L 3 R 675/15 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 1050/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 675/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.07.2015 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2015.

Die 1971 geborene Klägerin war Inhaberin der Firma Q e.K. Mit Beschluss vom 16.06.2010 eröffnete das Amtsgericht -Insolvenzgericht - E (00 IN 00/00) das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Antragstellerin. Mit Schreiben vom 19.01.2011 hörte die Beigeladene den Insolvenzverwalter zu einer beabsichtigten Änderung der Beitragsbescheide für die Jahre 2007 und 2008 an. Auf Grund der Feststellungen des Hauptzollamtes E seien, ausgehend von den dort festgestellten Lohnsummen, Beiträge für das Jahr 2007 in Höhe von 23.418,44 EUR und für das Jahr 2008 in Höhe von 21.493,60 EUR (insgesamt 44.912,04 EUR) nachzuerheben. Mit Schreiben vom 07.04.2011 meldete die Beigeladene diese Beitragsforderung nach § 38 Insolvenzordnung (InsO) zur Insolvenztabelle an. Beigefügt waren geänderte Beitragsbescheide vom 08.04.2011 für die Jahre 2007 und 2008. Die Bescheide waren adressiert an: Q e.K., T-straße 00, E. Die Forderungen der Beigeladenen wurden am 12.01.2015 zur Insolvenztabelle in voller Höhe festgestellt. Ein Widerspruch ist nicht eingetragen.

Die Antragstellerin bezieht von der Beklagten seit dem 01.11.2010 eine Erziehungsrente. Im Jahr 2015 betrug die Rente zunächst 859,32 EUR netto (960,68 EUR brutto) und ab dem 01.07.2015 877,35 EUR netto (980,83 EUR brutto).

Mit Schreiben vom 17.12.2014 ermächtigte die Beigeladene die Antragsgegnerin zur Verrechnung nach § 52 i.V.m. § 51 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I). Die Antragstellerin schulde Beiträge in Höhe von 23.418,44 EUR für das Jahr 2007 und 21.493,60 EUR für das Jahr 2008. Die Beiträge seien seit dem 15.05.2011 fällig. Die Beitragsforderungen beruhten auf Bescheiden vom 08.04.2011 und seien seit dem 12.05.2011 bestandskräftig.

Nach Anhörung der Antragstellerin verrechnete die Antragsgenerin mit Bescheid vom 20.02.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2015 die Forderung der Beigeladenen in Höhe von 44.912,04 EUR ab dem 01.04.2015 in Höhe von 429,66 EUR mit der Versichertenrente. Die Beigeladene habe gegen die Antragstellerin eine einziehbare nicht verjährte Forderung und habe sie, die Antragsgegnerin, ermächtigt, diese Forderung gegen den Rentenanspruch zu verrechnen. Es handele sich um eine Forderung wegen Beitragsansprüchen in Höhe von 44.912,40 EUR. Die Beitragsansprüche seien im Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum 31.12.2008 entstanden und mit bestandskräftigem Bescheid vom 08.04.2011 festgestellt worden. Die Beträge seien seit dem 15.05.2011 fällig. Soweit die Antragstellerin geltend gemacht habe, sich in der Insolvenz zu befinden, sei dies unerheblich. Da sich die Verrechnung auf den unpfändbaren Teil der Rente beziehe, stehe das Insolvenzverfahren ihr nicht entgegen. Da eine Sozialhilfebescheinigung nicht vorgelegt worden sei, werde die Verrechnung in der angegebenen Höhe durchgeführt.

Die auf Grund des Widerspruchs der Antragstellerin ausgesetzte Verrechnung nahm die Antragsgegnerin ab dem 01.06.2015 auf. Ab dem 01.07.2015 erfolgt eine Verrechnung weiterhin in Höhe der hälftigen Nettorente. Es wird monatlich ein Betrag in Höhe von 438,67 EUR einbehalten.

Die Antragstellerin hat am 27.05.2015 Klage erhoben (S 26 R 1051/15 SG Düsseldorf) und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit dem Ziel der vorläufigen Aussetzung der Verrechnung gestellt. In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 27.05.2015 gibt die Antragsstellerin an, dass ihr die Beitragsbescheide der Beigeladenen vom 08.04.2011 nie zugestellt worden seien. Erst jetzt habe sie die Forderungsanmeldung und die angehefteten Bescheide von dem Insolvenzverwalter erhalten. Sie habe daher damals keinen Widerspruch gegen diese Bescheide einlegen können.

Die Antragstellerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20.02.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2015 anzuordnen.

Die Antraggegnerin hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Klage gem. § 86a Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtgesetz (SGG) keine aufschiebende Wirkung habe, da eine Beitragsforderung verrechnet werde und die Antragstellerin bisher nicht nachgewiesen habe, dass sie durch die Verrechnung bedürftig werde.

Durch Beschluss vom 06.07.2015 hat das Sozialgericht den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 27.05.2015 anzuordnen, abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Aussetzung der Vollziehung erfolgen könne, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Zwar bestreite die Antragstellerin den Zugang der der Verrechnung zu Grunde liegenden Beitragsbescheide. Dies sei im Hauptsacheverfahren zu klären. Gleichzeitig habe die Antragstellerin nicht nachgewiesen, dass sie durch die Verrechnung hilfsbedürftig werde. Sie habe hierzu auch nicht vorgetragen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 06.07.2015 verwiesen.

Gegen den am 13.07.2015 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 31.07.2015 Beschwerde eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass die Verrechnung rechtswidrig sei, da ihr die Beitragsbescheide nicht zugestellt worden seien. Eine bestandskräftig festgestellte Forderung liege somit nicht vor.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 27.05.2015 gegen den Bescheid vom 20.02.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2015 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Antragstellerin sei die Forderung bereit im Dezember 2010 bekannt gewesen. Die Beitragsbescheide seien zu Recht an den Insolvenzverwalter zugestellt worden. Dieser sei an die Stelle der Antragstellerin getreten.

Der Senat hat durch Beschluss vom 02.09.2015 die BG Bau beigeladen. Diese ist der Auffassung, dass durch die Feststellung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle am 12.01.2015 Rechtskraftwirkung auch zu Lasten der Antragstellerin eingetreten sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Verwaltungsakten der Antraggegnerin und der Beigeladenen und der Akte S 26 R 1051/15 SG Düsseldorf Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts, den Antrag der Antragstellerin, auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 27.05.2015 gegen den Bescheid vom 20.02.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2015 abzuweisen, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Gemäß § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ebenso kann es gemäß § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG, wenn der angegriffene Verwaltungsakt bereits vollzogen ist, die Aufhebung der Vollziehung anordnen.

Widerspruch und Klage haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs 1 SGG). Diese aufschiebende Wirkung entfällt allerdings bei Verwaltungsakten über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten (§ 86a Abs 2 Nr 1 SGG).

Die vorliegend streitige Verrechnung der Beitragsforderung der Beigeladenen mit dem Anspruch der Antragstellerin auf Erziehungsrente durch die Beklagte unterfällt der Anforderung von Beiträgen im Sinne dieser Vorschrift. Anforderung erfasst nicht nur die Geltendmachung einer Geldforderung, sondern alle Verwaltungsakte, die zur Realisierung des behördlichen Anspruchs auf öffentliche Abgaben ergehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86 a, Rn 13a; LSG NRW Beschluss vom 22.04.2009 - L 8 B 2/09 LW ER; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 14.02.2011 - L 5 R 17/11 B ER).

Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Dabei gilt der Grundsatz, dass, je größer die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens sind, umso geringer die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellen sind (vgl. hierzu: Keller in Meyer-Ladewig/Leitherer, SGG, 11. Aufl., 2014, § 86b Rn 12e ff). Denn an der Vollziehung eines offenbar rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse. Andererseits ist die aufschiebende Wirkung bei einer aussichtslosen Klage nicht anzuordnen.

Ausgehend hiervon ist die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen den Beschied vom 20.02.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2015 nicht anzuordnen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Denn nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist nach summarischer Prüfung die Erfolgsaussicht der Klage gering. Die Beklagte dürfte die Verrechnung zu Recht vorgenommen haben.

Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Nach § 51 Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs 2 und 4 pfändbar sind. Mit - wie vorliegend - Beitragsansprüchen kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird (§ 51 Abs 2 SGB I).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Insbesondere steht einer Aufrechnung nicht entgegen, dass der Antragsgegnerin die Beitragsnachforderungsbescheide vom 08.04.2011 nicht zugestellt worden sind. Auf Grund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 16.06.2010 war es der Beigeladenen verwehrt, Beitragsansprüche gegenüber der Antragstellerin durch Verwaltungsakt festzustellen. Die Beitragsansprüche waren als Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden (BSG Urteil vom 17.05.2001 - B 12 KR 32/00). Die von der Beigeladenen geltend gemachte Beitragsnachforderung ist durch deren Feststellung zur Insolvenztabelle am 12.01.2015 bestandskräftig festgestellt.

Nach § 201 InsO können Insolvenzgläubiger, deren Forderung festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüfungstermin bestritten worden sind, aus der Eintragung in die Tabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben. Diese Rechtskraftwirkung gegen den Schuldner wirkt auch außerhalb des Insolvenzverfahrens (BGH Urteil vom 10.10.2013 - IX ZR 30/12). Ausweislich des bereits mit Schriftsatz vom 14.08.2015 von der Beigeladenen übersandten Auszuges aus der Insolvenztabelle wurde die Forderung der Beigeladenen am 12.01.2015 in voller Höhe zur Tabelle festgestellt. Ein die Rechtskraftwirkung des § 201 Abs 2 InsO hindernder Widerspruch der Antragstellerin ist nicht eingetragen.

Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin ist auch nicht deshalb offensichtlich rechtswidrig, weil er nicht inhaltlich hinreichend bestimmt ist. Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Mithin muss aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde regeln will. Insoweit kommt dem Verfügungssatz des Verwaltungsakts Klarstellungsfunktion zu. Unschädlich ist, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (BSG Urteil vom 07.02.2012 - B 13 R 85/09 R, m.w.N.)

Aus dem Bescheid vom 20.02.2015 konnte die Antragstellerin klar erkennen, welchen Rentenbetrag sie zukünftig erhalten wird, welcher Betrag monatlich verrechnet wird und welche Forderung der Beigeladenen insoweit erlischt. In dem angefochten Bescheid ist ausgeführt, dass es sich um eine Forderung der Beigeladenen wegen Beitragsansprüchen, entstanden im Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum 31.12.2008, in Höhe von 44.912,04 EUR (vgl. Widerspruchsbescheid vom 20.02.2015) handelt. Unschädlich dürfte sein, dass der Bescheid vom 20.02.2015 als Grundlage einen bestandskräftigen Bescheid vom 08.04.2011 nennt. An dessen Stelle dürfte die - Rechtskraft entfaltende - Feststellung der Forderung der Beigeladenen zur Insolvenztabelle treten. Diese erfolgte vor Erlass des Verrechnungsbescheides vom 20.02.2015 am 12.01.2015.

Anhaltspunkte, dass die Höhe des Verrechnungsbetrages unrichtig ermittelt wurde oder die Antragstellerin durch die Verrechnung hilfebedürftig wird, liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat hierzu nichts vorgetragen.

Unabhängig davon liegt auch keine unbillige Härte vor, denn es ist nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin durch die Vollziehung Nachteile entstehen. Entsprechende Umstände sind von der Antragstellerin weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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