L 4 KR 3370/15 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 1749/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3370/15 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 3. August 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die vorläufige Zahlung von Krankengeld ab 7. Mai 2015.

Der 1973 geborene Kläger bezog ab 1. April 2011 Arbeitslosengeld und war deshalb seitdem versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Krankenkasse in der Krankenversicherung der Arbeitslosen. Ab 1. Dezember 2011 war Arbeitsunfähigkeit unter anderem wegen F 32.9 (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet) und F 41.0 (Panikstörung [episodisch paroxysmale Angst]) bescheinigt. Nach dem Ende der Leistungsfortzahlung durch die Agentur für Arbeit zum 11. Januar 2012 zahlte die Beklagte dem Kläger Krankengeld vom 12. Januar bis 30. November 2012. Arbeitsunfähigkeit war erneut ab 24. Februar 2014 bescheinigt, unter anderem wegen F 32.9. Die Beklagte zahlte vom 7. April bis 26. August 2014 erneut Krankengeld. Über das Ende des Anspruchs auf Krankengeld wegen der Bezugsdauer von 78 Wochen am 26. August 2014 unterrichtete sie den Kläger mit dem bestandskräftigen Bescheid vom 23. Juli 2014. Danach bezog der Kläger unterbrochen von einer Beschäftigung vom 1. bis 26. September 2014 wieder Arbeitslosengeld.

Mit der Erstbescheinigung vom 26. März 2015 bescheinigte Internist Dr. S. erneut Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 10. April 2015 wegen F 43.9 (Reaktion auf schwere Belastung, nicht näher bezeichnet), F 41.9 (Angststörung, nicht näher bezeichnet) und F 32.9. Ferner gab Dr. S. in den von ihm ausgestellten Auszahlscheinen für Krankengeld (jeweils ohne Angabe des Datums des nächsten Praxisbesuchs) vom 7. Mai, 1. Juni, 29. Juni und 28. Juli 2015 sowie in seinen ärztlichen Bescheinigungen zur Erlangung von Krankengeld vom 28. August und 28. Oktober 2015 an, es bestehe weiterhin Arbeitsunfähigkeit. In der weiteren ärztlichen Bescheinigung zur Erlangung von Krankengeld vom 29. September 2015 gab er lediglich an, der Kläger sei noch behandlungsbedürftig.

Die Agentur für Arbeit zahlte Arbeitslosengeld bis 6. Mai 2015.

Unter dem 28. April 2015 unterrichtete die Beklagte den Kläger mit der Betreffangabe "Zahlung von Krankengeld", ab dem 7. Mai 2005 erhalte er Krankengeld. Um den Antrag bearbeiten zu können, werde er gebeten, den beigefügten Fragebogen auszufüllen und zurückzusenden. Mit Bescheid vom 26. Mai 2015 lehnte es die Beklagte (sinngemäß) ab, Krankengeld wegen der ab 26. März 2015 bestehenden Arbeitsunfähigkeit zu zahlen. Ein Anspruch auf Krankengeld für die jetzige Arbeitsunfähigkeit sei nicht mehr gegeben, weil der Kläger für die Arbeitsunfähigkeit vom 1. Dezember 2011 bis 30. November 2012 und vom 24. Februar bis 26. August 2014 bereits Krankengeld bis zur Höchstanspruchsdauer von 78 Wochen (546 Kalendertage) erhalten habe. Ein erneuter Anspruch auf Krankengeld entstehe nur, wenn er nachweise, dass er zwischen der letzten Arbeitsunfähigkeit und der seit 26. März 2015 bestehenden Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate arbeitsfähig gewesen sei.

Der Kläger erhob Widerspruch. Er habe zwischen seiner letzten Arbeitsunfähigkeit und der seit 26. März 2015 bestehenden Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden. Zudem sei er vom 1. bis 26. September 2014 beschäftigt gewesen.

Die Beklagte veranlasste das sozialmedizinische Gutachten des Dr. G., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), vom 24. Juni 2015. Dieser nannte nach ambulanter Untersuchung des Klägers am Vortag als Diagnosen eine somatoforme Schmerzstörung, eine Angststörung, eine depressive Störung eine Lumboischialgie rechts mit begrenzten sensiblen und motorischen Defiziten sowie ein Colon irritable. Das Leistungsvermögen des Klägers lasse derzeit auch eine körperlich leichte Tätigkeit in Vollzeit mit am allgemeinen Arbeitsmarkt üblichen Mindestanforderungen an psychische Belastbarkeit, Ausdauer, Konzentration auf die Arbeit und Vorhersagbarkeit der Erbringung der Leistung nicht zu, so dass Arbeitsunfähigkeit derzeit als begründet zu akzeptieren sei. Die aktuell Arbeitsunfähigkeit begründende gewichtige komplexe psychische Krankheit habe auch im Zeitraum vom 27. August 2014 bis 25. März 2015 durchgehend bestanden und sei auch durchgehend symptomatisch gewesen. Zumindest zeitweise in diesem Zeitraum seien die aus der Krankheit resultierenden Funktionseinschränkungen so gewichtig gewesen, dass, wie aktuell, eine relevantes positives Leistungsbild nicht vorgelegen habe und der Kläger nicht arbeitsfähig gewesen sei. Es sei der Eindruck entstanden, dass das Ende des Arbeitsverhältnisses sich außerordentlich ungünstig auf die psychische Verfassung des Klägers ausgewirkt habe. Dies sei auch kommuniziert worden, der Kläger habe dem explizit nicht widersprochen. Belegt sei eine notfallmäßige Krankenhausbehandlung am 4. Februar 2015. Der Kläger habe glaubhaft seine Fähigkeit kommuniziert, im Januar 2015 sinnvoll an einem Bewerbungsgespräch teilzunehmen.

Am 17. Juni 2015 beantragte der Kläger beim Sozialgericht Ulm (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, ihm Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Seine Existenzgrundlage sei gefährdet. Zwischen der letzten Arbeitsunfähigkeit und der seit 26. März 2015 bestehenden Arbeitsunfähigkeit habe mindestens sechs Monate Arbeitsfähigkeit bestanden. Er hat zur Glaubhaftmachung, dass seine Existenzgrundlage gefährdet sei, eine ausgefüllte Erklärung über die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe vorgelegt.

Die Beklagte trat dem Antrag entgegen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Krankengeld. Arbeitsunfähigkeit bestehe wegen derselben Erkrankung, die zur Aussteuerung mit Ablauf des 26. August 2014 geführt habe (Verweis auf das Gutachten des Dr. G. vom 24. Juni 2015). Seit der Aussteuerung zum 26. August 2014 liege die erforderliche mindestens sechsmonatige Arbeitsfähigkeit nicht vor. Ihre vorläufige Verpflichtung, im Wege der einstweiligen Anordnung Krankengeld zu zahlen, käme einer grundsätzlichen Vorwegnahme der Hauptsache gleich. Der Kläger habe grundsätzlich einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Falls dies nicht bewilligt werden könnte, könne er zu seiner vorläufigen finanziellen Absicherung Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe beantragen.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2015). Zur Begründung wiederholte er das Vorbringen der Beklagten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

Der Kläger erhob am 8. Juli 2015 Klage beim SG, die beim SG noch anhängig ist. Er verwies auf sein bisheriges Vorbringen sowie auf die "Zusicherung der Beklagten" vom 28. April 2015.

Die Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen entgegen.

Das SG lehnte es ab, eine einstweilige Anordnung zu erlassen (Beschluss vom 3. August 2015). Der Kläger habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Unstreitig sei, dass der Kläger aufgrund der vorliegenden psychischen Erkrankungen die Höchstbezugsdauer von 78 Wochen durch die Gewährung von Krankengeld in den Jahren 2011 bis 2014 ausgeschöpft habe, was die Beklagte zudem bestandskräftig mit Bescheid vom 23. Juli 2014 festgestellt habe. Ein neuer Anspruch auf Krankengeld könne daher nur unter den erschwerten Bedingungen des § 48 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) entstehen. Dessen Voraussetzungen seien aber nach summarischer Prüfung nicht erfüllt. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er wegen seiner psychischen Erkrankung nicht arbeitsunfähig gewesen sei. Seine nur ca. vierwöchige Erwerbstätigkeit könne eine (nahezu) durchgängig bestehende Arbeitsfähigkeit von Ende August 2014 bis Ende März 2015 jedenfalls nicht belegen. Vielmehr spreche die Tatsache, dass Dr. S. im Juli 2014 bestätigt habe, für eine Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt bestehe keine ausreichende psychische Belastbarkeit und eine Vorstellung in einer psychosomatischen Klinik zur stationären Behandlung sei eingeleitet worden (allerdings wohl bis zum heutigen Tage nicht durchgeführt), dafür, dass der Kläger für vollschichtige Tätigkeiten zumindest nicht durchgängig arbeitsfähig gewesen sei. Dass die damals vorhandenen Symptome ohne konsequente fachärztliche (stationäre) Therapie soweit hätten behoben werden können, dass er nahezu durchgängig für vollschichtige Tätigkeitszeiten leistungsfähig gewesen sein solle, sei bei dem zu Grunde liegenden psychiatrischen Krankheitsbild kaum vorstellbar. Ob ein Anordnungsgrund gegeben sei, könne offengelassen werden.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 6. August 2015 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 10. August 2015 Beschwerde eingelegt. Hätte das SG Dr. S. befragt, hätte es erkennen müssen, dass zwischen der letzten Arbeitsunfähigkeit und der seit 26. März 2015 bestehenden Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate Arbeitsfähigkeit bestanden habe. Auch hätte das SG bejahen müssen, dass ein Anordnungsgrund vorliege, weil seine Existenzgrundlage durch die Nichtzahlung von Krankengeld erheblich gefährdet sei. Aus der "Zusicherung" der Beklagten vom 28. April 2015 ergebe sich, dass in jedem Fall für die Zeit ab 7. Mai 2015 durch Verwaltungsakt Krankengeld bewilligt worden sei. Die (im Gutachten des Dr. G. erwähnte) Krankenhausbehandlung sei ambulant und nicht stationär erfolgt. Das Arbeitsverhältnis im September 2014 sei durch Kündigung des Arbeitgebers beendet worden, allerdings nicht wegen Krankheit. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I bestehe wegen der weiterhin bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht, ebenso wenig auf Arbeitslosengeld II, weshalb er dies nicht beantragt habe.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 3. August 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten ihm vorläufig Krankengeld unbefristet ab 7. Mai 2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen des SG sowie auf ihren Vortrag im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Mit dem Schreiben vom 28. April 2015 seien lediglich ein allgemeines Informationsblatt zum Krankengeld sowie verschiedene Vordrucke übersandt worden, die im Falle einer Gewährung von Krankengeld benötigt würden.

Der Senat hat Dr. S. als sachverständigen Zeugen gehört. In seiner Auskunft vom 1. Oktober 2015 hat er über die Behandlung ab 26. März 2015 berichtet. Die antidepressive Therapie, auch deren Erhöhung, sei gut toleriert worden. Im Verlauf der letzten Vorstellung am 1. September 2015 habe ein unveränderter bis schlechter Krankheitszustand bestanden. Eine Überweisung an einen Psychiater für einen Termin am 19. September 2015 sei erfolgt. In seiner weiteren Auskunft vom 12. Oktober 2015 hat er angegeben, zwischen dem 26. August 2014 und 26. März 2015 habe er den Kläger nicht behandelt. Der Kläger sei seit 15. Januar 2008 wegen einer Vielzahl von Erkrankungen, wiederholt auch wegen einer depressiven Symptomatik, bei ihm in Behandlung gewesen. Eine medikamentöse Therapie mit Psychopharmaka als Indikator für eine Verschlechterung der Erkrankung sei von ihm erstmals am 1. April 2014 verordnet worden. Eine Wiederaufnahme dieser Behandlung sei am 26. März 2015 erfolgt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats, die Akten des SG (S 5 KR 1749/15 ER und S 5 KR 1971/15) sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig. Der Kläger hat die Beschwerde form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerde ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Denn eine Berufung in der Hauptsache bedürfte nicht der Zulassung. Der Kläger begehrt die vorläufige Zahlung von Krankengeld für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Die zulässige Beschwerde des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf vorläufige Zahlung von Krankengeld seit 7. Mai 2015.

Da vorliegend kein Fall der Anordnung der aufschiebenden Wirkung oder der sofortigen Vollziehung nach § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG. Im Betracht kommt insoweit allein die Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Ast zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, sodass dem Ast schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein.

a) Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld , wenn - abgesehen von den im vorliegenden Fall in der Zeit seit 26. März 2015 nicht gegebenen Fällen stationärer Behandlung - die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt (z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 16. Dezember 2014 - B 1 KR 25/14 R und B 1 KR 37/14 R - in juris, jeweils m.w.N.). Da der Kläger zuletzt vor dem 26. März 2015 Arbeitslosengeld bezog, war er Mitglied in der Krankenversicherung der Arbeitslosen und damit mit Anspruch auf Krankengeld versichert.

aa) Soweit der Kläger Krankengeld ab 7. Mai 2015 ohne Befristung begehrt, steht ihm ein solcher Anspruch nicht zu. Der Anspruch auf Krankengeld ist zeitlich begrenzt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens achtundsiebzig Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Der Kläger könnte mithin wegen der am 26. März 2015 erstmals bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Krankengeld nur für die folgenden 546 Kalendertage (bis 22. September 2016) erhalten.

bb) Ein Anspruch auf Krankengeld für 546 Kalendertage ist nicht glaubhaft gemacht.

(1) Es kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger ab 26. März 2015 und auch noch am 7. Mai 2015 wegen einer depressiven Störung und eine Angststörung arbeitsunfähig war. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. G. vom 24. Juni 2015. Aufgrund der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. S. kann auch davon ausgegangen werden, dass derzeit noch Arbeitsunfähigkeit besteht. Dafür spricht auch, dass nunmehr - allerdings erst fast sechs Monate nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit - fachärztliche Behandlung in Anspruch genommen werden soll.

Soweit die von Dr. S. ausgestellte ärztliche Bescheinigung zur Erlangung von Krankengeld vom 29. September 2015 anders als die zuvor von ihm ausgestellten Auszahlscheine sowie die ärztliche Bescheinigung zur Erlangung von Krankengeld vom 28. August und 28. Oktober 2015 keine Angabe enthält, der Kläger sei noch arbeitsunfähig, sondern allein die Angabe es bestehe noch Behandlungsbedürftigkeit, geht der Senat davon aus, dass insoweit eine unvollständige Ausfüllung dieser Bescheinigung erfolgte.

(2) Arbeitsunfähigkeit ist nur für die Zeit bis 28. Oktober 2015 ärztlich festgestellt. Für die Zeit danach fehlt (noch) die notwendige ärztliche Feststellung.

Ein Anspruch auf Krankengeld setzt auch die ärztliche Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit voraus. Soweit - wie vorliegend - keine stationäre Behandlung erfolgte, entsteht der Anspruch auf Krankengeld nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der bis 22. Juli 2015 geltenden Fassung von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt und nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der seit 23. Juli 2015 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 15 Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) vom 16. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1211) von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Das BSG hat wiederholt entschieden, dass das Gesetz weder einen Anhalt für das Verständnis des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V als bloßer Zahlungsvorschrift noch dafür, dass der Krankengeldanspruch gemäß § 44 SGB V schon bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entsteht, bietet (zuletzt BSG, u.a. Urteile vom 16. Dezember 2014 - B 1 KR 25/14 R und B 1 KR 37/14 R - beide in juris, m.w.N.). Ohne diese Feststellung kann kein Anspruch entstehen. Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist keine reine Formalität, sondern Voraussetzung der Entstehung des Anspruchs auf Krankengeld.

(3) Für den Zeitraum, für den die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt ist (7. Mai bis 28. Oktober 2015), ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 SGB V gegeben sind.

Nach § 48 Abs. 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an (Satz 1). Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer nicht verlängert (Satz 2). Da der Kläger ab 1. Dezember 2011 wegen psychischer Erkrankungen (depressive Episode und Angststörung) arbeitsunfähig war, lief der Dreijahreszeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 30. November 2014. Innerhalb dieses Zeitraums zahlte die Beklagte dem Kläger für 546 Kalendertage (= 78 Wochen) Krankengeld, was der Kläger nicht infrage stellt.

Nach § 48 Abs. 2 SGB V besteht für Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krankengeld bezogen haben, nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit, wenn sie bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert sind und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate 1. nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig waren und 2. erwerbstätig waren oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen.

Sowohl die bis 26. August 2014 bestehende Arbeitsunfähigkeit, wegen der der Kläger in den Jahren 2011 bis 2014 Krankengeld bezog, als auch die seit 26. März 2015 bestehende und von Dr. S. bescheinigte Arbeitsunfähigkeit beruhen auf denselben Krankheiten, nämlich der depressiven Episode sowie der Angststörung des Klägers. Arbeitsunfähigkeit bestand jeweils wegen der psychischen Erkrankung. Dies ergibt sich aus der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. S. vom 12. Oktober 2015, wonach eine bereits am 1. April 2014 begonnene Therapie mit Psychopharmaka am 26. März 2015 wieder aufgenommen wurde.

Da der Kläger im Dreijahreszeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 30. November 2014 für 78 Wochen (= 546 Kalendertage) Krankengeld bezog, konnte ein Anspruch auf Krankengeld erst in einem neuen Dreijahreszeitraum wiederaufleben. Ein neuer Dreijahreszeitraum begann am 1. Dezember 2014. Seit dem Ende des Bezugs von Krankengeld am 26. August 2014 ist eine Arbeitsfähigkeit von mindestens sechs Monaten (= 180 Kalendertage) nicht glaubhaft gemacht. Es ist schon unwahrscheinlich, dass mit dem 27. August 2014 das psychische Krankheitsbild des Klägers verschwunden oder jedenfalls deutlich abgeklungen war. Dagegen spricht die Wiederaufnahme der Therapie. Allein dass der Kläger vom 26. August 2014 bis 26. März 2015 sich nicht in ärztlicher Behandlung bei Dr. S. befand, belegt noch nicht, dass die Erkrankung abgeklungen war. Dagegen spricht die regelmäßige Behandlung zuvor und danach sowie die behauptete Schwere der Erkrankung mit der Folge einer behaupteten langandauernden Arbeitsunfähigkeit. Weshalb deswegen erst im September 2015 fachärztliche Behandlung bei einem Psychiater in Anspruch genommen werden soll, erschließt sich nicht. Bereits das SG wies darauf hin, dass eine beabsichtigte psychosomatische stationäre Behandlung wohl nicht erfolgte. Ebenso wenig spricht der Umstand, dass der Kläger in diesem Zeitraum überwiegend Arbeitslosengeld bezog dafür, dass die Erkrankung abgeklungen war. Denn auch leistungsgeminderte Versicherte könne nach Erschöpfung des Anspruchs auf Krankengeld Arbeitslosengeld im Wege der so genannten Nahtlosigkeitregelung des § 145 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) beziehen.

(4) Aus dem Schreiben der Beklagten vom 28. April 2015 lässt sich ein Anspruch auf Krankengeld ab 7. Mai 2015 nicht ableiten. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich nicht um einen Bewilligungsbescheid. Dies folgt schon daraus, dass die Beklagte dem Kläger Unterlagen übersandte, damit der Kläger die Angaben macht, die sie für die Prüfung des Anspruchs auf Krankengeld benötigt. Dort heißt es ausdrücklich: "Um Ihren Antrag auf Krankengeld bearbeiten zu können, bitte ich Sie, den beigefügten Fragebogen auszufüllen und an mich zurückzuschicken".

b) Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.

Soweit der Kläger die vorläufige Zahlung von Krankengeld vor dem 17. Juni 2015, dem Tag des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim SG, begehrt, fehlt ein Anordnungsgrund, weil der Kläger insoweit Leistungen für die Vergangenheit geltendmacht. Die Regelungsanordnung dient zur Abwendung wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller - noch bestehender - Notlagen notwendig sind. Einen Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigungen in der Vergangenheit herbeizuführen ist deshalb grundsätzlich nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes; eine Ausnahme ist bei einer begehrten Regelungsanordnung nur dann zu machen, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. z.B. Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 28. März 2007 - L 7 AS 1214/07 ER-B - und 6. Dezember 2012 - L 11 KR 4671/12 ER-B -, beide in juris). Für die Zeit vor dem 17. Juni 2015 gibt es keine Anhaltspunkte, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen war, den Lebensunterhalt von dem Einkommen seiner Ehefrau zu bestreiten.

Der Kläger hat einen Anordnungsgrund für die Zeit ab 17. Juni 2015 nicht glaubhaft gemacht. Aus seiner Behauptung, er habe einen Antrag auf Arbeitslosengeld II nicht gestellt, weil ein Anspruch insoweit nicht bestehe, muss der Schluss gezogen werden, dass es an einer Hilfebedürftigkeit (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Zweites Buch Sozialgesetzbuch [SGB II]) fehlt und der Kläger in der Lage war und ist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, etwa aus Einkünften seiner Ehefrau aus nichtselbständiger Tätigkeit oder aus Vermögen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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