S 30 SF 186/15 E

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
30
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 30 SF 186/15 E
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.) Für Die Beurteilung, ob kostenrechtlich ein Teilanerkenntnis oder ein volles Anerkenntnis vorliegt kommt es alleine auf die Frage an in wie weit dem Klagebegehren nachgekommen ist. Hierfür ist das Klagebegehren ggf. durch Auslegung zu ermitteln.

2.) Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, wenn eine Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt wird, stellt regelmäßig nur ein Teilanerkenntnis dar.

3.) Das Anerkenntnis im Sinne der VV RVG 3106 Nr. 3 beinhaltet nur das sog. volle Anerkenntnis. Bei einem Teilanerkenntnis fällt eine Erledigungsgebühr im Sinne der VV RVG 1000ff. an, wenn der Anwalt dahingehend auf den Mandanten einwirkt, dass er sich mit dem Teilanerkenntnis zufrieden gibt.

4.) Der Urkundsbeamte setzt bei der Kostenfestsetzung den Betrag der gesamten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten fest. Einzelne Gebührentatbestände sind einem Anerkenntnis oder Vergleich nicht zugänglich. Sofern einzelne Gebührenpositionen unter den Beteiligten „nicht im Streit stehen“ hat der Urkundsbeamte von Amts wegen diese auch zu berücksichtigen und zu prüfen. Er kann und muss ggf. sogar einzelne Gebührenpositionen in der Festsetzung unberücksichtigt lassen, auch wenn die Beteiligten hierüber nicht streiten.

5.) Auf die Folgen eines unvollständigen Kostenfestsetzungsantrages hat der Ur-kundsbeamte im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens die Beteiligten hinzuweisen.
1. Die Kostenfestsetzung des Sozialgerichts Cottbus vom 21. März 2015 wird aufgehoben. 2. Die Beteiligten haben einander die außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsverfahrens nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Billigkeit der Höhe der festgesetzten Gebühren und den Anfall einer Erledigungs- oder fiktiven Terminsgebühr für die Abgabe eines (Teil) Anerkenntnisses.

Die Klägerin begehrte in dem Verfahren S 11 R 194/13 die Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 10. Januar 2012 (Rentenantragsstellung). Der Klageantrag enthielt keinen Hinweis auf den Beginn der Rente. Aus der Klagebegründung ging als frühestmöglicher Zeitpunkt der Zeitpunkt der Antragsstellung hervor.

Im Klageverfahren erkannte der Beklagte (im schriftlichen Verfahren, ohne dass ein Termin statt gefunden hätte) die Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit an.

Im Kostenfestsetzungsverfahren ging die Beklagte vom Vorliegen eines "vollen Anerkenntnisses" und damit von der Anwendbarkeit von VV RVG 3106 Absatz 3 aus. Eine Erledigungsgebühr berücksichtigte die Beklagte nicht. Insgesamt zahlte die Beklagte, ohne auf ein gerichtliches Kostenfestsetzungsverfahren zu warten an die Klägerbevollmächtigte die Summe von 625,22 Euro.

Die Bevollmächtigte beantragte beim Sozialgericht Cottbus die Festsetzung von Gebühren in Höhe von 226,10 Euro für eine Gebühr nach den VV RVG 1005, 1006 nebst Steuern.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. März 2015 setzte die Urkundsbeamte des Sozialgerichts Cottbus diese Summe antragsgemäß fest. Über die weiteren Gebühren wurde keine Kostenfestsetzung getroffen.

Die Beklagte hat gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss das Gericht angerufen.

Die Beklagte ist der Auffassung, es läge ein volles Anerkenntnis vor, so dass eine fiktive Terminsgebühr entstanden sei.

Eine Anschlusserinnerung wurde nicht eingelegt.

Die Klägerbevollmächtigte ist der Auffassung, es läge nur ein Teilanerkenntnis vor, mit der Folge, dass eine Erledigungsgebühr angefallen sei. Die Terminsgebühr sei allerdings trotzdem als reale Terminsgebühr angefallen.

Die Kammer hat den Beteiligten rechtliches Gehör gewährt.

II.

1. Die Erinnerung ist zulässig. Nach § 197 Absatz 2, in Verbindung mit § 178 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten das Gericht angerufen werden. Das statthafte Rechtsmittel ist daher die Erinnerung. Es ergibt sich zwar keine ausdrückliche Verweisung auf § 178 SGG, diese ergibt sich aber aus der Systematik des SGG und dem Wortlaut des § 178 SGG. Die maßgebliche Monatsfrist ist offenkundig gewahrt worden. Die Erinnerung erfolgte schriftlich.

Die Gebührenvorschriften sind in der Fassung des VV RVG und RVG vor dem 1. August 2013 anzuwenden, da der unbedingte Auftrag zur Geschäftsbesorgung vor dem 1. August 2013 erteilt wurde, vgl. § 60 RVG.

2. Die Gebühren sind im Ergebnis rechtswidrig festgesetzt worden. Die Festsetzung nur der Erledigungsgebühr durch das Gericht ist dabei dem Grunde nach schon rechtswidrig gewesen. Es kann keine Kostenfestsetzung nur über einzelne Gebührentatbestände geben. Es werden immer die Kosten des gesamten Rechtsstreits festgesetzt. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 197 Absatz 1 SGG "( ) den Betrag der zu erstattenden Kosten ( )". Das Gesetz stellt auf die Festsetzung des Betrages der Kosten ab. Eine anteilige Festsetzung ist daher mit dem Wortlaut von § 197 Absatz 2 SGG schlicht unvereinbar (anders verhält es sich nur bei der Berücksichtigung der Kostengrundquote, diese beschränkt ihrer Natur nach den Erstattungsbetrag insgesamt und ist deshalb zwingend zu berücksichtigen). Es hätte hier also eine Prüfung der gesamten Kostenerstattung erfolgen müssen, freilich unter Beachtung, dass nicht über den Antrag des Antragsstellenden hinaus festgesetzt werden dürfte (verfahrensrechtlich wäre der Antragsstellende darauf hinzuweisen, dass eine Kostenfestsetzung insgesamt zu erfolgen hat und über den gestellten Antrag nicht hinaus gegangen werden kann, damit der Antragsstellende seinen Antrag entsprechend berichtigen könnte, insbesondere wenn unter den Beteiligten im Grundsatz ja Einigkeit besteht, dass weitere Gebührentatbestände angefallen sein sollen).

Hätte der Urkundsbeamte in dieser Weise gehandelt, wäre ihm auch aufgefallen, dass die vom Beklagten bereits gezahlte Terminsgebühr überhaupt nicht entstanden ist. Hierzu hätte es zwingend einer Entscheidung des Urkundsbeamten bedurft, denn bei der vorliegenden Konstellation schließen sich Erledigungsgebühr und fiktive Terminsgebühr aus.

Eine "reale Terminsgebühr" nach VV RVG 3106 ist nicht angefallen. Ein Termin ist nicht durchgeführt worden. Wie die Bevollmächtigte auf die Idee kommt, es wäre ein Termin durchgeführt worden, erschließt sich nicht. Weder existiert eine Ladung, noch ein Sitzungsprotokoll noch sonst eine Niederschrift über einen Termin bei Gericht. Die Auffassung der Bevollmächtigten findet daher in der Realität schon keine Stütze.

Zu Recht ist auch keine fiktive Terminsgebühr nach VV RVG 3106 Nr. 3 festzusetzen. Es lag kein volles Anerkenntnis vor. Der Begriff des Anerkenntnisses wird vom SGG nicht definiert. Das Anerkenntnis wird regelmäßig als "das im Wege der einseitigen Erklärung gegebene uneingeschränkte Zugeständnis, dass der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch besteht", definiert (Meyer-Ladewig, SGG 11. Aufl. § 101 Rn 20). Das Anerkenntnis ist Prozesserklärung und muss gegenüber dem Gericht erklärt werden (vgl. aaO Rn 22), ggf. ist eine Erklärung seitens des Beklagten auszulegen. Der geltend gemachte prozessuale Anspruch richtet sich nach dem Begehr der Klage. Dieser ist aus der Klageschrift herzuleiten (vgl. aaO § 92 Rn 8 und 12). Begehrt war keine Zeitrente, diese wurde jedoch gewährt. Damit wurde weniger gewährt als beantragt. Ob die zeitliche Befristung der Rente der gesetzliche Regelfall sein mag, ist für die Bestimmung der Frage des Anerkenntnisses ohne Belang. Ein volles Anerkenntnis läge nur vor, wenn dem Klagebegehren in vollem Umfang entsprochen worden wäre. So verhält es sich hier jedoch nicht. Da kein ausdrücklicher Rentenbeginn in der Klageschrift bezeichnet wurde, muss dieser durch Auslegung ermittelt werden. Hierbei gilt der Meistbegünstigungsgrundsatz (vgl. aaO Rn 12). Dieser würde bei Beachtung von § 102 Absatz 2 S. 5 und § 99 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Rentengewährung (Beginn des Monats der Antragsstellung, hier also frühestens der 1. Januar 2012) führen. Das Anerkenntnis der Beklagten erfasste aber den Rentenbeginn erst später, so dass die Klägerin mit ihrem Begehren nicht voll durchgedrungen ist.

Voraussetzung für den Anfall der fiktiven Terminsgebühr wegen eines Anerkenntnisses ist aber auch ein volles Anerkenntnis und nicht bloß ein Teilanerkenntnis. Gemeint ist in der VV RVG 3106 Nr. 3 das Anerkenntnis im Sinne des § 101 Absatz 2 SGG. Nur das Anerkenntnis, welches das Verfahren auch insgesamt erledigt, ist von dem Wortlaut der VV RVG 3106 Nr. 3 erfasst. Nicht erfasst ist das sog. Teilanerkenntnis, ebenso wie ein Vergleich. Diese erledigen nicht den Rechtsstreit. Der Rechtsstreit wird in diesen Konstellationen durch die Erklärung der Erledigung "im Übrigen", bzw. Klagerücknahme "im Übrigen", erledigt. Damit kann ein Teilanerkenntnis oder Vergleich für die Erledigung des Rechtsstreits nicht kausal werden sondern nur die darüber hinaus gehende weitere Prozesserklärung.

Das angenommene Teilanerkenntnis löst dann aber eine Erledigungsgebühr nach den VV RVG 1005, 1006 aus. Eine Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr nach den VV RVG 1000ff. setzt eine kausale Mitwirkung des Rechtsanwaltes zur vollständigen (die Annahme eines Teilanerkenntnisses und die Fortsetzung des Rechtsstreites im Übrigen reicht hierfür nicht aus) Erledigung des Rechtsstreits voraus. Tätigkeiten, die ohnehin vom Anwalt im Verfahren verlangt werden (wie z.B. die Teilnahme und Mitwirkung an einer mündlichen Verhandlung, oder einem Erörterungstermin), können daher nicht als besonderes Hinwirken auf eine "unstreitige" Erledigung gewertet werden. Es ist insofern maßgeblich, dass das besondere Bemühen des Anwaltes zu einer Situation ähnlich der beim Abschluss eines Vergleiches führt (vgl. dazu auch SG Berlin S 164 SF 118/09), nur so werden Sinn und Zweck der VV RVG 1002ff, sowie 1005ff. richtig erfasst. Ein solches Bemühen kann in der Annahme eines Teilanerkenntnisses und die Erledigungserklärung im Übrigen gesehen werden. Die Mühwaltung liegt dann in der Regel darin, den Mandanten von seinem bisherigen Begehren (z.B. der Gewährung einer vollen EM-Rente) abbringen zu müssen. Diese Umstände müssen im Bestreitenfall tatrichterlich aufgeklärt werden (wobei hier ein solches "Bestreiten" nicht vorliegt). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die Behörde einen Änderungsbescheid erlässt und der Anwalt daraufhin ohne weiteres Zutun den Rechtsstreit für erledigt erklärt (so aber LSG Sachsen L 6 B 337/08 AS KO, welches in diesen Fällen eine Erledigungsgebühr automatisch als angefallen betrachtet.). Auch in solchen Konstellationen hat der Anwalt für die Erlangung der Erledigungsgebühr eine Tätigkeit vorzutragen und ggf. nachzuweisen, welche ein überobligatorisches Bemühen darstellt.

Die Urkundsbeamte hätte insofern bei der Festsetzung bemerken müssen, dass die festgesetzte Erledigungsgebühr im Mittel 190,- Euro; die fiktive Terminsgebühr im Mittel 200,- Euro beträgt und sich so eine Abweichung im Mittel von 10,- Euro zu Gunsten der Beklagten ergeben würde. Mithin hatte die Beklagte schon mehr Gebühren an die Bevollmächtigte ausgekehrt, als bei rechtlich zutreffender Würdigung des Sachverhaltes hätten festgesetzt werden dürfen, so dass die "weitere" Gebührenfestsetzung vom 21. März 2015 unter allen in Betracht kommenden Aspekten nur rechtswidrig sein konnte.

Die Höhe der Gebühren bemisst sich in Verfahren nach den §§ 3, 14 RVG als Betragsrahmengebühren. Nach § 14 RVG sind dabei die Gebühren zu ersetzen, die ihrer Höhe nach billig sind. Eine unbillige Gebühr ist von einem Dritten nicht zu ersetzen. Dritter im Sinne des § 14 Absatz 1 S. 4 RVG ist in der Regel der unterlegene Prozessgegner (vgl. Rick in AnwaltKommentar RVG, 4. Aufl. § 14 Rn 79). Der Dritte der sich gegen die Unbilligkeit der Gebühren wendet ist dafür beweisbelastet (vgl. Rick aaO Rn 80).

Grundsätzlich gilt die Mittelgebühr als billig. Diese ist in aller Regel nicht gesondert zu begründen (vgl. Rick aaO Rn 61 und 72).

Die hier festzusetzenden Mittelgebühren begegnen keinen Bedenken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kammer hat hier eine Kostenentscheidung zu treffen, da nach § 193 SGG sämtliche außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits ersetzt werden können. Dazu gehört auch eine mögliche Gebühr des Anwaltes für das Betreiben des Erinnerungsverfahrens. Das Erinnerungsverfahren stellt im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren eine gesonderte Angelegenheit im Sinne des § 18 Nr. 5 RVG dar, für das dem Mandanten weitere (Rechtsanwalts)kosten entstehen, dies hat der Gesetzgeber in der RVG Reform zum 1. August 2013 klargestellt.

Diese Entscheidung ist gemäß § 197 Absatz 2 SGG endgültig und damit unanfechtbar, dies gilt nach § 193 Absatz 3 Nr. 3 SGG auch für die getroffene Kostengrundentscheidung. Die Beschwerde ist nach § 197 Absatz 2 SGGG ausgeschlossen. Die Regelung des § 1 Absatz 3 RVG steht dem nicht entgegen. § 1 Absatz 3 RVG stellt lediglich klar, dass die Regelungen des RVG denen des SGG vorgehen. Da im RVG hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeiten zu Kostenfestsetzungen im Sinne des § 197 Absatz 1 SGG keine eigenen Regelungen getroffen sind, kann das regelungslose RVG der klaren Regelung des § 197 Absatz 2 SGG, der im Übrigen vom Gesetzgeber nicht aufgehoben oder abgeändert wurde, nicht vorgehen (so auch LSG Sachsen L 8 AS 1509/13 B KO sowie LSG Berlin-Brandenburg L 39 SF 281/13 B E).

Der Vorsitzende der 30. Kammer
Rechtskraft
Aus
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