstausfall ausgeschlossen sein dürfte, wenn Leistungen nach dem SGB II bezogen werden, da der Bezug von Leistungen nach dem SGB II - von seltenen Ausnahmefällen abgesehen - Beleg für die fehlende Regelmäßigkeit und Nachhaltigkeit der selbständigen Tätigkeit ist; dies gilt jedenfalls bei Leistungsbezug nach dem SGB II in Höhe des Regelsatzes (vgl. Beschlüsse des Senats vom 08.04.2015, Az.: L 15 SF 387/13, und vom 16.04.2015, Az.: L 15 SF 330/14).

Im vorliegenden Fall steht der Annahme eines im Vollbeweis nachgewiesenen Verdienstausfalls schon entgegen, dass die Antragstellerin in zeitlicher Nähe zum zu entschädigenden Gerichtstermin Leistungen nach dem SGB II bezogen hat. Zudem hat sie im Schreiben vom 17.08.2015 angegeben, dass sie "seit Mai 2013 Rentnerin" sei und "vorher" u.a. jahrelang einer Tätigkeit als selbstständige Unternehmerin (Inhaberin eines Nachhilfeinstituts) nachgegangen sei. Wie sich aus dem Wort "vorher" ergibt, geht die Antragstellerin der Tätigkeit als selbständiger Unternehmerin offenbar nicht mehr oder nur noch in nicht nennenswertem Umfang nach. In der Einschätzung, dass die Antragstellerin im Jahr 2015 keine (nennenswerten) Einkünfte aus selbständige Tätigkeit mehr erzielt hat, wird der Senat auch dadurch bestätigt, dass die Antragstellerin lediglich für das Jahr 2013 einen Einkommensteuerbescheid vorgelegt hat, nicht aber zumindest auch für das Jahr 2014 einen Einkommensteuerbescheid oder jedenfalls die Einkommensteuererklärung. Daraus und aus der Angabe der Antragstellerin, sie sei im März 2013 in Rente gegangen, lässt sich der Rückschluss ziehen, dass die Antragstellerin zumindest ab dem Jahr 2014 keiner relevanten selbständigen Tätigkeit mehr nachgeht. Schließlich wird der Senat in seinen Zweifeln daran, dass die Antragstellerin zum maßgeblichen Zeitpunkt des Gerichtstermins noch nennenswerte Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit bezogen hat, dadurch bestätigt, dass die Antragstellerin nur einen geschwärzten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2013 vorgelegt hat und sich trotz entsprechender Hinweise des Gerichts geweigert hat, einen ungeschwärzten Einkommensteuerbescheid vorzulegen. Dies deutet darauf hin, dass die Antragstellerin bereits im Jahr 2013 keine relevanten Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit mehr bezogen hat. Darauf, dass die von der Antragstellerin angegebene Tätigkeit als Inhaberin eines Nachhilfeinstituts nur von geringem Umfang gewesen sein kann, sprechen auch die Angaben der Antragstellerin zu ihrem Stundensatz von 32,- EUR netto. Ausgehend von der Richtigkeit dieser Angabe kann der zeitliche Umfang dieser selbständigen Tätigkeit nur gering ausgeprägt gewesen sein; anders wäre es nicht zu erklären, dass die Antragstellerin offenbar neben dieser Tätigkeit in der Vergangenheit Leistungen nach dem SGB II bezogen hat (ähnlich vgl. Beschluss des Senats vom 16.04.2015, Az.: L 15 SF 330/14; auch in diesem Fall wurde ein eher hoher Stundensatz bei geringen Einkünften und neben einem Leistungsbezug nach dem SGB II angegeben). Insofern würde sich auch aus der Vorlage eines einzelnen Schülervertrags keine andere Wertung ergeben. Denn daran, dass sich die Antragstellerin, wenn sie denn arbeitet, die Tätigkeit mit einem Stundensatz von 32,- EUR vergüten lässt, hat der Senat keine durchgreifenden Zweifel. Zweifel hat er vielmehr daran, dass die Antragstellerin überhaupt mehr als ganz vereinzelt selbständig tätig ist. Diese Zweifel können nicht durch einen einzelnen Schülervertrag beseitigt werden.

Wenn die Antragstellerin der Meinung ist, dass das LSG die Höhe ihres zu versteuernden Einkommens nicht wissen müsse, muss sie sich auch bewusst sein, dass sich aus einer verweigerten Mitwirkung und der daraus resultierenden Beweislosigkeit für sie als Antragstellerin negative Konsequenzen, hier die Nichtberücksichtigung eines behaupteten Verdienstausfalls, ergeben.

Sollte die Antragstellerin anders, als dies ihr Vorgehen im kostenrechtlichen Verfahren vermuten lässt, im Jahr 2015 noch einer selbständigen Tätigkeit als Nachhilfelehrerin oder Inhaberin eines Nachhilfeinstituts nachgegangen sein, kann aufgrund der fehlenden Nachweise allenfalls davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um eine nur ganz sporadisch ausgeübte Tätigkeit gehandelt hat, mit der sich eine Entschädigung für Verdienstausfall nicht begründen lässt (vgl. Beschluss des Senats vom 16.04.2015, Az.: L 15 SF 330/14).

4. Entschädigung für Zeitversäumnis

Der Antragstellerin steht aber eine Entschädigung für Zeitversäumnis im Sinn des § 20 JVEG in Höhe von 19,25 EUR zu.

4.1. Ob der Entschädigung für Zeitversäumnis

Eine Entschädigung für Zeitversäumnis wird - auch bei Beteiligten des sozialgerichtlichen Verfahrens - regelmäßig dann zu erbringen sein, wenn weder ein Verdienstausfall noch Nachteile bei der Haushaltsführung geltend gemacht werden können. Denn bei dieser Entschädigung für sonstige Nachteile ist es nicht erforderlich, dass dem Berechtigten geldwerte Vorteile entgehen (vgl. Meyer/Höver/Bach/Oberlack, a.a.O., § 20, Rdnr. 4). Zudem besteht mit § 20 letzter Halbsatz JVEG eine widerlegbare gesetzliche Vermutung dahingehend, dass ein Nachteil erstanden ist.

Mit der Frage, wann die gesetzliche Vermutung als widerlegt zu betrachten ist, hat sich der Senat eingehend in seinem Grundsatzbeschluss vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11, auseinander gesetzt. Danach ist lediglich dann, wenn einem Antragsteller "ersichtlich" kein Nachteil entstanden ist, eine Entschädigung für Zeitversäumnis nicht zu leisten. Davon, dass ersichtlich kein Nachteil entstanden ist, ist dann auszugehen, wenn sich aus den eigenen Angaben des Antragstellers ergibt, dass er die Zeit nicht anderweitig sinnvoll verwendet hätte, oder wenn es offensichtlich ist, dass ein Nachteil nicht eingetreten ist. Von ersterem ist dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Antrag nichts angibt, was auf eine Zeitversäumnis hindeutet und nicht einmal durch Ankreuzen der entsprechenden Stelle im Antragsformular zu erkennen gibt, dass ihm eine Zeitversäumnis entstanden ist (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 06.11.2013, Az.: L 15 SF 191/11 B E). Ob der Nichteintritt eines Nachteils aus anderen Gründen ersichtlich, d.h. offensichtlich erkennbar ist, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten sind dabei angesichts der gesetzlichen Vermutung nur sehr gering (vgl. Beschluss des Senats vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11). Denn mit der Entschädigung für Zeitversäumnis gemäß § 20 JVEG wird auch der Verlust von Freizeit entschädigt, wobei die Verwendung von Freizeit sehr vielgestaltig ist und im Belieben des Einzelnen steht. Eine Beurteilung der Wertigkeit der Freizeitgestaltung steht dem Kostenbeamten genauso wie dem Kostenrichter nicht zu.

Dadurch, dass die Antragstellerin eine Entschädigung für Verdienstausfall beantragt hat (, die ihr aber nicht zugesprochen werden kann), kann ihr nicht unterstellt werden, dass sie die Zeit nicht anderweitig sinnvoll verwendet hätte, sodass ihr die nachrangig zustehende Entschädigung für Zeitversäumnis zuzusprechen ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 24.04.2013, Az.: L 15 SF 62/13, vom 14.05.2014, Az.: L 15 SF 122/13, und vom 14.09.2015, Az.: L 15 RF 25/15; zur vergleichbaren Situation wie hier, dass Entschädigung für Verdienstausfall beantragt wird, ein Verdienstausfall aber nicht nachgewiesen ist: vgl. Beschluss des Senats vom 18.11.2013, Az.: L 15 SF 121/11 - m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben steht der Antragstellerin eine Entschädigung für Zeitversäumnis zu. Ihr kann nicht entgegen gehalten werden, dass sie nicht explizit eine Entschädigung für Zeitversäumnis geltend gemacht hat. Denn dies ist darauf zurückzuführen, dass sie eine finanziell höherwertige Entschädigung für Verdienstausfall beantragt hat.

4.2. Zu entschädigende Zeitdauer

Es ist eine Entschädigung für 5,5 Stunden zu gewähren.

Die Dauer der zu entschädigenden Zeit ergibt sich aus § 19 Abs. 2 JVEG. Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 JVEG ist die "gesamte Dauer der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten" zu berücksichtigen. Diese Regelung gilt für alle nach Zeit zu bemessenden Entschädigungstatbestände.

Die Notwendigkeit der Dauer der Heranziehung ist - wie auch sonst bei der Bemessung der Entschädigung - nach objektiven Kriterien zu ermitteln (vgl. zur Fahrtstrecke: Beschluss des Senats vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12; zu Verpflegungskosten: Beschluss des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 277/10; zur Begleitperson: Beschluss des Senats vom 02.11.2012, Az.: L 15 SF 82/12). Dabei ist auch die im gesamten Kostenrecht geltende Kostenminimierungspflicht zu beachten (vgl. Beschluss des Senats vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12). Dies darf aber nicht dazu führen, dass nur die retroperspektiv ermittelte unverzichtbare Abwesenheitszeit entschädigt wird. Vielmehr ist auch zu berücksichtigen, ob die tatsächlich vorliegende Abwesenheitszeit nicht aus nachvollziehbaren Gründen länger war als die unverzichtbare Zeit (vgl. Beschlüsse des Senats vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11, und vom 15.05.2014, Az.: L 15 SF 118/14). So hat beispielsweise der Beteiligte bei der Anfahrt zum Gericht gewisse Unsicherheitsfaktoren (z.B. Staugefahr) zu berücksichtigen. Ein vernünftig denkender Beteiligter wird zudem ein gewisses Zeitpolster einkalkulieren, sodass er eine rechtzeitige Ankunft, die insbesondere auch im Interesse des ladenden Gerichts liegt, nicht gefährdet. Gegebenenfalls benötigt er vor dem Termin auch noch etwas Zeit, um den Fall mit seinem Bevollmächtigten zu besprechen. Bei entsprechend langer Abwesenheit von zu Hause oder der Arbeitsstelle kann es auch erforderlich sein, dass der Beteiligte eine Pause macht, um sich für die weitere Fahrt zu stärken. Da hier bei Berücksichtigung der spezifischen Einzelfallumstände zahlreiche Konstellationen denkbar sind, die eine etwas längere Zeit begründen, dürfen im Sinn der Praktikabilität an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (Leitgedanke der Rechtsprechung des Kostensenats, vgl. dazu die oben bei Ziff. 3. angeführte Rechtsprechung). Sofern die vom Beteiligten oder Zeugen angegebene Zeit nicht lebensfremd erscheint, wird sie daher regelmäßig der Entschädigung zugrunde zu legen sein (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 15.05.2014, Az.: L 15 SF 118/14).

Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 JVEG wird die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet, wenn insgesamt mehr als 30 Minuten auf die Heranziehung entfallen; anderenfalls beträgt die Entschädigung die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrags.

Begrenzt ist die Dauer gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 JVEG auf 10 Stunden je Tag.

Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin eine Abwesenheitszeit von 10.30 Uhr - zunächst hatte sie im Antragsformular offenbar 12.00 Uhr eingetragen, diese Zeitangabe dann aber wieder gestrichen - bis 17.30 Uhr, also von 7 Stunden angegeben. Auch bei der gebotenen großzügigen Betrachtungsweise und einem für 13.00 Uhr geladenen Gerichtstermin, dessen Beginn sich um rund 11/4 Stunden verzögert hat, kann diese Zeitdauer nicht mehr als objektiv erforderlich betrachtet werden, zumal sich aus dem Routenplaner nur eine Fahrtzeit von einfach 34 Minuten ergibt. Es kann daher bei für die Antragstellerin ausgesprochen großzügiger Betrachtung allenfalls eine gerichtsterminsbedingte Abwesenheit von 5,5 Stunden zugrunde gelegt werden.

4.3. Ergebnis bei der Entschädigung für Zeitversäumnis

Bei einem gemäß § 20 JVEG zugrunde zu legenden Stundensatz von 3,50 EUR ergibt sich bei einer zu entschädigenden Zeitdauer von 5,5 Stunden eine Entschädigung für Zeitversäumnis in Höhe von 19,25 EUR.

Der Antragstellerin steht daher für das Erscheinen beim Gerichtstermin am 22.04.2015 eine Entschädigung von insgesamt 43,75 EUR zu. Dass dieser Betrag niedriger ist als die von der Kostenbeamtin festgesetzte Entschädigung und die Antragstellerin insofern möglicherweise mit einer Rückforderung zu rechnen hat, steht der gerichtlichen Festsetzung der (niedrigeren) Entschädigung nicht entgegen (vgl. oben Ziff. 1.).

Das LSG hat über den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
Saved