L 9 R 1563/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 3653/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1563/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. März 2015 aufgehoben, der Bescheid der Beklagten vom 26. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Oktober 2013 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auch über den 31. Juli 2006 hinaus bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.07.2016 hinaus bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze streitig.

Die 1954 geborene Klägerin bezieht seit dem 01.10.2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung; derzeit bezieht sie aufstockend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Rente war zunächst befristet vom 01.10.2005 bis 31.12.2007, dann vom 01.01.2008 bis zum 31.07.2010 gewährt worden. Mit Bescheid vom 07.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2011 lehnte die Beklagte die Weitergewährung der Rente über den 31.07.2010 hinaus ab. Im anschließenden Klageverfahren (S 16 R 832/11) schlossen die Beteiligten vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) einen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze sowie für die Zeit vom 01.08.2010 bis zum 31.07.2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes zu gewähren. Grundlage für den Vergleich war u. a. ein Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. vom 26.01.2012, die im Wesentlichen aufgrund der Diagnosen Panikstörung, Zwangsstörung mit Zwangshandlungen, depressive Symptomatik, mittelschwer, ängstlich-vermeidende, selbstunsichere Persönlichkeitsstörung zu einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens auf unter drei Stunden gelangt war; von der Wiedererlangung eines vollschichtigen Leistungsvermögens sei nicht auszugehen, unter optimalen Bedingungen könne allenfalls von einem halbschichtigen Restleistungsvermögen in der Perspektive ausgegangen werden.

Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 15.03.2013 gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 26.03.2013 über den 31.07.2013 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.07.2016. Der Rentenanspruch sei zeitlich begrenzt, weil die volle Erwerbsminderung nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruhe.

Der hiergegen am 30.04.2013 eingelegte Widerspruch richtete sich gegen die erneute Befristung der Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Klägerin trug vor, die volle Erwerbsminderung beruhe ausschließlich auf dem Gesundheitszustand und nicht auf den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und bezog sich insbesondere auf einen aktuellen Bericht des Hausarztes S. vom 14.03.2013 und das Gutachten von Dr. E. vom 26.01.2012.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Verschlechterung des arbeitstäglichen Leistungsvermögens der Klägerin im Vergleich zur letzten Weiterbewilligung der Rente, bei der ein drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen auf Dauer festgestellt worden sei, könne aufgrund der vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht abgeleitet werden.

Mit der hiergegen am 22.10.2013 beim SG erhobenen Klage hat die Klägerin an ihrem Begehren, eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen auf Dauer zu erhalten, festgehalten.

Das SG hat im Rahmen der Beweisaufnahme die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen und von Amts wegen den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. sowie auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin Dr. E. mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt. Die Fachärzte für Urologie M. und Dr. S. haben unter dem 19.01.2014 eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit aus urologischer Sicht verneint. Unter dem 20.01.2014 hat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie W. angegeben, der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich verschlechtert. Sie sei auf nicht absehbare Zeit nicht in der Lage, einer körperlichen und geistigen Tätigkeit nachzugehen; maßgeblich sei die depressive sowie die Schmerzsymptomatik. Die Haushaltsführung sei nur mit äußerster Aufwendung an Kraft möglich. In seiner Aussage vom 22.01.2014 hat der Internist S. mitgeteilt, es bestehe eine schwere psychische Störung, die sich zwar in den letzten Jahren auf stabilem Niveau halte, was aber auch bedeute, dass die Klägerin wie in den letzten Jahren weiterhin nicht erwerbsfähig sei und auch in Zukunft nicht sein werde, da eine Besserung des Gesundheitszustands nicht zu erwarten sei. In seinem Gutachten vom 03.06.2014 hat Dr. N. auf seinem Fachgebiet die Diagnosen Panikstörung und rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradige Episode auf dem Boden einer ängstlich vermeidenden und dependenten Persönlichkeit angegeben. Das arbeitstägliche Leistungsvermögen für leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt betrage im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche vier Stunden täglich. Eine Besserung der Leistungsfähigkeit könne nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden. In ihrem Gutachten vom 31.12.2014 hat Dr. E. ebenfalls eine Panikstörung, eine Zwangsstörung mit Zwangshandlungen, eine rezidivierende depressive Symptomatik, mittelschwer, eine ängstlich vermeidende selbstunsichere Persönlichkeitsstörung und eine diabetogene Polyneuropathie festgestellt. Auch unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen könnten die noch möglichen Tätigkeiten nur unter drei Stunden ausgeführt werden. Medizinische Grundlage hierfür seien die Einschränkungen der seelischen und geistigen Fähigkeiten, untergeordnet auch die körperlichen Fähigkeiten. Mit einer relevanten Besserung der Leistungsfähigkeit sei nicht zu rechnen.

Mit Urteil vom 16.03.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Gemessen an den - näher dargelegten - Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung habe die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid zu Recht nur eine zeitlich befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 01.08.2013 bis zum 31.07.2016 bewilligt. Das arbeitstägliche Leistungsvermögen der Klägerin betrage noch vier Stunden. Insoweit hat sich das SG den Ausführungen von Dr. N. angeschlossen. Den gutachterlichen Ausführungen von Dr. E. schloss sich das SG nicht an. Gegen eine derartige schwerwiegende Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens spreche die noch teilweise erhaltene Tagesstruktur der Klägerin. Sie lebe alleine und sei in der Lage, ihren Haushalt zu führen und sich selbst zu versorgen. Auch sei sie mobil, fahre Fahrrad und Auto und benutze auch öffentliche Verkehrsmittel ohne Begleitung. So sei es ihr auch möglich gewesen, alleine die Termine zu den gutachterlichen Untersuchungen wahrzunehmen. Darüber hinaus seien ihre sozialen Kontakte, etwa mit ihren Enkelkindern, erhalten und sie gehe Hobbys, wie z.B. Häkeln und Zeitunglesen nach. Den Ausführungen von Dr. E. sei insofern zuzustimmen, als Dr. N. im Vergleich zu seiner Vorbegutachtung im Jahr 2009, im Rahmen derer er das quantitative arbeitstägliche Leistungsvermögen mit nur noch drei bis unter sechs Stunden bewertet habe, eine tendenzielle Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin festgestellt habe. Allein wegen dieser festgestellten Verschlechterung müsse das arbeitstägliche Leistungsvermögen jedoch nicht zwangsläufig auf unter drei Stunden arbeitstäglich gesunken sein. Ausgehend von einem Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden habe die Beklagte zu Recht Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt, da die Klägerin keinen zumutbaren Arbeitsplatz innehabe und ihr auch bisher kein für sie in Betracht kommender Arbeitsplatz angeboten worden sei. Die Rente sei daher, unabhängig von der Prognose über die Besserung des Gesundheitszustandes, nur befristet zu leisten gewesen.

Gegen das am 23.03.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.04.2015 Berufung eingelegt und zu deren Begründung vorgetragen, das SG sei zu Unrecht von einem arbeitstäglichen Leistungsvermögen von vier Stunden ausgegangen. Ein solches Leistungsvermögen ergebe sich auch nicht aus dem Gutachten von Dr. N., der von einem höchstens noch vierstündigen Leistungsvermögen ausgehe und eine sichtlich tendenzielle Verschlechterung bestätige. Bereits in seinem Gutachten vom 14.05.2009 in dem Verfahren vor dem SG (S 11 R 1318/08) habe er eine Belastbarkeit von etwa vier Stunden angegeben. Der Gutachter habe insbesondere eine nur noch eingeschränkte Tagesstrukturierung angegeben. Die bestehende Schafstörung, die sich trotz der Verwendung einer Schlafmaske nicht wesentlich gebessert habe, hindere die Klägerin an einer Verbesserung der Tagesstruktur und auch an regelmäßigen und ausdauernden Aktivitäten. Die Klägerin meide Menschenansammlungen und gehe kaum außerhäusigen Aktivitäten nach. Daraus, dass die Klägerin sich noch selbst, also ohne fremde Hilfe, versorgen könne, könne nicht geschlossen werden, dass sie einer regelmäßigen Arbeit von mehr als drei aufeinanderfolgenden Stunden täglich nachgehen könne. Beide Gutachter hätten übereinstimmend bestätigt, dass aufgrund der massiven Schlafstörungen alle Aktivitäten dadurch gekennzeichnet seien, dass sie unregelmäßig stattfänden und bereits nach kurzer Dauer Ruhepausen eingelegt werden müssten. Die sozialen Kontakte beschränkten sich auf Telefonate mit den Schwestern in Aalen und seltenen Besuchen des Sohnes und seiner Familie in München. Die Beschäftigungen wie Stricken und Häkeln, Zeitunglesen und Fernsehen könnten nicht als Hobbys bezeichnet werden. Diesen Tätigkeiten gehe die Klägerin vor allem dann nach, wenn sie nachts nicht schlafen könne und versuche, sich von der Schlaflosigkeit abzulenken.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. März 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 26. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Oktober 2013 zu verurteilen, der Klägerin ab 1. August 2013 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren; Anhaltspunkte für ein unter dreistündiges Leistungsvermögen auf Dauer ergäben sich nicht. Frühestmöglicher Rentenbeginn einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen sei der 01.05.2015, ohne Rentenabschlag der 01.05.2018. Ab 01.09.2017 könne die Altersrente für langjährig Versicherte mit Rentenabschlag in Anspruch genommen werden.

Die Berichterstatterin hat am 16.10.2015 einen Erörterungstermin durchgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig und in vollem Umfang begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 26.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.10.2013 ist rechtswidrig, soweit der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung lediglich befristet bis zum 31.07.2016 gewährt wurde. Die Klägerin hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.07.2016 hinaus auf Dauer, d. h. bis zum Beginn der Regelaltersgrenze.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554). Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im Übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand September 2013, § 43 SGB VI, Rdnr. 58 und 30 ff.).

Nach dem Ergebnis der bereits durch das SG durchgeführten Ermittlungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin derzeit und auf Dauer nur noch weniger als drei Stunden an fünf Tagen in der Woche einer leichten körperlichen Arbeit nachgehen kann. Anders als die Beklagte und das SG ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass das Leistungsvermögen der Klägerin nicht nur auf unter sechs Stunden, sondern auf unter drei Stunden abgesunken ist und sie damit einen Anspruch auf Rente unabhängig von der Arbeitsmarktlage hat.

Die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit beruht im Wesentlichen auf einer Panikstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung, derzeit mittelgradige Episode, auf dem Boden einer ängstlich vermeidenden und dependenten Persönlichkeit. Das Vorliegen dieser Gesundheitsstörungen ergibt sich sowohl aus dem Gutachten von Dr. N. vom 03.06.2014 als auch dem Gutachten von Dr. E. vom 31.12.2014 und wird auch von dem sozialmedizinischen Dienst der Beklagten in der Stellungnahme von Dr. E. vom 04.02.2015 nicht in Zweifel gezogen. Die Gutachter leiten die festgestellten Diagnosen schlüssig und nachvollziehbar aus den erhobenen Befunden ab. So beschreibt Dr. N. die Klägerin im psychisch-psychiatrischen Befund als verunsichert, angespannt, ängstlich, im Kontaktverhalten unflexibel und verschlossen wirkend. Kognitiv fanden sich Aufmerksamkeitsstörungen in Form von Konzentrations- und Auffassungsstörungen, teilweise auch Gedächtnisstörungen. Der formale Gedankengang war teilweise etwas beschleunigt und ungeordnet. Inhaltlich fanden sich vor allem Ängste während der Nacht. Affektiv stand eine deutlich ängstlich geprägte Grundstimmung im Vordergrund; die Klägerin weinte bei der Begutachtung mehrmals, hin und wieder kam es zu Zitteranfällen. Sie wirkte verschüchtert, eingeengt und dabei verbittert, es bestand eine erhebliche psychosomatische Anspannung im Rahmen der Exploration; eine deutliche Selbstwertstörung war festzustellen. Die Grundpersönlichkeit zeigte ängstlich-vermeidende und depressive Merkmale. Im Rahmen der Zusatzdiagnostik ergaben sich im Beck’schen Depressionsinventar Hinweise darauf, dass ein stark depressives Erleben vorherrscht, im SCL-90-Test fühlte sich die Klägerin psychisch sehr stark belastet. Die Einschränkung des Leistungsvermögens ergibt sich für den Senat daraus, dass der Klägerin nicht regelmäßig an fünf aufeinanderfolgenden Tagen der Woche drei Stunden am Stück leichte Tätigkeiten möglich und zumutbar sind. Das noch bestehende und von den Gutachtern beschriebene Restleistungsvermögen reicht nicht aus, um den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu genügen. Bereits Dr. N. beschreibt eine nahezu aufgehobene Tagesstrukturierung. Die Klägerin hat ihm gegenüber angegeben, gegen 7.00 Uhr aufzustehen, um kurz einzukaufen, so lange noch wenige Menschen im Supermarkt seien, dann aber von 7.30 Uhr bis 11.20 Uhr zu versuchen, zu schlafen, da sie zuvor die Nacht wach geblieben sei. Beim anschließenden Versuch, die Wohnung aufzuräumen, müsse sie immer wieder Pausen einlegen. Insgesamt habe sie keinen eigentlichen Tagesrhythmus, oft sitze sie auf dem Balkon und ruhe sich aus. Etwa viermal in der Woche bereite sie sich eine Mahlzeit vor, esse zwischen 12.00 Uhr und 15.00 Uhr, ruhe sich danach aus, versuche zu häkeln, schlafe immer wieder mal ein. Zwischendurch lese sie die Zeitung oder telefoniere mit ihren Schwestern. Am Abend esse sie nichts mehr, schaue noch etwa eine Stunde fern und gehe um 21.30 Uhr zu Bett, könne aber nur schlecht schlafen. Gegenüber Dr. E. hat die Klägerin den Tagesablauf ähnlich unstrukturiert beschrieben und ergänzt, dass sie gegen 16.30 Uhr eine Unruhe befalle; sie verbringe dann die Zeit mit Stricken oder fahre zu ihren Ärzten oder in eine nahegelegene Psychiatrie, wo sie sich in das Café setze. Allein der Gedanke, sich in Not dort jemandem anvertrauen zu können, beruhige sie. Das SG weist zutreffend darauf hin, dass es der Kläger noch möglich ist, den Haushalt zu bewältigen und Hobbys wie Häkeln und Zeitunglesen nachzugehen. Diese Tätigkeiten sind der Klägerin aber nach den übereinstimmenden Angaben gegenüber beiden Gutachtern nicht mehr im Rahmen eines geregelten Tagesablaufs möglich. Insoweit weist Dr. N. darauf hin, dass es der Klägerin nur noch bedingt möglich ist, einen geregelten Tagesablauf durchzuhalten, da sie aufgrund der chronischen Schlafstörungen insbesondere in den frühen Vormittagsstunden Schlaf nachholt und dann nur unregelmäßig einzelne Tätigkeiten durchführt. Die durchgeführten Tätigkeiten beschränken sich auch auf den häuslichen Bereich und es ist der Klägerin nur bedingt möglich, außerhäusige Tätigkeiten durchzuführen. Sie geht beispielsweise aufgrund ihrer Angststörung bereits um 7.00 Uhr einkaufen, um Menschenansammlungen zu vermeiden. Die Angaben der Klägerin sind nach Einschätzung von Dr. N. glaubwürdig; er fand im Rahmen der Plausibilitäts- und Konsistenzprüfung keine Hinweise auf eine Beschwerdeverdeutlichung oder eine negative Antwortverzerrung. Aufgrund der durch Dr. N. beschriebenen Einschränkungen hinsichtlich Durchhaltefähigkeit und Stresstoleranz ist von einer Einschränkung des Leistungsvermögens auf unter drei Stunden arbeitstäglich auszugehen. Insbesondere vor dem Hintergrund der eingeschränkten Stresstoleranz und psychomentalen Belastbarkeit ergeben sich erhebliche Einschränkungen der Durchhaltefähigkeit. Auch hat sich die Klägerin vorwiegend auf den häuslichen Bereich beschränkt und vermeidet weitgehend Tätigkeiten außerhalb der Sicherheit gebenden Wohnung.

Der Senat gelangt daher bereits auf Grundlage der durch Dr. N. erhobenen Befunde zu einem unter dreistündigen Leistungsvermögen; diese Leistungseinschätzung wird durch Dr. E. bei im Wesentlichen identischer leistungsrelevanter Diagnosen bestätigt. Die Klägerin ist daher jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. N. auch aus medizinischer Sicht voll erwerbsgemindert.

Anders als die Beklagte und das SG, die ausgehend von der von ihnen angenommenen Leistungseinschränkung auf drei bis unter sechs Stunden gemäß § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI zwingend eine Befristung der Rente angenommen haben, ist der Senat zur Überzeugung gelangt, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren ist. Gemäß § 102 Abs. 2 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundsätzlich auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden, dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Unwahrscheinlich im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann erst dann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht (BSG, Urteil vom 29.06.2006, B 13 RJ 31/05 R, Juris). Der Senat ist davon überzeugt, dass das Leistungsvermögen der Klägerin dauerhaft in rentenberechtigendem Ausmaß eingeschränkt und eine Besserung unwahrscheinlich ist; er schließt sich den insoweit übereinstimmenden Auffassungen beider Gutachter an. Eine Besserung der die Leistungsfähigkeit einschränkenden Befunde kann aufgrund der Vorgeschichte nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden. So befindet sich die Klägerin bei der Fachärztin für Psychiatrie W. in regelmäßiger ambulanter psychiatrischer Behandlung, nimmt ein Antidepressivum ein und war mehrfach in stationärer Behandlung, ohne dass eine wesentliche Besserung eingetreten wäre. Eine weitere Besserung durch eine erneute stationäre Behandlung in einer psychosomatischen Klinik schließen Dr. N. und Dr. E. aus. Dr. E. geht nachvollziehbar und überzeugend davon aus, dass in Kenntnis des nunmehr mehr als zehnjährigen Verlaufs ohne jegliche Besserungstendenz eine Stabilisierung nur auf niedrigem Niveau gelingen kann. Diese Auffassung wird auch durch die in der sozialmedizinischen Literatur (vgl. Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, 7. Aufl., 2011, Seite 561) angegebene Faustregel gestützt, wonach die Wiederherstellung einer vollen beruflichen Leistungsfähigkeit kaum zu erwarten ist, wenn folgende Faktoren gemeinsam vorliegen: mittelschwer bis schwer ausgeprägte depressive Symptomatik, chronifizierter Verlauf, erfolglose Behandlungsversuche im ambulanten und stationären Rahmen in unterschiedlichen therapeutischen Settings bei ausreichend langer und ausreichend hoher Dosierung der antidepressiven Medikation mit Wechsel des Medikaments sowie erfolgloser Rehabilitationsbehandlung. Nachdem die Faktoren bei der Klägerin erfüllt sind, ist eine Besserung des Leistungsvermögens unwahrscheinlich.

Nach dem bisherigen Krankheitsverlauf ist daher über die bereits von der Beklagten bewilligten drei Jahre hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, d. h. bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zu gewähren, wobei von einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden arbeitstäglich ausgegangen wird.

Der Bescheid vom 26.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.10.2013 war dahingehend abzuändern, dass Rente wegen voller Erwerbsminderung auch über den 31.07.2016 hinaus auf Dauer zu gewähren war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das vollumfängliche Obsiegen der Klägerin in beiden Instanzen.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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