L 12 R 539/15 B ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 2 R 468/15 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 12 R 539/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 20. Januar 2015 hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg im Kostenpunkt geändert. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen allein. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Streitwert wird auf 148.918 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Wirkung einer Klage gegen einen Bescheid der Beklagten gem. § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV.

Der Antragsteller ist ein Fußballverein, bei dem u.a. die Beigeladenen zu 1 bis 23 als Spieler unter Vertrag standen. Nach einer Betriebsprüfung und entsprechender Anhörung erließ die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller einen Bescheid mit dem Betreff "Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG)". Darin wurde mitgeteilt, dass sich für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2008 Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 595.671,38 Euro (einschließlich 254.761,50 Euro Säumniszuschläge) ergäben. Der Antragsteller wurde gebeten, die sich im Einzelnen ergebenden Beträge an die in den Anlagen bezeichneten Einzugsstellen zu zahlen. Weiter wurde u.a. ausgeführt, dass die Vertragsverhältnisse zu den Beigeladenen zu 1 bis 23 sowie eines weiteren, mittlerweile ver-storbenen Spielers, abhängige und somit sozialversicherungs- und beitragspflichtige Beschäf-tigungsverhältnisse seien. Den diesbezüglichen Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2015 zurück. Dagegen hat der Antragsteller am 23. Februar 2015 Klage zum Sozialgericht Altenburg (S 2 R 469/15) erhoben.

Parallel zu seiner Klage hat der Antragsgegner den Erlass einer einstweiligen Anordnung be-antragt und zunächst begehrt, die Vollziehung des Bescheids bis zum Abschluss des Haupt-sacheverfahrens auszusetzen. Nach Hinweis des Sozialgerichts, dass die Klage gem. § 7a Abs. 7 S. 1 SGB IV aufschiebende Wirkung habe, hat der Antragsteller die Feststellung der auf-schiebenden Wirkung seiner Klage begehrt und den ursprünglichen Antrag nur noch als Hilfsantrag weiterverfolgt. Mit Beschluss vom 16. März 2015 hat das Sozialgericht die aus dem Rubrum ersichtlichen Beigeladenen gem. § 75 Abs. 2 Var. 1 SGG beigeladen. Ein Teil der Beigeladenen hat zum Verfahren Stellung genommen. Eigene Anträge hat kein Beigeladener gestellt.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 2. April 2015 in entsprechender Anwendung des § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG festgestellt, dass die Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2015 aufschiebende Wirkung habe. Zur Begründung hat es sich auf die Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt vom 26. März 2013 (L 1 R 454/12 B ER) und des LSG Rheinland-Pfalz vom 6. Januar 2014 (L 2 R 409/13 B ER) gestützt. Die Kosten des Verfahrens hat das Sozialgericht in entsprechender Anwendung des § 197a Abs. 2 S. 1 SGG anteilig der Antragsgegnerin und den Beigeladenen zu 24, 25, 26, 27 und 31 auferlegt.

Dagegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt. Sie ist der Meinung, die Klage habe keine aufschiebende Wirkung. Den vom Sozialgericht genannten Entscheidungen sei nicht zu folgen, sondern vielmehr den Entscheidungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. Mai 2010 (L 11 KR 1125/10 ER-B), vom 16. Juni 2011 (L 5 R 5487/10 ER-B), vom 17. Januar 2014 (L 11 R 5134/13 ER-B), des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Dezember 2012 (L 8 R 565/12 B ER), des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. August 2013 (L 1 KR 228/13 B ER) und des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Oktober 2014 (L 5 R 868/14 B ER). Hingewiesen wurde ferner auf die Entscheidungen des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. März 2010 (L 5 R 21/10 B ER) und des Bundessozialgerichts vom 11. März 2009 (B 12 R 11/07 R). Eine Aussetzung der Vollziehung müsse daher angeordnet werden. Die entsprechenden Voraussetzungen habe der Antragsteller nicht belegt.

Der Antragsgegner beantragt

den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 2. April 2015 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage S 2 R 469/15 gegen den Bescheid vom 25. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2015 abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung als zutreffend und bezieht sich auf die dortigen Gründe. Unabhängig davon seien auch die Voraussetzungen für eine Anordnung gegeben, da der angegriffene Bescheid rechtswidrig sei und der Antragsgegner bei Vollzug Insolvenz beantragen müsse.

Ein Teil der Beigeladenen hat zum Verfahren Stellung genommen. Eigene Anträge hat kein Beigeladener gestellt.

Bzgl. der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten, der Klageakten im Verfahren S 2 R 469/15 und der Verwaltungsakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat zutreffend festgestellt, dass der Klage S 2 R 469/15 gegen den Bescheid vom 25. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2015 aufschiebende Wirkung zukommt.

Gegenstand des Verfahrens sind der feststellende Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 2. April 2015 und die Vollziehbarkeit des Bescheids vom 25. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2015.

Rechtsgrundlage für die Feststellung des Sozialgerichts ist § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG in entsprechender Anwendung (Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 23. April 2002 – L 6 RJ 113/02 ER, juris; Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte, § 86b, Rn. 36). Dass das Sozialgericht § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG zitiert hat, ist unschädlich. Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor, da der Antragsgegner und ihm folgend mehrere Beigeladene die aufschiebende Wirkung der durch den Antragsteller erhobenen Klage in Abrede stellen.

Die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage folgt aus § 7a Abs. 7 S. 1 SGB IV. Danach haben Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen, dass eine Beschäftigung vorliegt (sog. Statusentscheidung), aufschiebende Wirkung. Dies gilt nach Überzeugung des Senats auch dann, wenn - wie hier mit der Beitragsnachforderung - Regelungen getroffen werden, die über eine bloße Statusentscheidung hinaus gehen (a.A. Bayerisches LSG, Beschluss vom 29. Oktober 2014 - L 5 R 868/14 B ER, juris; Hessisches LSG, Beschluss vom 22. August 2013 - L 1 KR 228/13 B ER, juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Mai 2010 - L 11 KR 1125/10 ER-B, juris).

Nach der Gesetzesbegründung gilt § 7a Abs. 7 SGB IV nicht nur für die Statusentscheidungen der (heute: ), sondern auch für Statusentscheidungen der übrigen Sozialversicherungsträger außerhalb des Anfrageverfahrens (BT-Drs. 14/1855 S. 8), was Niederschlag auch in dem Wortlaut "Entscheidungen" gefunden hat (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 6. Januar 2014 - L 2 R 409/13 B ER, juris; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. März 2013 - L 1 R 454/12 B ER, juris). Das Bundessozialgericht hat zudem unter Verweis auf seine bestehende Rechtsprechung wiederholt, dass das auf die Feststellung der Versicherungspflicht bezogene und beschränkte Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV insofern Grenzen und Möglichkeiten der entsprechenden Verfahren der Einzugsstellen (§ 28h Abs. 2 S. 1 SGB IV) und der Träger der Rentenversicherung als Prüfstellen (§ 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV) teilt (Urteil vom 4. Juni 2009 - B 12 R 6/98 R, juris, Rn. 32). Damit kommt auch Statusentscheidungen nach § 28p Abs. 1 SGB IV gem. § 7a Abs. 7 SGB IV aufschiebende Wirkung zu.

Eine solche Statusentscheidung hat der Antragsgegner neben einer Beitragsnachforderung in seinem Bescheid vom 25. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2015 erlassen. Der genannte Bescheid ist dahin auszulegen, dass er Regelungen zur Versiche-rungspflicht und zur Beitragspflicht des Antragstellers trifft. Auch wenn sich der Bescheid formal als ein umfangreiches Anschreiben an den Vereinsvorsitzenden ohne klare Benennung von Verfügungssätzen und mit eigenwilliger Vermengung von Regelungen und Begründungen darstellt und primär die Nachforderung im Blick hat, kann ihm noch entnommen werden, dass er gegenüber dem Antragsteller auch eine Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbar nach außen gerichteten Rechtswirkungen (§ 31 S. 1 SGB X) über die Versicherungspflicht treffen will, da auf Seite 3 am Ende festgestellt wird, dass hinsichtlich der Amateurfußballspieler des Antragstellers abhängige und somit sozialversicherungs- und beitragspflichtige Beschäftigungsverhältnisse vorliegen. Dies ist aus Sicht eines objektiven Empfängers im genannten Sinne zu verstehen und wurde auch vom Antragsteller so interpretiert, wie sich u.a. aus seinem prozessualen Vorbringen, das sich schwerpunktmäßig mit der Beschäftigteneigenschaft der Beigeladenen zu 1 bis 23 befasst, zu entnehmen ist.

Rechtsgrundlage der Entscheidungen im Bescheid vom 25. April 2014 in Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom 20. Januar 2015 ist § 28p Abs. 1 S. 5 HS 1 SGB IV. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Satz 5 wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs (3. SGBÄndG) vom 30. Juni 1995 in § 28p Abs. 1 SGB IV eingefügt und sollte klarstellen, dass im Rahmen der Prüfung durch die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte nur von diesen erlassen werden (BT-Drs. 13/1559 S. 13).

Die nach § 7a Abs. 7 SGB IV auch für die Statusentscheidung nach § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV geregelte aufschiebende Wirkung einer Klage kann der Träger der Rentenversicherung nicht dadurch umgehen, dass er zusätzlich zu Statusentscheidungen auch Beitragsentscheidungen trifft. Ein solches Verständnis würde der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen, dass von Statusentscheidungen, die mit Widerspruch und Klage angefochtene werden, wegen ihrer Auswirkungen für die Betroffenen zunächst keine Rechtwirkungen ausgehen (BT-Drs. 14/1855 S. 8).

Die Anwendung des § 7a Abs. 7 SGB IV auf § 28p SGB IV führt auch zu keinem "Bösglau-bensschutz" (a.A. Bayerisches LSG, Beschluss vom 29. Oktober 2014 - L 5 R 868/14 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 22. August 2013 - L 1 KR 228/13 B ER). So ist schon nicht jeder geprüfte Arbeitgeber tatsächlich bösgläubig. Aber auch wenn böser Glauben vorliegt, werden durch die zeitliche engmaschige Prüfung spätestens nach vier Jahren entsprechende Tatbestände aufgedeckt (§ 28p Abs. 1 SGB IV).

Auch die Funktionsfähigkeit der Verwaltung wird nicht gefährdet. Wenn aus Sicht des Trägers der Rentenversicherung zu besorgen ist, dass Vermögensverschiebungen zum Nachteil der Sozialkassen stattfinden, hat er es in der Hand, den Sofortvollzug anzuordnen (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a SGG, 154 Abs. 1 VwGO. In Abänderung der erst-instanzlichen Kostenentscheidung waren die Kosten dabei allein der Antragsgegnerin aufzuer-legen, da die Voraussetzungen für eine Kostentragung Beigeladener nicht vorliegen. § 197a Abs. 2 S. 1 SGG sieht eine Kostentragung eines Beigeladenen in Fällen des § 154 Abs. 3 VwGO und des § 75 Abs. 5 SGG vor. Deren Voraussetzungen liegen indes nicht vor. Keiner der Beigeladenen hat eigene Anträge gestellt (§ 154 Abs. 3 VwGO). Es ist auch keine Verurteilung eines Beigeladenen erfolgt (§ 75 Abs. 5 SGG). Zwar ist dem Sozialgericht zuzu-stimmen, dass die getroffene Feststellung auch den Beigeladenen gegenüber wirkt, die die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage in Abrede gestellt haben. Das ist indes kein - auch kein entsprechender - Fall des § 75 Abs. 5 SGG, da es an der erforderlichen Wechselwirkung im Sinne eines Ausschließlichkeitsverhältnisses fehlt.

Die Streitwertfestsetzung resultiert aus §§ 197a SGG, 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 1 GKG. Bzgl. der Einzelheiten wird auf die Streitwertentscheidung des Sozialgerichts im Beschluss vom 2. April 2015 Bezug genommen.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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