L 2 AS 368/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 17 AS 1323/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 AS 368/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
081 Angelegenheiten nach dem SGB II § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II Einordnung einer Geldleistung als Einkommen

1. Für die Einordnung einer Geldleistung als Einkommen oder Vermögen komm es nicht auf deren Schicksal an, sondern einzig und allein auf die tatsächliche Erzielung von Geldeinnahmen.

2.Titulierte, gepfändete, rückständige Unterhaltsansprüche sind als Einkommen nach dem modifizierten Zuflussprinzip zu behandeln.

3. Auch wenn der Unterhaltsanspruch bereits vor Beginn des Leistungsbezungs entstanden und tituliert worden ist, ist die spätere Zahlung rückständigen Unterhalts während des Leistungsbezugs nicht als "Schonvermögen" anrechnungsfrei außen vor zu lassen.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 19. November 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob Kindergeld für die Tochter der Klägerin durch den Beklagten zu Recht als Einkommen der Klägerin bedarfsmindernd bei der Bewilligung von deren Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Zeitraum 01.04. bis 31.12.2008 berücksichtigt wurde.

Die Klägerin lebte im streitgegenständlichen Zeitraum in Haushaltsgemeinschaft mit ihrer 1992 geborenen Tochter. Die Kosten der gemeinsamen Unterkunft in D betrugen monatlich 417,32 EUR brutto warm. Diese setzten sich zusammen aus einer Grundmiete in Höhe von 255,00 EUR, kalten Betriebskosten in Höhe von 51,16 EUR sowie Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von 81,16 EUR (Vorauszahlungen gesamt: 160,00 EUR abzüglich Stromkosten in Höhe von 27,02 EUR mtl.). Die Klägerin erzielte monatlich Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung in Höhe von 75,00 EUR. Daneben bezog sie Unfallrente in Höhe von monatlich 119,04 EUR und Kindergeld für ihre Tochter in Höhe von monatlich 154,00 EUR. Beim Vater der Tochter trieb die Klägerin im Wege der Pfändung monatlich mindestens 674,47 EUR für ihre Tochter bei, bestehend aus 288,00 EUR laufendem Unterhalt und weiteren mindestens 386,47 EUR als Teilzahlung auf rückständigen und bereits seit Mai 2007 gerichtlich titulierten Unterhalt für die Zeit ab 2005.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheiden vom 27.01.2009 in Gestalt der Ände-rungsbescheide vom 26.03.2009, 25.08.2009 und 22.01.2009 in Gestalt der Widerspruchs-bescheide vom 01.03.2010 und 11.03.2010 Leistungen der Grundsicherung zwischen 312,91 EUR und 376,57 EUR monatlich, wobei er das Einkommen aus Kindergeld, Unfallrente und geringfügiger Beschäftigung bedarfsmindernd berücksichtigte.

Hiergegen hat die Klägerin am 12.04.2010 beim Sozialgericht Leipzig Klage erhoben.

Mit Urteil vom 19.11.2012 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Zu Recht habe der Beklagte das Kindergeld in voller Höhe als Einkommen berücksichtigt. Es sei aus keinem Gesichtspunkt erdenklich, weswegen der rückständige gepfändete Kindesunterhalt vorliegend als Schonvermögen der Tochter betrachtet werden sollte mit der Konsequenz,

dass das Kindergeld nicht im Rahmen des Einkommens der Klägerin berücksichtigt werden könnte.

Gegen das der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14.01.2013 zugestellte Urteil hat diese am 14.02.2013 beim Sächsischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass der Beklagte nicht berechtigt sei, das Kindergeld bei ihr als Einkommen anzurechnen, vielmehr sei es als Einkommen der Tochter zu berücksichtigen. Denn deren Grundsicherungsbedarf sei aus laufendem Unterhalt nicht vollständig gedeckt. Der daneben fließende rückständige Unterhalt sei nicht als Einkommen der Tochter der Klägerin zu berücksichtigen, weil er infolge der Entstehung eines gerichtlich durchsetzbaren Anspruchs durch Titulierung schon vor Beginn des Leistungsbezugs als Schonvermögen anrechnungsfrei sei. Es könne nicht zu Lasten der Unterhaltsberechtigten gehen, dass der Unterhaltsverpflichtete zunächst keinen Unterhalt gezahlt habe. Denn bei rechtzeitiger Zahlung des Unterhaltsverpflichteten wäre es zu keiner Anrechnung des rückständigen Unterhalts gekommen. Der Zweck der Zahlung rückständigen Unterhalts sei die Deckung des in der Vergangenheit entstandenen und seinerzeit nicht anderweitig gedeckten Bedarfs. Dies schließe eine Anrechnung auf den laufenden Lebensbedarf aus.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 19.11.2012 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 27.01.2009 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.03.2009, 25.08.2009 und 22.01.2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 01.03.2010 und 11.03.2010 dahin zu ändern, dass der Klägerin höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II auf der Grundlage einer Einkommensermittlung für die Tochter der Klägerin ohne Berücksichtigung von den laufenden Unterhalt übersteigendem Einkommen bewilligt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, dass keinerlei höhere Ansprüche der Klägerin bestehen, da das Kindergeld als Einkommen bei der Klägerin voll anzurechnen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten Bezug genommen. Ihr Inhalt war Gegenstand der Beratung und Ent-scheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das SG Leipzig mit seinem Urteil vom 19. November 2012 die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide vom 27.01.2009 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.03.2009 sowie vom 25.08.2009 und vom 22.01.2009 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 01.03.2010 und vom 11.03.2010 sind nur zugunsten der Klägerin rechtswidrig und verletzen diese nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat der Beklagte das Kindergeld für die damals noch minderjährige Tochter C K voll als Einkommen der Klägerin bedarfsmindernd angerechnet. Der Klägerin stehen keine höheren Grundsicherungsleistungen im Zeitraum zwischen dem 01.04.2008 und dem 31.12.2008 zu. Die ausnahmsweise Zurechnungsregel des § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht einschlägig.

Die Klägerin als erwerbsfähige Hilfebedürftige (vgl. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II) hat dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 19 in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung). Wegen der Höhe ist zunächst der Bedarf zu ermitteln und sodann das zu berücksichtigende Einkommen (vgl. § 9 Abs. 1 i.V.m § 11 SGB II) im Verhältnis gegenzurechnen.

Der Bedarf der Klägerin setzt sich zusammen aus: April bis Juni 2008: Regelleistung: 347,00 EUR Mehrbedarf Alleinerziehung 42,00 EUR = 389,00 EUR Kosten der Unterkunft: Grundmiete: 255 EUR: 2 = 127,50 EUR kalte Betriebskostenvorauszahlung: 51,82 EUR: 2 = 25,91 EUR Heizkostenvorauszahlung: 81,16 EUR: 2 = 40,58 EUR abzüglich der Warmwasserpauschale i.H.v. 6,26 EUR = 34,32 EUR KdU gesamt: 187,73 EUR Bedarf gesamt: 576,73 EUR

Juli bis Dezember 2008: Regelleistung: 351,00 EUR Mehrbedarf Alleinerziehung 42,00 EUR, = 393,00 EUR Kosten der Unterkunft: Grundmiete: 255 EUR: 2 = 127,50 EUR kalte Betriebskostenvorauszahlung: 51,82 EUR: 2 = 25,91 EUR Heizkostenvorauszahlung: 81,16 EUR: 2 = 40,58 EUR abzüglich der Warmwasserpauschale ab 01.07.2008 in Höhe von 6,33 EUR 34,25 EUR KdU gesamt: 187,66 EUR Bedarf gesamt: 580,28 EUR

Nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Dabei ist Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitssuchende zuständigen Senate grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (vgl. nur BSG SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 RdNr. 23; BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 15, RdNr. 18).

Nach dieser Definition durch das BSG ist vorliegend der von der Tochter der Klägerin C K bezogene titulierte Unterhalt als Einkommen der Tochter zu werten und entgegen den Ausführungen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht aufgrund besonderer Überlegungen als Schonvermögen außen vor zu lassen mit der Folge, dass die Tochter der Klägerin ihren Bedarf nicht selber decken könnte und daher dann das Kindergeld für die Tochter nicht einkommensmindernd bei der Klägerin anzurechnen wäre. Das Kindergeld ist als Steuervergünstigung Einkommen des Kindergeldberechtigten, hier der Klägerin und nicht des Kindes, §§ 31 S. 3, 62 EStG. Gemäß § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II wird das Kindergeld lediglich dann nicht beim Kindergeldberechtigten sondern beim Kind selbst zugerechnet, wenn es zur Sicherung des Lebensunterhalts des in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kindes benötigt wird. Vorliegend übersteigt der gezahlte Unterhaltsbetrag den Bedarf der Tochter der Klägerin, sodass die Tochter selbst nicht mehr bedürftig ist, nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft zählt und daher das Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR als Einkommen bei der Klägerin anzurechnen ist. Die Tochter hat im streitigen Zeitraum April bis Dezember 2008 aus der Pfändung der titulierten Forderung jeweils 288,- EUR monatlichen laufenden Unterhalt sowie mindestens 386,47 EUR Teilzahlung auf seit 2005 bestehenden, seit Mai 2007 titulierte Unterhaltsansprüche erhalten. Die insgesamt 674,47 EUR, bzw. 686,17 EUR, die die Tochter erhalten hat, übersteigen ihren nach § 19 SGB II bestehenden Bedarf zuzüglich des hälftigen KdU-Bedarfs in Höhe von 192,61 EUR. Denn der sich hieraus ergebende Gesamtbedarf der Tochter beläuft sich auf 539,61 EUR.

Soweit die Prozessbevollmächtigte der Klägerin meint, die Bestimmung des § 366 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) müsse vorliegend vorgehen, da der Unterhaltsverpflichtete keine Tilgungsbestimmung getroffen habe und mithin die ältesten, aus 2005 bestehenden Forderungen getilgt worden seien, die aus einer Zeit vor Entstehung des Alg II-Anspruchs der Klägerin stammten, kommt es hierauf nicht an. Vielmehr ist nach dem Willen des SGB II der existenzsichernde Charakter der Leistungen maßgeblich. Mit den rückständigen Zahlungen auf offene Unterhaltsansprüche wird grundsicherungsrechtlich nicht der damalige Bedarf gedeckt, sondern werden dem leistungsberechtigten Unterhaltsgläubiger bereite Mittel für die Deckung seines aktuellen Bedarfs zur Verfügung gestellt. Der damalige

Bedarf der Tochter ist von der Mutter gedeckt worden und spielt für die gegenwärtige Betrachtung aus Sicht des SGB II keine Rolle mehr.

Der Senat vermag auch der Auffassung nicht zu folgen, wonach zwischen etwa einer Steu-ererstattung und titulierten, gepfändeten, rückständigen Unterhaltszahlungen zu unterscheiden sei. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. nur BSG, Urteil vom 30.07.2008, Az: B 14 AS 26/07 R) gilt für monatlich gezahlte Leistungen das modifizierte Zuflussprinzip. Danach spielt es keine Rolle, ob die Grundlage für die Zahlung aus einem früheren Zeitraum resultiert (Arbeitsentgelt, Betriebskosten-Rückzahlung, Steuererstattung), entscheidend für die Berücksichtigung ist der Zeitpunkt des Zuflusses. In diesem Zeitraum war die Klägerin jedenfalls im Leistungsbezug (zum Zufluss rückständigen Arbeitsentgelts s. auch Geiger in Münder LPK, 5. Aufl. 2013 § 11 RdNr. 17 mit Verweis auf BSG, Urteil vom 30.07.2008, B 14 AS 43/07 R; B 4 AS 47/08 R; B 14 AS 86/08 R: Arbeitsentgelt; BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 4 AS 70/07 R: Krankengeld; BSG, Urteil vom 21.12.2009 – B 14 AS 4/08 R: Übergangsgeld; BSG, Urteil vom 13.05.2009 – 4 AS 29/08 R: Insolvenzgeld).

Auch Mecke (in Eicher/Spellbrink, SGB II, 3. Auflage, § 12 Rd.-Nr. 29) spricht sich ausdrücklich dafür aus, nicht realisierte Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigen nicht als Vermögen im Sinne von § 12 SGB II zu bewerten. Dies ergebe sich insbesondere aus der Möglichkeit des § 33 SGB II. Danach können Unterhaltsansprüche in bestimmten Fällen in Höhe der erbrachten Leistung auf den Träger übergehen. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass auch bei Bestehen eines gegebenenfalls übergehenden Unterhaltsanspruchs stets Leistungen zu erbringen sind. Dies muss dann aber erst recht für die Fälle gelten, in denen der Unterhaltsanspruch nach § 33 Abs. 2 SGB II nicht vorgesehen oder gar ausgeschlossen ist (insbesondere § 33 Abs. 2 SGB II)

Mit dem damit gemäß §§ 9 Abs. 1, 11 Abs. 1 S. 1 SGB II voll bei der Klägerin als Einkommen bedarfsmindernd anzurechnenden Kindergeld belief sich deren anzurechnendes Einkommen auf 318,04 EUR monatlich (75,00 EUR aus geringfügiger Beschäftigung, Unfallrente in Höhe von 119,04 EUR sowie 154,00 EUR Kindergeld). Ihr Grundsicherungsbedarf betrug demgegenüber monatlich nicht mehr als 580,28 EUR, so dass ein Anspruch auf

Leistungen der Grundsicherung von maximal monatlich 262,24 EUR bestand. Die tatsächlich bewilligten Leistungen liegen darüber.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

III. Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), da sich die Entscheidung in die Rechtsprechung des BSG zu "Einkommen" und zum Zuflussprinzip einfügt.

Schmidt Korneli Dr. Scholz
Rechtskraft
Aus
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