Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
S 8 KA 118/12
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KA 11/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Widerspruch der Kassenärztlichen Vereinigung gegen einen Wirtschaftlichkeitsprüfungsbescheid des Prüfungsausschusses wirkt nicht in der Weise zugunsten des von der Prüfung betroffenen Arztes, dass dieser Klage gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses, in dem dieser Widerspruch zurückgewiesen wurde, erheben könnte.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 26.2.2014 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten. Außergerichtliche Kosten der übrigen Verfahrensbeteiligten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.408,78 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Umstritten ist die Rechtmäßigkeit eines Honorarregresses betreffend die Quartale I/2006 bis IV/2006 in Höhe von 18.408,78 EUR.
Die Klägerin ist eine ehemalige Berufsausübungsgemeinschaft, deren Gesellschafter im Zeitraum vom 1.9.2004 bis zum 31.12.2006 als Fachärzte für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Beigeladenen zu 1 teilnahmen. Mit Schreiben vom 4.7.2008 informierte die Gemeinsame Prüfungseinrichtung der Krankenkassen und der Beigeladenen zu 1 die Klägerin über eine Prüfempfehlung der Beigeladenen betreffend die Honorarabrechnungen der Klägerin in den Quartalen I/2006 bis IV/2006. Ursächlich hierfür seien Überschreitungen bei der GO-Nr. 01412 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM Ä) "Dringender Besuch wegen der Erkrankung ).
Mit Schreiben vom 11.3.2010 wies die Gemeinsame Prüfungseinrichtung die Klägerin darauf hin, dass auch hinsichtlich der GO-Nrn. 01100, 03001 und 03311 EBM Ä Auffälligkeiten bestünden. Die GO-Nrn. 01100 und 03311 EBM Ä lauteten in den streitbefangenen Quartalen:
01100 unvorhergesehene Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch einen Patienten
zwischen 19.00 und 22.00 Uhr
an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen, am 24.12. und 31.12. zwischen 07.00 Uhr und 19.00 Uhr
500 Punkte
03311Ganzkörperstatus
Obligater Leistungsinhalt
Erhebung des Ganzkörperstatus Fakultativer Leistungsinhalt
Leistung nach der Nr. 03312,
einmal im Behandlungsfall
300 Punkte
Mit Prüfbescheid vom 28.7.2010 (der Klägerin zugestellt am 29.7.2010) setzte der Prüfungsausschuss einen Honorarregress von 18.408,78 EUR gegen die Klägerin fest. Die Kürzung erfolgte, soweit der gewichtete Fachgruppendurchschnitt (unter Berücksichtigung der niedrigen Ansatzfrequenz der Fachgruppe) bei der GO-Nr. 01100 EBM Ä um mehr als + 200 % und bei der GO-Nr. 03311 EBM Ä (insoweit nach Bereinigung einer bereits durchgeführten sachlich-rechnerischen Korrektur) um mehr als + 100 % überschritten wurde. Hinsichtlich der GO-Nr. 01412 EBM Ä erfolgte eine Beratung und hinsichtlich der GO-Nr. 03001 EBM Ä keine Maßnahme.
Gegen den Prüfbescheid legte die Beigeladene zu 1 Widerspruch ein. Sie beanstandete die statistische Prüfung und Kürzung hinsichtlich der GO-Nr. 03311 EBM Ä; die Erbringung des fakultativen Leistungsinhalts dieser Leistung sei vom Einzelfall abhängig, sodass keine Grundlage für einen statistischen Vergleich bestehe; im vorliegenden Fall sei zur Prüfung der GO-Nr. 03311 EBM Ä die eingeschränkte, ggf repräsentative Einzelfallprüfung die geeignete Prüfmethode.
Die Klägerin nahm im Widerspruchsverfahren Akteneinsicht in die Akte des Beklagten. In dessen Sitzung am 8.2.2012 bezweifelte der Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin die "korrekte Einhaltung der Zustellungsfrist des Prüfbescheides". Hinsichtlich der GO-Nr. 01100 EBM Ä machte die Klägerin geltend, die Vergleichsgruppe hätte auf das Gebiet "Nord" des Landes Rheinland-Pfalz beschränkt werden müssen, da im Süden des Landes bereits vor einigen Jahren Bereitschaftsdienstzentralen eingerichtet worden seien; die Bereitschaftsdienstzentrale in Dernbach sei erst 2005 gegründet worden. Die hohe Ansatzhäufigkeit der GO-Nr. 01100 erkläre sich dadurch, dass ihre (der Klägerin) Ärzte häufig an Samstagen ihre Büroarbeiten in der Praxis erledigt hätten und somit auch in der Praxis erreichbar gewesen seien, was sich wohl bei den Patienten herumge-sprochen habe; man habe versucht, dies zu ändern, sodass die Überschreitungen im Laufe der Zeit geringer geworden seien.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 2.4.2012 (zugestellt am 3.4.2012) zurück und entschied, dass es bei einem Regress von 18.408,78 EUR verbleibe. Zur Begründung führte er aus: Als Vergleichsgruppe sei vorliegend die Fachgruppe der Allgemeinärzte in Rheinland-Pfalz herangezogen worden, weil deren wesentliche Leistungsbedingungen den Gegebenheiten in der Praxis der Klägerin entsprächen. Die Vergleichsgruppe sei mit 1.588 bis 1.704 Praxen aus-reichend groß. Bezüglich der GO-Nrn. 01100 und 03311 EBM Ä hätten sich folgende Werte ergeben:
Quartal GOP 01100 EBM GOP 03311 EBM
Anzahl Gesamt-ansätze Praxis Anzahl Anwender Ansatz je 100 Fälle gew.² Anzahl Gesamt-ansätze Praxis Anzahl Anwender Ansatz je 100 Fälle gew.²
Praxis PGR Abw. in % Praxis PGR Abw. in %
1/2006 117 1.317 3,03 1,16 161,21 687 1.465 17,80 3,50 408,57
2/2006 188 1.304 5,07 1,16 337,07 452 1.423 12,18 2,80 335,00
3/2006 212 1.156 5,66 1,02 454,90 555 1.337 14,82 2,81 427,40
4/2006 269 1.174 7,03 1,04 575,96 415 1.343 10,84 3,21 237,69
Vorliegend sei die in der zwischen der Beigeladenen zu 1 und den Krankenkassen geschlossenen Prüfvereinbarung vorgesehene Prüfmethode des statistischen Vergleichs nach Durchschnittswerten angewandt worden. Die festgestellten Überschreitungen befänden sich im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses. Die bei Honorarkürzungen zu beachtende Ausschlussfrist von vier Jahren seit dem Erlass des Honorarbescheides sei eingehalten; dies gelte auch für das Quartal I/2006, da der Honorarbescheid für dieses Quartal am 2.8.2006 von der Beigeladenen zu 1 an die Klägerin versandt worden sei und diese den Regressbescheid vom 28.7.2010 am 29.7.2010 erhalten habe. Hinsichtlich der GO-Nr. 01100 seien keine Praxisbesonderheiten zu erkennen, die eine erhöhte Ansatzhäufigkeit begründen könnten. Die Bildung einer gesonderten Vergleichsgruppe "Nord" oder "Gebiete ohne Bereitschaftsdienst" sei nicht möglich und nicht erforderlich gewesen. Bereits vor der Fusion der Kassenärztlichen Vereinigungen in Rheinland-Pfalz habe im Norden ein ärztlicher Bereitschaftsdienst bestanden, so zB ab 2005 in Dernbach, auf den die Ärzte der Klägerin ihre Patienten hätten verweisen können. Soweit die Klägerin auf die samstägliche Anwesenheit ihrer Ärzte in den Praxisräumen verwiesen habe, sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Leistung nach der GO-Nr. 01100 EBM Ä nach der Entscheidung des Bundes¬sozialgerichts (BSG) vom 28.9.2005 (B 6 KA 27/05 R) um einen seltenen Ausnahmefall handele, dh die Ärzte sollten sich auf dringliche Fälle beschränken, in denen wegen eines akuten und schwerwiegenden Problems die Einholung ärztlichen Rats und/oder ärztliche Behandlung nicht bis zur nächsten Sprechstunde aufgeschoben werden könne. Böten die Ärzte ihren Patienten die Möglichkeit, sie außerhalb der Sprechstunde zu erreichen, sollten sie die Patienten, zumindest nach der ersten Inanspruchnahme, darauf hinweisen, dass dies nur für schwerwiegende und keinen Aufschub duldende Anliegen in Betracht komme. In diesem Sinne bestehe eine Steuerbarkeit der Leistungserbringung durch die Ärzte. Gleichzeitig könnten die Ärzte auf den Bereitschaftsdienst hinweisen, um so, insbesondere an Samstagen, die Anzahl der Leistung "unvorhergesehene Inanspruchnahme" deutlich zu reduzieren. Das Argument, die Überschreitungen seien im Laufe der Zeit deutlich geringer ausgewiesen, sei für die geprüften Quartale nicht zu bestätigen. Erst nach Änderung der Praxiskonstellation (andere Betriebsstättennummer) sei die Abweichung von + 232 % im 1. Quartal 2007 auf 89,58 % im 4. Quartal 2008 gesunken. Hinsichtlich der GO-Nr. 03311 EBM Ä handele es sich um eine für die Fachgruppe der Allgemeinärzte übliche Leistung, die in den Prüfquartalen von mehr als 80 % der Praxen der Vergleichsgruppe abgerechnet worden sei. Die Anzahl der Vergleichspraxen (Anwender = 1.343 bis 1.465) sei für eine statistische Vergleichsprüfung absolut ausreichend. Von dem mit der Durchführung der intellektuellen Prüfung betrauten Sachverständigen sei festgestellt worden, dass in sehr vielen Fällen die angeführten Diagnosen die Durchführung der Leistung nach GO-Nr. 03311 EBM Ä nicht rechtfertigten. Die Ärzte hätten sehr viele Kinder gemäß der GO-Nr. 03110 EBM Ä (= Ordinationskomplex bis 5. Lebensjahr) im Quartal I/2006 mit einer statistischen Überschreitung in Höhe von 127,27 % behandelt. Der Anteil der Ganzkörperuntersuchungen bei diesen 180 Kindern habe im Quartal I/2006 nur ca. 20 % betragen und sei somit im Vergleich zu den Ansätzen der GO-Nr. 03311 EBM Ä – insgesamt 687) – nicht als Praxisbesonderheit zu werten. Kompensatorische Einsparungen seien nicht zu erkennen und auch von der Klägerin nicht durch detaillierte Nachweise geltend gemacht. Die Heilmittelkosten seien unterdurchschnittlich ausgewiesen; ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Mehraufwand an Leistungen einerseits und dem Minderaufwand andererseits sei jedoch nicht festzustellen. Die Arzneimittelkosten und die Honorarforderungen (Wert je Fall) seien in allen Prüfquartalen überdurchschnittlich ausgewiesen. Mit der Überschreitungstoleranz von 200 % bei der GO-Nr. 01100 EBM Ä und 100 % bei der GO-Nr. 03311 EBM Ä sei die Möglichkeit einer individuellen Behandlungsweise der Praxis ausreichend gewahrt. Bei der Festsetzung der Überschreitungstoleranz sei die niedrige Ansatzfrequenz der Fachgruppe berücksichtigt worden.
Am 3.5.2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Die Beigeladene zu 1 hat ua vorgetragen, Unterlagen zu den Feststellungen des vom Beklagten gehörten Sachver-ständigen fänden sich in der Verwaltungsakte des Beklagten nicht; eine Auseinandersetzung mit diesen Feststellungen sei nicht möglich; ihr sei insoweit das rechtliche Gehör (§ 24 SGB X) nicht gewährt worden. Zu beachten sei, dass die Klägerin direkt reagiert habe, als für sie erkennbar gewesen sei, dass ihre Versicherten Leistungen nach der GO-Nr. 01100 EBM Ä in einem Umfang in Anspruch genommen hätten, der als unwirtschaftlich betrachtet werden könnte. Es sei nicht nachzuvollziehen warum der Beklagte die statistischen Auffälligkeiten in Bezug auf die Behandlung sehr vieler Kinder nach der GO-Nr. 03310 EBM Ä nicht zugunsten der Klägerin berücksichtigt habe. Wegen des Leistungsinhalts der GO-Nr. 03311 EBM Ä bestünden grundsätzliche Bedenken, statistische Durchschnittswertprüfungen durchzuführen, weil nicht sicher sei, dass die statistisch gegenübergestellten Leistungen den gleichen Inhalt hätten. Erst recht sei nicht nachvollziehbar, wenn der Beklagte den fakultativen Leistungsinhalt der GO-Nr. 03311 EBM Ä als für seine weitere Entscheidung unbeachtlich erklärt habe.
Durch Urteil vom 26.2.2014 hat das Sozialgericht (SG) Mainz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung komme es nicht darauf an, ob die Klägerin durch den Bescheid des Beklagten beschwert sei, obwohl dieser nur den Widerspruch der Beigeladenen zu 1 zurückgewiesen habe. Für die für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Klagebefugnis sei ausreichend, dass die Klägerin behaupte, durch einen Verwaltungsakt in ihren rechtlich geschützten Interessen verletzt zu sein, und dass eine Verletzung nicht offensichtlich ausgeschlossen sei. Die Klage sei aber unbegründet. Denn über den Honorarregress sei im Verhältnis zur Klägerin durch den Prüfbescheid vom 28.7.2010 bestandskräftig entschieden, weil die Klägerin gegen diesen keinen Widerspruch eingelegt habe und der Widerspruch der Beigeladenen zu 1 nicht zugunsten der Klägerin wirke. Soweit das BSG in ständiger Rechtsprechung (Hinweis auf BSG 29.6.2011 – B 6 KA 16/10 R, juris Rn 10) davon ausgehe, dass der Bescheid des Beschwerdeausschusses den ursprünglichen Prüfbescheid "ersetze", könne dies nicht dahingehend verstanden werden, dass durch die Entscheidung des Beschwerdeausschusses die Bestandskraft des Ausgangsbescheides ausnahmslos aufgehoben werde. Die Hinzuziehung der Klägerin als Beteiligte des Widerspruchsverfahrens habe nicht bewirkt, dass sie Widerspruchsführer geworden sei. Eine gesetzliche Regelung, wonach der Widerspruch der Beigeladenen zu 1 zugunsten der Klägerin wirke, gebe es nicht. Dem stehe nicht entgegen, dass der Widerspruch einer Krankenkasse bzw. eines Krankenkassenverbandes nach der Rechtsprechung (Hinweis auf Landessozialgericht – LSG – Rheinland-Pfalz 2.4.2009 – L 5 KA 21/08, juris) regelmäßig auch zugunsten der übrigen, von der Prüfung betroffenen Krankenkassen bzw. -verbände wirke. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Krankenkassen bzw. –verbänden sei im vorliegenden Zusammenhang nicht mit demjenigen zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und betroffenem Arzt vergleichbar, da die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht die Stellung eines Sachwalters der Interessen des betroffenen Vertragsarztes hätten (Hinweis auf BSG 28.4.2004 – B 6 KA 8/03 R, juris Rn 33).
Gegen dieses ihr am 12.3.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.4.2014 eingelegte Berufung der Klägerin, die vorträgt: Das SG habe übersehen, dass die Klägerin als Beigeladene im Widerspruchsverfahren nach § 75 Abs. 4 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) berechtigt gewesen sei, eigene und auch abweichende Sachanträge zu stellen. Das SGG stelle in diesem Zusammenhang nicht einschränkend darauf ab, ob der notwendig Beigeladene selbst Widerspruch eingelegt habe. Folglich habe auch keine Bestandskraft des Bescheides vom 28.7.2010 zu ihren (der Klägerin) Lasten eintreten können. Darüber hinaus sei von Bedeutung, dass der Bescheid des Beklagten den Ausgangsbescheid ersetzt habe (Hinweis auf BSG 29.6.2011 – B 6 KA 16/10 R). In der Sache beziehe sie sich auf die Klagebegründung der Beigeladenen zu 1. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass der Grundsatz "Beratung vor Regress" zu beachten sei, mit der Folge, dass ein Regress nicht zulässig gewesen sei, da sie ihr Behandlungsverhalten geändert habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Mainz vom 26.2.2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 2.4.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor: Es bestehe weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Regelung, nach der ein Widerspruch der Kassenärztlichen Vereinigung auch für den von der Wirtschaftlichkeitsprüfung betroffenen Arzt Wirkung entfalte. Er, der Beklagte, hätte aufgrund des Widerspruchs der Beigeladenen zu 1 sogar gegenüber der Klägerin die Entscheidung der Prüfungsstelle verbösern dürfen. Insoweit bestehe ein anderer Sachverhalt als in dem Fall des Urteils des Senats vom 2.4.2009 (L 5 KA 21/08), in dem es um die Wirkung des Widerspruchs einer Krankenkasse zugunsten anderer Kassen und -verbände gegangen sei.
Die Beigeladene zu 1) schließt sich dem Vorbringen der Klägerin an und ergänzt, gegen eine Bindungswirkung der Entscheidung des Prüfungsausschusses zu Lasten der Klägerin sprächen die vom Senat in seiner Entscheidung vom 2.4.2009 (L 5 KA 21/08) herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze.
Die Beigeladene zu 2 schließt sich dem Vorbringen des Beklagten an. Die übrigen Beteiligten haben keinen Antrag gestellt und sich nicht geäußert.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 f, 151 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klägerin ist als ehemalige Berufsausübungsgemeinschaft beteiligtenfähig iSd § 70 Nr. 1 SGG. Dies gilt trotz der Auflösung der Gemeinschaft, da es im vorliegenden Rechtsstreit um Pflichten aus ihrem früheren Status geht (vgl. BSG 7.2.2007 – B 6 KA 6/06 R, juris Rn 11; Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage, § 70 Rn 2).
Wie das SG zutreffend entschieden ist, ist die Klage unbegründet, weil der Bescheid des Prüfungsausschusses vom 28.7.2010 der Klägerin gegenüber Bindungswirkung (§ 77 SGG) entfaltet. Die Klägerin hat diesen Bescheid nicht angefochten, dies ist auch nicht dadurch geschehen, dass der Beklagte sie am Widerspruchsverfahren beteiligt und sie in diesem sachlich Stellung genommen hat. Die Unanfechtbarkeit eines Bescheides kann verschiedenen Beteiligten gegenüber zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 77 Rn 4a).
Zwar wirkt der Widerspruch einer Krankenkasse bzw. eines Krankenkassenverbandes unter Umständen auch zugunsten anderer Krankenkassen bzw. -verbände, weil die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung einen einheitlichen Vorgang darstellt, an dem die Krankenkassen und ihre Verbände ein übergreifendes gemeinschaftliches Interesse haben (vgl. LSG Rheinland-Pfalz 2.4.2009 – L 5 KA 21/08, juris Rn 18; Engelhard in Hauck/Noftz, K § 106 Rz 638). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht entsprechend für die vorliegende Fallkonstellation. Denn der einzelne Arzt und die Kassenärztliche Vereinigung haben am Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht notwendig ein übergreifendes gemeinschaftliches Interesse. Während der Arzt an einer möglichst hohen Vergütung interessiert ist, hat die Kassenärztliche Vereinigung nicht für die Interessen einzelner Ärzte, sondern für die vertragsärztliche Versorgung in ihrer Gesamtheit Sorge zu tragen. Dieser Sicherstellungsauftrag folgt aus § 75 Abs. 1 SGB V. Deshalb kann ein Widerspruch der Kassenärztlichen Vereinigung keine unmittelbaren Wirkungen zugunsten des beteiligten Arztes erzeugen. Dass dem Arzt ein Erfolg des Widerspruchs der Kassenärztlichen Vereinigung mittelbar dadurch zugute kommt, dass der ihm gegenüber bindend gewordene Verwaltungsakt aufzuheben ist, ändert nichts am Eintritt dieser Bindungswirkung.
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf stützen, dass in vertragsarztrechtlichen Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren grundsätzlich allein der das Verwaltungsverfahren abschließende Verwaltungsakt des Beschwerdeausschusses Streitgegenstand des Klageverfahrens nach § 95 SGG ist (dazu BSG 29.6.2011 – B 6 KA 16/10 R, juris Rn 10 ständige Rechtsprechung). Denn dies bedeutet nicht, dass eine einem Beteiligten gegenüber eingetretene Bindungswirkung (§ 77 SGG) ohne weiteres durch einen Bescheid des Beschwerdeausschusses wieder aufgehoben wird. Diese Rechtsfolge wird auch nicht dadurch hervorgerufen, dass der Bescheid des Beschwerdeausschusses so das BSG (aaO) den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses "ersetzt". Diese Rechtsprechung des BSG trägt dem Umstand Rechnung, dass der Beschwerdeausschuss eine eigen-ständige Prüffunktion hat (vgl. LSG Rheinland-Pfalz 17.1.2013 – L 7 KA 29/11, juris Rn 25). Diese ändert aber nichts daran, dass der Beklagte vorliegend in seinem Bescheid nur über den Widerspruch der Beigeladenen zu 1 entschieden und keinen Bescheid erlassen hat, der die im Verhältnis zur Klägerin eingetretene Bindungswirkung aufgehoben hätte.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten kann im Verhältnis zur Klägerin nicht als erneuter Erstbescheid (sog Zweitbescheid; vgl BSG 11.3.2009, B 6 KA 15/08 R, juris Rn 10) aufgefasst werden, der zu deren Gunsten den Klageweg eröffnet hätte. Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte in seinem Bescheid auch auf die Argumentation der Klägerin im Widerspruchsverfahren eingegangen ist, die derjenigen der Beigeladenen zu 1, die sich nur auf die GO Nr. 03311 EBM Ä bezog, nicht entsprach. Indem der Beklagte auch die von der Klägerin beanstandeten Punkte einer Prüfung unterzogen hat, hat er nicht zu erkennen gegeben, dass er der Klägerin gegenüber einen Zweitbescheid erlassen wollte. Der Beklagte war auf den Widerspruch der Beigeladenen zu 1 hin ohnehin zur umfassenden Prüfung des Ausgangsbescheides berechtigt und verpflichtet und an einer im Verhältnis zu diesem abweichenden Entscheidung nur insoweit gehindert, als sie jedenfalls im Verhältnis zur Beigeladenen zu 1 den Grundsatz des Verbots der reformatio in peius zu beachten hatte. Ob er das Verböserungsverbot auch im Verhältnis zur Klägerin berücksichtigen musste, was der Beklagte im Berufungsverfahren bezweifelt hat, kann offenbleiben, weil er die Klägerin im Verhältnis zum Ausgangsbescheid nicht schlechter gestellt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr. 1 SGG).
2. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten. Außergerichtliche Kosten der übrigen Verfahrensbeteiligten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.408,78 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Umstritten ist die Rechtmäßigkeit eines Honorarregresses betreffend die Quartale I/2006 bis IV/2006 in Höhe von 18.408,78 EUR.
Die Klägerin ist eine ehemalige Berufsausübungsgemeinschaft, deren Gesellschafter im Zeitraum vom 1.9.2004 bis zum 31.12.2006 als Fachärzte für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Beigeladenen zu 1 teilnahmen. Mit Schreiben vom 4.7.2008 informierte die Gemeinsame Prüfungseinrichtung der Krankenkassen und der Beigeladenen zu 1 die Klägerin über eine Prüfempfehlung der Beigeladenen betreffend die Honorarabrechnungen der Klägerin in den Quartalen I/2006 bis IV/2006. Ursächlich hierfür seien Überschreitungen bei der GO-Nr. 01412 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM Ä) "Dringender Besuch wegen der Erkrankung ).
Mit Schreiben vom 11.3.2010 wies die Gemeinsame Prüfungseinrichtung die Klägerin darauf hin, dass auch hinsichtlich der GO-Nrn. 01100, 03001 und 03311 EBM Ä Auffälligkeiten bestünden. Die GO-Nrn. 01100 und 03311 EBM Ä lauteten in den streitbefangenen Quartalen:
01100 unvorhergesehene Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch einen Patienten
zwischen 19.00 und 22.00 Uhr
an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen, am 24.12. und 31.12. zwischen 07.00 Uhr und 19.00 Uhr
500 Punkte
03311Ganzkörperstatus
Obligater Leistungsinhalt
Erhebung des Ganzkörperstatus Fakultativer Leistungsinhalt
Leistung nach der Nr. 03312,
einmal im Behandlungsfall
300 Punkte
Mit Prüfbescheid vom 28.7.2010 (der Klägerin zugestellt am 29.7.2010) setzte der Prüfungsausschuss einen Honorarregress von 18.408,78 EUR gegen die Klägerin fest. Die Kürzung erfolgte, soweit der gewichtete Fachgruppendurchschnitt (unter Berücksichtigung der niedrigen Ansatzfrequenz der Fachgruppe) bei der GO-Nr. 01100 EBM Ä um mehr als + 200 % und bei der GO-Nr. 03311 EBM Ä (insoweit nach Bereinigung einer bereits durchgeführten sachlich-rechnerischen Korrektur) um mehr als + 100 % überschritten wurde. Hinsichtlich der GO-Nr. 01412 EBM Ä erfolgte eine Beratung und hinsichtlich der GO-Nr. 03001 EBM Ä keine Maßnahme.
Gegen den Prüfbescheid legte die Beigeladene zu 1 Widerspruch ein. Sie beanstandete die statistische Prüfung und Kürzung hinsichtlich der GO-Nr. 03311 EBM Ä; die Erbringung des fakultativen Leistungsinhalts dieser Leistung sei vom Einzelfall abhängig, sodass keine Grundlage für einen statistischen Vergleich bestehe; im vorliegenden Fall sei zur Prüfung der GO-Nr. 03311 EBM Ä die eingeschränkte, ggf repräsentative Einzelfallprüfung die geeignete Prüfmethode.
Die Klägerin nahm im Widerspruchsverfahren Akteneinsicht in die Akte des Beklagten. In dessen Sitzung am 8.2.2012 bezweifelte der Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin die "korrekte Einhaltung der Zustellungsfrist des Prüfbescheides". Hinsichtlich der GO-Nr. 01100 EBM Ä machte die Klägerin geltend, die Vergleichsgruppe hätte auf das Gebiet "Nord" des Landes Rheinland-Pfalz beschränkt werden müssen, da im Süden des Landes bereits vor einigen Jahren Bereitschaftsdienstzentralen eingerichtet worden seien; die Bereitschaftsdienstzentrale in Dernbach sei erst 2005 gegründet worden. Die hohe Ansatzhäufigkeit der GO-Nr. 01100 erkläre sich dadurch, dass ihre (der Klägerin) Ärzte häufig an Samstagen ihre Büroarbeiten in der Praxis erledigt hätten und somit auch in der Praxis erreichbar gewesen seien, was sich wohl bei den Patienten herumge-sprochen habe; man habe versucht, dies zu ändern, sodass die Überschreitungen im Laufe der Zeit geringer geworden seien.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 2.4.2012 (zugestellt am 3.4.2012) zurück und entschied, dass es bei einem Regress von 18.408,78 EUR verbleibe. Zur Begründung führte er aus: Als Vergleichsgruppe sei vorliegend die Fachgruppe der Allgemeinärzte in Rheinland-Pfalz herangezogen worden, weil deren wesentliche Leistungsbedingungen den Gegebenheiten in der Praxis der Klägerin entsprächen. Die Vergleichsgruppe sei mit 1.588 bis 1.704 Praxen aus-reichend groß. Bezüglich der GO-Nrn. 01100 und 03311 EBM Ä hätten sich folgende Werte ergeben:
Quartal GOP 01100 EBM GOP 03311 EBM
Anzahl Gesamt-ansätze Praxis Anzahl Anwender Ansatz je 100 Fälle gew.² Anzahl Gesamt-ansätze Praxis Anzahl Anwender Ansatz je 100 Fälle gew.²
Praxis PGR Abw. in % Praxis PGR Abw. in %
1/2006 117 1.317 3,03 1,16 161,21 687 1.465 17,80 3,50 408,57
2/2006 188 1.304 5,07 1,16 337,07 452 1.423 12,18 2,80 335,00
3/2006 212 1.156 5,66 1,02 454,90 555 1.337 14,82 2,81 427,40
4/2006 269 1.174 7,03 1,04 575,96 415 1.343 10,84 3,21 237,69
Vorliegend sei die in der zwischen der Beigeladenen zu 1 und den Krankenkassen geschlossenen Prüfvereinbarung vorgesehene Prüfmethode des statistischen Vergleichs nach Durchschnittswerten angewandt worden. Die festgestellten Überschreitungen befänden sich im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses. Die bei Honorarkürzungen zu beachtende Ausschlussfrist von vier Jahren seit dem Erlass des Honorarbescheides sei eingehalten; dies gelte auch für das Quartal I/2006, da der Honorarbescheid für dieses Quartal am 2.8.2006 von der Beigeladenen zu 1 an die Klägerin versandt worden sei und diese den Regressbescheid vom 28.7.2010 am 29.7.2010 erhalten habe. Hinsichtlich der GO-Nr. 01100 seien keine Praxisbesonderheiten zu erkennen, die eine erhöhte Ansatzhäufigkeit begründen könnten. Die Bildung einer gesonderten Vergleichsgruppe "Nord" oder "Gebiete ohne Bereitschaftsdienst" sei nicht möglich und nicht erforderlich gewesen. Bereits vor der Fusion der Kassenärztlichen Vereinigungen in Rheinland-Pfalz habe im Norden ein ärztlicher Bereitschaftsdienst bestanden, so zB ab 2005 in Dernbach, auf den die Ärzte der Klägerin ihre Patienten hätten verweisen können. Soweit die Klägerin auf die samstägliche Anwesenheit ihrer Ärzte in den Praxisräumen verwiesen habe, sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Leistung nach der GO-Nr. 01100 EBM Ä nach der Entscheidung des Bundes¬sozialgerichts (BSG) vom 28.9.2005 (B 6 KA 27/05 R) um einen seltenen Ausnahmefall handele, dh die Ärzte sollten sich auf dringliche Fälle beschränken, in denen wegen eines akuten und schwerwiegenden Problems die Einholung ärztlichen Rats und/oder ärztliche Behandlung nicht bis zur nächsten Sprechstunde aufgeschoben werden könne. Böten die Ärzte ihren Patienten die Möglichkeit, sie außerhalb der Sprechstunde zu erreichen, sollten sie die Patienten, zumindest nach der ersten Inanspruchnahme, darauf hinweisen, dass dies nur für schwerwiegende und keinen Aufschub duldende Anliegen in Betracht komme. In diesem Sinne bestehe eine Steuerbarkeit der Leistungserbringung durch die Ärzte. Gleichzeitig könnten die Ärzte auf den Bereitschaftsdienst hinweisen, um so, insbesondere an Samstagen, die Anzahl der Leistung "unvorhergesehene Inanspruchnahme" deutlich zu reduzieren. Das Argument, die Überschreitungen seien im Laufe der Zeit deutlich geringer ausgewiesen, sei für die geprüften Quartale nicht zu bestätigen. Erst nach Änderung der Praxiskonstellation (andere Betriebsstättennummer) sei die Abweichung von + 232 % im 1. Quartal 2007 auf 89,58 % im 4. Quartal 2008 gesunken. Hinsichtlich der GO-Nr. 03311 EBM Ä handele es sich um eine für die Fachgruppe der Allgemeinärzte übliche Leistung, die in den Prüfquartalen von mehr als 80 % der Praxen der Vergleichsgruppe abgerechnet worden sei. Die Anzahl der Vergleichspraxen (Anwender = 1.343 bis 1.465) sei für eine statistische Vergleichsprüfung absolut ausreichend. Von dem mit der Durchführung der intellektuellen Prüfung betrauten Sachverständigen sei festgestellt worden, dass in sehr vielen Fällen die angeführten Diagnosen die Durchführung der Leistung nach GO-Nr. 03311 EBM Ä nicht rechtfertigten. Die Ärzte hätten sehr viele Kinder gemäß der GO-Nr. 03110 EBM Ä (= Ordinationskomplex bis 5. Lebensjahr) im Quartal I/2006 mit einer statistischen Überschreitung in Höhe von 127,27 % behandelt. Der Anteil der Ganzkörperuntersuchungen bei diesen 180 Kindern habe im Quartal I/2006 nur ca. 20 % betragen und sei somit im Vergleich zu den Ansätzen der GO-Nr. 03311 EBM Ä – insgesamt 687) – nicht als Praxisbesonderheit zu werten. Kompensatorische Einsparungen seien nicht zu erkennen und auch von der Klägerin nicht durch detaillierte Nachweise geltend gemacht. Die Heilmittelkosten seien unterdurchschnittlich ausgewiesen; ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Mehraufwand an Leistungen einerseits und dem Minderaufwand andererseits sei jedoch nicht festzustellen. Die Arzneimittelkosten und die Honorarforderungen (Wert je Fall) seien in allen Prüfquartalen überdurchschnittlich ausgewiesen. Mit der Überschreitungstoleranz von 200 % bei der GO-Nr. 01100 EBM Ä und 100 % bei der GO-Nr. 03311 EBM Ä sei die Möglichkeit einer individuellen Behandlungsweise der Praxis ausreichend gewahrt. Bei der Festsetzung der Überschreitungstoleranz sei die niedrige Ansatzfrequenz der Fachgruppe berücksichtigt worden.
Am 3.5.2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Die Beigeladene zu 1 hat ua vorgetragen, Unterlagen zu den Feststellungen des vom Beklagten gehörten Sachver-ständigen fänden sich in der Verwaltungsakte des Beklagten nicht; eine Auseinandersetzung mit diesen Feststellungen sei nicht möglich; ihr sei insoweit das rechtliche Gehör (§ 24 SGB X) nicht gewährt worden. Zu beachten sei, dass die Klägerin direkt reagiert habe, als für sie erkennbar gewesen sei, dass ihre Versicherten Leistungen nach der GO-Nr. 01100 EBM Ä in einem Umfang in Anspruch genommen hätten, der als unwirtschaftlich betrachtet werden könnte. Es sei nicht nachzuvollziehen warum der Beklagte die statistischen Auffälligkeiten in Bezug auf die Behandlung sehr vieler Kinder nach der GO-Nr. 03310 EBM Ä nicht zugunsten der Klägerin berücksichtigt habe. Wegen des Leistungsinhalts der GO-Nr. 03311 EBM Ä bestünden grundsätzliche Bedenken, statistische Durchschnittswertprüfungen durchzuführen, weil nicht sicher sei, dass die statistisch gegenübergestellten Leistungen den gleichen Inhalt hätten. Erst recht sei nicht nachvollziehbar, wenn der Beklagte den fakultativen Leistungsinhalt der GO-Nr. 03311 EBM Ä als für seine weitere Entscheidung unbeachtlich erklärt habe.
Durch Urteil vom 26.2.2014 hat das Sozialgericht (SG) Mainz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung komme es nicht darauf an, ob die Klägerin durch den Bescheid des Beklagten beschwert sei, obwohl dieser nur den Widerspruch der Beigeladenen zu 1 zurückgewiesen habe. Für die für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Klagebefugnis sei ausreichend, dass die Klägerin behaupte, durch einen Verwaltungsakt in ihren rechtlich geschützten Interessen verletzt zu sein, und dass eine Verletzung nicht offensichtlich ausgeschlossen sei. Die Klage sei aber unbegründet. Denn über den Honorarregress sei im Verhältnis zur Klägerin durch den Prüfbescheid vom 28.7.2010 bestandskräftig entschieden, weil die Klägerin gegen diesen keinen Widerspruch eingelegt habe und der Widerspruch der Beigeladenen zu 1 nicht zugunsten der Klägerin wirke. Soweit das BSG in ständiger Rechtsprechung (Hinweis auf BSG 29.6.2011 – B 6 KA 16/10 R, juris Rn 10) davon ausgehe, dass der Bescheid des Beschwerdeausschusses den ursprünglichen Prüfbescheid "ersetze", könne dies nicht dahingehend verstanden werden, dass durch die Entscheidung des Beschwerdeausschusses die Bestandskraft des Ausgangsbescheides ausnahmslos aufgehoben werde. Die Hinzuziehung der Klägerin als Beteiligte des Widerspruchsverfahrens habe nicht bewirkt, dass sie Widerspruchsführer geworden sei. Eine gesetzliche Regelung, wonach der Widerspruch der Beigeladenen zu 1 zugunsten der Klägerin wirke, gebe es nicht. Dem stehe nicht entgegen, dass der Widerspruch einer Krankenkasse bzw. eines Krankenkassenverbandes nach der Rechtsprechung (Hinweis auf Landessozialgericht – LSG – Rheinland-Pfalz 2.4.2009 – L 5 KA 21/08, juris) regelmäßig auch zugunsten der übrigen, von der Prüfung betroffenen Krankenkassen bzw. -verbände wirke. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Krankenkassen bzw. –verbänden sei im vorliegenden Zusammenhang nicht mit demjenigen zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und betroffenem Arzt vergleichbar, da die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht die Stellung eines Sachwalters der Interessen des betroffenen Vertragsarztes hätten (Hinweis auf BSG 28.4.2004 – B 6 KA 8/03 R, juris Rn 33).
Gegen dieses ihr am 12.3.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.4.2014 eingelegte Berufung der Klägerin, die vorträgt: Das SG habe übersehen, dass die Klägerin als Beigeladene im Widerspruchsverfahren nach § 75 Abs. 4 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) berechtigt gewesen sei, eigene und auch abweichende Sachanträge zu stellen. Das SGG stelle in diesem Zusammenhang nicht einschränkend darauf ab, ob der notwendig Beigeladene selbst Widerspruch eingelegt habe. Folglich habe auch keine Bestandskraft des Bescheides vom 28.7.2010 zu ihren (der Klägerin) Lasten eintreten können. Darüber hinaus sei von Bedeutung, dass der Bescheid des Beklagten den Ausgangsbescheid ersetzt habe (Hinweis auf BSG 29.6.2011 – B 6 KA 16/10 R). In der Sache beziehe sie sich auf die Klagebegründung der Beigeladenen zu 1. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass der Grundsatz "Beratung vor Regress" zu beachten sei, mit der Folge, dass ein Regress nicht zulässig gewesen sei, da sie ihr Behandlungsverhalten geändert habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Mainz vom 26.2.2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 2.4.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor: Es bestehe weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Regelung, nach der ein Widerspruch der Kassenärztlichen Vereinigung auch für den von der Wirtschaftlichkeitsprüfung betroffenen Arzt Wirkung entfalte. Er, der Beklagte, hätte aufgrund des Widerspruchs der Beigeladenen zu 1 sogar gegenüber der Klägerin die Entscheidung der Prüfungsstelle verbösern dürfen. Insoweit bestehe ein anderer Sachverhalt als in dem Fall des Urteils des Senats vom 2.4.2009 (L 5 KA 21/08), in dem es um die Wirkung des Widerspruchs einer Krankenkasse zugunsten anderer Kassen und -verbände gegangen sei.
Die Beigeladene zu 1) schließt sich dem Vorbringen der Klägerin an und ergänzt, gegen eine Bindungswirkung der Entscheidung des Prüfungsausschusses zu Lasten der Klägerin sprächen die vom Senat in seiner Entscheidung vom 2.4.2009 (L 5 KA 21/08) herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze.
Die Beigeladene zu 2 schließt sich dem Vorbringen des Beklagten an. Die übrigen Beteiligten haben keinen Antrag gestellt und sich nicht geäußert.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 f, 151 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klägerin ist als ehemalige Berufsausübungsgemeinschaft beteiligtenfähig iSd § 70 Nr. 1 SGG. Dies gilt trotz der Auflösung der Gemeinschaft, da es im vorliegenden Rechtsstreit um Pflichten aus ihrem früheren Status geht (vgl. BSG 7.2.2007 – B 6 KA 6/06 R, juris Rn 11; Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage, § 70 Rn 2).
Wie das SG zutreffend entschieden ist, ist die Klage unbegründet, weil der Bescheid des Prüfungsausschusses vom 28.7.2010 der Klägerin gegenüber Bindungswirkung (§ 77 SGG) entfaltet. Die Klägerin hat diesen Bescheid nicht angefochten, dies ist auch nicht dadurch geschehen, dass der Beklagte sie am Widerspruchsverfahren beteiligt und sie in diesem sachlich Stellung genommen hat. Die Unanfechtbarkeit eines Bescheides kann verschiedenen Beteiligten gegenüber zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 77 Rn 4a).
Zwar wirkt der Widerspruch einer Krankenkasse bzw. eines Krankenkassenverbandes unter Umständen auch zugunsten anderer Krankenkassen bzw. -verbände, weil die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung einen einheitlichen Vorgang darstellt, an dem die Krankenkassen und ihre Verbände ein übergreifendes gemeinschaftliches Interesse haben (vgl. LSG Rheinland-Pfalz 2.4.2009 – L 5 KA 21/08, juris Rn 18; Engelhard in Hauck/Noftz, K § 106 Rz 638). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht entsprechend für die vorliegende Fallkonstellation. Denn der einzelne Arzt und die Kassenärztliche Vereinigung haben am Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht notwendig ein übergreifendes gemeinschaftliches Interesse. Während der Arzt an einer möglichst hohen Vergütung interessiert ist, hat die Kassenärztliche Vereinigung nicht für die Interessen einzelner Ärzte, sondern für die vertragsärztliche Versorgung in ihrer Gesamtheit Sorge zu tragen. Dieser Sicherstellungsauftrag folgt aus § 75 Abs. 1 SGB V. Deshalb kann ein Widerspruch der Kassenärztlichen Vereinigung keine unmittelbaren Wirkungen zugunsten des beteiligten Arztes erzeugen. Dass dem Arzt ein Erfolg des Widerspruchs der Kassenärztlichen Vereinigung mittelbar dadurch zugute kommt, dass der ihm gegenüber bindend gewordene Verwaltungsakt aufzuheben ist, ändert nichts am Eintritt dieser Bindungswirkung.
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf stützen, dass in vertragsarztrechtlichen Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren grundsätzlich allein der das Verwaltungsverfahren abschließende Verwaltungsakt des Beschwerdeausschusses Streitgegenstand des Klageverfahrens nach § 95 SGG ist (dazu BSG 29.6.2011 – B 6 KA 16/10 R, juris Rn 10 ständige Rechtsprechung). Denn dies bedeutet nicht, dass eine einem Beteiligten gegenüber eingetretene Bindungswirkung (§ 77 SGG) ohne weiteres durch einen Bescheid des Beschwerdeausschusses wieder aufgehoben wird. Diese Rechtsfolge wird auch nicht dadurch hervorgerufen, dass der Bescheid des Beschwerdeausschusses so das BSG (aaO) den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses "ersetzt". Diese Rechtsprechung des BSG trägt dem Umstand Rechnung, dass der Beschwerdeausschuss eine eigen-ständige Prüffunktion hat (vgl. LSG Rheinland-Pfalz 17.1.2013 – L 7 KA 29/11, juris Rn 25). Diese ändert aber nichts daran, dass der Beklagte vorliegend in seinem Bescheid nur über den Widerspruch der Beigeladenen zu 1 entschieden und keinen Bescheid erlassen hat, der die im Verhältnis zur Klägerin eingetretene Bindungswirkung aufgehoben hätte.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten kann im Verhältnis zur Klägerin nicht als erneuter Erstbescheid (sog Zweitbescheid; vgl BSG 11.3.2009, B 6 KA 15/08 R, juris Rn 10) aufgefasst werden, der zu deren Gunsten den Klageweg eröffnet hätte. Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte in seinem Bescheid auch auf die Argumentation der Klägerin im Widerspruchsverfahren eingegangen ist, die derjenigen der Beigeladenen zu 1, die sich nur auf die GO Nr. 03311 EBM Ä bezog, nicht entsprach. Indem der Beklagte auch die von der Klägerin beanstandeten Punkte einer Prüfung unterzogen hat, hat er nicht zu erkennen gegeben, dass er der Klägerin gegenüber einen Zweitbescheid erlassen wollte. Der Beklagte war auf den Widerspruch der Beigeladenen zu 1 hin ohnehin zur umfassenden Prüfung des Ausgangsbescheides berechtigt und verpflichtet und an einer im Verhältnis zu diesem abweichenden Entscheidung nur insoweit gehindert, als sie jedenfalls im Verhältnis zur Beigeladenen zu 1 den Grundsatz des Verbots der reformatio in peius zu beachten hatte. Ob er das Verböserungsverbot auch im Verhältnis zur Klägerin berücksichtigen musste, was der Beklagte im Berufungsverfahren bezweifelt hat, kann offenbleiben, weil er die Klägerin im Verhältnis zum Ausgangsbescheid nicht schlechter gestellt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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RPF
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